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Magazin Mitbestimmung

: So sagt man richtig Nein

Ausgabe 12/2008

BETRIEBSPOLITIK Unter Druck fällt es Betriebsräten oft schwer, eine Verlängerung der Arbeitszeit zu verhindern. Wir zeigen, welche Argumente in der Praxis zählen.

Von MARTIN SCHWARZ-KOCHER und SYLVIA STIELER, Berater und Forscher am IMU Institut

Es passiert jeden Tag in Deutschland: Ein Betrieb ist in die Krise geraten. Der Preisdruck am Markt sowie steigende Rohstoff- und Materialpreise haben das Unternehmensergebnis kontinuierlich verschlechtert. Die Geschäftsführung erklärt, dass sie die gesamte Produktion in ein Parallelwerk nach Polen verlagern muss, wenn sich die Kostenstrukturen am deutschen Standort nicht gravierend verbessern. Da sie den Beschäftigten "kein Geld wegnehmen möchte", schlägt sie dem Betriebsrat und der zuständigen Gewerkschaft statt der 35-Stunden-Woche die Einführung der 40-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich vor. Die Gewerkschafter im Betrieb und in der Verwaltungsstelle versuchen, diese Abweichung vom Tarif zu verhindern - denn sie fürchten die gesellschaftlichen Folgen und die Auswirkungen auf den Flächentarif.

Doch die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes ist bei der Mehrheit der Beschäftigten größer. Sie sind bereit, für den Erhalt ihrer Arbeitsplätze fünf Stunden länger ohne zusätzliche Bezahlung zu arbeiten. Die Stimmung eskaliert, als auf der Betriebsversammlung der Betriebsrat fast allein gegen den Meinungsblock von Geschäftsführung und Beschäftigten steht. Doch ein Jahr später stellt die Geschäftsführung fest, dass die Anstrengungen nicht ausgereicht haben, um das Unternehmen nachhaltig zu sanieren. In einem ersten Schritt werden nun doch 50 Prozent der Arbeitsplätze in der Produktion abgebaut. Die Zukunft der restlichen Mitarbeiter bleibt ungewiss.

Was ist da schiefgelaufen? Schließlich haben sich die Betriebsparteien doch an die Ratschläge von Arbeitgeberverbänden, sogenannten Wirtschaftsexperten und ganzen Heerscharen von Leitartiklern gehalten, die seit Jahren erklären, dass der Standort Deutschland unter zu hohen Arbeitskosten und insbesondere unter zu kurzen Arbeitszeiten leidet. Aus unserer eigenen Beratungserfahrung in mehr als 120 Betrieben haben wir zwei Lehren gezogen. Die erste ist, dass Arbeitszeitverlängerungen nicht pauschal betriebswirtschaftliche Probleme lösen. Die zweite ist, dass man die Beschäftigten in einer krisenhaften Situation nur dann gegen die Ausweitung der Arbeitszeit mobilisieren kann, wenn man ihnen die negativen Auswirkungen vor Augen führt.

Immer wieder beobachten wir das Paradox, dass die Geschäftsführung ihre Forderung nach Sanierungsbeiträgen der Beschäftigten mit einer speziellen betrieblichen Situation begründet, aber in mehr als 80 Prozent aller Fälle die gleiche Maßnahme zur Rettung vorschlägt - die unbezahlte Ausweitung der Arbeitszeiten. Wir fragen uns: Wie kann ein und dieselbe Medizin ideal für fast alle Krankheiten sein? Hinter dieser Fixierung auf Arbeitszeitverlängerungen steckt mehr als der konzertierte Angriff der Arbeitgeberverbände auf die geltenden Arbeitszeiten. Viel gefährlicher sind die strategischen Vorteile, die der Arbeitgeber mit solchen Forderungen erzielen will. Denn mit dem Vorschlag, lieber länger zu arbeiten als Arbeitsplatz oder Einkommen zu verlieren, versucht er, die Beschäftigten gegen ihre Interessenvertretung auszuspielen.
 
SPAREN - ABER NICHT NUR BEIM LOHN_ Was kann ein Betriebsrat tun, von dem der Arbeitgeber die Zustimmung zu längeren Arbeitszeiten verlangt? Zuerst einmal ist zu prüfen, wie stichhaltig der Arbeitgeber die Notwendigkeit von Sanierungsbeiträgen der Beschäftigten begründet. Befindet sich das Unternehmen in einer akuten, die Existenz gefährdenden Krise oder soll durch den Einkommensverzicht die Kapitalrendite erhöht werden? Hilfe können hier die betreuenden Gewerkschaftssekretäre oder externe Sachverständige leisten. Im zweiten Fall ist zu fragen, welche Alternative das Unternehmen hat, wenn die Beschäftigten auf die Forderungen nicht eingehen. Diese Analyse kann zu erstaunlichen Ergebnissen führen.

