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Magazin Mitbestimmung

Von JOACHIM F. TORNAU: Premiere: Erster grüner Gewerkschaftstag

Ausgabe 12/2016

Thema Beim ersten grünen Betriebsräte- und Gewerkschaftstag waren sich Grüne und DGB vielfach einig: Mehr Betriebsräte braucht das Land. Dazu auch ein Interview mit Beate Müller-Gemmeke.

Von JOACHIM F. TORNAU

Im Paul-Löbe-Haus in Berlin, das im Corporate Design der Grünen dekoriert ist, sind heute Geschichten zu hören wie in einem Gewerkschaftshaus. Geschichten aus dem Alltag von Betriebsräten. Einer erzählt, wie Detektive ihn überwachten – angeheuert von seinem Chef, der ihm nicht glaubte, dass er krank war. Ein zweiter berichtet von „Kulturräten“ und „Resonanzgruppen“, die der Arbeitgeber ins Leben gerufen hat – als Konkurrenz zum Betriebsrat. Und der dritte, dass die Firmenleitung ganze Betriebe zerschlägt, nur um engagierte Arbeitnehmervertreter loszuwerden.

Solche alltäglichen Behinderungen von Betriebsräten waren eines der vier Leitthemen, die die grüne Bundestagsfraktion auf das Programm ihres ersten „Betriebsräte- und Gewerkschaftstags“ am 9. Dezember 2016 in Berlin gesetzt hatte – neben Zeitsouveränität, flexiblen Rentenübergängen und den Herausforderungen der Digitalisierung. Alles Themen, zu denen die Grünen in dieser Legislaturperiode Anträge im Bundestag gestellt haben.

Rund 80 Teilnehmer – überwiegend Betriebsratsmitglieder sowie Vertreter von DGB-Gewerkschaften und Spartenorganisationen, viele von ihnen mit grünem Parteibuch – waren zu der Fachtagung gekommen. Das war etwas weniger, als sich die Veranstalter erhofft hatten. „Wir wollen Bausteine einer fairen und nachhaltigen Arbeitswelt diskutieren, die einer Spaltung der Gesellschaft entgegenwirken“, erklärte Kerstin Andreae, Vize-Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion. „Gute Arbeit für alle muss das oberste Ziel sein.“

Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für „ArbeitnehmerInnenrechte“ der Fraktion, erklärte: „Wir wollen zuhören und unsere Vorstellungen von fairer Arbeitswelt zur Diskussion stellen.“ Warum gibt es gerade jetzt einen grünen Betriebsrätetag? Es dürfte kein Zufall sein, dass sich die Grünen damit kurz vor dem Jahr der Bundestagswahl auf dem Gebiet der Arbeitsmarktpolitik profilieren wollen. Schließlich gilt dieses Themenfeld in der öffentlichen Wahrnehmung nicht unbedingt als ihre größte Stärke.

INTERVIEW: „BEI UNS LIEGT PARTIZIPATION IN DEN GENEN“

Beate Müller-Gemmeke, Sprecherin für Arbeitnehmerrechte der Grünen im Bundestag, will betriebliche und unternehmerische Mitbestimmung stärken – und würde dafür auch in einer möglichen schwarz-grünen Koalition streiten.

Frau Müller-Gemmeke, wenn man sich anschaut, welche Bundestagsfraktionen in den vergangenen Jahren Initiativen zur Stärkung der Mitbestimmung gestartet haben, dann  stößt man vor allem auf die Linke und – vor der großen Koalition – auf die SPD. Von den Grünen gab es 2014 den ersten Antrag. Haben Sie das Thema spät entdeckt?

Seit ich im Bundestag bin, spielt alles, was mit Tarifautonomie, Koalitionsfreiheit und Sozialpartnerschaft zu tun hat, eine große Rolle für mich. Und dazu gehört natürlich auch die Mitbestimmung. Ich halte das Betriebsverfassungsgesetz für ein sehr gutes Gesetz – nicht zuletzt, weil es so eindeutig die Haltung des Gesetzgebers zeigt. Es steht ja nicht drin: Betriebsräte „sollen“ oder „können“ gewählt werden. Sondern: „Betriebsräte werden gewählt“. Doch als im Jahr 2014 die Studie der Otto-Brenner-Stiftung zu „Union-Busting“ und der Bekämpfung von Betriebsräten erschien, wurde deutlich: Es reicht nicht mehr aus, die Mitbestimmung nur zu unterstützen und ihre Wichtigkeit deutlich zu machen, sondern wir brauchen auch Änderungen am Betriebsverfassungsgesetz.

