zurück
Magazin Mitbestimmung

: Und sie rechnet sich doch!

Ausgabe 03/2006

Mitbestimmung sei ökonomisch ineffizient und damit ein Standortnachteil - behaupten ihre Kritiker. Es verdichten sich die Anzeichen, dass Mitbestimmung auch ökonomisch ein Vorteil für Unternehmen in Deutschland ist.



Von Rainald Thannisch
Der Autor arbeitet als Politischer Referent für Unternehmens- und Mitbestimmungspolitik beim DGB-Bundesvorstand in Berlin. rainald.thannisch@dgb.de

Im wissenschaftlichen Streit unter Ökonomen über die Wirkung der Mitbestimmung konkurrieren zwei theoretische Ansätze, die sich in ihren Annahmen, Modellen und Ergebnissen wesentlich unterscheiden: die so genannte Property-Rights-Theorie, also die Theorie der Verfügungsrechte, und die Partizipationstheorie.



Konkurrierende Denkschulen

Vertreter der Property-Rights-Theorie argumentieren, dass Mitbestimmung im Unternehmen zu einer Verwässerung der Entscheidungsrechte führe und damit zu einer Verminderung der unternehmerischen Entscheidungs- und Koordinationskraft. Wichtige unternehmerische Entscheidungen würden durch die Eigeninteressen der Beschäftigten behindert - mit der Folge von Fehlallokationen und drastisch erhöhten Koordinations- und Verhandlungskosten. Die der Mitbestimmung zugeschriebene ökonomische Ineffizienz bestätigt sich nach dieser Denkschule auch empirisch: Schließlich sei ein freiwilliges Zustandekommen von Mitbestimmungsregelungen nur selten zu beobachten.

Im Gegensatz dazu berücksichtigt die Partizipationstheorie auch die ökonomischen Vorteile der Mitbestimmung. Im Wandel von der Arbeits- zur industriellen Wissensgesellschaft steigt den Vertretern dieses Ansatzes zufolge die Notwendigkeit von Kooperation und vertrauensvoller Zusammenarbeit. Die Bündelung der Interessen der Beschäftigten durch Betriebsräte und Aufsichtsräte führe daher zu einer Senkung der Transaktions- und Verhandlungskosten und zu einer verbesserten Motivation.

Weiterhin leiste die Mitbestimmung einen wichtigen Beitrag zur Verminderung von Informationsasymmetrien, beispielsweise durch die Weitergabe von wichtigen Informationen aus dem betrieblichen Alltag an den Vorstand oder die Geschäftsführung. Die so verbesserte Informationsversorgung der Unternehmensführung wiederum habe - gemeinsam mit der verbesserten Motivation der Beschäftigten - eine positive Auswirkung auf die Arbeitsproduktivität.

Mitbestimmung unterstützt außerdem - so das dritte Argument der Partizipationstheoretiker - die Bereitschaft der Beschäftigten, auch in Qualifikationen zu investieren, die speziell auf ihr Unternehmen zugeschnitten sind. Der Grund: Mitbestimmung bietet einen erhöhten Schutz vor Entlassungen und verbessert materielle wie immaterielle Arbeitsbedingungen. Erst diese langfristige Planungssicherheit garantiere betriebsbezogene Weiterbildung auf einem betriebswirtschaftlich effizienten Niveau - eine notwendige Voraussetzung für einen erfolgreichen Innovationsprozess.

In diesem Prozess wirke Mitbestimmung zudem als "Institution des Vertrauens", die sicherstelle, dass die Kooperationsbereitschaft der Beschäftigten nicht zu ihrem Nachteil ausgenutzt werde. Die Partizipationstheorie zeichnet sich somit durch eine realitätsnahe Analyse der Mitbestimmung aus, mittels derer die von der Property-Rights-Theorie aufgestellten Behauptungen überzeugend widerlegt werden können. Gleichwohl kann in rein theoretischer Betrachtung keine gesicherte Aussage über die Gültigkeit der beiden Theorien getroffen werden.

Empirische Befunde

Damit rücken aktuelle Ergebnisse der empirischen Wirtschaftsforschung in den Mittelpunkt. Stützen sie eher die Property-Rights-Theoretiker, die einen negativen Einfluss der Mitbestimmung auf die Unternehmensperformance unterstellen, oder bestätigen sie die Annahmen der Vertreter der Partizipationstheorie, die einen positiven Einfluss behaupten? Beispielhaft werden hier messbare Befunde zu den Auswirkungen von Mitbestimmung auf die Produktivität sowie auf die Innovationsfähigkeit der Unternehmen vorgestellt.