So konnten wir schon mehrmals beobachten, dass allein die Beauftragung eines externen Sachverständigen dazu führte, dass der Arbeitgeber seine Forderungen komplett zurücknahm. Ist die Unternehmenssituation so, dass eine akute Verbesserung der Kostenstrukturen dringend gefordert ist, so ist zuerst auszuloten, welche Kosteneffekte anstelle der Personalkosten optimiert werden können. Dazu gehört auch die Analyse der Konzernumlagen, Leistungsverrechnungen und Intercompany-Geschäfte. Hier ist besonders zu prüfen, ob die Overheadkosten im internationalen Verbund aufwandsgerecht verteilt werden. Im zweiten Schritt sind alle operativen Verbesserungspotenziale am Standort zu untersuchen. Dabei können Betriebsräte wichtige Hinweise zur Optimierung von Produktions- und Verwaltungsprozessen liefern.

Erst wenn diese Kosteneffekte zur Ursachenbewältigung nicht ausreichen oder wenn erkennbar wird, dass für eine Übergangszeit der Sanierung zusätzlich Kostenreduktionen notwendig werden, ist zu untersuchen, mit welchen Beiträgen sich die Beschäftigten an der Sanierung beteiligen sollten.

BETRIEBSPOLITISCHE ARGUMENTE_ Spätestens an dieser Stelle sind die Betriebsräte oft mit dem Wunsch der Beschäftigten konfrontiert, lieber länger zu arbeiten als Geld zu verlieren. Der Hinweis auf die gesellschafts- und tarifpolitische Verantwortung der Gewerkschaften hilft hier nicht weiter. Wer gegen die Forderung der Arbeitgeber betriebspolitisch mobilisieren will, der muss nachweisen, dass auch aus betrieblicher Sicht die Beschäftigten selbst letztlich die Verlierer einer Arbeitszeitverlängerung sind. Dieser Nachweis ist häufig möglich. Wenn man wirksam argumentieren will, setzt dies aber eine genauere Analyse der Krisensituation und der Arbeitgeberstrategie voraus.

Der Betriebsrat kann darauf hinweisen, dass eine unbezahlte Verlängerung der Arbeitszeit nicht automatisch zu ertragswirksamen Kostensenkungen führt. Sie führt bestenfalls zu gleichbleibenden Personalkosten bei einer höheren Arbeitsleistung. Diese zusätzliche Arbeitsleistung verbessert die Ertragslage aber nur dann, wenn sie im Unternehmen entsprechend genutzt werden kann. Dies jedoch fällt gerade in Krisensituationen oft besonders schwer. Um die betriebswirtschaftlichen Auswirkungen bewerten zu können, muss also genau analysiert werden, wie diese im konkreten Geschäftsmodell und in der konkreten Lage zu Kosteneffekten gewandelt werden sollen.

Oft haben die Arbeitgeber darüber nicht nachgedacht. Ihre Vorstellungen lassen sich dann auf eine einfache Dreisatzrechnung reduzieren, die auf die Entlassung einiger Mitarbeiter hinausläuft. Wenn alle Beschäftigten unbezahlt 15 Prozent länger arbeiten, was dem Ersatz der 35-Stunden-Woche durch die 40-Stunden-Woche entspricht, können 15 Prozent der Beschäftigten entlassen werden, was die Personalkosten um 15 Prozent senkt und damit die Unternehmensergebnisse um den gesparten Betrag erhöht.

Natürlich stellt der Arbeitgeber diese Zusammenhänge meist nicht so offen dar. Dies deutlich zu machen ist dann die Aufgabe der Interessenvertretung. Sie muss darauf hinweisen, dass die Rechnung nur aufgeht, wenn ein Teil der Beschäftigten kostenlose Mehrarbeit leistet, damit der Rest entlassen werden kann. Dieses Argument kann dazu dienen, die Beschäftigten zu mobilisieren und ihre Solidarität zu stärken.

In einem Fall, in dem wir selbst beraten haben, begründete die Geschäftsführung ihre Forderung nach einer unbezahlten Verlängerung der Arbeitszeit für rund 1000 Beschäftigte damit, dass durch die so erzielten Kosteneffekte die Verlagerung eines Teils der Produktion - rund 170 Arbeitsplätze - nach Osteuropa verhindert werden könnte. Eine genaue Analyse ergab, dass die Arbeitszeitverlängerung allein durch Stellenabbau am deutschen Standort kostenwirksam gemacht werden sollte. Es kam heraus, dass im Fall einer Verlagerung rund 170 Mitarbeiter in einem Betriebsteil ihre Arbeit verloren hätten, dass aber die alternativ geforderte Arbeitszeitverlängerung ebenfalls 140 Arbeitsplätze in allen Teilen des Unternehmens gekostet hätte. Zusätzlich hätten mehr als 800 Beschäftigte fünf Stunden in der Woche umsonst gearbeitet und außerdem ihr Urlaubs- und Weihnachtsgeld verloren.

