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Historische Foto (1927) von einer Aufführung der Berliner Volksbühne am Bülowplatz Magazin Mitbestimmung

Rätselhaftes Fundstück: Volksbühnenbewegung

Ausgabe 06/2023

„Die Kunst dem Volke!“ Dieser Weckruf wird Ende des 19. Jahrhunderts immer lauter. Der Kulturbetrieb soll für alle bezahlbar und im Sinne der Arbeiterbewegung gesellschaftlich wirksam sein. In der Folge entstehen überall im Land eigene Theater – die Volksbühnen. Von Guntram Doelfs

Die Käfige für die Ratten und die Mäuse, die der Schauspieler Heinrich George als Kriegsheimkehrer Hinkemann am ausgestreckten Arm präsentiert, sollen das Publikum schocken. Eugen Hinkemann, Hauptfigur in Tollers gleichnamigem Drama, ist ein gebrochener, desillusionierter Mann, dem im Krieg die Genitalien weggeschossen wurden. Seine Frau betrügt den entmannten Exsoldaten mit einem Liebhaber, der sie auch schwängert. Hinkemann muss sich seinen kargen Lebensunterhalt auf dem Jahrmarkt verdienen, wo er Ratten und Mäusen die Kehle durchbeißt. Das Foto entsteht 1927 während einer Aufführung der Berliner Volksbühne am Bülowplatz. Tollers expressionistisches Drama ist für nationale Kreise ein Skandal. Geschrieben hat es der jüdische Dramatiker während seiner fünfjährigen Festungshaft, zu der der bekennende Revolutionär und Mitanführer der kurzlebigen Münchner Räterepublik 1919 verurteilt worden ist. Mit seiner schonungslosen Sicht auf die deprimierende Lage vieler Kriegsheimkehrer hat es eine klare politische Botschaft – und prädestiniert sich damit für eine Aufführung an diesem Ort.

Die Berliner Volksbühne ist das Schmuckstück  der noch jungen Volksbühnenbewegung, die ihre Geburtsstunde 1890 mit der  Gründung der Freien Volksbühne hat. Die Bewegung, die sich schnell über das gesamte Land ausbreitet, hat mehrere Ziele: Vor allem will sie Arbeitern und unterprivilegierten Bevölkerungsschichten einen bezahlbaren Zugang zu Bildung und Kultur ermöglichen. Die Mitglieder der Volksbühne zahlen am Anfang einen einheitlichen Mindestbetrag von 50 Pfennig. Die Sitzplätze, die beim Theater mit gebündelter Nachfrage und Rabatt bezogen werden, werden ausgelost. Wer trotz Karte nicht zur Aufführung kam, konnte auch „schon mal schnell als Mitglied rausgeworfen werden“, sagt Hans-Werner Heißmann-Gladow, Vorstandsmitglied im heutigen Bund Deutscher Volksbühnen.

Doch das Ziel sind eigene Häuser wie der Neubau der Volksbühne Berlin, die 1914 eingeweiht wird. In den 1920er Jahren erreicht die Bewegung mit mehr als 160 000 Mitgliedern ihre Blüte. Sie nimmt nicht nur gesellschaftskritische Stücke ins Programm, sondern versteht sich auch als Forum für eine politische Debatte. In dieser Zeit beschäftigt die Berliner Volksbühne Intendanten von Weltrang wie Erwin Piscator, der mit Bildprojektionen, laufenden Bändern und Fahrstühlen
experimentiert, und die besten Schauspieler ihrer Zeit, wie Heinrich George.

Doch die Verhältnisse ändern sich. Piscator  überwirft sich 1927 mit der Volksbühne und gründet ein eigenes Theater. Und Heinrich George wird nur wenige Jahre nach seinem Auftritt als Hinkemann in Propagandafilmen der Nazis wie „Jud Süß“ oder „Kolberg“ mitspielen, nachdem die neuen Machthaber 1933 die Auflösung aller 250 aktiven Volksbühnen-
Vereine erzwungen haben.


Rätselfragen

  1. Wie heißt der ehemalige Bülowplatz heute?
  2. Wer war nach 1945 treibende Kraft zur Neugründung einer gemeinsamen Volksbühne in allen Berliner Besatzungszonen und in West-Berlin ihr Intendant?
  3. Außer in Berlin gibt es heute nur in einer einzigen ostdeutschen Stadt einen Volksbühnen-Verein. Um welche Stadt handelt es sich?

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Auflösung der Rätselfragen 5/2023:

  • 7,1 Prozent
  • Ölkrise
  • 1974

 

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