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Magazin Mitbestimmung

: Reform über Gebühr?

Ausgabe 04/2005

Das Bundesverfassungsgericht hat im Januar das Verbot von Studiengebühren gekippt. Formell hat es zwar nur die Zuständigkeit des Bundes verneint und die Eigenverantwortung der Länder gestärkt. Aber die Urteilsbegründung bezeichnet Eckpunkte für ein künftiges Bezahl-Studium.

Hermann Horstkotte
Dr. Horstkotte ist Privatdozent an der RWTH Aachen und arbeitet als freier Journalist über bildungspolitische Themen.
nc-horstkhe@netcologne.de

Die Karlsruher Richter stellen klar: "Das Ziel, möglichst breiten Kreisen der Bevölkerung den Zugang zum Hochschulstudium zu eröffnen, erfordert eine bundeseinheitliche Regelung nicht." Die verfassungsmäßig gebotene Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse in ganz Deutschland gerate durch Studiengebühren in der jetzt diskutierten Höhe von 1000 Euro im Jahr nicht ins Ungleichgewicht. Gebühren böten vielmehr die Möglichkeit, "die Qualität der Hochschulen und eine wertbewusste Inanspruchnahme ihrer Leistungen zu fördern und auf diese Weise auch Ziele der Gesamtwirtschaft zu verfolgen."

Im Klartext: Einfach drauflos studieren, weil's nichts kostet, ist Verschwendung und vor dem Geldgeber, also dem Steuerzahler, nicht zu verantworten. Die Länder müssen bei der Einführung von Gebühren allerdings das Verfassungsgebot gleicher Bildungschancen für alle beachten und "den Belangen einkommensschwacher Bevölkerungskreise angemessen Rechnung tragen."

Studieren, ohne dafür Gebühren bezahlen zu müssen - das ist eine 35 Jahre alte soziale Errungenschaft. 1970 wurde das "Hörergeld" von rund 150 Mark pro Semester bundesweit abgeschafft. Verglichen mit den heutigen Bruttotariflöhnen etwa in der Elektroindustrie, entsprach das einer Belastung von 300 Euro. Sie fiel im Namen der "Gleichheit der Bildungschancen". Dieser diente zugleich das 1971 eingeführte Studenten-BAfög.

Der Förderhöchstsatz liegt heute bei 585 Euro im Monat und ist nicht von Leistungsnachweisen abhängig. Der Betrag entspricht ungefähr dem Gehalt, das die Azubis der neuen IT-Berufen im zweiten Lehrjahr bekommen. Bis zu 350 Euro im Monat können die Hochschüler noch dazu verdienen, ohne ihren Bafög-Anspruch zu vermindern. Über den Studentenausweis haben sie zudem geldwerte Vorteile bei Bahn und Bus, beim Mensaessen, bei Sport- und Kulturveranstaltungen. Unter diesen Umständen hat sich die Zahl der Studierenden seit Mitte der 70er Jahre von einer halben auf fast zwei Millionen annähernd vervierfacht.

Jetzt wollen die unionsgeführten Bundesländer mit Unterstützung der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) wieder zu Gebühren zurück - und damit Elemente von Selbstbeteiligung bei der Inanspruchnahme eines Studienplatzes einführen, wie sie in den meisten Partnerstaaten des gemeinsamen europäischen Hochschulraums, beispielsweise in Großbritannien, den Niederlanden und Österreich, Italien und Spanien immer schon oder bereits seit einigen Jahren üblich sind.

HRK-Präsident Peter Gaehtgens rechnet langfristig mit einem Mehr von höchstens zehn Prozent für die Hochschuletats. Die umfassen derzeit jährlich insgesamt rund 30 Milliarden Euro. Der bayerische Wissenschaftsminister Thomas Goppel (CSU) geht zunächst von einem Sahnehäubchen von sieben Prozent aus. Keiner der Befürworter von Studiengebühren glaubt, damit die von den Rektoren oft beschworene "Unterfinanzierung" der staatlichen Hochschulen ausgleichen zu können.

Der springende bildungspolitische Punkt bei den Gebühren ist vielmehr, dass die Studierenden selber entscheiden, welcher Uni oder FH - oder sogar welchem Fachbereich ihrer Hochschule - der Geldbeitrag zugute kommen soll. Sie fördern so den Wettbewerb unter den Bildungsanbietern und damit die Qualität der Lehre. Die würde jedenfalls viel stärker von der Nachfrage der Bildungserwerber geprägt und entsprechend weniger von den marktblinden Steckenpferden der Dozenten. Mit (zunächst) beabsichtigten knapp 80 Euro im Monat bringt sich der Student spürbar ins Spiel.

