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Magazin Mitbestimmung

Solar- und Windbranche: Stürmische Zeiten

Ausgabe 07+08/2013

Trotz massiver Förderung geraten Unternehmen der erneuerbaren Energien reihenweise in Schieflage. Spürbar größer wird der Druck auf Betriebsräte, Gewerkschaften sind alarmiert. Von Andreas Schulte

Zu Fuß, mit 15 Kilo Ausrüstung und fast jeden Tag aufs Neue: Björn Volkmann steigt auf zu luftigen Höhen. „Vier Stufen pro Meter senkrecht nach oben, bei 100 Metern macht das 400 Stufen“, rechnet er vor. Eine satte Viertelstunde dauere die allmorgendliche Klettertour. Doch oben wartet auf ihn kein idyllischer schneebedeckter Gipfel, sondern eine stickige Gondel. Volkmanns Knochenjob: die Reparatur und Wartung von Windkraftanlagen. Seit 14 Jahren rauf und runter, runter und wieder rauf. Oben erst beginnt der eigentliche Arbeitstag des 40-Jährigen. Mit Schraubenschlüssel und Laptop überprüft Björn Volkmann, der gleichzeitig Betriebsrat ist, Maschinenteile der Mühle seines Arbeitgebers REpower, wenn es sein muss auf allen Vieren. Denn nicht alle Maschinenteile lassen sich ohne Weiteres erreichen. „Vorne in der Nabe des Rotors hilft nur noch krabbeln“, sagt Volkmann. Eine schweißtreibende Aufgabe: Im Sommer kann sich das Innere der Gondel auf rund 50 Grad aufwärmen.Die Kletterei sei kraftraubend, „als hätte man jeden Tag ein Fußballspiel zu bestreiten“, sagt Volkmann. Jeden Tag ein Fußballspiel, das leisten nicht einmal die deutschen Nationalspieler um Kapitän Philipp Lahm – allesamt Millionäre. Neue Monteure in der Windkraft werden in mancher Firma dagegen mit läppischen zehn Euro die Stunde abgespeist. Ob erfahrener Windarbeiter oder Berufseinsteiger in der Solarbranche – in den erneuerbaren Energien macht sich angesichts niedriger Löhne, Entlassungen und Firmenpleiten Katerstimmung breit, wo noch vor nicht allzu langer Zeit Goldgräberstimmung geherrscht hat. Viele Unternehmen haben technisch den Anschluss verpasst oder sitzen auf Überkapazitäten. Mitbestimmungsrechte sind während des zunächst rasanten Wachstums vielerorts auf der Strecke geblieben. 

„Die Arbeitsbedingungen neuer Unternehmen bei den erneuerbaren Energien sind weit entfernt von Industriestandards in unseren Branchen“, sagt Ralf Bartels, Leiter des Ressorts Energiepolitik in der IG Bergbau, Chemie, Energie. Besserung ist nicht in Sicht. Denn grüne Unternehmen schrecken vor Investitionen zurück, weil niemand weiß, wer die Energiewende nach der Bundestagswahl gestalten wird. Die Zeche zahlen die Belegschaften. Dagegen stemmen sich die Gewerkschaften. 

REPOWER ALS VORBILD

Von deren Engagement profitiert auch Björn Volkmann: Die Beschäftigten bei REpower haben Anfang dieses Jahres einen Tarifvertrag erstritten – den einzigen in der Windbranche. „Ohne die IG Metall wäre es nicht gegangen“, sagt er. Besonders hilfreich beim Aufbau eines Betriebsrats seien deren sogenannte Organizing-Teams gewesen, erzählt Volkmann. Die mobilen Einsatztruppen sprechen Mitarbeiter vor den Werkstoren an. Seit 2010 warben sie bei REpower für die IG Metall und vernetzten die Beschäftigten an den verschiedenen Standorten miteinander. 

In der Windbranche ist das besonders wichtig, weil die Monteure ständig unterwegs sind. Es fehlt der Austausch untereinander. Inzwischen liegt der Organisationsgrad unter den knapp 300 REpower-Monteuren bei fast 80 Prozent. Im Sommer 2012 begannen die Tarifverhandlungen, im Oktober streikte die Belegschaft, im März 2013 folgte die Einigung. Jetzt gleichen die Löhne annähernd denen aus der Metall- und Elektroindustrie, es gibt ähnliche Regelungen bei Altersvorsorge, Altersteilzeit und Kündigungsschutz – allerdings bei einer 40-Stunden-Woche gegenüber einer 35-Stunden-Woche. 

