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Magazin Mitbestimmung

: Stern auf Sparkurs

Ausgabe 10/2004

Der globale Standortwettbewerb verschärft die Diskussion um die Arbeitskosten. Der jüngste Konflikt bei DaimlerChrysler hat gezeigt: Unter dem Rotstift geraten Erholungszeiten schnell in die Verhandlungsmasse. Wenn nichts geschieht, wird die Arbeit in Zukunft noch dichter.

Der Traum einer menschengerechten Arbeitswelt schien Gestalt anzunehmen, als im Jahr 1973 nach einem Streik im Metall-Tarifgebiet Nordwürttemberg-Nordbaden eine "persönliche Bedürfniszeit" von fünf Minuten für Akkordarbeiter eingeführt wurde. Der Volksmund nannte sie "Steinkühler-Pause", nach dem damaligen IG-Metall-Bezirksleiter und späteren IG-Metall-Vorsitzenden. Soziologen schrieben sich damals die Finger wund, denn in den Jahren des Wirtschaftswunders war die Pause vergessen worden. Oft hatten sich sogar Betriebsräte gegen Pausen ausgesprochen, um stattdessen die Fünf-Tage Woche oder einen längeren Jahresurlaub durchzusetzen. Wer am Samstag in den Schrebergarten wollte und im Sommer nach Rimini, der musste den Rest des Jahres klotzen.

Neben der Rationalisierung war es die Politik der Arbeitszeitverkürzung selbst, die die Dichte der Arbeit erhöhte. Die hohe Produktivität, die damit erzielt wurde, wurde zur Quelle des gesellschaftlichen Reichtums. Die Steinkühler-Pause war so etwas wie eine Grenzmarke - das Signal einer neuen Generation, die sich nicht mehr kaputtmachen lassen wollte. Dabei waren die fünf Minuten von Anfang an nur eine Rechengröße - zuletzt wurden die Pausenzeiten vielerorts auf Wartungszeiten angerechnet. In machen Betrieben konnten sich Arbeitnehmer durchgearbeitete Pausen sogar gutschreiben lassen.

Die aktuelle Diskussion um die Steinkühler-Pause fällt mitten hinein in die Auseinandersetzung um Standortwettbewerb und längere Arbeitszeiten - längst geht es nicht mehr nur um Sanierungsfälle, sondern auch um die Sicherung von Arbeitsplätzen in Großkonzernen, die mit Verlagerung drohen. In Deutschland hat sich ein Tauschsystem etabliert, in dem hohe Produktivität gegen hohe Löhne getauscht wurde - durch den verschärften Kostendruck gerät dieses System nun ins Wanken. In Zukunft könnte der Druck auf die Beschäftigten wachsen, sich zwischen realen Einkommensverlusten und weniger Erholung durch Arbeitsverdichtung und unbezahlte Mehrarbeit entscheiden zu müssen.

Auf der Suche nach 500 Millionen Euro

Die Daimler-Betriebsräte hatten zugestimmt, als Mitte der 90er Jahre neue, abwechslungsreichere Montagesysteme angeschafft wurden: "Die Menschen wollten in erster Linie anständige Arbeitsbedingungen - dann waren sie auch bereit, einen Teil der Erholzeiten anrechnen zu lassen", schrieb Helmut Lense, Betriebsratsvorsitzender im Werk Untertürkheim, schon im Januar 2003 in der Betriebszeitung "Scheibenwischer". Doch es brodelte. Schon damals beklagte er sich darüber, dass DaimlerChrysler den Kurs des guten Miteinanders verlassen und den "fairen Pakt" - bessere Arbeitsbedingungen gegen kürzere Erholungszeiten - einseitig aufgekündigt hätte: "Das Unternehmen fährt mit Volldampf zurück in die Steinzeit." Die neuen Montageanlagen, schrieb er, seien "meist wieder auf dem Niveau der Fließbandtechnik der 80er Jahre."

Im Sommer 2004 eskalierte der Konflikt, als Mercedes-Chef Jürgen Hubbert auf die Idee kam, kurz vor seinem Ausscheiden aus dem Vorstand noch schnell die jährlichen Kosten zu senken - um 500 Millionen bis zum Jahr 2009. Wenn nicht die Steinkühler-Pause falle und die Zuschläge für Spät- oder Nachtschichten reduziert würden, so drohte Hubbert, würde die neue C-Klasse nicht mehr in Sindelfingen, sondern in Bremen oder in Südafrika produziert, wo es die "baden-württembergische Krankheit" nicht gebe. Personalvorstand Günther Fleig rechnete vor, dass das in Sindelfingen rund 6000 Arbeitsplätze kosten würde. Der Verstoß war doppelt pikant: erstens, weil Hubbert nicht nur einen ausländischen, sondern auch einen inländischen Standort gegen Sindelfingen ausspielte. Zweitens, weil er damit nicht nur die Betriebsräte, sondern die IG Metall direkt herausgefordert hatte.

