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Magazin Mitbestimmung

Strukturwandel: Stromkonzerne als Verlierer

Ausgabe 11/2013

Die deutsche Stromwirtschaft steht nach der Liberalisierung und mit der Energiewende vor gewaltigen Herausforderungen. Während die Stadtwerke tendenziell profitieren, wird derzeit das alte Geschäftsmodell der Konzerne zu Grabe getragen. Von Uwe Leprich, wissenschaftlicher Leiter des Instituts für ZukunftsEnergieSysteme (IZES)

Mit dem Energiekonzept von 2010 hat die Bundesregierung die erneuerbaren Energien als „tragende Säule“ der zukünftigen Energieversorgung definiert. Konkrete Ziele hierfür wurden im Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) festgelegt: Es sieht vor, dass der Anteil erneuerbarer Energien an der Stromversorgung mindestens auf 35 Prozent bis 2020 und auf 80 Prozent bis 2050 steigen soll.

TECHNISCHE AUSGESTALTUNG DER ENERGIEWENDE

Die Entwicklung des bundesdeutschen Stromsystems erscheint damit relativ klar: Bis zur Hälfte des Stromverbrauchs wird bereits mittelfristig über die heimischen Energiequellen Wind, Solar, Biomasse und kleine Wasserkraft gedeckt, wobei die fluktuierenden erneuerbaren Energien, kurz FEE, Wind und Photovoltaik (PV) hieran den größten Anteil haben werden. Die Grafik stellt dieses System mit seinen einzelnen Komponenten in vereinfachter Form dar.

Ein Stromsystem, das FEE-Anlagen in das Zentrum rückt, benötigt Ergänzungen, um die unvermeidlichen Schwankungen auszugleichen und die Versorgungssicherheit auch dann zu gewährleisten, wenn der Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint.

Wie die Grafik zeigt, stehen für den Ausgleich unterschiedliche Möglichkeiten zur Verfügung, zunächst natürlich der bestehende konventionelle Kraftwerkspark, der dabei ist, sich immer stärker zu flexibilisieren. Gut ausgebaute Netze sorgen für einen großflächigen Ausgleich der Schwankungen und minimieren dadurch den Bedarf an Flexibilitätsoptionen. Anlagen der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK), die mit fossilen Energien oder Biomasse betrieben werden, bieten z.B. bei einer Nachrüstung mit Wärmespeichern ebenfalls neue Flexibilitäten. Beim Neubau von Kraftwerken kommen in erster Linie Gaskraftwerke infrage, die eine deutlich höhere Flexibilität aufweisen als Kohlekraftwerke und zudem kostengünstiger zu errichten sind. Darüber hinaus gibt es bei den industriellen und gewerblichen Energieverbrauchern selbst Möglichkeiten, Lasten zu verschieben und zum Systemausgleich beizutragen. Schließlich sind auch die grenzüberschreitenden Ausgleichsmöglichkeiten im europäischen Verbund stärker und systematischer zu analysieren, um auf Dauer nationale Überkapazitäten und Fehlinvestitionen zu vermeiden und nicht vorschnell auf teure Stromspeicherlösungen zu setzen.

Das künftige Stromsystem ist demnach technisch charakterisiert durch das Zusammenspiel von flexiblen Erneuerbare-Energien-Anlagen, Flexibilitätsoptionen und Netzen zur sicheren Abdeckung der Nachfragelast sowie zur Erbringung der notwendigen Systemdienstleistungen. Kennzeichnend ist eine erhebliche Zunahme an Dezentralität.

GESCHÄFTSMODELL FÜR STADTWERKE

Hoffnungen, dass Stadtwerke und Kommunen Treiber der Energiewende sein könnten, waren lange Zeit eher verhalten. Lokal wurden Investitionen in dezentrale erneuerbare Energien über viele Jahre hinweg vernachlässigt, und auch bei der KWK war eher eine Stagnation und ein Know-how-Rückgang zu verzeichnen. Seit einiger Zeit jedoch – spätestens seit der Reaktorkatastrophe von Fukushima – entdecken viele Stadtwerke die erneuerbaren Energien als Eckpfeiler einer vorwärtsgewandten Geschäftspolitik. Zudem werden sie politisch von ihren Städte- und Gemeinderäten immer stärker auf konkrete erneuerbare Ausbauziele verpflichtet. Insgesamt sind sie derzeit sicherlich noch kein Motor der Energiewende, aber viele sind energisch auf den fahrenden Zug aufgesprungen und können dafür sorgen, dass er konsequent in die richtige Richtung fährt.