Vom Erfolg bei REpower soll ein Signal für die gesamte Branche ausgehen. Turbinenhersteller Vestas mit rund 18 000 Mitarbeitern weltweit könnte der nächste Arbeitgeber mit Tarifvertrag in Deutschland sein. Daran arbeitet Betriebsrat Donald Magdanz. „REpower ist unser Vorbild“, sagt er. „Die Mitarbeiter dort haben gezeigt, wie es gehen kann, wenn man gut organisiert ist.“ Vestas bietet bisher kein einheitliches Entgeltsystem. Angestellte in Lübeck verdienen rund ein Drittel mehr als Kollegen in Magdeburg. Der Stundenlohn liege insgesamt rund zehn Prozent unter dem der Metall- und Elektroindustrie, sagt Magdanz. Außerdem zahle Vestas kein 13. Gehalt. Doch es ist nicht nur das Geld, das die Mitarbeiter umtreibt: „Der Tarifvertrag soll helfen, Arbeitsplätze nachhaltig sicher zu gestalten.“ 

Nun gelte es, mithilfe der Organizing-Teams den Organisationsgrad der Mitarbeiter auf 50 Prozent zu schrauben. So will Magdanz bis 2014 sein großes Ziel – einen Tarifvertrag – erreichen. „Man braucht zudem immer auch wirtschaftliche Argumente, um Arbeitgeber zu überzeugen“, sagt er. Und da spreche einiges für den Abschluss. Zum Beispiel der demografische Wandel. Denn im Kampf um begehrte Fachkräfte muss sich Vestas als attraktiver Arbeitgeber positionieren. „Schon jetzt wandern bei uns gute Leute zur Konkurrenz ab“, hat er beobachtet. Die dänische Konzernspitze lenke beim Thema Tarifvertrag noch nicht ein, sagt der Betriebsrat. Immerhin: Seinen Chef in Lübeck habe er mittlerweile überzeugt – und ihm schon einen Verzicht auf Leiharbeit abgerungen. 

PROFITEURE DER UNSICHERHEIT

Damit bildet Vestas eine Ausnahme. Denn Leiharbeit ist in der Branche der Erneuerbaren weit verbreitet: Zehn Prozent aller Beschäftigten der Windindustrie sind Leiharbeiter. Sechs Prozent sind es in der Solarindustrie. Nach Gewerkschaftsangaben waren in Herstellerbetrieben bis vor Kurzem sogar 20 bis 50 Prozent üblich – doch viele haben ihre Jobs bereits verloren. Der Branchendurchschnitt an Leiharbeit in der Metall- und Elektroindustrie beträgt gerade einmal fünf Prozent.

Der Grund ist einfach: „Wir profitieren von der unsteten Energiepolitik“, sagt Michael John, Chef der Hamburger Personaldienstleistung Allcon. „Solange es keine Verlässlichkeit etwa bei den Förderungen der erneuerbaren Energien gibt, werden die Unternehmen nicht übermäßig viele Mitarbeiter fest einstellen.“ Seine Firma hat sich voll auf die Entsendung von Monteuren für Windkraftanlagen spezialisiert. 80 Mitarbeiter stehen dort bereits fest unter Vertrag. Und John rechnet mit weiterem Wachstum: Schon 2017, so seine Vision, werden 140 Arbeiter in seinem Auftrag auf die Mühlen klettern.

Nicht jede Leiharbeitsfirma macht mit Dumpinglöhnen von sich reden. Allcon nimmt Herstellern und Serviceunternehmen neben der mehrmonatigen Erstausbildung auch Schulungen ab. Alle drei Jahre, sagt John, bringt Allcon seine Monteure auf den neusten Stand der Dinge. Kostenpunkt: 4000 bis 6000 Euro pro Person. 

Die Bezahlung der Allcon-eigenen Mitarbeiter erfolgt nach dem Tarifvertrag des Bundesverbands Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen (BZA). 12,50 Euro zahlt John nach eigenen Angaben mindestens – und abhängig vom Einsatzort 24 Euro Tagesspesen plus Fahrgeld. Im Einklang mit dem zwischen IG Metall und Zeitarbeitsfirmen vereinbarten Stufenmodell aus dem vergangenen Jahr erhalten auch bei Allcon Leiharbeiter nach sechs Wochen einen Zuschlag von zehn Prozent auf ihren Grundlohn. Stufenweise steigt diese Zulage auf 50 Prozent bei einer Einsatzzeit von neun Monaten. 