Seit die Tür zur Gebühr offen steht, scheinen jahrelang dagegengestemmte Argumente nur noch Geschichte. Ausgerechnet Bundesministerin Edelgard Bulmahn (SPD), die Mutter des Gebührenverbots, hat sich rasch in die Rolle der bloßen moralischen Mahnerin eingefunden. So erklärte sie im März vor der Deutschen Physikalischen Gesellschaft ganz im Sinne des Karlsruher Urteils: "Die Bundesländer, die jetzt die Einführung von Gebühren planen, stehen in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass keine neuen sozialen Barrieren entstehen." Ein Indiz, dass sich die Bundesländer damit allerdings recht schwer tun, zeigt die relative Stille im Unionslager seit dem ersten Jubel über das Karlsruher Urteil.

Der Mittelstandsbauch grummelt

Die Bundesministerin will nicht zulassen, dass junge Menschen aus ärmeren Familien aus Angst vor einem "Riesen-Schuldenberg" vom Studium abgeschreckt werden. Was meint sie? Ein Kfz-Meister, verheiratet, ein Kind, Monatseinkommen knapp unter 3000 brutto, braucht sich um die Haushaltskasse keine Sorgen zu machen, wenn die Tochter oder der Sohn studieren will. Er oder sie bekommt den BAfög-Höchstsatz von heute 585 Euro. Selbst ein Ingenieurehepaar mit vier studierenden Kindern und einem Nettomonatseinkommen von 5000 Euro nach allen Steuern und Vorsorgeaufwendungen ist noch "BAfög-fähig", pro Kopf monatlich 135 Euro plus insgesamt 640 Euro Kindergeld. Die BAfög-Förderung reicht weit in die Mittel- und Oberschicht hinein.

Erst wirklich "besserverdienende" Familien müssen für ihren studierenden Nachwuchs anteilig aufkommen. Und aus diesen Kreisen stammen die Kinder, die dann sagen: "Wir müssen jobben!" Aber nur deshalb, weil die Rabeneltern rechtswidrig nicht das Nötige zahlen. Im Prinzip tritt der Staat für Betroffene in Vorlage und holt sich das Geld bei Vater und Mutter zurück. Aber die wenigsten wollen es darauf ankommen lassen.

Vor diesem Hintergrund erweist sich die immerwährende politische Auseinandersetzung um die Studienfinanzierung, zugespitzt im überholten Gebührenverbot, nicht als Problem der sozialen Unterschichten, sondern der Mittel- und Oberklasse, die die Emanzipation der "Ärmeren" und "Bildungsferneren" als politisches Totschlagargument für sich einspannen.

Der Bildungspolitiker Christoph Ehmann (SPD) sagt das schon seit Jahr und Tag - und findet dafür gerade in der gesellschaftlichen "Mitte" und bei deren Interessenvertretern wenig Gehör. Gleichwohl steht er mit seiner wissenschaftlich untermauerten Auffassung nicht allein, sondern berührt sich in seinen Erkenntnissen beispielsweise mit Hans-Peter Klös und Reinhold Weiß vom (arbeitgebernahen) Institut der deutschen Wirtschaft.

Schreckgespenst Schuldenfalle

BAfög-Leistungen müssen im späteren Berufsleben zur Hälfte in einkommensabhängigen Raten ohne Zinszuschlag zurückbezahlt werden, höchstens aber bis zu 10 000 Euro. Den Elternanteil können die Studierenden unentgeltlich verbrauchen. Zu den BAfög-Schulden, die gegenwärtig jeder vierte Student macht, kommen künftig noch die Studiengebühren, zunächst bis zu 4000 Euro für Fachhochschüler und 1000 mehr für Uniabsolventen in der normalen Ausbildungszeit.

Daraus erwächst bei einer Tilgungsdauer von 25 Jahren eine monatliche Belastung von deutlich weniger als 100 Euro. Dieser Betrag muss niemanden vom Studium abschrecken. Diese Rechenbeispiele sind freilich an die Voraussetzung geknüpft, dass die Studiengebühren nicht - wie teilweise befürchtet - rasch steigen und dass der Bund sich nicht aus der Studienfinanzierung zurückzieht bzw. BAfög nur noch als Volldarlehen gewährt wird.