Sie sind eindeutig positiv mit Blick auf die betriebliche Mitbestimmung: Aktuelle ökonometrische Studien arbeiten einen deutlichen Zusammenhang zwischen der Existenz eines Betriebsrates und der Arbeitsproduktivität heraus. So errechnet beispielsweise Bernd Frick, Ökonom an der Universität Witten-Herdecke, eine um bis zu 30 Prozent höhere Bruttowertschöpfung von Betrieben mit Betriebsrat gegenüber Betrieben ohne Betriebsrat. Solide Basis dieser Analysen: die repräsentativen Daten des IAB-Betriebspanels, einer vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit durchgeführten regelmäßigen Befragung von bundesweit knapp 16 000 Betrieben aller Branchen und Größen.

Jüngere Studien zur Unternehmensmitbestimmung lassen ebenfalls eine positive Wirkung erkennen: So hat sich die Einführung der paritätischen Mitbestimmung im Aufsichtsrat nach den Ergebnissen einer aktuellen Studie von Felix FitzRoy, Ökonom an der schottischen Universität St. Andrews, und seines Dortmunder Kollegen Kornelius Kraft positiv auf die Produktivität in den untersuchten Unternehmen ausgewirkt.

Gegenstand ihrer Untersuchung: die Entwicklung der Produktivität in 179 deutschen Unternehmen des verarbeitenden Gewerbes vor und nach Einführung des Mitbestimmungsgesetzes 76, in dessen Geltungsbereich 65 der untersuchten Unternehmen fallen. In diesen Unternehmen hat sich die Produktivität nach Einführung der Mitbestimmung leicht erhöht. Ergebnisse aktueller Untersuchungen bestätigen aber auch den grundsätzlich positiven Zusammenhang von Innovation und betrieblicher Mitbestimmung - und untermauern damit einmal mehr die Annahmen der Partizipationstheorie.

So kann Alexander Dilger in seiner Habilitationsarbeit auf der Grundlage des NIFA-Panels (befragt werden rund 1700 Maschinenbauunternehmen) zeigen, dass ein in die Innovationspolitik eingebundener Betriebsrat einen statistisch signifikanten positiven Einfluss auf die Markteinführung neuer Produkte hat. Und Thomas Zwick vom Mannheimer Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) kann wiederum auf der Grundlage des IAB-Betriebspanels zeigen, dass die Einführung moderner Arbeitsformen wie Gruppenarbeit, flache Hierarchien und Profit-Center nur in Betrieben mit Betriebsrat zu einer signifikant erhöhten Produktivität geführt hat.

Auch für die Mitbestimmung im Aufsichtsrat deutet sich ein positiver Zusammenhang an: In einer aktuellen Studie betrachten Kornelius Kraft und sein Essener Kollege Jörg Stank die Patenterteilung von 155 Aktiengesellschaften des verarbeitenden Gewerbes vor und nach der Einführung des Mitbestimmungsgesetzes 76. Dieser Indikator ist nach Angaben der Forscher als Maßstab zur Messung von Innovation besonders geeignet. Die beiden Wissenschaftler kommen zu dem Ergebnis, dass "mitbestimmte Unternehmen in Relation zu den nicht-mitbestimmten Firmen mehr Patenterteilungen erwerben konnten als vor Inkrafttretung des Mitbestimmungsgesetzes".

Die verfügbare empirische Evidenz ist also in hohem Maße kompatibel mit den zentralen Aussagen der Partizipationstheorie: Betriebliche wie auch Unternehmensmitbestimmung gehen mit einer höheren Arbeitsproduktivität einher, und auch zwischen Mitbestimmung und Innovation zeichnet sich ein positiver Zusammenhang ab. Umgekehrt finden die von der Property-Rights-Theorie behaupteten Effizienzverluste keine Bestätigung in den Ergebnissen empirischer Arbeiten. Die Wertschöpfung deutscher Unternehmen wird durch die Mitbestimmung mithin nicht negativ, sondern positiv beeinflusst.

Von wegen Standortnachteil

Damit wird auch ein aus der Mitbestimmung resultierender Nachteil deutscher Unternehmen im europäischen Wettbewerb eher unwahrscheinlich. Vorbehalte gegenüber dem deutschen Arbeits- und Mitbestimmungsrecht, wie es sie teilweise in den angelsächsischen Ländern oder auch in Asien gibt, sollen dabei gar nicht bestritten werden. Die entscheidende Frage ist jedoch, ob Mitbestimmung Investitionsentscheidungen internationaler Investoren maßgeblich beeinflusst, sprich Investitionen verhindert - und ob es dafür eine empirische Datengrundlage gibt. 

Dass einzig und alleine die Mitbestimmung eine Investitionsentscheidung verhindert, unterstellen selbst die schärfsten Kritiker nicht. Entsprechend argumentieren sie, dass in einer Gegenüberstellung positiver wie negativer Standortbedingungen die Mitbestimmung einen Ausschlag zuungunsten des Engagements ausüben könnte. Aber selbst hierfür können sie keine seriösen Daten vorlegen.

