zurück
Magazin Mitbestimmung

Solarbranche: Sonnenuntergang im Osten

Ausgabe 05/2012

Die Solartechnologie galt als Heilsbringer der ostdeutschen Industrie – und weltweiter Exportschlager. Nun melden die Firmen reihenweise Insolvenz an. Wenn die Politik nicht reagiert, droht das Ende einer einzigartigen Erfolgsgeschichte. Von Ingmar Höhmann

Im Februar 2011 scheint für Burghard von Westerholt noch die Sonne. Strahlend verkündet der Leiter der neuen First-Solar-Fabrik auf dem Richtfest: „Unsere Jobs sind sehr sicher.“ Im November feiert er mit der geballten Politprominenz in Frankfurt an der Oder die Eröffnung: „Wir freuen uns darüber, das Werk die nächsten Jahre zu betreiben.“ Nur wenige Monate später verkündet sein Arbeitgeber die Schließung der Fabrik. First Solar passe sich „an veränderte Marktbedingungen“ an, erklärt der Hersteller – und streicht 1200 Jobs. Im Oktober 2012 läuft das letzte Solarmodul vom Band. Von Westerholt bleibt tapfer: Man werde die Auswirkungen für die Mitarbeiter „möglichst sozialverträglich gestalten“.

„Der Rückzug von First Solar zeigt, wo die ganze Branche steht: mit dem Rücken zur Wand“, sagt Frederik Moch, Energiereferent Abteilung Industrie-, Dienstleistungs- und Strukturpolitik beim DGB-Bundesvorstand in Berlin. „Wir brauchen jetzt eine konzertierte Aktion von Politik und Wirtschaft, wenn wir die Solarindustrie in Deutschland erhalten wollen.“ Viel Zeit für die Rettung bleibt nicht, Schlag auf Schlag rauschen die Hiobsbotschaften ein: Q-Cells in Bitterfeld, Odersun in Frankfurt, Solar Millennium in Erlangen, Solon in Berlin, Solarhybrid in Brilon – die einstigen Stars sind seit Kurzem Pleitefirmen. Andere Unternehmen wie Conergy oder Phoenix Solar stecken tief in den roten Zahlen. 130 000 Arbeitnehmer waren nach Angaben des Branchenverbands BSW-Solar 2010 in der deutschen Solarindustrie beschäftigt, davon rund 18 000 in produzierenden Betrieben. Sören Niemann-Findeisen, Fotovoltaik-Experte bei der IG Metall in Frankfurt am Main, schätzt, dass sich zwei Drittel der Stellen in der Produktion in Ostdeutschland befinden.

GRÜNDE FÜR DEN NIEDERGANG

An der Nachfrage liegt es nicht. 7500 Mega­watt Fotovoltaik-Leistung wurden vergangenes Jahr neu in Deutschland installiert, das ist fast zehnmal mehr als 2006. Die Hersteller sind global unterwegs: Die Exportquote liegt inzwischen bei 55 Prozent. Und die Aussichten sind gut. Die Technik rast mit Riesenschritten auf die Netzparität zu. Strom von Solaranlagen wäre dann genauso teuer wie Strom aus der Steckdose. Doch deutsche Firmen haben zuletzt von diesem Boom kaum noch profitiert. Der größte Teil der hierzulande installierten Module stammt mittlerweile aus dem Ausland. Anbieter aus China können bei der Qualität mithalten und bieten weit günstiger an. Seit 2006 sind die Preise für Fotovoltaikanlagen BSW-Solar zufolge um 60 Prozent gesunken.

