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Magazin Mitbestimmung

: Vertreibung aus dem Paradies

Ausgabe 04/2011

MANAGEMENTBERATUNG Die großen Unternehmensberatungen haben ihre Aura als Vordenker verloren. Von Christof Balkenhol

CHRISTOF BALKENHOL ist Unternehmens- und Betriebsratsberater in München/Foto: Horst Ossinger, dpa

In der weltweiten Finanz- und Wirtschaftskrise haben viele Unternehmen in den Jahren 2008 und 2009 mitunter drastische Sparprogramme aufgelegt. Aber dieses Mal stand nicht in erster Linie Personalabbau auf der Agenda, sondern vor allem die Suche nach kurzfristig ergebniswirksamen Einsparungen von Sachkosten. Und in diesem Zuge haben insbesondere Großunternehmen wie Siemens, die Deutsche Telekom, ThyssenKrupp oder der Allianz-Konzern die Budgets für Managementberatung teilweise radikal zusammengestrichen. So verloren selbst die großen Haus- und Hoflieferanten aus der internationalen Consultingszene plötzlich sicher geglaubte Dauermandate. Die neue Devise vieler Vorstände: Nur ausnahmsweise mit Beratereinsatz - wenn möglich bitte mit hauseigenen Kapazitäten! In der Folge ging der Umsatz auf dem Markt für Managementberatung in Deutschland von 2008 auf 2009 um fünf Prozent zurück. Eine schmerzliche Erfahrung für McKinsey, Roland Berger und Co., galten zweistellige Zuwachsraten auf dem Consultingmarkt doch schon fast als ein Naturgesetz.

NEUE SACHLICHKEIT_ Neben den unmittelbaren wirtschaftlichen Auswirkungen hat die Finanzkrise einen Trend verstärkt, der sich schon seit einigen Jahren abzeichnet: eine neue Sachlichkeit im Verhältnis zwischen Auftraggebern und Beratern. Von vielen Betriebsräten mit Argwohn beobachtet, haben sich gerade die international ausgerichteten Strategieberater gerne mit der Aura intellektueller Vordenker und kluger Bescheidwisser umgeben. Dieses Image hat in der Finanzkrise massiv gelitten. Denn auch die Berater haben die Risiken der amerikanischen Immobilienkrise und deren hochgiftige Nebenwirkungen für Volkswirtschaften im Allgemeinen und für europäische Geschäftsbanken im Besonderen vollkommen unterschätzt. In der Folge standen nicht nur deutsche Landesbanken, sondern auch einige große Geschäftsbanken trotz intensiver Dauerunterstützung durch Top-Managementberater am Abgrund und konnten nur mit aufwendigen staatlichen Rettungsprogrammen vor dem Kollaps bewahrt werden. Die teuren Ratgeber hatten wenig zu bieten, um das Desaster bei ihren Kunden zu vermeiden.

Manager blicken mittlerweile sehr viel nüchterner auf den Einsatz von Consultants. Die Auftraggeber haben ein deutlich klareres Bild von der Leistung, die sie in einem Beratungsprojekt erwarten, und von den Kosten, die für einen solchen Einsatz angemessen sein können. Anders als noch vor zehn Jahren werden gerade bei Konzernen heute viele Beratungsprojekte nicht mehr an der eigenen Einkaufsorganisation vorbei verabredet. Also müssen sich die Anbieter in der Auseinandersetzung mit den Einkäufern einem verstärkten Wettbewerb und einer sehr viel intensiveren Diskussion über die Höhe ihrer Honorare und Nebenkosten stellen. Damit geraten die Beratungshonorare unter Druck, den auch die Premiumanbieter der international ausgerichteten Strategieberater spüren: Kunden sind nicht mehr klaglos bereit, Tagessätze von 3000 Euro aufwärts zu akzeptieren. Gerade Konzernmanager, die selbst einen Teil ihrer Karriere bei einer Unternehmensberatung verbracht haben, sind hier im Vorteil: Sie können wertvolle Expertise sehr genau von ausschweifenden Analysen und inhaltsarmen PowerPoint-Blendwerken unterscheiden. Dieses Wissen verschafft neues Selbstbewusstsein im Umgang mit den Consultants.

UMSETZBARKEIT GEFRAGT_ Ein weiterer wichtiger Aspekt der neuen Sachlichkeit bezieht sich auf die inhaltliche Ausrichtung der Beratung. Viele deutsche Großunternehmen haben in der Vergangenheit Projekte aufgesetzt, in denen große strategische (Um-)Baupläne entwickelt wurden, die bei genauem Hinsehen jedoch eine fatale Gemeinsamkeit hatten: ungeeignet zur Umsetzung. Aus diesen Fehlern haben die Auftraggeber gelernt. Sie achten heute sehr viel mehr auf die Fähigkeiten der Berater zur Unterstützung bei der konkreten Umsetzung ihrer Vorschläge. Diese Trendwende hat Karl-Heinz Büschemann im November in einem Beitrag in der "Süddeutschen Zeitung" unter der Überschrift "Handwerker statt Architekten" beschrieben.