Was halten Sie von der Wahrnehmung, dass alles, was mit Betrieb und Arbeitswelt zusammenhängt, nicht unbedingt zu den grünen Kernkompetenzen gehört.

Das ist ein Vorurteil. Man schaut bei uns Grünen offenbar mehr auf die Ökologie und übersieht, dass wir auch in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik einiges zu bieten haben. Außerdem liegen uns Partizipation und gelebte Demokratie in den Genen. Da versteht es sich doch von selbst, dass wir uns auch mit der Mitbestimmung beschäftigen.

Ihr Antrag im Bundestag konzentrierte sich auf eine Ausweitung des vereinfachten Wahlverfahrens und einen besseren Schutz von Beschäftigten, die einen Betriebsrat gründen wollen. In einem parallel verhandelten Antrag griff die Linke weitere Forderungen des DGB auf. Warum diese Zurückhaltung?

Ich habe die Debatte eröffnet und wollte den Regierungsfraktionen die Ablehnung mit moderaten und zielgerichteten Vorschlägen möglichst schwer machen. Es wird ja von allen Parteien gerne das hohe Lied der Mitbestimmung gesungen. Aber wenn es um konkrete Maßnahmen geht, bleibt es bei schönen  Worten. Außerdem muss ich widersprechen: In zwei Punkten war unser Antrag gar nicht so ohne. Zum einen: Sachgrundlos befristete Beschäftigte, die in den Betriebsrat gewählt werden, sollen entfristet werden. Zum anderen: Wenn Beschäftigte einen Betriebsrat gründen möchten, sind sie in der allerersten Phase besonders gefährdet. Wir schlagen deshalb vor, dass sie sich geheim bei einer neutralen Stelle melden können und bereits dann unter dem Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes stehen. Diese kreative Lösungsidee hatte ich aus einer Petition; das hatte bis dahin keine Gewerkschaft und keine Fraktion gefordert.

Im November 2016 hatten Sie sich in einem weiteren Antrag für die Unternehmensmitbestimmung stark gemacht. Was wollen Sie erreichen?

Die Hans-Böckler-Stiftung hatte Anfang des Jahres Zahlen vorgelegt, wie viele Unternehmen sich in Deutschland über rechtliche Schlupflöcher der Mitbestimmung im Aufsichtsrat entziehen. Es hat mich sehr irritiert, als ich hörte, dass 800.000 Beschäftigte auf diese Weise um ihre Rechte gebracht werden. Bis dahin dachte ich, die Unternehmensmitbestimmung funktioniert einigermaßen. Ich habe dann eine kleine Anfrage im Bundestag gestellt – und selten so wenig Antworten bekommen. Daraufhin haben wir uns hier in meinem Büro sehr eingehend mit dem Problem beschäftigt und festgestellt: Es braucht dringend Korrekturen, damit die Unternehmensmitbestimmung wirklich für alle Unternehmen greift, die die entsprechende Größenordnung haben.

Sie verlangen, dass die Mitbestimmungsgesetze auch für Unternehmen mit ausländischer Rechtsform sowie für Stiftungskonstruktionen à la Aldi oder Lidl gelten. Und Unternehmen, die gegen die Vorschriften verstoßen, sollen nicht länger straflos bleiben. Wir freuen uns natürlich, dass sich Ihr Forderungskatalog zu 100 Prozent mit dem des DGB deckt.