Dafür kann Sigurt Vitols vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung zeigen, dass die europäischen Staaten mit weitgehenden Mitbestimmungsrechten zumeist auch diejenigen Länder sind, die über eine starke Weltmarktposition verfügen, eine weitaus niedrigere Streikrate aufweisen und im Vergleich mit den europäischen Staaten mit wenig oder keinen Mitbestimmungsrechten über eine besonders große Wettbewerbsfähigkeit verfügen. Auch wenn der Autor selber einräumt, dass es sicherlich nicht möglich sei, die gute ökonomische Performance dieser Staaten rein durch Mitbestimmung zu erklären, so ist dieses Ergebnis doch ein erster wichtiger Indikator dafür, dass Mitbestimmungsrechte nicht in einer negativen Korrelation zur ökonomischen Stärke eines Landes stehen.

Ein anderes Indiz gegen die These vom Standortnachteil ist die große Anzahl mitbestimmter Unternehmen in ausländischem Besitz: Von den 746 Unternehmen im Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes 76 gehörten nach Angaben der Hans-Böckler-Stiftung im Jahr 2004 immerhin 29 Prozent mittelbar oder unmittelbar einem ausländischen Investor.

Offenbar waren und sind ausländische Investoren weit weniger skeptisch und zurückhaltend gegenüber der deutschen Mitbestimmung, als von den Kritikern erwartet. Diese These bestätigen auch Umfragen unter Führungskräften internationaler Unternehmen. Dabei zeigt sich, dass die Mitbestimmung für internationale Investoren eine eher untergeordnete Rolle spielt. Wichtiger in ihren Augen sind Faktoren wie die Nähe zu Kunden, Marktgröße und -dynamik oder die Verkehrsinfrastruktur.

Auch die wenigen vorliegenden empirisch-ökonometrischen Arbeiten untermauern den pragmatischen Umgang ausländischer Investoren mit der Mitbestimmung. Eine Studie von Franz Traxler und Birgit Woitech von der Universität Wien ermittelt sogar einen positiven Zusammenhang zwischen den US-amerikanischen Direktinvestitionen in Europa und dem Niveau an Partizipationsrechten der Beschäftigten. Das bedeutet mitnichten, dass die amerikanischen Fondsgesellschaften quasi "über Nacht" zu Verfechtern der deutschen Mitbestimmung geworden wären. Es zeigt jedoch, dass die Investoren ihre Entscheidungen nüchtern abwägen. Mitbestimmung - ein Standortnachteil für Unternehmen in Deutschland? Keine Spur.




Zum Weiterlesen

Alexander Dilger: Ökonomik betrieblicher Mitbestimmung: Die wirtschaftlichen Folgen von Betriebsräten. München und Mehring 2002.

Felix FitzRoy/Kornelius Kraft: Co-Determination, Efficiency and Productivity. In: British Journal of Industrial Relations, 2005.

Bernd Frick: Ökonomische Analyse der deutschen Betriebsverfassung. In: Wittener Diskussionspapiere, Heft Nr. 89. Witten 2001.

Bernd Frick: Kontrolle und Performance der mitbestimmten Unternehmung - Rechtsökonomische Überlegungen und empirische Befunde, in: Windolf, Paul (Hrsg.): Finanzmarktkapitalismus, Sonderheft 45/2005 der Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie.

Dietmar Hexel: Teilhabe durch Mitbestimmung: Argumente zur aktuellen Debatte um Unternehmenspolitik und Mitbestimmung. In: Gewerkschaftliche Monatshefte 4/2004.

Martin Höpner: Unternehmensmitbestimmung unter Beschuss. Die Mitbestimmungsdebatte im Licht der sozialwissenschaftlichen Forschung. In: Industrielle Beziehungen, Heft 4/2004.

Kornelius Kraft, Jörg Stank: Die Auswirkungen der gesetzlichen Mitbestimmung auf die Innovationsaktivität deutscher Unternehmen. In: Schmollers Jahrbuch 124, 2004.

Kerstin Pull: Standortfaktor Arbeitsrecht: Die Bewertung durch ausländische Investoren. In: Wirtschaftsdienst 10/2005.

Franz Traxler, Birgit Woitech: Transnational Investment and National Labour Market Regimes: A Case of "Regime Shopping". In: European Journal of Industrial Relations, Vol. 6, No. 2, 2000.

Sigurt Vitols: Strategien für Gewerkschaften in einem europäischen System
der Corporate Governance. Endbericht für das Projekt "SEEUROPE", im Internet unter www.dcgn.de/new_papers/Bull3/2005_SEEUROPE_report_deutsch.pdf

DGB (Hrsg.): Mitbestimmung - ein Gewinn für Deutschland und Europa: Die ökonomische Wirkung der Mitbestimmung in theoretischer und empirischer Betrachtung. Berlin 2005. Im Internet unter www.dgb.de/themen/mitbestimmung/untern_mitbest/vorteile/vorteile.htm

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen