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Magazin Mitbestimmung

Entgeltgerechtigkeit: Tückische Lohnlücke

Ausgabe 01+02/2014

Welche Wirklichkeit verbirgt sich hinter jener Statistik, die in Deutschland eine Entgeltlücke von 22 Prozent zwischen Frauen- und Männerlöhnen ausgemacht hat? IG Metall und Betriebsrat haben beim Esslinger Hightech-Unternehmen Festo genauer hingeschaut. Von Karin Flothmann

„Gleiche Arbeit wird bei uns auch gleich entlohnt, egal ob Frau oder Mann.“ Helga Schibat, die beim Pneumatikhersteller Festo in Esslingen in der Personalabteilung arbeitet – Bereich Social Affairs – ist überzeugt, dass in ihrer Firma alles mit rechten Dingen zugeht. Und sie hat recht. Auch wenn die Frauen auch bei Festo im Durchschnitt deutlich weniger als die Männer verdienen.

Was auf den ersten Blick paradox klingt, fanden Wissenschaftlerinnen des Stuttgarter IMU-Instituts bei der Analyse der Festo-Entgeltdaten heraus. Sie werteten Daten aus, die ihnen das Unternehmen zur Verfügung stellte. Dabei griffen sie nicht auf jene Prüfinstrumente zurück, die mit Unterstützung des WSI („eg-check“) oder des Bundesfamilienministeriums („Logib-D“) in den vergangenen Jahren entwickelt wurden. Den Stuttgarter Wissenschaftlerinnen ging es darum, herauszubekommen, was man mit problemlos verfügbaren Daten aufdecken kann. Verfügbar waren anonymisierte Personaldaten, die Aufschluss über Geschlecht, Alter, Eingruppierung, Abteilung und Betriebszugehörigkeit gaben. „Uns war klar, wir bekommen nur einen groben Durchschnittswert“, sagt Sylvia Stiegler vom IMU-Institut. Aber auch damit lassen sich Auffälligkeiten identifizieren. So haben bei Festo rund 14 Prozent der Frauen einen befristeten Vertrag, vorwiegend in der Montage, bei den Männern sind es nur sechs Prozent, die befristet arbeiten.

Und das ist nur ein Ergebnis der Analyse, die Stiegler und ihre Kolleginnen durchführten. Außerdem kam heraus: Von den rund 3800 Beschäftigten in Esslingen sind knapp 30 Prozent Frauen. Durchschnittlich liegt ihr Entgelt bei rund 4000 Euro, das der Männer hingegen bei 6000 Euro. Der Gender Pay Gap, also die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern, liegt danach bei Festo bei 34 Prozent. Im Vergleich zu anderen Unternehmen ist das hoch. Im Durchschnitt beträgt die Entgeltlücke in Deutschland 22 Prozent. Doch das heißt nicht, dass die Frauen bei Festo für die gleiche Arbeit weniger Geld bekommen als ihre männlichen Kollegen. Nein, gleiche Tätigkeiten werden gleich bezahlt, dafür sorgt schon der ERA-Tarifvertrag, ausgehandelt von der IG Metall. Doch die Festo-Frauen arbeiten nicht in den gleichen Positionen wie die Männer.

PREISGEKRÖNTE INITIATIVE DER BETRIEBSRÄTINNEN Dass die IMU-Wissenschaftlerinnen die Entgeltdaten des Unternehmens auswerten konnten, lag an dem Engagement einiger Betriebsrätinnen. Sie regten den Entgeltvergleich auf einer Veranstaltung zum Internationalen Frauentag 2011 im Betrieb an und wussten rasch alle bei Festo beschäftigten Frauen hinter sich. „Nur mit dieser Unterstützung wurde auch was draus“, weiß Monika Heim, die sich als Betriebsrätin von Anfang an für das Projekt engagierte. Später waren selbst die Kollegen im Festo-Betriebsrat von der Initiative angetan. 2012 wurde das Projekt zur Entgeltgerechtigkeit mit dem Betriebsrätepreis der Zeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ ausgezeichnet.