Bei dem Antrag haben wir eng mit der Hans-Böckler-Stiftung zusammengearbeitet. Sie haben die Expertise. Mein Anliegen ist, sinnvolle Vorschläge in die politische Diskussion einzuspeisen.  Nach innen formuliere ich für uns Grüne damit Positionen. Nach außen geht es mir darum, das Thema politisch zu setzen und Öffentlichkeit zu schaffen. Denn ich weiß natürlich, dass Oppositionsanträge im Bundestag abgelehnt werden.

Ihr Antrag im Bundestag für mehr Schutz für Betriebsratsgründer stieß bei CDU und CSU auf klare Ablehnung. Müssen Sie bei einer schwarz-grünen Koalition nach der Bundestagswahl, die Ihre Partei ja nicht ausschließt, Ihre mitbestimmungspolitischen Ziele begraben?

Ich werde das Thema Mitbestimmung auf jeden Fall in mögliche Koalitionsverhandlungen hineintragen, ob mit den Schwarz-Schwarzen oder den Rot-Roten. Und ich finde: Mit unseren moderaten Vorschlägen können wir gut argumentieren. Übrigens hat die Union bei unserem Antrag gar nicht inhaltlich dagegen geredet, sondern nur formal. Ich musste schon ein bisschen grinsen, weil eigentlich jeder gesagt hat: Das geht in die richtige Richtung. Auch höre ich aus der CDU Stimmen, dass es nicht angehe, wenn Unternehmen aus der Unternehmensmitbestimmung ausscheren. Aber wie die Verhandlungen letztlich ablaufen werden, kann ich heute natürlich noch nicht sagen.

Taugt Mitbestimmung als Wahlkampfthema bei der Bundestagswahl?

Es wird sicher nicht das Topthema, das wir auf ein Plakat drucken können. Aber im Wahlkampf werde ich das immer wieder einbringen.

Auf dem grünen Betriebsräte- und Gewerkschaftstag nutzten viele Betriebsratsmitglieder bei einem Forum mit dem programmatischen Titel „Mehr Betriebsräte braucht das Land“ die Gelegenheit, von ihren praktischen Erfahrungen zu berichten – und daran Forderungen anzuknüpfen: nach mehr Freistellungen etwa, nach härteren Strafen bei Betriebsratsbehinderungen oder nach mehr Schutz für Arbeitnehmer, die erstmals einen Betriebsrat gründen wollen.

Für letzteres trat auch Verena zu Dohna-Jaeger ein. Die Juristin, die beim IG-Metall-Vorstand für Betriebs- und Mitbestimmungspolitik zuständig ist, erklärte, Betriebsratsgründungen müssten „besser geschützt werden“ – ein Anliegen, das sich die Grünen bereits zu eigen gemacht haben. In einem Antrag hatten sie vorgeschlagen, dass Beschäftigte schon unter dem Schutz des Betriebsverfassungsgesetzes stehen sollen, wenn sie ihr Ziel einer Betriebsratsgründung im Geheimen bei einer unabhängigen Stelle kundgetan haben. Dieser war Anfang Dezember jedoch vom Bundestag abgelehnt worden.

Auf die Veränderungen durch die Digitalisierung angesprochen, warb Stefan Sell, Direktor des Instituts für Sozialpolitik und Arbeitsmarktforschung der Hochschule Koblenz, dafür einen kühlen Kopf zu bewahren – trotz medial befeuerter Szenarien von massenhaften Arbeitsplatzverlusten: „Lassen Sie sich bloß nicht von dieser Debatte ins Bockshorn jagen“, appellierte der Wissenschaftler. Es sei schließlich nicht das erste Mal, dass auf diese Weise eine Untergangsstimmung geschürt werde. Als Beleg zitierte Sell eine scheinbar aktuelle Ausgabe des Nachrichtenmagazins der Spiegel. Titel: „Die Computer-Revolution. Fortschritt macht arbeitslos“. Sie stammte aus dem Jahr 1978.

DGB-Vorsitzender Reiner Hoffmann warb für gewerkschaftliche Kernanliegen und für technologische Offenheit: „Wir dürfen bei den technologischen Veränderungen nicht mehr wie in den 1970er-Jahren wie das Kaninchen vor der Schlange sitzen“, sagte er.

Fotos: Bündnis 90/Die Grünen; Stefan Kaminski

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