War der Absturz vorhersehbar? Fakt ist: Die Politik hat ihren Teil dazu beigetragen. Mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz (EEG), das die Installation von Fotovoltaik-Anlagen erst rentabel macht, legte sie den Grundstein. In Deutschland entstand eine boomende Industrie, deren Produkte reißenden Absatz fanden. Dann überholte sie die chinesische Konkurrenz. Kräftig unterstützt vom Staat greifen asiatische Hersteller nun deutsche Fördergelder ab. Michael Vassiliadis, der Vorsitzende der IG BCE, spricht von einem „unfairen Verdrängungswettbewerb“: „Chinesische Konkurrenten arbeiten nicht nur mit niedrigeren Kosten, sie werden auch systematisch vom Staat unterstützt – mit Steuerbefreiung und nahezu zinsfreien Darlehen. Es ist absurd, dass Deutschland solche Praktiken auch noch mit dem EEG als Markthilfe belohnt.“

China will den Solar-Weltmarkt dominieren und steckt viel Geld in Produktion und Forschung – ein Beispiel für massive Industriepolitik. Die hochgerüsteten Firmen können im Ausland ihre Produkte günstiger verkaufen, und Deutschland ist für sie eine wahre Cash-Maschine. Auf dem Heimatmarkt wiederum haben sie dank hoher Importsteuern keine Konkurrenz zu fürchten.

INDUSTRIEPOLITISCHER ZICKZACKKURS

Eine derartige Industriepolitik lehnt die deutsche Regierung ab. Stattdessen will sie der gesamten Branche den Hahn abdrehen, indem sie die EEG-Sätze stärker absenkt als vorgesehen. Eine vom Bundestag beschlossene Reform sieht je nach Art der Anlage seit April Kürzungen von 20 bis 30 Prozent vor. Schon zum Jahreswechsel war die Förderung um 15 Prozent gesunken. „Die Bundesregierung will das EEG zum vierten Mal in drei Jahren ändern“, sagt David Wedepohl, Leiter Markt und Kommunikation bei BSW-Solar. „Es ist inakzeptabel, dass sie mit der Reduktion der Förderung um bis zu 45 Prozent bis 2013 erklärtermaßen das Ziel verfolgt, den Ausbau der Fotovoltaik gegenüber den Vorjahren mindestens zu halbieren. Auch wir stehen zu einer Reduzierung der Fördersätze, aber nicht so abrupt, nicht so drastisch und nicht so unberechenbar.“

Der Verband verweist auf Gutachten von Prognos, Ecofys und dem Fraunhofer-Institut für Windenergie und Energiesystemtechnik; sie hielten den starken Solarzubau für finanzierbar. „Ab 2016 werden erste Fotovoltaik-Anwendungen in Deutschland ohne Förderung auskommen“, sagt Wedepohl. „Uns jetzt, da die Kosten für den weiteren Zubau gering sind und die technische Umsetzung machbar ist, auf den letzten Metern die Beine wegzuziehen wäre unverantwortlich.“

Unterstützung kommt von den ostdeutschen Bundesländern. Vorkämpfer ist Matthias Machnig, der SPD-Wirtschaftsminister von Thüringen. „Die geplanten Kürzungen der Solarförderung sind ein Abbruchkonzept einer industriepolitisch wichtigen Branche“, sagt er. Die Degression sei zu steil und würde deutsche Hersteller vom Markt drängen. Den Regierungsplänen könne sein Bundesland daher nicht zustimmen. „Es muss Schluss sein mit der Dauerreformitis beim EEG“, sagt er. Machnigs Gegenvorschlag: nicht weitere Belastungen, sondern Hilfen für heimische Unternehmen. So sollten in Deutschland produzierte Solarmodule eine höhere Einspeisevergütung bekommen als die Produkte ausländischer Anbieter. Das soll Waffengleichheit mit den vom Staat gepäppelten chinesischen Wettbewerbern herstellen. „Die Bundesregierung muss die Solarbranche stärken, wenn sie es ernst meint mit der Energiewende“, sagt Machnig. Ostdeutschland kämpft um eine einzigartige Erfolgsgeschichte. Die Solarhersteller beschäftigen allein in Thüringen 5000 Menschen. Acht weltweit agierende Produktionsunternehmen sind hier ansässig. Jährlich erwirtschaften die Firmen einen Umsatz von einer Milliarde Euro. Fünf Hochschulen forschen in der Solartechnik.