Bevor das Gender-Pay-Gap-Projekt startete, erzählt Monika Heim, „berichteten uns viele Frauen von so einer Art gefühlter Ungleichheit“. Gesprochen haben davon in erster Linie Facharbeiterinnen aus der Produktion. „Die Mechatronikerinnen bei uns beklagten sich immer wieder, dass frei gewordene Einrichter-Jobs bevorzugt mit Männern besetzt würden“, sagt Heim. Als Einrichterin von Produktionsanlagen würden sie eine Stange mehr Geld verdienen denn als einfache Mechatronikerin. Heim hat eine Erklärung für diesen Mechanismus: „Wird ein solcher Job frei, dann schreien die Männer: ‚Hier, ich will!‘, und die Frauen warten darauf, dass sie von ihrem Vorarbeiter entdeckt werden.“ So bleiben sie auf der Strecke, und der männliche Kollege steigt beruflich auf.

EIN JUNGES UNTERNEHMEN Festo ist ein junges, aufgeschlossenes Unternehmen. Das Durchschnittsalter liegt bei 39 Jahren. Auszubildende werden unbefristet übernommen, und rund ein Viertel aller Lehrlinge sind junge Frauen. Die meisten der rund 1000 in Esslingen beschäftigten Frauen arbeiten in Produktion und Montage oder im Vertrieb. Am seltensten sind sie in der Forschungsabteilung zu finden. In der Personalabteilung hingegen sind Frauen in der Mehrheit, hier beträgt ihr Anteil 64 Prozent. Die meisten sind hier klassische Sachbearbeiterinnen. Insgesamt sind bei Festo sechs Prozent der Frauen AT-Beschäftigte. Bei den Männern sind es dagegen 35 Prozent.

„Insgesamt sind wir auf einem guten Weg“, findet Personalerin Helga Schibat. Das Unternehmen beteiligt sich jedes Jahr am Girls’ Day. Es stellt sich in Schulen und auf Messen für Berufsanfänger vor. Festo wirbt offensiv um junge Schulabgängerinnen, will sie für eine technische Ausbildung gewinnen. Und Festo ist eines der ersten Unternehmen im Organisationsbereich der IG Metall, das seine Entgeltdaten geschlechterdifferenziert auswerten ließ. Dabei ist Helga Schibat nicht entgangen, dass auch bei Festo Frauen auf den oberen Sprossen der Karriereleiter kaum zu finden sind. „Wir müssen dahin kommen, dass sich mehr Frauen zu den mittleren und oberen Führungsebenen hinentwickeln“, sagt sie. Das gelte auch für jene Frauen, die nach der Elternzeit wieder in den Betrieb zurückkommen. „Viele Mütter kommen nach einem Jahr wieder“, sagt Schibat. Auf die Beschäftigten in den Verwaltungsabteilungen warten dann flexible Arbeitszeiten. Viele nutzen auch die Möglichkeit, tageweise von zu Hause zu arbeiten – wenn auch nicht konfliktfrei: „Aktuell ist die Führungskultur noch sehr stark auf das Anwesenheitsprinzip ausgerichtet“, moniert Schibat.

