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Magazin Mitbestimmung

: Tapfere Bekenntnisse zum sozialen Dialog

Ausgabe 07+08/2008

SE-ARBEITNEHMERBETEILIGUNG So emphatisch die SE-Betriebsräte die neuen Möglichkeiten begrüßen zu allen europäischen Standorten Kontakt aufzunehmen, so klar und bitter ist auch: Dem Zugewinn an Internationalisierung steht ein Abbau von deutschen Mitbestimmungsrechten im Aufsichtsrat gegenüber.

Von MARIO MÜLLER, Journalist in Frankfurt/Main und CORNELIA GIRNDT, Redakteurin

Ganz vorne im inneren Kreis sitzen die Pioniere aus den SE-Aufsichtsräten und berichten: Wie ist es, wenn sich Leute aus vielen Ländern und einem Konzern in kurzer Zeit zu einem Verhandlungsteam über die Arbeitnehmerbeteiligung zusammenfinden müssen? Und was ist jetzt neu und anders im Betriebsrat einer europäischen Aktiengesellschaft und im SE-Aufsichtsrat? In der zweiten Reihe machen sich Wissenschaftler des SE Europe Netzwerkes eifrig Notizen. Ein nüchterner Blick auf die Entwicklung der europäischen Arbeitnehmerbeteiligung ist angesagt, zumal die meisten SE-Verhandlungs-Akteure naturgemäß ihr eigenes Ergebnis loben, selbst dann, wenn es wenig mehr als die Auffanglösung gebracht hat.

Zum SE-Erfahrungsaustausch haben Anfang Juni Hans-Böckler-Stiftung und Europäisches Gewerkschaftsinstitut nach Frankfurt/Main geladen, und mit einem ausgefeilten Fragenkatalog sorgen Roland Köstler, HBS, und Norbert Kluge vom EGI für Stringenz in der Berichterstattung. Ganz am Anfang sagt Norbert Kluge, dass die Arbeitnehmervertretung in der SE als europäisches Mandat zu betrachten sei. Und am Schluss fordert er die Arbeitnehmervertreter aus Italien, England, Frankreich, Österreich und Belgien, Dänemark und Deutschland auf, die Rechte, die die SE-Richtlinie den Arbeitnehmern gibt, voll auszuschöpfen, "auch wenn sie vielfach als schwächer empfunden werden".

ALLIANZ SE_ Geoff Hayward spart nicht mit Lob. Die Verhandlungen über die Umwandlung der Allianz in eine Societas Europaea (SE) haben aus seiner Sicht zu einem "absolut" zufrieden stellenden Ergebnis geführt. Als erster britischer Gewerkschafter, der in den Aufsichtsrat eines in der Bundesrepublik sitzenden Unternehmens rückte, schätzt Hayward vor allem den Zugewinn an Einfluss und Informationsmöglichkeiten, den ihm das Aufsichtsratsmandat in der Europäischen Gesellschaft bietet.

Claudia Eggert-Lehmann ist weniger glücklich. "Inhaltlich haben sich die Mitbestimmungs-Möglichkeiten verschlechtert", meint Haywards deutsche Kollegin im Allianz-Kontrollgremium und verweist auf den Schwund an Mitspracherechten, den die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat durch die Umwandlung hinnehmen mussten. Die beiden Positionen spiegeln beinahe typisch die unterschiedlichen Blickwinkel auf die SE wider. Während Belegschaftsvertreter aus Ländern wie England oder Italien die neue Unternehmensform als Horizonterweiterung erleben, stellt sie sich im Vergleich zu den deutschen Mitbestimmungs-Standards in vielerlei Hinsicht als Rückschritt dar.