Trotz allem: Innovation stellt eine wesentliche Herausforderung für die Branche dar. Dafür hat die Bundesregierung vor knapp zwei Jahren die „Inno­vationsallianz Fotovoltaik“ ins Leben gerufen. Ein Ergebnis ist das 2,1 Millionen Euro teure Fotovoltaik-Technikum in Jülich. Das sei ein Schritt, „aber insgesamt viel zu wenig, um die Herausforderungen, etwa bei der Netzintegration und der Speicherung anzupacken“, sagt Metaller Niemann-Findeisen.

NISCHEN- STATT MASSENPRODUKTION

Nicht durch Massenproduktion, sondern durch technischen Fortschritt hat der Solarstandort eine Chance – etwa bei Dünnschichtmodulen, Wechselrichtern oder der gebäudeintegrierten Fotovoltaik. Kurzfristig fehlt es jedoch nicht an der Technik, sondern an Liquidität. „Von den Banken erhalten die Firmen kein Geld mehr“, sagt DGB-Experte Moch. Die staatliche KfW müsse daher Darlehensprogramme an den Start bringen, der Staat für Solarfirmen bürgen. „Nur wenn die Betriebe in neue Fertigungstechnik investieren, können sie günstiger produzieren und mit der Konkurrenz aus Asien gleichziehen.“

Moch verweist auf die Windkraft – hier sei der Gesetzgeber weniger zögerlich. Die KfW hat vergangenes Jahr ein Sonderprogramm „Offshore Windenergie“ mit einem Kreditvolumen von fünf Milliarden Euro aufgelegt. „Investoren ist das Risiko bei der Finanzierung von Anlagen auf See zu groß, daher springt der Staat ein“, sagt Moch. „Warum machen wir das nicht auch für andere zukunftsträchtige Branchen wie die Solarenergie?“ Gewerkschaftschef Vassiliadis sieht das ähnlich – und verlangt ein Nothilfe-Programm. „Es muss die Unternehmen der Branche mit Bürgschaften und zinsgünstigen Darlehen unterstützen, es sollte Exporte und Forschung fördern“, sagt er. Das Programm könne aus nicht abgerufenen Mitteln des früheren Deutschlandfonds finanziert werden. DGB-Experte Moch schlägt vor, staatliche Hilfen an gute Arbeitsbedingungen zu koppeln. In puncto Arbeitszeiten, Bezahlung und Mitbestimmung hätten viele Solarfirmen noch Nachholbedarf. „Vielerorts ist noch kein echter sozialpartnerschaftlicher Ansatz da“, sagt er. Ein Umdenken würde auch den Firmen zugutekommen: „Die Wirtschaftskrise haben Betriebe, die mit und nicht gegen die Arbeitnehmer gearbeitet haben, am besten überstanden.“

First Solar gehört offensichtlich nicht dazu. Bei der Entscheidung für den Rückzug aus Brandenburg ließ die Unternehmensführung die Gewerkschaften außen vor. Peter Ernsdorf, der Erste Bevollmächtigte der IG Metall Ostbrandenburg, nennt die Stellenstreichungen einen „sozialpolitischen Skandal“. „Die können sich nicht einfach aus der Verantwortung stehlen“, sagt er. Auch die Landesregierung ist aufgebracht. Sie will Fördermittel in zweistelliger Millionenhöhe zurückfordern. Retten wird das den Standort nicht mehr. „Im Osten geht die Sonne auf“ – damit warb Frankfurt an der Oder lange für seine Solarunternehmen. Für die Arbeitnehmer bei First Solar dürfte sich das nun wie blanker Hohn anhören.

Text: Von Ingmar Höhmann, Wirtschaftsjournalist in Münster

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen