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Magazin Mitbestimmung

: Rückfall hinter erreichte Standards

Ausgabe 09/2004

Die Wirtschaftsverbände wollen in der europäischen Aktiengesellschaft die Option des eingliedrigen Board nutzen, um die Arbeitnehmerbeteiligung auf ein Drittel zurückzufahren. Auch bei einer Fusion könnten nationale Beteiligungsstandards einfach ausgelöscht werden.

Von Roland Köstler
Dr. Köstler leitet das Referat Wirtschaftsrecht in der Hans-Böckler-Stiftung.

 

Am 8. Oktober ist Stichtag: Ab dann können Unternehmen Europäische Aktiengesellschaften (SE) gründen. Die rot-grüne Bundesregierung hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, der praxisnah ist und die Chance bietet, die Mitbestimmung zu sichern, wie sich der DGB anerkennend äußerte. Dagegen fordert nun die Lobby der Arbeitgeberverbände in ihren Stellungnahmen weit reichende Änderungen (siehe "Zum Weiterlesen").

Nur noch Drittelbeteiligung?

So wollen die Arbeitgeberverbände das deutsche Gesetzgebungsverfahren dahingehend beeinflussen, dass über die Option des Verwaltungsrates die Drittelbeteiligung auf der Arbeitnehmerseite als Standard etabliert wird. Nicht nur das könnte die Freude darüber schmälern, dass bei der SE nach langen Jahren endlich ein vernünftiger Kompromissweg vorgezeichnet ist. Sorgen machen dem DGB auch die jüngsten Vorschläge zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts der EU-Kommission - hier vor allem der Vorschlag für die grenzüberschreitende Verschmelzung von Gesellschaften in der EU und daran anknüpfend die Sitzverlegung von Gesellschaften über die Grenze. Hier werden Positionen präsentiert, die weit hinter die akzeptierte Verhandlungs- plus Auffanglösung in der SE zurückfallen - und daher aus Sicht der deutschen Gewerkschaften so nicht akzeptabel sind.
Erinnert sei an das Herzstück der SE-Richtlinie: Darin wird festgelegt, dass die gründenden Unternehmen die Wahl haben zwischen einem System mit einem Vorstand und einem Aufsichtsrat (dualistisches Modell) oder nur mit einem Verwaltungsrat (monistisches Modell). Danach nehmen sie Verhandlungen mit den Arbeitnehmervertretern über die Art der Partizipation in dem oder den Führungsorganen auf.
Derzeit versuchen nun die Arbeitgeberverbände BDA/BDI samt einigen CDU-regierten Bundesländern, die Option des Verwaltungsrates dahingehend zu nutzen, dass bei Europäischen Aktiengesellschaften künftig die Arbeitnehmerseite auf ein Drittel der Sitze reduziert wird. In der aktuellen Arbeitgeberstellungnahme argumentieren sie: Da der Verwaltungsrat Leitungs- und Überwachungsaufgaben zugleich habe, dürfe der Anteil der Arbeitneh-mervertreter darin nicht mehr als ein Drittel sein. Und wie 1976 wird sogar wieder die Verfassungskeule geschwungen; die Rede ist von "Enteignung und Eingriff in die unternehmerische Freiheit", wenn im Board die paritätische Beteiligung der Arbeitnehmerseite realisiert würde.
Dies aber steht im Widerspruch zum eindeutigen Wortlaut der Auffangregeln für die Mitbestimmung in der SE-Richtlinie ("entsprechend dem höchsten Anteil in den beteiligten Gesellschaften"). Diese sehen zum Beispiel vor: Wenn 25 Prozent der Arbeitnehmer der an einer Verschmelzung beteiligten Gesellschaften dem Mitbestimmungsgesetz '76 unterliegen, gilt der höchste Anteil an Sitzen, also die Parität, auch für den Board.

SE-Kompromiss nicht bei Fusionen?

