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Jakob Simmank auf dem Gelände der Berliner Charité. Magazin Mitbestimmung

Altstipendiat: Der Wissenschaftsjournalist

Ausgabe 03/2020

Jakob Simmank berichtet als Wissenschaftsjournalist für ZEIT Online wohltuend unaufgeregt über die Corona-Epidemie. Von Andreas Molitor

Auf welches Studienfach fällt die Wahl, wenn auf dem Abiturzeugnis fast nur Einsen stehen? „Ich will etwas studieren, was mich fasziniert, wo ich später aber auch immer einen Job mit gutem Einkommen habe“, überlegte sich Jakob Simmank, nachdem er 2007 in Hamburg sein Abitur mit 1,2 bestanden hatte – und entschied sich für ein Medizinstudium. Sicher war der Gedanke an einen Job mit auskömmlichem Gehalt nicht der schlechteste. Daheim war es finanziell knapp. Jakob Simmanks Mutter, alleinerziehend, musste als Krankenschwester viele Nachtschichten einlegen, damit das Geld reichte für Jakob und seine zwei Brüder. Im Zivildienst, bevor er das Studium begann, erzählte ihm eine Bayer-Betriebsrätin von der Böckler-Aktion Bildung. Simmank bewarb sich, erhielt das Stipendium und wurde einer der wenigen Medizinstudenten mit Verdi-Mitgliedsausweis. Sein Studium absolvierte er mit Bestnoten, gekrönt von der Promotion, die er mit summa cum laude abschloss. Eine glänzende Karriere als Mediziner lag vor ihm.

Heute, knapp drei Jahre später, arbeitet der 32-Jährige als Redakteur für Gesundheitsthemen bei ZEIT Online in Berlin. Schon zu Schulzeiten hatte er davon geträumt, Journalist zu werden. Er absolvierte ein Praktikum bei der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung, schrieb Artikel für FAZ, taz, Süddeutsche und ZEIT – und erhielt Anfang 2018 von ZEIT Online ein Angebot für eine Redakteursstelle.

In den vergangenen Monaten gab es für ihn fast nur ein Sujet: Corona. Seine medizinische Ausbildung kommt ihm jetzt zugute. Kaum eine wichtige Veröffentlichung entgeht ihm. Und er weiß, welche Experten zu welchen Facetten des Themas etwas Substanzielles sagen können. „Das sind nicht unbedingt jene, die gern in Talkshows sitzen“, sagt er. „Nicht jeder, der etwas zu Corona sagen will, ist gleichermaßen Experte.“ 

Mit der aktuell sehr populären Wissenschaftlerschelte – „Heute sagen sie das eine, morgen das andere“ – mag Simmank sich nicht gemeinmachen. Wer Derartiges von sich gebe, schreibt er, nehme „billigend in Kauf, Bürgerinnen und Bürger zu verunsichern“. Nach dem Motto: „Wenn Forscher es gar nicht so genau wissen, ist es ja auch egal, wie ich mich verhalte.“ Unsicherheit und Zweifel „sind Kerngeschäft und Antrieb der Wissenschaft“. Und dann folgt ein wunderbarer Satz: „Wissenschaft schält sich immer wieder aus der eigenen Haut.“

Über eine Frage denkt Simmank gerade jetzt in Corona-Zeiten häufig nach: Hätte er als Mediziner mehr bewegen können als durchs Schreiben? „Als Arzt spielt man mitunter einen ganz wichtigen Part im Leben eines Menschen“, sagt er. Er erinnert sich an lange, sehr persönliche Gespräche mit Lungenkrebspatienten. „So etwas gibt es im Journalismus eher nicht. Andererseits erreiche ich durchs Schreiben viel mehr Menschen.“ Manchmal, erzählt seine Lebensgefährtin, die ihn seit dem Studium kennt, „ist er richtig erschrocken, wenn er sieht, dass einer seiner Artikel von 300 000 oder 500 000 Menschen gelesen wurde. Dann wird ihm klar, dass er auf einer Bühne steht.“

An seine eigene Arbeit legt Simmank die gleichen strengen Maßstäbe an wie an die der Wissenschaftler. „Ich hinterfrage immer kritisch, was ich schreibe“, erzählt er, „und ich habe ständig das Gefühl, etwas falsch gemacht, vielleicht eine wichtige Studie übersehen oder eine Schlagzeile zu sehr zugespitzt zu haben.“ Beim Schreiben navigiert er mitunter durch Nebel, kämpft mit der kurzen Halbwertzeit des Wissens. Das drückt seinen Artikeln einen eigenen Stempel auf: „Ich finde, dass der Journalismus viel mehr Fragezeichen braucht“, sagt er. „Das Wort ‚vielleicht‘ ist doch ein ganz tolles Wort. Leider war es unter Journalisten lange Zeit verpönt.“

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