So ist der Allianz-Aufsichtsrat (nach deutschem SE-Modell) zwar nach wie vor paritätisch, wenn auch ohne Vertreter der leitenden Angestellten besetzt. Die Zahl der Aufsichtsratsmitglieder wurde aber von einst 20 auf zwölf reduziert und die gewerkschaftliche Forderung nach einem 18-köpfigen Gremium abgeschmettert. Für gravierender hält Eggert-Lehmann, die gleichzeitig Vorsitzende des Gesamt- und Konzernbetriebsrats der Allianz-Tochter Dresdner Bank ist, jedoch die inhaltlichen Einschnitte. So reicht, wenn es um die Bestellung oder Abberufung von Vorstandsmitgliedern geht, die einfache statt wie bisher die Zweidrittelmehrheit, wobei der Aufsichtsratsvorsitzende schon in der ersten Abstimmungsrunde von seinem Doppelstimmrecht Gebrauch machen kann. Damit kann die Kapitalseite in der SE die Vorstandsmitglieder relativ problemlos selbst bestellen, ohne oder sogar gegen das Votum der Arbeitnehmervertreter. Daneben hält Eggert-Lehmann die Rolle des oder der stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, die sie selbst bei der Allianz SE einnimmt, für geschwächt: Da dieser Posten nunmehr doppelt mit je einem Vertreter der Kapital- und der Arbeitnehmerseite besetzt ist, springt bei Abwesenheit des Vorsitzenden immer der Kapitalvertreter ein.

Der britische Techniker Hayward von Allianz Engineering, der ein Gewerkschaftsvertreter von Amicus/Unite ist, stellt demgegenüber die für ihn positiven Seiten heraus. Immerhin tage der SE-Betriebsrat jetzt vier Mal im Jahr und nicht nur einmal, wie der alte Euro-Betriebsrat, dem der Brite ebenfalls angehörte. Zudem erlaube die Vereinbarung nunmehr auch, mit den Beschäftigten an den "Offshore"-Standorten der Allianz in Indien zu kommunizieren. Dies sei ein "wesentlicher Fortschritt".

Auch Rolf Zimmermann, Mitglied des Aufsichtsrats und stellvertretender Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats der Allianz, begrüßt die neuen Möglichkeiten, "Kontakt zu den abgetrennten Körperteilen", also den outgesourcten Konzerngesellschaften, aufzunehmen. Das Management bekenne sich "tapfer zum sozialen Dialog", ein Prozess, den Zimmermann als "Treibsatz für die Zukunft" bezeichnet. Auch wenn sich für die deutsche Seite ein "kleines Minus" ergebe, habe die Vereinbarung insgesamt eine "deutliche Verbesserung" gegenüber der Auffanglösung gebracht.

Jörg Reinbrecht schließlich, der als Koordinator für die internationale Gewerkschaftsorganisation UNI sowie als ver.di-Vertreter an den Verhandlungen teilnahm und ebenfalls im SE-Aufsichtsrat der Allianz ein Mandat hat, beschreibt den Prozess als "eine tolle Sache". UNI sei gut vorbereitet gewesen, alle Beteiligten hätten ein anderes Verständnis entwickelt. Damit habe eine "neue Qualität internationaler Arbeit" erreicht werden können.

FRESENIUS_ Warum Fresenius die Umwandlung in eine SE betrieb? Niko Stumpfögger, der bei ver.di den "Gesundheitskonzern" aus Bad Homburg betreut, ist sich seiner Sache sicher: Ausschlaggebend seien nicht unternehmenspolitische Motive gewesen, sondern machtpolitische: Fresenius habe schlicht "seinen kleinen Aufsichtsrat behalten" wollen. Er hätte andernfalls von zwölf auf 20 Mitglieder aufgestockt werden müssen, da die Belegschaft durch die Übernahme zahlreicher Kliniken kräftig auf zuletzt fast 49.000 Frauen und Männer gewachsen war.

Diese Entwicklung hatte weit reichende Folgen. Das einst dominierende Pharma-Geschäft geriet gegenüber der Klinik-Sparte ins Hintertreffen. Damit verlor aber auch die IG BCE gegenüber ver.di an Boden. Die Kräfteverhältnisse hätten sich völlig umgekehrt, meint Stumpfögger, was zu Spannungen zwischen beiden Gewerkschaften führte. Aber "wir haben uns mit der IG BCE zusammengerauft", sagt der ver.di-Mann.