Auch dieser Trend hat Auswirkungen auf die Preisgestaltung. Denn selbstverständlich wollen Kunden für solide Handwerkerleistungen nicht die Stundensätze von Stararchitekten bezahlen. Arbeitnehmervertreter werden diese Wendung mit Freude registrieren. Immer wieder haben sie sich in der Vergangenheit über die Abgehobenheit mancher Beratervorschläge beklagt. In diesem Zusammenhang berichtet Martin Bühre, stellvertretender Betriebsratsvorsitzender und Mitglied im Aufsichtsrat der Stadtwerke Hannover AG, von einer interessanten Erfahrung: "Unser Unternehmen hat im vergangenen Jahr externe Unterstützung für ein Projekt zum Veränderungsmanagement gesucht. Der Betriebsrat war in die Auswahl einbezogen. Wesentliches Auswahlkriterium waren Mitarbeitereinbindung und klare Umsetzungsorientierung der Berater. Beworben haben sich auch zwei sehr etablierte große Beratungsunternehmen. Das Rennen hat aber eine kleine, spezialisierte Firma gemacht."

Die etablierten Großberater müssen sich derzeit an drei Fronten gegen Wettbewerber verteidigen, die mit ihnen um Beratungsprojekte und Marktanteile konkurrieren:

Auftraggeber sind heute sehr viel eher bereit, Aufträge an kleinere Spezialberatungen mit klarem Fokus zu vergeben. Ein Projekt zur Optimierung der Einkaufsorganisation bei einer großen Fluggesellschaft oder zur Überarbeitung der Preisstrategie bei einem internationalen Lebensmittelmulti waren bis vor einigen Jahren Heimspiele für die etablierten Großberater. Heute kommen hier regelmäßig auch mittelgroße Firmen mit wenigen Dutzend Mitarbeitern zum Zug, die sich thematisch oder branchenbezogen fokussiert haben.

Viele Konzerne wie Siemens, E.ON oder die Commerzbank haben Inhouse-Beratungen aufgebaut, die das interne Kow-how bündeln und innerhalb der Konzerne für eigene Projekte zur Verfügung stellen. Einige dieser Inhouse-Einrichtungen haben dabei sogar eine beachtliche Sichtbarkeit im Beratungsmarkt erreicht. So zählt etwa die Stuttgarter Porsche Consulting als Ableger des Automobilherstellers mit über 45 Millionen Euro Jahresumsatz zu den 25 größten Managementberatungen in Deutschland.

Schließlich versuchen auch die großen Wirtschaftsprüfungskonzerne wie PWC oder KPMG verstärkt, in den Markt für Managementberatung vorzudringen, weil in diesem Segment nach wie vor höhere Honorare zu erzielen sind als im extrem umkämpften Markt für Abschlussprüfungen. Hier ist wohl auch ein wesentliches Motiv für die Absicht des Wirtschaftsprüfers Deloitte Consulting zu sehen, mit den Beratern von Roland Berger zu fusionieren - Pläne, die allerdings im vorigen November platzten.

Marktbeobachter wie Dietmar Fink von der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg sehen den Beratungsmarkt mittlerweile als einen reifen Markt: Anbieter müssen sich damit abfinden, dass dieser Markt nicht stärker wächst als das Bruttoinlandsprodukt und dass ein intensiver Preiswettbewerb herrscht. Zusammenschlüsse und Fusionen sind eine typische Reaktion von Anbietern auf reifen Märkten. Neben dem gescheiterten Fusionsexperiment zwischen Roland Berger und Deloitte war im Frühsommer 2010 schon einmal eine Beraterhochzeit gescheitert: A.T. Kearney und Booz haben nach längerer Prüfung ihre Verlobung wieder gelöst und sich entschieden, auch weiterhin getrennte Wege zu gehen. Wer selbst Großkonzerne in Fusionsfragen berät, kann also in eigener Angelegenheit ohne Weiteres kläglich scheitern. Auch hier hält offensichtlich ein Stück Normalität Einzug in eine Branche, die vielfach noch den Kult des Elitären pflegt.

 

DATEN UND FAKTEN ZUR MANAGEMENTBERATUNG IN DEUTSCHLAND

Nach einer Erhebung der Marktforscher von Lünendonk wurden 2009 in Deutschland circa 13,6 Milliarden Euro mit Managementberatung (ohne IT-Beratung) umgesetzt. Beratungsschwerpunkte sind Strategie, Organisation, Betriebswirtschaft, Logistik und Marketing. Gegenüber dem Vorkrisenjahr 2008 ging der Umsatz um 0,6 Milliarden Euro zurück. Der Umsatz verteilt sich auf über 13 000 Beratungsunternehmen. Die Anbieterstruktur ist mittelständisch geprägt. Ein Beratungsunternehmen erwirtschaftet im Durchschnitt einen Umsatz von etwas über einer Million Euro. Nur rund 300 Anbieter erzielen Jahresumsätze von mindestens fünf Millionen Euro. Die fünf größten Anbieter auf dem deutschen Markt sind McKinsey, die Boston Consulting Group, Roland Berger, Booz und Deloitte Consulting.

Die Beratungshonorare weisen nach einer Erhebung des Bundesverbandes deutscher Unternehmensberater (BDU) von 500 bis über 5000 Euro pro Beratungstag eine erhebliche Spannbreite auf. Das Gros der Berater stellt Tagessätze zwischen 1000 und 2500 Euro in Rechnung.

Quelle: Lünendonk; BDU

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