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Lieferando-Betriebsrat Semih Yalcin in seinem Büro Magazin Mitbestimmung

START-UPS: „Reiche Kinder, die mit Geld spielen“

Ausgabe 01/2022

In jungen Unternehmen sind die Auseinandersetzungen um Betriebsräte am heftigsten. Oft wird unter null angefangen, und die Firmenkultur reift erst im Konflikt. Von Kay Meiners und Fabienne Melzer

Die Arbeit ist nicht das Problem, sagen Semih Yalcin, Sarah und Fabian Schmitz. Sie macht ihnen Spaß. Das Problem ist der Arbeitgeber. Die drei liefern in Köln für Lieferando, das zu dem niederländischen Lieferdienst Just Eat Takeaway gehört, Essen aus. Sarah fährt gerne Rad und trifft gerne Menschen. Klar, wenn es in Strömen regnet, kann es echt ungemütlich werden. „Aber auch das wäre kein Problem, wenn wir vernünftige Regenkleidung hätten“, sagt ihr Bruder Fabian. Ja, wenn. Die Kleidung ist einer von vielen Punkten, über den sich die drei mit ihrem Arbeitgeber streiten.

Denn sie sind nicht nur Fahrradkuriere, sie sind auch Betriebsräte. Die Rider bei Lieferando merken fast jeden Tag, wie sehr ein Betriebsrat gebraucht wird. Mal kommen Fahrer mit den Arbeitszeiten nicht zurecht, mal hat der Arbeitgeber die Fahrtwege verlängert, sodass Touren kaum zu schaffen sind. Der Betriebsrat muss um alles kämpfen. Immer wieder sahen sich die Parteien vor Gericht. Mithilfe der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) klagte der Betriebsrat erst Wahlunterlagen und zuletzt Dienstfahrräder und -smartphones ein.
 
Anders als der Name vermuten lässt, gehört das Liefern selbst nicht zum Kerngeschäft von Lieferando. Das ist die digitale Sichtbarkeit. Die Lieferando-App hat fast eine Monopolstellung – für viele Restaurants war sie während der Lockdowns eine Überlebensversicherung. Bestellt ein Kunde über die App, zahlt das Restaurant eine Provision von 13 Prozent. In der Regel liefert das Restaurant selbst. Wer das nicht kann, muss auf Lieferando-Fahrer zurückgreifen und 30 Prozent rausrücken. Nur eines von zehn deutschen Restaurants nutzt Lieferando-Fahrer.

Die Macht wird nicht geteilt

Nicht nur wegen der Provisionen ist das Unternehmen in der Kritik, sondern auch wegen des Umgangs mit dem Betriebsrat. Lieferando-Gründer und -Geschäftsführer Jörg Gerbig erklärte in dem Szenemagazin Business Insider, die Mitbestimmung der Mitarbeiter rufe mitunter „unkonstruktives Verhalten“ hervor. In einem fingierten Anruf des Künstlerkollektivs Peng! ging er noch weiter: „Jeder der lokalen Betriebsräte kann potenziell unseren Schichtplan jede Woche blockieren, um irgendeine andere Sache durchzusetzen.“

Dabei ist es für den Betriebsrat nicht einfach, die Beschäftigten überhaupt zu erreichen. Es gibt nur einen anonymisierten E-Mail-Verteiler des Arbeitgebers. Der Betriebsrat weiß nicht, wer seine E-Mails liest, und er kann auch nicht gezielt einzelne Gruppen ansprechen. Deshalb werden die Betriebsratsmitglieder in den kommenden Wochen wieder viel unterwegs sein und Beschäftigte vor häufig angefahrenen Restaurants ansprechen.

Betriebsrat Yalcin rechnet bei der anstehenden Wahl im Frühjahr mit Gegenwind. Aber er ist gut vorbereitet: "Der Arbeitgeber wird wieder versuchen, uns loszuwerden, und eine Liste mit eigenen Kandidaten aufstellen“, sagt Semih Yalcin. „Wir werden gegen jeden Versuch, die Wahl zu behindern, klagen.“ Yalcin schreibt an seiner Masterarbeit in Wirtschaftsgeschichte. Er könnte auch woanders arbeiten, aber im Moment möchte er bleiben. „Ich will nicht, dass der Arbeitgeber mit seinen Methoden durchkommt“, sagt er. „Die Plattformökonomie ist ein Testfeld.“

Viele gehen weg, wenn es nicht passt

In vielen jungen Unternehmen der Plattformökonomie prägen Gründer mit einem übergroßen Ego die Kultur. Sonst wären sich die Fälle nicht so ähnlich. Auch beim Lieferdienst Gorillas, der seit 2020 am Start ist und frische Lebensmittel in zehn Minuten verspricht, fiel der Gründer Kağan Sümer durch schrille Töne auf. Im Juni 2021 zitierte das Magazin Vice aus einer vertraulichen Slack-Nachricht im Zusammenhang mit einer Betriebsratsgründung: „Wer mich auch nur ein bisschen kennt, [der weiß], dass ich eher sterben würde, um meine Werte zu schützen, als zu deeskalieren.“

Oliver Hauser, beim Verdi-Landesbezirk Berlin/Brandenburg unter anderem zuständig für Finanzdienste, Kommunikation und Technologie, hat von Firmengründern kein positives Bild. „Das sind reiche Kinder, die mit Geld spielen, das ihnen nicht gehört. Wenn das funktioniert, fühlen sie sich groß und mächtig. Wenn nicht, suchen sie sich einfach einen neuen Job.“