Die Darstellung dieser Analyseergebnisse im Betriebsrat und auf der Betriebsversammlung hat die Stimmung in der Belegschaft radikal gedreht. Mit vielfältigen Protestaktionen zeigte sie, dass sie das Konzept der Arbeitgeber ablehnte. Aufgrund der großen Kostendifferenzen konnte die Verlagerung zwar nicht verhindert werden. Die verbleibenden Beschäftigten allerdings konnten ihre tariflichen Entgelte sichern. Aus der Auseinandersetzung gingen der Betriebsrat und die IG Metall gestärkt hervor.

UMSATZCHANCEN PRÜFEN_ So eindeutig lässt sich die Formel Arbeitszeitverlängerung = Stellenabbau in der Praxis aber nicht immer darstellen. Oft unterstellen Arbeitgeber, dass durch die Kosteneffekte der Arbeitszeitverlängerungen auch zusätzliche Aufträge generiert werden, die dann während der verlängerten Arbeitszeit erledigt werden müssen. Positive Ergebniseffekte ergeben sich dann dadurch, dass die Planung bei gleichbleibenden Personalkosten höhere Umsätze vorsieht. Diese Argumentation ist erst einmal einleuchtend, ihre Auswirkungen sind aber besonders tückisch. Schließlich sind hohe Umsatzsteigerungen schnell geplant, müssen aber auf dem Markt sehr mühsam erkämpft werden.

Erfüllt sich die Umsatzerwartung aber nicht oder nicht sofort, dann zeigen sich die negativen Auswirkungen der Maßnahme sehr schnell. Die Kosteneffekte der Arbeitszeitverlängerung wurden in den Preiskalkulationen berücksichtigt. Wenn der Absatz nicht im geplanten Umfang steigt, sinkt der Umsatz aufgrund der umgesetzten Produktpreisreduktion. Die Personalkosten und die sonstigen Kostenstrukturen bleiben gleich. Damit wird das Ergebnis nicht verbessert, sondern sogar noch weiter verschlechtert.
Die Tücke der Maßnahme zeigt sich darin, dass sie nicht mehr ohne Weiteres revidiert werden kann.

Eine nachträgliche Absenkung der Arbeitszeit auf das Tarifniveau wird das Ergebnis nicht verbessern, da die Produktpreise, einmal gesenkt, nur sehr schwer wieder angehoben werden können. Damit bleibt nur eine Lösung: Die durch die längeren Arbeitszeiten entstandenen Überkapazitäten müssen dann auch in diesem Fall durch Personalabbau aufgelöst werden. Begründet der Arbeitgeber die Kosteneffekte der Arbeitszeitverlängerung mit steigenden Umsätzen, so müssen die Betriebsräte den Realitätsgehalt dieser Annahme hinterfragen und den Beschäftigten die Konsequenzen einer verfehlten Umsatzplanung verdeutlichen.

LEIHARBEITER UND FREMDFIRMEN ALS ERSTE OPFER_ In anderen Fällen wird den Beschäftigten der Verzicht auf Leiharbeit und das Insourcing von Wertschöpfungschritten offeriert. Die Beschäftigten sollen in der unbezahlten Mehrarbeit die Aufgaben übernehmen, die bisher externe Beschäftigte erledigt hatten. Damit würde die unbezahlte Mehrarbeit zu ertragsverbessernden Kosteneffekten führen, während die negativen Beschäftigungseffekte in einem anderen Unternehmen zu Buche schlügen.

Dies ist für die Gewerkschafen dann besonders problematisch, wenn die Zulieferer von der gleichen Gewerkschaft betreut werden. Für die Beschäftigten geht es nur darum, ob Personalabbau bei der Stammbelegschaft verhindert werden kann. Aber auch das ist äußerst fraglich. Denn oft genug bedeutet es, dass teure, oft überqualifizierte Mitarbeiter für Arbeiten eingesetzt werden, die anerkanntermaßen außerhalb des Betriebes deutlich günstiger erledigt werden können. Dann ist die Strategie langfristig kaum durchzuhalten. Bei der nächsten Ertragskrise werden genau diese Arbeiten wieder auf den Make-or-Buy-Prüfstand gestellt werden.

Wenn schon befristete Sanierungsbeiträge der Beschäftigten nicht vermieden werden können, so sind unbezahlte Arbeitszeitverlängerungen auch betrieblich oft die schlechtesten Alternativen. Unsere Erfahrung zeigt, dass es durchaus möglich ist, Betriebspolitik und Tarifpolitik bei der Forderung der Arbeitgeber nach längeren Arbeitszeiten in Einklang zu bringen. Doch diese Erkenntnis muss in jedem Einzelfall immer wieder neu erarbeitet und begründet werden. Je nach Ausgangslage kann die Unterstützung durch einen externen Sachverständigen dabei hilfreich sein. Entscheidend ist aber, dass die Betriebsräte selbst den Kampf um den betrieblich richtigen Weg offensiv aufnehmen und die betriebswirtschaftliche Definitionsmacht nicht den Arbeitgebern überlassen.

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