Die Frauen, die in den Montagehallen in friemeliger Kleinarbeit per Hand Ventile zusammenbauen – sie machen hier 57 Prozent der Beschäftigten aus –, haben größere Schwierigkeiten, flexible Arbeitszeiten zu realisieren. Die meisten haben keine Industrielehre hinter sich, sondern gelten als Angelernte. „Dabei haben sie fast alle eine Lehre gemacht“, sagt Monika Heim. Die Betriebsrätin weiß, dass viele früher als Friseurinnen oder Verkäuferinnen gearbeitet haben. Doch selbst als Angelernte haben sie bei Festo einen besseren Arbeitsplatz als im Friseurladen. Und das Geld stimmt auch. Rund 2500 Euro brutto bringen die Frauen in der Montage durchschnittlich nach Hause. Darauf muss eine Friseurin erst mal kommen. Die Frauen sitzen an Werkbänken und machen aus Rohstücken echte Ventile. Winzige Schalter werden in die Minikolben integriert, winzig kleine Gummidichtungen runden das Ventil ab. Ein Montagearbeitsplatz bei Festo könnte auch die Werkbank einer Goldschmiedin sein. Die Frauen sitzen auf Hockern vor ihrem Arbeitsplatz und friemeln winzige Gummidichtungen auf die Kolben. „Die heißen bei uns Ohrringe“, sagt Betriebsrat Hubert Bauer. Die Handarbeit ist diffizil. Mit Schraubern, die von oben über der Werkbank hängen, werden die Miniatur-Einzelteile befestigt.

So sauber und diffizil die Arbeit aussieht, letztlich sind es immer die gleichen Handgriffe. An manchen Arbeitsplätzen hängen bis zu fünf verschiedene Schrauber. Der rechte Arm greift immer wieder hoch, zieht den Schraubenzieher herunter, setzt an, schraubt. Pro Schicht, so erzählt Bauer, fallen rund 800 bis 1000 Griffe nach oben an. „Der Werksarzt meint, so eine Schulter bringt es in ihrem Arbeitsleben auf rund zwei Millionen Schaltspiele“, sagt Bauer. Sein Resümee: „Bei Frauen über 50 ist die Schulter kaputt.“ Auch das ist ein Grund für Monika Heim, nach Qualifizierungsmöglichkeiten für ihre Frauen in der Montage zu suchen.

In der „spanabhebenden Produktion“, dort, wo Maschinen zum Einsatz kommen und aus Metall die Grundformen der Ventile sägen und fräsen, ist der Frauenanteil geringer, da liegt er bei 40 Prozent. Hier arbeiten vor allem Facharbeiter – und die sind häufiger männlich. Die rund 15 Roboter, die in einer der Produktionshallen aus Gussteilen kleine Anspitzer fräsen, werden von zwei männlichen Beschäftigten beaufsichtigt. Große Teile der Produktion sind bereits umgezogen ins wenige Kilometer vom Stammsitz entfernte Scharnhausen. Dort baut Festo auf mehr als 37 000 Quadratmetern eine neue „Technologiefabrik“, die Platz für den weiteren Ausbau der Fertigung schaffen soll. Betriebsrätin Heim und ihre Kollegen sitzen mit am Tisch einer Arbeitsgruppe, in der es auch um die Belange der Frauen in der Montage geht. Sie setzt sich vor allem dafür ein, dass den Frauen Qualifizierungsangebote gemacht werden, damit sie auch in der neuen Produktionsstätte ihre Arbeit behalten können.

INGENIEURINNEN SIND MANGELWARE Die IG Metall hat inzwischen mit Pilotbetrieben die Initiative „Auf geht’s – faires Entgelt für Frauen“ gestartet. Mit der Initiative geht es der Gewerkschaft darum, „Transparenz herzustellen, die Entgeltdaten geschlechterdifferenziert zu analysieren und der Entgeltlücke im Betrieb auf die Spuren zu kommen“, sagt Iris Becker, Ressortleiterin für Frauen- und Gleichstellungspolitik beim Vorstand der IG Metall. „Es ist nachgewiesen, dass der Einkommensunterschied in Betrieben, die einen Tarifvertrag haben, geringer ist als in Betrieben ohne Tarifvertrag. Trotzdem gibt es eine Lücke auch dort, wo Frauen und Männer für die gleiche Arbeit gleiches Entgelt bekommen.“ Erste Ergebnisse liegen vor. „Frauen arbeiten häufiger in niedriger entlohnten Bereichen, haben häufiger Erwerbsunterbrechungen, arbeiten häufiger in Teilzeit, und oft sind sie in den oberen Entgeltgruppen nicht mehr zu finden, weil Aufstiegsmöglichkeiten fehlen“, sagt Becker.