"Die Verhandlungen mit dem Management waren heikel", berichtet Dario Ilossi (siehe Interview Seite 30). Der italienische Gewerkschafter sitzt neben vier Vertretern aus Deutschland und einem aus Österreich im Aufsichtsrat der neuen Fresenius SE. Herausgekommen sei aber eine "gute Vereinbarung", die als Vorbild für andere Unternehmen gedient habe, meint Wilhelm Sachs, der als IG-BCE-Mitglied den Gesamtbetriebsrat der Fresenius SE leitet und ebenso wie Stumpfögger in deren Aufsichtsrat sitzt.

Der neue SE-Betriebsrat besteht aus 29 Mitgliedern, darunter sieben aus Deutschland und je ein Vertreter für die anderen 22 europäischen Länder, in denen Fresenius tätig ist. Allerdings tagt das Plenum des SE-BR nur einmal jährlich, anders der Geschäftsführende Ausschuss, der sich zu drei Sitzungen pro Jahr trifft. Der SE-Betriebsrat besitzt Initiativrechte für die Themen Chancengleichheit, Arbeits- und Gesundheitsschutz, Datenschutz sowie für die Aus- und Weiterbildung. Außerdem muss er bei der Kündigung eines SE-Betriebsratsmitglieds angehört werden. "Das war uns wichtig", sagt Sachs. Und warnt vor allzu großen Erwartungen: "Es ist eine Illusion zu glauben, dass sich die deutsche Mitbestimmung einfach auf Europa übertragen lässt."

PORSCHE_ "Ein Sonderfall sei Porsche", sagt Hansjörg Schmierer. Mit dieser Meinung steht der Geschäftsführer der IG Metall in Stuttgart, der seit zehn Jahren dem Aufsichtsrat des Sportwagen-Herstellers angehört, nicht allein. Der Einstieg der Zuffenhausener beim großen VW-Konzern und die geplante Übernahme der Mehrheit in Wolfsburg haben einen ungewöhnlichen Wirbel ausgelöst, auch zwischen den Belegschaftsvertretern beider Unternehmen. Vor diesem Hintergrund stellen sich die künftigen Mitbestimmungsmodalitäten in dem neuen Super-Gebilde unter dem Dach der Porsche Automobil Holding SE noch reichlich verschwommen dar.

"Alles ist im Fluss", beschreibt Schmierer die aktuelle Situation. Mit dieser Dynamik sah sich das Besondere Verhandlungsgremium (BVG) bereits im Frühjahr 2007 konfrontiert, als bei Porsche der Prozess der Umwandlung in eine SE-Holding begann. "Wir wussten, dass vieles nachkommt, und wollten Regelungen, die die Rechte aller Beteiligten sicherstellen", sagt Schmierer. Zum damaligen Zeitpunkt war das künftige Verhältnis nicht nur zu VW zu berücksichtigen, sondern auch zu möglichen anderen Partnern wie dem Lkw-Bauer Scania. Die Vereinbarung sollte "bis zu sieben Teilkonzerne abdecken" und möglichst "lange halten", beschreibt der IG Metaller die Ausgangslage. Was die Führungsspitze in Zuffenhausen zur Umwandlung bewog, liegt für Schmierer auf der Hand. Damit habe Porsche zum einen seinen Einfluss auf den wichtigen Entwicklungspartner VW sicherstellen wollen und zum anderen eine Lösung für die Kohlendioxid-Problematik gesucht: Durch das "Beipacken" von VW sinkt der durchschnittliche Schadstoffausstoß der gesamten Fahrzeugflotte.

Man habe bereits frühzeitig das Gespräch mit den VW-Kollegen gesucht, berichtet Schmierer. Ihre Teilnahme am BVG sei aber rechtlich nicht möglich gewesen, sagt Schmierer und berührt damit einen strittigen Punkt. In dem 17-köpfigen BVG-Gremium hatten die deutschen Vertreter von Porsche das Sagen, denn das Gros der rund 12.000 Beschäftigten arbeitet in der Bundesrepublik. In anderen Ländern ist das Unternehmen nur mit Importeuren vertreten.