Neue Ansätze sowohl im Netzbereich (Smart Grids) als auch im Vertrieb (etwa durch Energieeffizienzaktivitäten) bieten den Stadtwerken und Regionalversorgern zudem hervorragende Möglichkeiten, ihre Geschäftsaktivitäten auszuweiten und sie stärker an die Erfordernisse der Energiewende anzupassen. Zusammen mit den ohnehin verfolgten Aktivitäten der dezentralen Erzeugung können hier Zukunftsaufgaben unter einem Dach gebündelt werden, die auf viele Jahre qualifizierte Arbeitsplätze und kommunale, regionale Wertschöpfung sichern und die Stadtwerke zu Gewinnern der Energiewende machen.

STROMKONZERNE ABGEHÄNGT

Im Gefolge der Liberalisierung seit Mitte der 90er Jahre fand zunächst eine weitere Konzentration des Stromsektors statt: Aus acht Stromkonzernen wurden vier, die Deutschland in Regelzonen aufteilten. Zudem kauften sie sich in erheblichem Maße in Stadtwerke und Regionalversorger ein (vertikale Vorwärtsintegration), was das Bundeskartellamt ab dem Jahr 2003 dazu veranlasste, faktisch jedes weitere Beteiligungsvorhaben zu untersagen. Das galt insbesondere für die beiden Marktführer RWE und E.ON, die zusammen mehr als 300 dieser Beteiligungen und bei der Stromerzeugung mehr als die Hälfte der Kapazitäten auf sich vereinigten. Als dann 2003 E.ON noch per Ministererlaubnis den größten Gaskonzern Europas, die Ruhrgas, übernehmen konnte, erreichte die Machtkonzentration im Energiesektor ihren Höhepunkt.

Viele fragten sich, ob mit der Liberalisierung nicht das genaue Gegenteil erreicht werden sollte, nämlich eine Dekonzentration von Marktmacht und die Ermöglichung fairer Wettbewerbsprozesse. Das sahen offensichtlich auch die Europäische Kommission und das Europäische Parlament so, als sie 2003 die zweite Binnenmarktrichtlinie auf den Weg brachten. Ihr Ziel war es nach wie vor, die unterschiedlichen Wertschöpfungsstufen des Stromsektors zu entflechten und insbesondere das Übertragungsnetz als Herzstück des Systems eigentumsrechtlich von der Erzeugung zu trennen. Der erhebliche Widerstand der deutschen Konzerne gegen dieses „ownership unbundling“ zeigte, dass die EU offensichtlich den zentralen Punkt im Machtgefüge des Stromsektors getroffen hatte, und rückblickend betrachtet stellt er den Wendepunkt in der Erfolgsgeschichte der Stromkonzerne in Deutschland dar. Ende 2009 wurde E.ON in einer spektakulären Auseinandersetzung mit der Europäischen Wettbewerbskommission dazu gezwungen, sein Übertragungsnetz zu veräußern; Vattenfall verkaufte es im gleichen Zeitraum freiwillig. Zermürbt durch die Beharrlichkeit der EU, sah sich auch RWE 2011 gezwungen, rund 75 Prozent seines Netzes zu verkaufen, zumal die rigiden Entflechtungsvorschriften keine größeren Synergien zwischen Kraftwerken und Netzen mehr ermöglichten. Nur EnBW besitzt aktuell noch das Übertragungsnetz, dürfte sich aus finanziellen Gründen aber auch bald davon trennen.

Im Erzeugungsbereich hatten das Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG) seit dem Jahr 2000 und das Kraft-Wärme-Kopplungsgesetz (KWKG) seit 2002 dafür gesorgt, dass ständig steigende Anteile der Stromerzeugung durch Dritte bereitgestellt wurden. Diese akzeptierten als häufig kleine oder mittelständische Akteure deutlich niedrigere Renditen als die kapitalmarktorientierten Konzerne, die insofern auch keine Chance hatten, die Erosion ihrer Marktanteile zu verhindern. Aktuell ist bereits ein Drittel des Marktes in den Händen dieser neuen Akteure. Die Grafik auf Seite 23 verdeutlicht, dass der Anteil der Stromkonzerne an den EEG-Anlagen gerade einmal fünf Prozent beträgt, während Privatpersonen und Landwirte fast die Hälfte der Kapazitäten auf sich vereinigen.

