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Magazin Mitbestimmung

Tarifpolitik: Unsoziales Sozialunternehmen

Ausgabe 11/2013

Die Beschäftigten des Sozialvereins CeBeeF in Frankfurt haben den bundesweit ersten Arbeitskampf in der persönlichen Behindertenassistenz geführt. Der von ihnen erstrittene Tarifvertrag aber wird bis heute nicht angewandt. Von Joachim F. Tornau

Die Vernunft kann sich mit größerer Wucht dem Bösen entgegenstellen, wenn der Zorn ihr dienstbar zur Hand geht.“ Den Satz, Papst Gregor dem Großen zugeschrieben und bekannt geworden durch den Kabarettisten Georg Schramm, hat jemand auf einen gelben Zettel geschrieben und im Betriebsratsbüro des CeBeeF Frankfurt über die Eingangstür gehängt. Zwar haben es die Arbeitnehmervertreter beim „Club Behinderter und ihrer Freunde e. V.“ in der Mainmetropole nicht unbedingt mit „dem Bösen“ zu tun, zornig aber sind sie. Denn seit mehr als einem Jahr müssen sie erleben, wie ein zäh erkämpfter Tarifvertrag behandelt wird, als sei er nur ein Stück Papier.

Am 1. Juli 2012 trat bei der Selbsthilfeorganisation, die rund 500 Menschen beschäftigt, ein Haustarif in Kraft – der deutschlandweit erste in diesem Bereich. Er orientierte sich am Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Und: Er legte für die bislang ungeregelten Berufe der persönlichen Assistenz und der Schulbegleitung eine Eingruppierung auf Facharbeiterniveau fest. Bis dahin hatten die meisten CeBeeFler für einen Bruttostundenlohn von 9,31 Euro gearbeitet. Der Tarifvertrag brachte ihnen nun einen Lohnzuwachs von bis zu 50 Prozent. Oder richtiger: Er würde es ihnen bringen, wenn er denn umgesetzt würde. Doch bis heute zahlt der Verein lediglich 81 Prozent des vereinbarten Tariflohns aus. Für mehr, rechtfertigt sich Geschäftsführerin Sabine Eickmann, reiche das Geld nicht. Aber auch wenn sie sich selbst mit dem „bundesweit einmaligen und wegweisenden“ Tarifabschluss brüstet: Einhalten wollte sie ihn von Anfang an nicht. „Noch während Frau Eickmann den Vertrag unterschrieb, verkündete sie schon, dass er gestundet werden müsse“, sagt Betriebsratsvorsitzende Astrid Buchheim. „Seitdem wiederholt sie mantramäßig ihre Forderung nach einem Notlagentarifvertrag.“

Knackpunkt ist die Refinanzierung. Der CeBeeF wird für seine Betreuungsleistungen von der Stadt Frankfurt und den Pflegekassen bezahlt. Und eigentlich waren die Voraussetzungen bestens, als die Geschäftsführung mit dem neuen Tarifvertrag zur Stadt ging, um sich auf höhere Vergütungssätze zu einigen: Im Zuge der Tarifauseinandersetzungen hatten die CeBeeF-Beschäftigten erreicht, dass das Frankfurter Stadtparlament eine Tariftreueerklärung für soziale Dienstleistungen verabschiedete. Auch das ein Novum in deutschen Kommunen. Trotz des Beschlusses aber sollen die Leistungsvereinbarungen zwischen Stadt und Verein nicht ausreichen, um den Tarifvertrag zu bedienen. So jedenfalls stellt es CeBeeF-Chefin Eickmann dar. Das Sozialamt, sagt sie, habe „eine unterschiedliche Auffassung von der Eingruppierung der betroffenen Mitarbeiter“.