Auch wer geglaubt hatte, mit dem bei der SE gefundenen Kompromiss zur Mitbestimmung - in Form der Verhandlungs- plus Auffanglösung - sei ein passendes Fundament für weitere gesellschaftsrechtliche Vorhaben gefunden, wird derzeit eines anderen belehrt. Besonders schlicht war der Entwurf der EU-Kommission von 2003 zur allgemeinen grenzüberschreitenden Verschmelzung, sprich Fusion von Gesellschaften. Danach gilt das Mitbestimmungsrecht des Landes, in dem die Gesellschaft nach der Verschmelzung ihren Sitz nimmt. Allein für Verschmelzungs-Ziel-Länder, in denen es keinerlei Partizipation in den Führungsgremien gibt (drei der EU-15-Staaten und vier der Beitrittsstaaten), sollten Verhandlungen à la SE Platz greifen.
Die Begründung ist symptomatisch: Bei der Verschmelzung entstünde eine nationale Gesellschaft, also könne man eine Sicherung von Mitbestimmungsrechten nur verlangen, wenn es in diesem Land Derartiges überhaupt nicht gebe. Dabei sei gleichgültig, welcher Umfang an Partizipation in jenen Ländern entfalle, deren nationale Gesellschaft durch die Verschmelzung "untergeht".
Hier meinen wir: Eine grenzüberschreitende Fusion kann man nur erlauben, wenn die gesellschaftsrechtlichen und die mitbestimmungsrechtlichen Elemente gleichermaßen grenzüberschreitend gelöst sind. Spätes-tens bei der SE-Debatte ist allen bewusst geworden, wie unterschiedlich die Mitbestimmungsniveaus in Europa sind. Und wie bei der SE fallen hier bei der allgemeinen Verschmelzung nationale Beteiligungsrechte an Unternehmensorganen weg, beziehungsweise sie werden durch das andere nationale Recht abgesenkt. Dabei existieren solche Beteiligungen ja durchaus in einer Mehrzahl von Ländern. Erst dann einen Verhandlungsanspruch einzuräumen, wenn durch den ins Auge gefassten Sitz die Null-Lösung droht, ist nicht angemessen, wie auch die rot-grünen Regierungsfraktionen im Bundestag am 1. Juli in ihrer Entschließung betonten.
Das Erstaunlichste daran: Bei der SE hatte man 2001 die Gründungsform "Verschmelzung" ausschließlich für Aktiengesellschaften aus zwei Ländern vorgesehen. Und diese Fusionen waren immer verknüpft mit Verhandlungen über eine adäquate Form der Arbeitnehmerbeteiligung sowie mit Auffangregeln für den Fall deren Scheiterns. Das soll jetzt alles nicht mehr gelten, obwohl hier "jeder mit jedem" - also auch GmbHs und Stiftungen - sich miteinander verschmelzen können sollen. Dabei geht es nun nicht mehr nur um eine "freiwillige übernationale Form" wie bei der SE. Hier wird ins nationale Gesellschaftsrecht und in die Arbeitnehmerbeteiligung eingegriffen. Was bedeutet, dass die Politik die Einführung eines Mindestmaßes an nationaler Partizipation auf die Agenda setzen müsste.

Wahlfreiheit zwischen Aufsichtsrat und Board

Erschwerend kommt hinzu: In vielen Ländern gibt es nur die Board-Verfassung, also nur einen Verwaltungsrat, der das Unternehmen führt und kontrolliert. Sinnvoll wäre meines Erachtens, wenn in allen Ländern für die Unternehmensorganisation die Wahl zwischen dem Boardmodell und dem dualistischen Vorstand-plus-AufsichtsratModell bestünde. Derzeit ist dies in Europa nur in Frankreich und seit kurzem in Italien der Fall. Die EU-Kommission hat dies zwar in ihrem Aktionsplan 2003 im Auge, aber eher erst auf mittlere Sicht, und derzeit denken die Länder auch nicht daran, ihr Recht schon umzustellen.
Ein gravierender Gesichtspunkt ist, dass hier eine grenz-überschreitende Wirtschaftseinheit entsteht, weshalb die Mitbestimmungsrechte nicht national determiniert sein können. Im Grunde genommen müssten diese Rechte ebenfalls grenzüberschreitend sein. Die entstehenden Europäischen Aktiengesellschaften werden Beispiele und Varianten für die Unternehmensverfassung liefern, die unter Beteiligung von Arbeitnehmern und Gewerkschaften ausgehandelt wurden.
Das heißt: Auch für Verschmelzungen bleibt nur der Verhandlungsansatz aus der SE. Diesen kann man sicher noch vereinfachen, indem das Management sich zum Beispiel sogleich für die SE-Auffanglösung entscheiden oder das Verhandlungsgremium bei entsprechend hoher Mehrheit sogleich die nationale Mitbestimmungsregelung des zukünftigen Sitzlandes akzeptieren kann. Das wäre aber etwas anderes, als Ländern, die nur die Board-Verfassung haben, ganz generell zu erlauben, für ihr Land die Zahl der Sitze auf ein Drittel herunterzusetzen.
Damit würde die Lösung im europäischen Prozess selbst liegen und nicht in der Entfernung von Arbeitnehmerrepräsentaten aus dem Aufsichtsrat, wie dies die Arbeitgeberverbände und die Berliner Netzwerk-Professoren fordern, und auch nicht in einem Aufgeben der Parität in Deutschland. Anzunehmen, die Mitbestimmung wäre ein Fluchtgrund bei der Wahl des Unternehmenssitzes, und daher für deutsche Holdings eine Deregulierung der Aufsichtsrats-Beteiligung zu verlangen, das ist kein überzeugender Politikansatz, sondern ein seltsames Politikmodell vorsorglicher Deregulierung.
 
