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Magazin Mitbestimmung

: SPEZIAL EUROKRISE Warum der Euro nicht funktioniert

Ausgabe 07+08/2010

POLITISCHE ÖKONOMIE Etwas läuft grundsätzlich schief in Europa. Eine einheitliche Geldpolitik - der Euro - behandelt einen Wirtschaftsraum mit großen Unterschieden wie ein homogenes Gebilde. Von Martin Höpner

Von Martin Höpner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln.

Es hieß, der Euro könne allein auf Basis der Maastricht-Kriterien funktionieren, ohne weitere politische Integration", verteidigt sich der ehemalige Außenminister Joschka Fischer im "Spiegel"-Interview (22.05.10). Und bekennt nun angesichts der Eurokrise: "All unsere schönen Illusionen - auch meine eigenen -, all unser Selbstbetrug, all das wurde hinweggefegt." Wohl wahr: Der Euro funktioniert nicht. Aber was folgt aus dieser Erkenntnis?

Wer die politische Ökonomie des Euro verstehen will, der muss, so meine ich, drei Effekte unterscheiden und verstehen: einen Effekt der gestörten Kommunikation zwischen Lohn- und Geldpolitik, einen verstärkenden Effekt auf die Divergenz europäischer Konjunkturverläufe und einen Effekt der langfristigen Verschiebung von Wettbewerbskraft zwischen den Euro-Ländern. Alle drei Effekte wurzeln im selben Grundproblem: Eine für alle Teilnehmerstaaten einheitliche Geldpolitik trifft auf heterogene nationale Konjunkturverläufe, Haushaltspolitiken und Institutionen der Lohnaushandlung.

LOHN- UND GELDPOLITIK_ Der erste Effekt geht von der Zerstörung einer einstmals intimen Kommunikation zwischen Lohn- und Geldpolitik aus. In Deutschland traf eine unabhängige, der Geldwertstabilität verpflichtete Zentralbank auf eine hoch koordinierte und deshalb responsive Lohnpolitik. Bundesbank und gewerkschaftliche Lohnpolitik konnten sich gegenseitig beobachten und aufeinander reagieren. Sie waren, ähnlich wie die Sozialpartner, ein eingespieltes Team: Befürchtete die Bundesbank inflationäre Lohnabschlüsse, konnte sie bereits dadurch Wirkungen erzielen, dass sie Zinserhöhungen lediglich androhte, ohne tatsächlich an der Zinsschraube zu drehen und damit das Wachstum gefährden zu müssen.

Nur selten sind Lohn- und Geldpolitik in der deutschen Wirtschaftsgeschichte in scharfem Konflikt aufeinandergeprallt. Dies geschah beispielsweise in der Spätphase des Wiedervereinigungsbooms, als die Gewerkschaften eine Gewinninflation mit kräftigen Lohnforderungen beantworteten und die Bundesbank den Diskontsatz daraufhin - im Juli 1992 - auf das Rekordniveau von 8,75 Prozent anhob. Aber das war eine Ausnahme. In aller Regel konnte die Bundesbank ohne große Wachstumseinbußen auf stabile Preise hinwirken. Dieses effektive Zusammenspiel gibt es nun nicht mehr, denn die Europäische Zentralbank (EZB) muss auf eine Vielzahl unterschiedlicher Lohnauftriebe in den Euro-Teilnehmerstaaten reagieren. Die Gefahr, dass die Geldpolitik Wachstums- und Beschäftigungsverluste hinnehmen muss, um Inflation zu verhindern, steigt, wie Peter A. Hall und Robert Franzese gezeigt haben.

Der zweite Effekt erschwert die eigentlich erwünschte Konvergenz makroökonomischer Daten in den Euro-Teilnehmerstaaten. Der Euro-Raum ist kein einheitlicher Konjunkturraum und war es von Anfang an nicht. So lag die deutsche Inflationsrate in lediglich zwei der zehn Jahre seit Einführung des Euro-Buchgelds (1999 bis 2008) oberhalb des EZB-Inflationsziels von zwei Prozent. In Irland, Griechenland, Portugal und Spanien hingegen lag die Inflationsrate in allen zehn Jahren oberhalb der von der EZB anvisierten Zielinflation. Bis zu drei Prozentpunkte und manchmal sogar etwas mehr lagen die Inflationsraten Deutschlands einerseits, Portugals und Irlands andererseits in den frühen 2000er Jahren auseinander, und eine ähnliche Varianz wiesen auch die europäischen Wachstumsraten auf (Daten: Eurostat). Die Folge: Mit ein und demselben Nominalzins musste die EZB sowohl die deutsche Stagnation als auch die irische und südeuropäische Inflation bekämpfen. Der gewählte Zinssatz musste für Deutschland zu hoch, für die anderen genannten Länder aber zu niedrig ausfallen - es konnte gar nicht anders sein.