Wichtig sei, so Becker, dass Betriebsräte die Personal- und Entgeltstatistiken konsequent und systematisch geschlechtsspezifisch erfassen und auswerten. „Das ist Voraussetzung dafür, die richtigen betrieblichen Maßnahmen zu finden und damit die Entgeltlücke zwischen Frauen und Männern zu schließen.“ In den Forschungs- und Entwicklungsabteilungen finden sich auch bei Festo nur wenige Ingenieurinnen. Das liegt in erster Linie daran, dass der Frauenanteil in technischen Studienfächern immer noch marginal ist: 2011 machten knapp acht Prozent aller Absolventinnen an deutschen Hochschulen einen entsprechenden Abschluss. Das Unternehmen Festo setzt hier durchaus auf Frauenförderung. Seit diesem Jahr lobt es Stipendien für junge Frauen aus, die Ingenieurin werden wollen. Betriebsrätin Heim hat unlängst erfahren, dass sich für die drei Stipendien, die für Elektrotechnikerinnen ausgeschrieben waren, keine einzige Kandidatin gefunden hat. Es scheint ein langer Weg, bis Frauen im Maschinenbau tatsächlich die gleichen Positionen wie Männer erreichen.

 

DIE FESTO AG & CO. KG - EIN HIDDEN CHAMPION

Das familiengeführte Unternehmen Festo ist ein weltweit führender Anbieter von pneumatischer und elektrischer Steuerungs- und Automatisierungstechnik mit Sitz in Esslingen. Gegründet 1925 von Albert Fezer und Gottlieb Stoll – zugleich die Namensgeber Fe-Sto –, macht das Unternehmen heute 2,24 Milliarden Euro Umsatz. Gottliebs Söhne, Wilfried und Kurt Stoll, belegen auf der Liste der 100 reichsten Deutschen Platz 86. Weltweit beschäftigt Festo 16 200 Menschen in 250 Niederlassungen. Fast überall, wo heute etwas mit Luft gefedert, betrieben oder angetrieben wird, ist etwas von Festo drin. „Wir verkaufen Luft“, heißt es in dem Unternehmen scherzhaft.Was bei Festo gebaut wird, ist bei Maschinenbauern auf der ganzen Welt gefragt. Derzeit hat das Unternehmen rund 30 000 Produkte im Angebot. Das Esslinger Werk ist das Leitwerk für Ventile. Gebraucht werden die zum Beispiel für die Türen von Bussen oder Zügen, wenn die sich pneumatisch öffnen. Gebraucht werden sie aber auch für Reissortiermaschinen, die vor allem im asiatischen Raum zum Einsatz kommen. Gleichzeitig setzt das Unternehmen auf Forschung und unterhält eine eigene Bionik-Abteilung. Hier schauen Ingenieure der Natur auf die Finger, und heraus kommen pneumatisch schwirrende Libellen (www.youtube.com/watch?v=nj1yhz5io20) oder die fliegende Qualle Air Jelly (www.youtube.com/watch?v=divLsTtA5vk), für die Festo 2010 den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland erhalten hat. Die Firma investiert auf diese Weise in technische Projekte, die der Grundlagenforschung dienen, und dabei fallen nicht selten diverse Patente und Nebenprodukte ab, die Eingang in die Produktpalette von Festo finden.

 

 

MEHR INFORMATIONEN

Andrea Jochmann-Döll/Karin Tondorf: Entgeltgleichheit prüfen mit eg-check.de – ein Prüfungsinstrument. Arbeitspapier 214 der Hans-Böckler-Stiftung, Düsseldorf 2010. PDF zum kostenfreien Download unter: www.boeckler.de/pdf/p_arbp_214.pdf

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