Doch so mancher Verleiher umgeht die tariflichen Regelungen. Mitunter verdienen Leiharbeiter sogar bis zu 40 Prozent weniger als die Festangestellten, wie eine Erhebung von Sören Niemann-Findeisen, Ressortleiter für strategische Erschließungsprojekte bei der IG Metall, zeigt. Meist sind es nicht die großen Hersteller, die Mini-Löhne zahlen. Global Player wie REpower und Vestas wollen keinen Imageschaden riskieren. 

Firmen greifen aber nicht nur wegen Einsparungen bei den Löhnen nach Leiharbeitern. „Ich weiß von Fällen, wo REpower die Differenz zwischen Leiharbeit-Entlohnung und dem Lohn der Festanstellung ausgleicht“, sagt REpower-Betriebsrat Volkmann. Wichtigster Grund für die Leiharbeit sei der fehlende Kündigungsschutz. Bei Flauten im Geschäft wollen Windkraftunternehmen ihre Beschäftigten schnell wegpusten können. Nimmt die Leiharbeit zu, haben es Gewerkschaften schwer, an Einfluss zu gewinnen. Denn Leiharbeiter zu organisieren ist nicht leicht: Die Zeitarbeiter kennen ihre Kollegen in den anderen Betrieben nicht. Ein Austausch über Arbeitsbedingungen in der Kantine, auf dem Flur, im Aufzug gibt es nicht. Betriebsrat? Auch bei Allcon ist das ein Fremdwort. „Dafür müssten unsere Leute aus ganz Deutschland zusammenkommen“, sagt John. Bislang habe aber auch niemand dieses Gremium gefordert. „Unsere Monteure verdienen gut.“ 

Statt auf Leiharbeit setzen Branchenteilnehmer der Erneuerbaren zunehmend auf Werkverträge. Anders als bei der Leiharbeit gilt hier kein Mindestlohn. Durch Werkverträge umgehen Industriedienstleister Kündigungsschutz, betriebliche Mitbestimmung und tarifliche Bezahlung, hat REpower-Betriebsrat Björn Volkmann in der Branche beobachtet. Allcon-Chef John hält diese Praxis zwar für eine Ausnahme, doch die Gewerkschaften sind alarmiert: Die IG Metall fordert neue Gesetze gegen Werkverträge und bessere Informationsmöglichkeiten für Betriebsräte. 

Das könnte vor allem in der Solarindustrie helfen. Die war eigentlich auf einem guten Weg. Seit 2011 galt bei Bosch Solar Energy ein Haus­tarifvertrag. Der sollte der Branche eigentlich als Blaupause dienen. Doch im März musste Bosch klein beigeben und die Schließung der Solarsparte mit ihren knapp 3000 Beschäftigten bekannt geben. Der Grund: Milliardenverluste. 

Denn in der Solarindustrie ist der Wettbewerbsdruck noch höher als bei den Windbauern. Allein in Brandenburg schlitterten mit First Solar und Odersun 2012 zwei Firmen mit insgesamt knapp 1500 Beschäftigten in die Pleite. Und die Bosch-Tochter Aleo in Prenzlau muss nach der Aufgabe von Solar Energy auf den Einstieg eines Investors hoffen. Seit dem 1. Juli wird dort kurzgearbeitet. „Spätestens jetzt haben wir dort viele Aufstocker“, sagt Peter Ernsdorf, Erster Bevollmächtigter der IG Metall Ostbrandenburg. 

Auch bei anderen Solarunternehmen sind in der Produktion Stundenlöhne von unter acht Euro keine Seltenheit. Gerade einmal fünf Prozent der Produktionsangestellten geben an, von ihrer Arbeit gut leben zu können, wie eine aktuelle Studie der IG Metall zeigt (siehe Infobox). Hinzu kommt: Tarifverträge sind in weiter Ferne, Betriebsräte die Ausnahme. „Bei unserer Arbeit geht es zur Zeit in erster Linie um den Erhalt von Arbeitsplätzen, erst dann denken wir an Tarifverträge“, sagt Ernsdorf. Die dramatische Situation wirkt sich auf die Arbeit der Gewerkschaften aus, Beispiele von Mobbing gegen Betriebsräte häufen sich. 