Gebührenkritiker verweisen gern auf das Abschreckungsbeispiel Österreich. Dort liegen die Studiengebühren seit 2001 bei 730 Euro im Jahr. Prompt sank die Zahl der Erstanmeldungen um 15 Prozent. "Und das, obwohl die wirklich armen Studierenden in Österreich keine Gebühren zahlen", erläutert der Kasseler Wirtschaftsrechtler Bernhard Nagel. "Es trifft also die untere Mittelschicht. Erheblich höhere und in der Spitze sogar extreme Studiengebühren in den USA haben nicht so abschreckend gewirkt."

Gleichwohl: Mit andauerndem Gewöhnungseffekt lässt der Abschreckungseffekt allemal nach, inzwischen auch wieder bei den österreichischen Studieninteressenten. Wer sich von der Hochschulbildung wirklich etwas verspricht, dem wird vielmehr deutlicher bewusst, dass sie ein kostbares Gut ist, "für das man sogar das neue Familienauto oder den Zweiturlaub vertagen kann".

Das sagte der nordrhein-westfälische Wissenschaftsstaatssekretär Hartmut Krebs (SPD) schon bei der Einführung von Gebühren für Langzeitstudenten. Er verwies auf entsprechenden Familiengeist in England, den USA, Asien und Australien - Ländern also, aus denen die Mitbewerber auf den globalisierten Akademikerarbeitsmärkten kommen.

Stipendien für die Leistungsfähigen

Leistung muss sich lohnen, auch im Studium und in der Gebührenfrage. Gebühren und Stipendien für die Tüchtigen gehören gerade in den USA immer zusammen. Ein lehrreiches Beispiel gibt jetzt auch die Montanuniversität Leoben in Österreich. Dort wuchs mit den Studiengebühren der Andrang Studierwilliger um ein Drittel, weil die Wirtschaft die Kosten nahezu zur Gänze mit Sponsoring-Programmen finanzierte. Der Gesetzgeber könnte dazu auch hierzulande ermuntern.

HRK-Präsident Gaehtgens erklärte gegenüber dieser Zeitschrift: "Bislang spielen Stipendien in Deutschland eine vergleichsweise geringe Rolle. Schon jetzt wären mehr Angebote als Leistungsanreiz und zur Verkürzung der Studienzeiten wünschenswert. Dabei können attraktive Stipendienangebote durchaus als Argument bei der Werbung um begabte und motivierte Studierende genutzt werden." Die Hans-Böckler-Stiftung als Begabtenförderungswerk geht da bereits mit gutem Beispiel voran.

Bewegung entsteht nur auf Druck, besagt ein einfaches physikalisches Gesetz. Auch Studiengebühren machen Druck: auf die Ausbildungsangebote, die Studiendauer, die Studienleistung. Das könnte Innovationen im deutschen Bildungssystem auslösen, die im internationalen Wettbewerb nicht schaden können.

Nach der Karlsruher Entscheidung
- Zum Urteil des höchsten deutschen Gerichts
über www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/
über www.studentenwerke.de
über www.bafoeg.bmbf.de
- Stipendien
Deutschlands größte Stipendiendatenbank, mit 600 Programmen von mehr als 400 Gebern: über www.e-fellows.net
www.begabtenfoerderungswerke.de
- Studienkredite
www.bildungskredit.de
www.bildungsfonds.de (für Studierende in Berlin und den neuen Ländern)
über www.kfw.de (Informationen zum neuen Studienkredit der Kreditanstalt für den Wiederaufbau KfW)

Zum Weiterlesen

Bernhard Nagel, Roman Jaich: Bildungsfinanzierung in Deutschland. 2. überarbeitete Auflage. Baden-Baden, Nomos 2004.
Christoph Ehmann: Bildungsfinanzierung und soziale Gerechtigkeit. Vom Kindergarten bis zur Weiterbildung. 2. Auflage. Bielefeld, Verlag Bertelsmann 2003.
Hans-Peter Klös, Reinhold Weiß (Hrsg.): Bildungs-Benchmarking Deutschland. Was macht ein effizientes Bildungssystem aus? Köln, Deutscher Instituts-Verlag 2003.

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