Sitzverlegung über die Grenze

Wo werden sich die Unternehmen im europäischen Binnenmarkt niederlassen? Hier ist der Wettbewerb schon im Gange und hat zum Teil auch groteske Züge angenommen: So gehen einige Consultantfirmen mit der Gesellschaftsform der Limited hausieren, die man in England rasch und formlos gründen kann. Den Unternehmen gegenüber werben sie, mit der Limited könne man nationale, gesellschaftsrechtliche Regelungen - inklusive Arbeitnehmerbeteiligung - umgehen.
Ebenso wenig dient es der Sache, wenn die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs zur Niederlassungsfreiheit dahingehend instrumentalisiert werden, dass sie als Absage an die deutsche Mitbestimmung bejubelt werden. Dem Überseering-Urteil ist vor allem zu entnehmen, dass der Niederlassungsfreiheit im Binnenmarkt nicht alles untergeordnet werden muss, sondern dass der Schutz der Interessen der Arbeitnehmer (wie der Gläubiger und Aktionäre) Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit durchaus rechtfertigen kann.
Tatsache ist außerdem: Eine Sitzverlegung aus Deutschland hinaus zur "Flucht aus der Mitbestimmung" ist auch nach dieser EuGH-Rechtsprechung nicht möglich. Hier ist einerseits weiterzugehen auf dem Weg der Harmonisierung des Gesellschaftsrechts, und sei es durch nationale Maßnahmen zum Beispiel im GmbH-Recht, wie dies in letzter Zeit schon in einigen Ländern geschah. Andererseits einfach beim "Wettbewerb der Rechtssysteme" stehen zu bleiben, gewissermaßen also den amerikanischen Weg zu gehen, ist angesichts der anderen Gewerkschafts- und Mitbestimmungstradition in Europa unakzeptabel. Auch hier sind wir für verhandelte Lösungen.
Die Corporate-Governance-Debatte hat die Frage der Unabhängigkeit der Aufsichtsratsmitglieder aufgeworfen. Dabei wurde anfangs aus angelsächsischer Sicht auch bemängelt, dass Arbeitnehmervertreter ja nicht unabhängig vom Unternehmen, das sie kontrollieren, sein können. Diese Kritik war aber weitgehend erledigt, denn es schien sich herumgesprochen zu haben, dass die deutsche Arbeitnehmermitbestimmung nicht mit diesen Maßstäben gemessen werden kann. Nun kommt aber die neueste -EU-Konsultation zur Frage der Unabhängigkeit so daher, als habe es die Einführung der Arbeitnehmerbeteiligung in Unternehmensorganen via SE nie gegeben. Außen vor bleiben auch die Regelungen, die in den USA im Zuge des Sarbanes-Oxley-Gesetzes für deutsche Aktiengesellschaften gefunden wurden: dass nämlich bei den an der New Yorker Börse notierten deutschen Unternehmen durchaus anerkannt wird, dass es der nationalen Eigenheit und Tradition entspricht, dass Arbeitnehmervertreter in den Aufsichtsgremien Kontrollfunktionen ausüben.
Dabei entbehrt es nicht der Ironie, wie vehement die deutschen Arbeitgeberverbände gegenüber der EU-Kommission die nationalen Besonderheiten der Unternehmensführungspraxis verteidigen: So ist der BDI etwa Sturm gelaufen gegen einen Vorstoß des bisherigen Binnenmarktkommissars Bolkestein; dieser beabsichtigte, dem hierzulande üblichen, nahtlosen Wechsel vom Vorstand in den Aufsichtsrat wie auch der Nichtoffenlegung der Manager-gehälter einen Riegel vorzuschieben. Dies kritisierte der BDI laut Süddeutscher Zeitung als "praxisfremd" und "bedenkliche Überreaktion". Hier werden von Seiten der Industrie also vehement nationale Eigenheiten und Üblichkeiten verteidigt. Allein für die Mitbestimmung soll das nicht gelten?

 

EU-Kommission
Vorschläge zur Modernisierung des Gesellschaftsrechts unter
www.europa.eu.int/comm/internal_market/company/index_de.htm
Dokumentenname: KOM (2003) 284 endg.

 

EU-Konsultation
Im Internet unter
www.europa.eu.int/comm/internal_market/CompanyLaw-Independentdirektors.htm

 

Zum Weiterlesen

DGB-Stellungnahme zur SE unter http://www.boeckler.de/ - mit
Klick auf Themen, dann Mitbestimmung, International
und Positionen - (Europäische Aktiengesellschaft).
Die SE-Stellungnahme der Arbeitgeberverbände unter
http://www.bdi-online.de/
Die Europäische Aktiengesellschaft. Arbeitshilfe für Aufsichtsräte Nr. 6, hrsg. von der Hans-Böckler-Stiftung, 2. Auflage, Juli 2004
The European Company, Prospects for Board-Level Representation. Hrsg. vom EGI und der Hans-Böckler-Stiftung, 2004
Berliner Netzwerk-Professoren, Statements und Referate, in:
Die Aktiengesellschaft, April 2004, S. 166 ff

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