AUSSPIONIERTE BETRIEBSRÄTIN

So wie beim Hersteller Haticon, der mit knapp 300 Mitarbeitern in der Uckermark Montagesysteme für Solaranlagen baut. Dort macht sich die IG Metall für die Gesamtbetriebsrätin Heike Becker stark. Eine von Haticon beauftragte Detektei hatte Becker ausspioniert und mehrere Anklagepunkte gesammelt, um die Betriebsrätin loszuwerden. Haticon ließ sich dabei anwaltlich von Helmut Naujoks vertreten. Seine selbst­erklärte Domäne: dem Arbeitgeber behilflich sein bei der Kündigung von Betriebsräten. Dennoch konnte der  gewerkschaftliche Rechtsschutz die meisten Anklagepunkte entkräften, darunter angebliche Verstöße gegen die Dienst­wagenordnung und wegen unerlaubter Nebentätigkeit. 

Als mitentscheidend für den erfolgreichen Widerstand erwies sich jedoch die Solidarität internationaler Betriebsräte – Haticon gehört seit Anfang des Jahres zum imagebewussten schwedischen Konzern Sapa. „Mithilfe verschiedener Betriebsräte von Sapa und durch die Einflussnahme der globalen Gewerkschaft Industriall konnten wir beim schwedischen Vorstand vorsprechen und auf unsere Missstände hinweisen“, sagt Projektsekretärin Sophie Bartholdy. „Diesen Termin hätte der junge Haticon-Betriebsrat nicht erhalten.“ Seither bekommt Heike Becker statt Besuch vom Spitzel lukrative Abfindungsangebote. Doch die will sie nicht annehmen. Sie sieht ihren Ruf beschädigt und pocht auf Wiedereinstellung. Dem Anwalt Naujoks hat Sapa mittlerweile das Mandat entzogen. 

Ähnliche Schikanen erlebt Harald Frick, Betriebsrat bei Conergy. Der börsennotierte Hamburger Modulhersteller musste Anfang Juli Insolvenz anmelden. Der Geschäftsbetrieb soll fortgesetzt, die Produktion in Frankfurt/Oder bald wieder angeworfen werden. Zu den besten Zeiten waren hier einmal 700 Mitarbeiter beschäftigt, zuletzt standen 350 an den Bändern. Die Arbeitgeber nutzen das Überangebot an Arbeitskräften aus, sagt Frick: „Jedem wird das Gefühl gegeben, er sei ohne großen Aufwand ersetzbar.“ 

Kurz vor dem Insolvenzantrag sei wieder jemand entlassen worden. Der Grund: Der Mitarbeiter habe seine Pausenzeiten mehrmals nicht richtig verbucht. „Der Kollege ist nachmittags um halb drei abgeführt worden wie ein Krimineller – mitten durch die Montagehalle, vor aller Augen“, erzählt Frick. „Man spielt hier das Tool der Angst.“ Kein Wunder, dass bislang regelmäßig nur eine Handvoll Mitarbeiter zu den Infoveranstaltungen des Betriebsrates erschienen. Doch Frick gibt nicht auf. Er hat die Kollegen zu einer Veranstaltung im Rathaus der Stadt Frankfurt/Oder eingeladen mit Günter Baaske, dem SPD-Arbeitsminister in Brandenburg. Da wird es jetzt auch darum gehen, wie die Insolvenz abgewendet werden kann. Und um kollektive Gegenwehr. Nachholbedarf in der Region sieht auch IG-Metall-Bevollmächtigter Ernsdorf: „Was die Mitbestimmung angeht, herrscht in den meisten Unternehmen bei uns noch Sonnenfinsternis.“

IG-Metall-Entgelterhebung: Niedriglöhne

Nur knapp 21 Prozent der Beschäftigten in der Wind- und Solarbranche geben an, von ihrem Einkommen gut leben zu können. Das mittlere Monatsbrutto beträgt 2650 Euro. Bei den Arbeitnehmern der Solarindustrie sind es nur 2400 Euro – inklusive Zulagen. Vor allem Produktionsarbeiter arbeiten prekär. Ihr Monatseinkommen liegt in der Solarindustrie bei durchschnittlich 2050 Euro. Ein Viertel von ihnen verdient aber weniger als 1810 Euro. Von den Produktionsmitarbeitern in der Solarindustrie sind es nur fünf Prozent, die nach eigenen Aussagen von ihrem Einkommen gut leben können. Das hat eine aktuelle Befragung der IG Metall ergeben.

 

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