Hauptstreitpunkt der Verhandlungen war Schmierer zufolge der Umfang der Informationen, die vom Management an den SE-Betriebsrat gehen sollten. Letztlich aber sehe die Vereinbarung eine ausführliche Unterrichtung vor, zeigt sich der IG Metaller zufrieden. Der Betriebsrat trifft sich "mindestens" einmal im Jahr, der Geschäftsführende Ausschuss dreimal. Für Beschäftigte der kleinen Standorte sei dies die einzige Möglichkeit, an Informationen zu kommen.

Die derzeitige Arbeitnehmerbeteiligungs-Vereinbarung bei der Porsche SE ist auf zehn Jahre abgeschlossen worden. Was den SE-Betriebsrat betrifft, ist die Besetzung auf der Arbeitnehmerseite strittig. Der Vereinbarung zufolge hätten die 12.000 Porsche-Beschäftigten in dem Gremium das gleiche Gewicht wie die 324.000 Frauen und Männer zählende VW-Belegschaft, was diese nicht akzeptiert.

Der Porsche-Aufsichtsrat besteht nach der Umwandlung in eine SE-Holding weiterhin aus zwölf Mitgliedern. Auf der sechsköpfigen Arbeitnehmer-Bank sitzen neben den Porsche-Leuten, darunter ein leitender Angestellter, zwei Vertreter der IG Metall. Wenn weitere Teilkonzerne im Porsche-Konzern entstehen, kann aber laut Vereinbarung der Aufsichtsrat bis auf 20 Mandate vergrößert werden, dann kämen auch VW-Vertreter dazu.

STRABAG_ Bei der Strabag SE wollte Hans-Peter Haselsteiner, Vorstandschef und Großaktionär des österreichischen Baukonzerns, Ende 2004 "unbedingt der Erste sein mit der SE", berichtet Peter Nimmervoll, der sowohl dem Betriebsrat als auch dem Aufsichtsrat des Unternehmens angehört. Bei diesem Windhund-Rennen unterlief Haselsteiner allerdings ein folgenreicher Fehler: Er ließ die SE eintragen, ohne ein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) für die Arbeitnehmerbeteiligung zu installieren, und handelte sich prompt eine Klage vor Gericht ein. Der Verstoß gegen die einschlägigen Gesetze erwies sich als Vorteil für die Belegschaftsvertreter. Sie konnten den Zeitdruck, unter den der Vorstand geraten war, wollte er eine "riesige Blamage" vermeiden, zu ihren Gunsten nutzen, sagt Nimmervoll. Im Mai 2006 sei eine "sehr gute Vereinbarung" unterschrieben worden.

Das BVG, das im September 2005 seine Arbeit aufnahm, habe innerhalb von zwei Tagen seine Forderungen formuliert oder, wie es Nimmervoll ausdrückt, an einem "Wunschkonzert gebastelt". Streitpunkt war Nimmervoll zufolge die Mitbestimmung im Aufsichtsrat. Während das österreichische Recht eine Drittelbeteiligung vorsieht, verlangte die Delegation aus der Bundesrepublik, dem mit mehr als 10.000 Beschäftigten zweitgrößten Standort, eine paritätische Lösung nach deutschem Muster. Heraus kam ein Kompromiss: Bis Ende 2009 gilt die österreichische Regelung, anschließend rückt jeweils ein Vertreter aus Deutschland und aus einem osteuropäischen Land in das Aufsichtsratsgremium.

Mit dem SE-Betriebsrat sei die Kommunikation "gut", zumal er zwei Vertreter in den Aufsichtsrat entsenden könne, sagt Nimmervoll. Die Vereinbarung sieht im Jahr zwei Sitzungen des SE-Betriebsrats vor, der Geschäftsführende Ausschuss trifft sich ebenfalls mindestens zweimal. Das Ausmaß an Information und Konsultation sei deutlich größer als zu Zeiten des einstigen Euro-Betriebsrats. "Wir haben mehr Möglichkeiten als vorher", sagt Nimmervoll.

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