Hauser ist auch Unternehmensbetreuer für die Direktbank N26 , ein Start-up, das das Bankgeschäft auf eine Smartphone-App reduziert und mit großem Werbebudget vermarktet. Die 2013 in Berlin gegründete Direktbank richtet sich vor allem an junge Kunden, die das Konto in Minuten eröffnen und die Ausgaben sogleich in  Kategorien klassifizieren. Auch hier gab es gerichtliche Auseinandersetzungen um die Wahl eines Betriebsrats. Die N26-Gründer Valentin Stalf und MaximilianTayenthal nennt der Gewerkschafter Hauser „menschlich schwierig“ und erzählt gleich eine Geschichte dazu: „Einer von den beiden hat sich eine Klimaanlage ins Büro gestellt und die warme Abluft ins Großraumbüro geleitet. Ich finde, das sagt eine Menge über einen Menschen aus.“

In so einem Betriebsklima ist wenig Platz für Mitbestimmung: „In Start-ups“, sagt Hauser, „gibt es Leute im mittleren Management, die Privilegien haben, weil sie lange da sind oder mit den richtigen Leuten rumkumpeln. Dazu kommt eine strikte Wettbewerbsideologie. Solche Leute schießen dann ganz stark gegen Betriebsräte –wahrscheinlich aus Angst, dass sie nicht mehr ihre Kumpels einstellen können oder die nächste Beförderung nicht bekommen.“

Heute, fast ein Jahrzehnt nach der Gründung des Unternehmens, gibt es bei N26 gewählte Betriebsräte. „Sie machen ihre Arbeit gut, trotzdem es ihnen nicht gerade leicht gemacht wird“, sagt Hauser. Dazu kämen weitere Schwierigkeiten – etwa die hohe Fluktuation im Topmanagement und die Sprachbarriere, weil viele Informationen nur auf Deutsch verfügbar sind. Wegen der bunt zusammengewürftelten Truppe ist die Arbeitssprache beim Betriebsrat Englisch.

„Deckmantel familiärer Atmosphäre“

HSI-Direktorin Johanna Wenckebach über Start-up-Kulturen, Betriebsratsbehinderung und die Pläne der Ampelkoalition.

Stimmt der Eindruck, dass kleinere Unternehmen und Start-ups Betriebsräte häufiger verhindern?
Insbesondere in Start-ups wird versucht, die harten Interessengegensätze der Arbeitswelt unter dem Deckmantel einer familiären Atmosphäre zu verbergen. Aber so etwas kommt auch in Großbetrieben vor. Offenbar geht es um Betriebe, in denen die Mentalität der Unternehmensführung, „Herr im Hause“ sein zu wollen, besonders ausgeprägt ist.

Die neue Bundesregierung will die Behinderung von Betriebsräten und Betriebsratswahlen zum Offizialdelikt machen. Was bedeutet das?
Bei einem Offizialdelikt muss die Staatsanwaltschaft aktiv werden, sobald sie Kenntnis davon bekommt. Das heißt, jeder kann die Behinderung eines Betriebsrats anzeigen – Nichtregierungsorganisationen und Gewerkschaften.

Was verändert sich dadurch?
Betriebsratsbehinderung ist bereits eine Straftat. Bislang handelt es sich um ein Antragsdelikt. Die Staatsanwaltschaft kann es nur auf Antrag derjenigen verfolgen, deren Rechte betroffen sind. Das sind aber in der Regel Menschen, die schon wahnsinnig unter Druck stehen. Bei einem Offizialdelikt müsste anders bestraft werden. Heute kommen Arbeitgeber, wenn sie überhaupt zur Rechenschaft gezogen werden, meist mit Geldstrafen davon. Das Gesetz sieht bisher höchstens eine Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr vor. Das schreckt weniger ab und führt dazu, dass Straftaten eher als Kavaliersdelikt wahrgenommen und mit weniger Aufwand verfolgt werden.

Wie oft behindern Arbeitgeber Betriebsräte?
Da geht es uns wie bei aller Kriminalität: Sie spielt sich im Dunkeln ab. Es gibt keine genauen Daten und nur wenige vor Gericht entschiedene Fälle. Rechtlich bewegt sich auch vieles im Graubereich. Arbeitgeber spionieren Betriebsratsgründer aus, setzen sie mit Kündigungen oder ausgedachten Personalthemen unter Druck und verbreiten gezielt falsche Informationen in den Medien. Es werden spezialisierte Kanzleien und sogar Privatdetektive eingesetzt. Aktive sollen zermürbt oder rausgeschmissen werden. Wir hoffen, dass es als Offizialdelikt auch systematischer erfasst wird, wer mit welchen Methoden Betriebsräte und Mitbestimmung verhindert.

Braucht es dazu auch geschulte Juristen?
Das muss auf jeden Fall eine Konsequenz sein, wenn die Gesetzesänderung kommt. Die Gewerkschaften fordern zudem seit Langem die Einrichtung von Schwerpunktstaatsanwaltschaften. Das ist allerdings Sache der Länder. In Berlin ist laut Koalitionsvertrag bereits eine Schwerpunktstaatsanwaltschaft vorgesehen.

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