Was trieb das Management an? Das Nachrichtenmagazin "DER SPIEGEL" berichtete im September, dass Mercedes im Vergleich zum Konkurrenten BMW an Terrain verloren habe und drohe, bei der Umsatzrendite zurückzufallen, schrieb über die Angst der Manager, in den USA an Boden zu verlieren - etwa an die Toyota-Luxusmarke Lexus. Der Automobilmarkt ist hart umkämpft. Soeben hat der französische Autobauer Renault angekündigt, über seine Tochter-Firma Dacia in Rumänien mit einem 5000-Euro-Auto auf den Markt zu gehen - dem Dacia Logan, der bald auch auf deutschen Straßen auftauchen könnte. Ursprünglich sollte der Wagen gar nicht in Westeuropa angeboten werden - doch jetzt scheint er gut in eine Landschaft zu passen, die von Sparzwängen und Konsumangst geprägt wird.

Offenbar hatte sich das Management im Sommer vorgenommen, Mercedes im Hauruck-Verfahren zukunftsfähig zu machen. Der Spar-Kompromiss, der jetzt bei DaimlerChrysler ausgehandelt wurde, sieht Beschneidungen von Erholzeiten vor - die Steinkühler-Pause etwa wird jetzt zur Hälfte mit Weiterbildungszeiten verrechnet. In den Entwicklungs- und Planungsbereichen wird außerdem die 40-Stunden-Woche zugelassen, wodurch Überstundenzuschläge entfallen können. Bisher galt hier eine 18-Prozent-Quote für 40-Stunden-Arbeitsverträge, die in der Praxis längst überschritten wurde. Außerdem ist eine geringere Vergütung für das Kantinenpersonal vorgesehen. Im Gegenzug für die Zugeständnisse gibt es eine Beschäftigungsgarantie bis zum Jahr 2012.

Steffen Lehndorff, Direktor des Forschungsschwerpunktes Arbeitszeit und Arbeitsorganisation am Institut Arbeit und Technik (IAT), vermutet, dass es nun sogar zu weniger unbezahlter Mehrarbeit kommt, eine "gewisse Arbeitsverdichtung" durch stringente Pausenregelungen, gerade in der Produktion, hält er dagegen durchaus für möglich. Wichtig sei, sagt er, dass der Tarifvertrag nicht angetastet worden sei, anders als bei Siemens, wo er ein "massives Unterschreiten tariflicher Mindestnormen konstatiert."

In der Praxis wird die Pause seit Jahren ausgehöhlt

Auch in einem anderen Unternehmen, das im Kampf um die Steinkühler-Pause neben den Mercedes-Werken in Sindelfingen und Untertürkheim eine entscheidende Rolle spielte, bei Bosch in Feuerbach, ist der Klimawandel zu spüren. "Es gibt keinen Stillstand, es gibt nur vorwärts oder rückwärts", sagt Hasso Ehinger, streitbarer Betriebsrat in dem Werk, das über eine enorme Erfahrung in der Entwicklung, in der Fertigung und im Sondermaschinenbau verfügt. Ehinger kann sich gut daran erinnern, wie die Steinkühler-Pause einst "mit Begeisterung erkämpft wurde." Zwei Jahrzehnte später, im Jahr 1993, mussten die Arbeitnehmer eine bittere Pille schlucken. Als Bosch mit der Fertigung eines hochmodernen neuen Produktes, der Diesel-Hochdruckpumpe VP44, in Fertigung gehen sollte, gelang das nur, indem der Betriebsrat Abstriche bei der Pause machte. Was damals abgesegnet wurde, sagt Ehinger, sei das größte Zugeständnis, das der Betriebsrat je gemacht habe.

Danach, meint er, habe der Laden gebrummt mit Samstags- und Sonntagsarbeit: "Wenn wir Hellseher gewesen wären, hätten wir das natürlich nicht unterschrieben", sagt Ehinger heute. Aber bevor die VP44 kam, sah die Welt anders aus - es ging um die Sicherheit des Standortes, um die Zukunft. In fast allen Betriebsteilen werden seit Jahren Stillstandszeiten mit den Erholungspausen verrechnet, auch wenn die sehr ungünstig platziert sind: "Formal haben wir die Pausenregelung erhalten, in der Realität gibt es Rückschritte." Die Letzten, die in Feuerbach noch die volle Steinkühler-Pause bekommen, sind etwa 150 Leute, die im Modellbau an Prototypen arbeiten - denn sie richten ihre Maschinen selber ein. Im Bosch-Werk Reutlingen habe sich die Steinkühler-Pause dagegen bis heute voll erhalten, sagt Ehinger.

Wiederholt hat die Konzernleitung versucht, den Samstag zu einem normalen Regelarbeitstag zu machen - dem haben die Betriebsräte jedoch eine Absage erteilt. Bezahlte Mehrarbeit lehnt Ehinger grundsätzlich ab: "Sonst ist der Traum, auch in Brasilien oder Tschechien die Arbeitszeit zu verkürzen, dahin." DaimlerChrysler ist ein Lehrstück, und niemand kann heute sagen, wo die Grenzen dieser Entwicklung liegen. "Die Beschäftigten", schreiben zwei Betriebsräte in der September-Nummer der Zeitschrift "Sozialismus", hätten "das Ergebnis überwiegend mit Stolz und Erleichterung zur Kenntnis genommen", die Verhandlungstaktik der Arbeitnehmerseite sei "letztendlich" erfolgreich gewesen. Hasso Ehinger scheint sich da mehr Realismus bewahrt zu haben: "Wir haben heute einfach schlechtere Karten."

 

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