Hinzu kommen die CO2-Zertifikate: Hier konnten die Konzerne – trotz ihres erbitterten Widerstandes – nicht verhindern, dass sie diese seit Januar 2013 vollständig bezahlen müssen, während sie sie vorher größtenteils kostenlos bekommen hatten. Da die Zertifikatspreise gleichwohl seit 2005 in den Börsenpreisen enthalten waren, bedeutete die Gratiszuteilung in der Summe einen Zusatzgewinn für die Konzerne von mehr als 30 Milliarden Euro.

HOHE VERSCHULDUNG DRÜCKT

Schließlich war man im Beteiligungsbereich aufgrund hoher Verschuldungsraten gezwungen, wesentliche Anteile zu veräußern: So verkaufte E.ON im Jahr 2009 die Thüga mit über 90 Stadtwerkebeteiligungen, und auch RWE trennte sich von Beteiligungen an den Stadtwerken Bremen und Düsseldorf sowie an den Pfalzwerken und prüft aktuell sogar den Verkauf einiger Kraftwerke. Insgesamt ist weit und breit kein neues Geschäftsmodell für die Stromkonzerne erkennbar, das das alte ersetzen könnte, und es deuten sich folgende Entwicklungen an: Vattenfall wird sich über kurz oder lang aus Deutschland zurückziehen; diese Entwicklung könnte beschleunigt werden durch Netzrückkäufe in Hamburg und Berlin. EnBW wird sich mit der Stilllegung seiner Atomkraftwerke von der Großkonzernbühne verabschieden und als regionaler Versorger in Baden-Württemberg deutlich kleinere Brötchen backen.

E.ON wird versuchen, den Bau von Großkraftwerken im Ausland voranzutreiben: Brasilien, Indien und die Türkei gelten hier als Favoriten. Schulden in Höhe von 30 Milliarden Euro könnten dafür sorgen, dass weitere Beteiligungen an Stadtwerken und Regionalversorgern in Deutschland verkauft werden müssten.

RWE klammert sich aktuell noch an seine Braunkohlekraftwerke, hat aber erstmals öffentlich Zweifel daran gesät, ob der Braunkohleabbau noch eine große Zukunft in Deutschland hat. Mit dem weiteren Ausbau der dezentralen erneuerbaren Energien Wind onshore und PV sowie der dezentralen Kraft-Wärme-Kopplung auf der Basis von Erd- und Biogas wird das alte Geschäftsmodell der Konzerne schrittweise zu Grabe getragen. Peter Terium, der RWE-Chef, ist hier Realist genug: „Die Energiewende hat zum ersten Mal deutlich gemacht“, ließ er sich in der „Wirtschaftswoche“ vom 2. September 2013 vernehmen, „es geht auch ohne uns.“

Für die Arbeitnehmer sind das zunächst keine guten Nachrichten, und der Personalabbau bei den Konzernen ist ja bereits in vollem Gange. Andererseits sind im neuen energiewirtschaftlichen Mittelstand bereits mehr als 400 000 Arbeitsplätze entstanden, sodass der volkswirtschaftliche Saldo positiv ist. Letztlich stärkt der Strukturwandel in der Energiewirtschaft hin zu deutlich dezentraleren Strukturen auch die Belegschaften bei den Stadtwerken und Regionalversorgern, die in den Bereichen Erzeugung und Netze bereits einen Teil der Aufgaben der Konzerne übernommen haben. Insgesamt werden im Rahmen der Energiewende viele nachhaltige Arbeitsplätze entstehen, die in den nicht nachhaltigen Bereichen Atomenergie sowie Braun- und Steinkohle-Stromerzeugung unvermeidlich verloren gehen. Ob diese Arbeitsplätze in den Konzernen selber entstehen, ist aus den oben genannten Gründen jedoch eher zu bezweifeln.

Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung ist der Wunsch der Konzerne, formuliert etwa vom BDI, das Tempo bei der Energiewende herauszunehmen und ein Moratorium zu beschließen, durchaus nachvollziehbar und findet in der Politik noch manchen Verbündeten. Doch das sind Rückzugsgefechte, die den Strukturwandel letztlich nicht aufhalten können und unter volkswirtschaftlichen Aspekten besser aufgegeben werden sollten.

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