Sozialdezernentin Daniela Birkenfeld (CDU) will sich den Schwarzen Peter nicht zuschieben lassen – und konterte Anfang Juli gar mit der fristlosen Kündigung der neuen Vereinbarungen wegen Nichterfüllung des Tarifvertrags. „Die Beschäftigten“, sagt ihre Sprecherin Manuela Skotnik, „haben nicht bekommen, was der CeBeeF uns gegenüber veranschlagt hat.“ Zwar hat das Frankfurter Verwaltungsgericht die Kündigung einstweilig für unwirksam erklärt, doch das letzte juristische Wort ist noch nicht gesprochen: Die Stadt hat die Gerichtsentscheidung angefochten. Im Rathaus ist man überzeugt, ausreichend refinanziert zu haben. Einzig bei der Schulbegleitung – bei den Betreuern also, die behinderten Kindern und Jugendlichen den Besuch regulärer Schulen ermöglichen – habe es „überzogene Vorstellungen“ gegeben. „Da haben wir uns auf einen Mittelweg geeinigt“, sagt die Sprecherin. Was Skotnik berichtet, als sei es bloß ein unbedeutendes Detail, betrifft mehr als jeden dritten CeBeeF-Beschäftigten.

STADT MUSS TARIF AKZEPTIEREN

Dass sich die Geschäftsführung auf diese Abweichung eingelassen hat, kann Andreas Heymann, bei ver.di in Frankfurt für Gesundheit und soziale Dienste zuständig, nicht begreifen. „Der CeBeeF hat sich offenbar in Nachverhandlungen ziehen lassen“, sagt der Gewerkschaftssekretär. Dabei sei es allein Sache der Tarifparteien, die Entgelte auszuhandeln: „Wo kämen wir denn hin, wenn die Stadt die Löhne diktieren könnte?“ Und über die konkrete Eingruppierung eines Beschäftigten hätten sich Betriebsrat und Arbeitgeber zu verständigen, niemand sonst. „Wenn die Stadt das nicht akzeptiert, muss der Arbeitgeber klagen“, verlangt Heymann. Verhandlungen über einen Notlagentarifvertrag, wie von Geschäftsführerin Eickmann immer wieder gefordert, kommen für ver.di daher nicht infrage. „Das ist keine Notlage, das ist Politik“, sagt der Gewerkschafter.

Auch der Betriebsrat sieht nicht ein, warum die Belegschaft jetzt bluten soll. „Nicht der Tarifvertrag ist ursächlich für die jetzige Situation, sondern die fehlende politische Öffentlichkeitsarbeit des CeBeeF“, sagt Betriebsratsvorsitzende Buchheim. Statt öffentlich Druck auf die Stadt auszuüben, habe die Geschäftsführung rein defensiv reagiert – und gleichzeitig die Beschäftigten mit der Forderung nach Absenkung des Tarifvertrags unter Druck gesetzt. „Der größte Teil der Belegschaft lässt sich aber nicht mehr einschüchtern“, sagt Buchheim. Vier Kollegen haben bereits den Tariflohn eingeklagt. Knapp 60 weitere Klagen, die mit Unterstützung von ver.di eingereicht wurden, sind anhängig.

Zweieinhalb Jahre haben die Beschäftigten für den Tarifvertrag gestritten. Sie organisierten den ersten Warnstreik, den es bei der Behindertenassistenz in Deutschland jemals gegeben hat – was in einem Betrieb, in dem die meisten Arbeitnehmer dezentral und einzeln arbeiten, nicht einfach ist. Und sie ließen sich von ihrem Ziel auch durch massive Drohgebärden nicht abbringen: Der Arbeitgeber mahnte Mitarbeiter ab, die sich besonders engagiert eingesetzt hatten. CeBeeFlern, die bei ihren Kunden um Unterstützung der Tarifforderungen werben wollten, wurden arbeits- und strafrechtliche Konsequenzen angekündigt – wegen „Verstoßes gegen die Schweigepflicht“. Und den Behinderten und ihren Angehörigen malte die Geschäftsführung in düsteren Farben aus, was sie bei einem Streik zu befürchten hätten: Vielleicht müssten sie mangels Personals dann sogar mit einer Einweisung ins Krankenhaus rechnen. Gerade vor diesem Hintergrund will sich die CeBeeF-Belegschaft mit einer Teilanwendung des erstrittenen Tarifvertrags nicht zufriedengeben. „Die Stimmung ist überwiegend: Damit lassen wir uns nicht abspeisen“, sagt Betriebsrätin Buchheim. „Dafür haben wir zu lange gekämpft.“

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