Damit nicht genug: Stieg die Inflation aufgrund eines zu niedrigen Nominalzinses, dann sanken die Realzinsen immer weiter (denn sie sind definiert als Nominalzins minus Inflation). Die Konjunktur wurde weiter angeheizt, obwohl eine funktionale Geldpolitik doch eigentlich abkühlend hätte wirken sollen. Und wurde ein Land mit einem zu hohen Nominalzins konfrontiert und sank deshalb der Preisanstieg, stieg der Realzins, obwohl er doch eigentlich hätte fallen müssen, um der wirtschaftlichen Lage gerecht zu werden. Trifft also eine einheitliche Geldpolitik auf heterogene Entwicklungen der Preisniveaus, dann macht sie die angestrebte Konvergenz wirtschaftlicher Entwicklungen schwerer, nicht etwa leichter. Eine ausführliche, gut nachvollziehbare Darstellung dieses Effekts findet sich bei Henrik Enderlein.

LOHNFINDUNG UND WETTBEWERBSFÄHIGKEIT_ Kommen wir zum dritten Effekt: der langfristigen Verschiebung von Wettbewerbskraft zwischen den Euro-Teilnehmerstaaten. Wie hat sich Deutschland aus der misslichen Lage eines unangemessen hohen, die deflationären Tendenzen zusätzlich verstärkenden Realzinses befreit? Durch eine lange Serie höchst moderater Lohnabschlüsse und den damit einhergehenden gezielten Aufbau von Exportüberschüssen, also nicht zuletzt: auf Kosten der europäischen Nachbarn. Seit der Euro-Einführung türmt Deutschland trendmäßig steigende Handelsbilanzüberschüsse auf, die seit 2004 durchgängig über fünf Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen. Im Jahr 2008 betrug der Überschuss 6,3 Prozent.

Nur Ländern mit koordinierter Lohnfindung - neben Deutschland etwa Österreich, Finnland und den Niederlanden, die ebenfalls hohe Exportüberschüsse erzielen - steht dieses Instrument zur Verfügung. Euro-Länder mit dezentralen, unkoordinierten Formen der Lohnaushandlung, vor allem in Südeuropa, haben dem nichts entgegenzusetzen. Ihre preisliche Wettbewerbskraft schwindet, ohne dass die Möglichkeit einer Abwertung der Währung als Anpassungsinstrument zur Verfügung stünde. Im Jahr 2008 betrug das Handelsbilanzdefizit Frankreichs 2,5 Prozent und das Defizit Spaniens 5,9 Prozent. Griechenlands Handelsbilanz wies ein Defizit von 8,8 Prozent auf, und das portugiesische Defizit betrug sogar 9,6 Prozent (Daten: Sachverständigenrat). Im Euro-Raum besteht nunmehr ein deutlicher statistischer Zusammenhang zwischen der Gewerkschaftsstärke einerseits und den Salden der Handelsbilanz andererseits: Wo die Gewerkschaften stark sind, werden Exportüberschüsse erzielt.

Diese Handelsbilanzdefizite sind Ergebnisse eines im Euro strukturell eingepflanzten, schweren Konstruktionsfehlers. Eine eindringliche Warnung vor den Problemen, die divergierende Lohnauftriebe in einheitlichen Währungsräumen unweigerlich hervorrufen müssen, findet sich bei Fritz W. Scharpf - in den späten 80er Jahren, lange vor Einführung des Euro. Nun werden diese Probleme allzu offensichtlich. Insbesondere seit Ausbruch der Finanzkrise wächst quer durch Europa der Unmut über die deutschen Exportüberschüsse. Die französische Finanzministerin Christine Lagarde hat völlig recht, wenn sie darauf hinweist, dass dieser Zustand nicht tragbar ist.

IMMER NEUE ILLUSIONEN_ Hat man diese schweren Mängel vor Einführung des Euro nicht erkannt? Im Prinzip schon. Aber die Probleme haben sich schneller und dramatischer manifestiert, als allgemein erwartet wurde. Man hatte gehofft, mit der gemeinsamen Währung beginnen, und alles weitere dann nach und nach mit Instrumenten der weichen Koordination entwickeln zu können. Diese Illusion ist nun zerplatzt. "Echte Integration oder Auflösung, das ist heute die Alternative", sagte Joschka Fischer im "Spiegel"-Interview. Ähnlich klingt die Antwort der Europapolitiker aller deutschen Parteien einschließlich Sozialdemokratie und Grünen. Wir haben immer gewusst, so der Tenor, dass die europäische Integration bei gemeinsamer Währung, Binnenmarkt und Wettbewerbsrecht nicht stehen bleiben darf. So dass es nun endlich Zeit wird für eine mit echten, makroökonomisch wirksamen Kompetenzen ausgestattete europäische Wirtschaftsregierung. Politische Rhetorik dieser Art klingt erst einmal sympathisch. Und doch bedeutet sie nichts anderes, als die zerstörte Illusion durch eine neue zu ersetzen - um den Tatsachen nicht ins Auge sehen zu müssen.

Die Errichtung einer europäischen Wirtschaftsregierung, die zu wirksamen Eingriffen in die Lohn- und Finanzpolitiken der Mitgliedstaaten in der Lage wäre, könnte die Probleme des Euro im Prinzip beheben. Soweit die Theorie. Aber was hieße das konkret? In Deutschland ist die Tarifautonomie der Sozialpartner grundgesetzlich geschützt. Wie sollte Brüssel in sie hineinregieren? Wer könnte das ernsthaft wollen? Oder glaubt irgendwer, die Lohnpolitik ließe sich mit Methoden des weichen zwischenstaatlichen Dialogs feinsteuern, nachdem dieses Instrument all die Dekaden so gründlich versagt hat und nichts darauf hindeutet, daran könne sich eines Tages etwas ändern? Es sei daran erinnert: Die Probleme bestehen heute und bedürfen einer zeitnahen Lösung, nicht in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren.

Und erst die Haushaltspolitik! Wenn sich nicht einmal Deutschland und Frankreich, die engen Verbündeten und Motoren der Integration, angesichts einer historisch schweren Wirtschaftskrise auf ein abgestimmtes finanzpolitisches Verhalten verständigen können - wie sollten die Finanzpolitiken der Euro-Staaten sich dann zur Behebung langfristiger Wettbewerbsverzerrungen im Euro-Raum einsetzen lassen? Voraussetzungen hierfür wären nicht nur die Beschneidung der haushaltspolitischen Zuständigkeiten der Parlamente, die Abgabe entsprechender Kompetenzen an eine Brüsseler Behörde und der damit einhergehende Demokratieverlust - genau das hat Karlsruhe mit seinem Lissabon-Urteil verboten! -, sondern auch die Errichtung eines bundesstaatsähnlichen europäischen Finanzausgleichs. Man mag darüber streiten, ob Europa in ferner Zukunft einmal so aussehen kann und wird. Zur Bearbeitung der derzeitigen Probleme sind solche Gedankenspiele aber ungeeignet.

Deutschland habe doch wie kein anderes Teilnehmerland vom Euro profitiert, nun müsse es auch zur Abgabe von Kompetenzen bereit sein, um die gemeinsame Währung zu retten - so argumentieren Joschka Fischer und viele, viele andere. Wenn aber auf die hohen Erträge verwiesen wird, die die Deutschen dem Euro verdanken, können nur die exorbitanten Exportüberschüsse gemeint sein, die Deutschland und einige andere, vor allem kleine Länder auf Kosten ihrer Nachbarn erzielen. Mit schweren Salden belastete Handelsbilanzen sind aber gerade kein wünschenswerter Zustand, der mit einem politischen Kraftakt unterfüttert werden sollte. Ganz im Gegenteil: Sie sind ein Problemindikator. Sie zeigen an, dass im europäischen Güterverkehr etwas grundsätzlich schiefläuft. Die Ursache: ein dysfunktionales Währungsregime, das einen Wirtschaftsraum mit höchst unterschiedlichen Traditionen und Institutionen der Lohnpolitik, mit unterschiedlichen Finanzpolitiken und divergierenden Wachstums- und Inflationsraten wie ein homogenes Gebilde behandelt. An diesem festzuhalten, würde dem europäischen Gedanken letztlich einen Bärendienst erweisen. Da große Schritte vorwärts ausgeschlossen erscheinen, fürchte ich: Es wird Zeit, sich nach dem Ausgang umzusehen - im Interesse Europas.


Mehr Informationen 

Henrik Enderlein: Nationale Wirtschaftspolitik in der europäischen Währungsunion. Frankfurt/New York, Campus 2004.

Peter A. Hall/Robert Franzese: Uneinheitliche Signale: Zentralbankunabhängigkeit und koordinierte Lohnaushandlung in der Europäischen Währungsunion. In: Martin Höpner/Armin Schäfer (Hrsg.): Die Politische Ökonomie der europäischen Integration. Frankfurt/New York, Campus 2008, S. 369-405.

Fritz W. Scharpf: Sozialdemokratische Krisenpolitik in Europa. Franfurt/New York, Campus 1987. Darin: Hoffnungen am Ende der achtziger Jahre, S. 315-336.

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