zurück
Magazin Mitbestimmung

: Nicht mehr verkaufen um jeden Preis

Ausgabe 05/2010

BANKEN ver.di geht es in der neuen Tarifrunde für den Bankensektor nicht nur ums Geld. Es sollen auch Vertriebspraktiken angeprangert werden, die Kunden Bares und Verkäufer den Schlaf kosten.

Von JOST MAURIN, Journalist in Berlin/Foto: Alexander Paul Eglert

Es sind regelrechte Hilferufe, die sich da im Internet lesen lassen: "Ich fühle mich ständig überfordert und habe Schlafstörungen", klagt der Kundenberater eines Kreditinstituts. "Macht endlich Schluss mit unrealistischen Zielvorgaben!", schreibt ein anderer, "Schluss mit Aktionen, bei denen die doppelte oder dreifache Zielerreichung gefordert wird. Wann stehen endlich wieder der Kunde und der kundenorientierte Mitarbeiter im Vordergrund?" Tausende solcher Kommentare hat die Gewerkschaft ver.di seit Ende 2009 bei einer Umfrage gesammelt. Daran haben sich nach Angaben der Organisation mehr als 5000 Berater in deutschen Banken und Sparkassen beteiligt.

Die Zitate, die man auf der Website http://www.verkaufsdruckneindanke.de/ nachlesen kann, zeichnen teilweise ein erschreckendes Bild von den Arbeitsbedingungen in den Banken. Es ist eine Sicht von unten nach oben auf die Gier der Großen, die Sicht der Mitarbeiter, die Produkte verkaufen müssen, von denen sie nicht immer überzeugt sind. Doch es finden sich auch andere Stimmen. So schreibt ein Berater : "Ich seh's mal von der anderen Seite: Ohne Zielvorgaben kann eine Firma in Zeiten von scharfem Wettbewerb kaum überleben. Wie sehen die Strategien von ver.di dazu aus? Arbeitsplatzabbau oder Gehaltsverzicht? Oder wird über Qualität mehr verkauft?"

Die Antwort von ver.di ist, die Vertriebspraxis und die Gesundheit in der aktuellen Tarifrunde offensiv zum Thema zu machen. Denn Arbeitnehmervertreter von Banken und Sparkassen bestätigen, dass der Erfolgsdruck, dem die Beschäftigten ausgesetzt sind, zugenommen hat. Zum Beispiel Tim Weidner von der HypoVereinsbank: "Die Zahl der gesundheitlichen Probleme geht bei uns stressbedingt nach oben", sagt der Betriebsrat. Er berichtet, sogar junge Kollegen im Alter von 25 bis 30 Jahren würden über Monate ausfallen. "Die Leute denken ständig an die Arbeit, viele leiden unter Bluthochdruck und brauchen Medikamente, um sich zu beruhigen", erklärt Weidner. Er kenne sogar Banker, die im Dienst umgekippt sind. "Die Anforderungen bei uns sind zu hoch", bestätigt auch der Betriebsratsvorsitzende einer großen deutschen Bank, der anonym bleiben möchte.

Eine typische Vorgabe, so der Arbeitnehmervertreter, laute: Ein vierköpfiges Team muss im Jahr Bausparverträge verkaufen, die insgesamt mindestens 20.000 Euro Provision einbringen. "Das wird dann auf den einzelnen Kundenberater umgelegt. Wer die Vorgabe nicht schafft, bekommt Druck von oben." Dass die Mitarbeiter die Ziele auch einhalten, dafür sorgt ein ausgeklügeltes Controlling-System. Bei der Sparkasse Dortmund etwa müssen die Kundenberater Vertragsabschlüsse umgehend an den direkten Vorgesetzten melden, wie Personalrat Björn Wißuwa berichtet, der selbst im Vertrieb arbeitet. Jede Woche werden die Quoten ausgewertet. Die Mitarbeiter müssen nachweisen, wie viele Termine mit Kunden sie in der kommenden Woche haben.

MOTIVATIONSSCHREIBEN VOM CHEF_ Zielvorgaben gibt es auch in anderen Branchen. Aber bei Geldhäusern lassen sie sich mit Hilfe von Computersystemen besonders gut quantifizieren. Das ermöglicht eine genaue Überwachung der "Performance", wie es im Betriebswirtschafts-Jargon heißt. Wenn die Zahlen zu niedrig sind, heizen Führungskräfte ihren Untergebenen auch schon mal mit sogenannten "Motivationsschreiben" ein. Die lesen sich wie das folgende, noch vergleichsweise harmlose Beispiel: "Liebe Kollegen, die letzten vier Wochen waren vertrieblich leider sehr schwach und nicht ausreichend, um eine tragbare Performance für unsere Filiale zu erzielen. Diese Woche kann es nur eine erfolgreiche Woche für unsere Filiale geben. Ich erwarte, dass jeder (!!!) Einzelne dazu seinen Beitrag leistet! Wer bis Mittwochnachmittag nicht mindestens 70 Prozent seines Wochenziels eingetütet hat, sollte am Mittwoch die Zeit ab 16 bis 18, 19 Uhr für eine ausgiebige Telefonie nutzen. … Euer Chef".

In der nächsten Eskalationsstufe setzt es Einzelgespräche, die den Druck auf den Mitarbeiter weiter erhöhen sollen. Bei den meisten Privatbanken ist der aber ohnehin schon sehr hoch, weil die Kundenberater auch über Provisionen und Boni bezahlt werden. Wer die Verkaufsziele nicht erfüllt, bekommt weniger Lohn. Das wäre alles nicht so problematisch, wenn die Ziele realistisch wären. Doch die Zahl der zu verkaufenden Fondsanteile, Bausparverträge oder Zertifikate ist in vielen Banken trotz der Wirtschafts- und Finanzkrise nicht gesunken. "Bei uns sind die Ziele im Großen und Ganzen genauso hoch", sagt Betriebsrat Weidner von der HypoVereinsbank.

Ein anderes Institut erhöht die Norm sogar grundsätzlich jedes Jahr. Den Chefs ist es offensichtlich egal, dass die Kunden wegen der Krise weniger Geld investieren. Der Dortmunder Personalrat Wißuwa berichtet, er müsse trotz der schlechten Konjunktur dieses Jahr das Vermögen, das er für Kunden verwaltet, um zwei Prozent steigern. Das klingt moderat, doch die Zinsen sind im Keller, und viele Kunden halten ihr Geld zurück. "Deswegen sind die Berater wesentlich gestresster als vor der Finanz- und Wirtschaftskrise", sagt ein Arbeitnehmervertreter.

Manchmal müssen die Betriebsräte Kollegen vor deren eigenem Ehrgeiz schützen. Zum Beispiel, wenn Berater Kundenveranstaltungen außerhalb der regulären Bürozeiten - etwa abends oder am Wochenende - planen. Solchen Terminen muss der Betriebsrat zustimmen. "Die Kollegen kommen dann zu uns und sagen: Werft uns da bloß keine Knüppel zwischen die Beine und genehmigt das. Wir schaffen sonst unsere Ziele nicht", erzählt der Arbeitnehmervertreter der deutschen Großbank. Andere Banker freuen sich nicht mehr auf ihren Urlaub, weil er ihnen Zeit zum Arbeiten nimmt.

DIE STRATEGIE DER GEWERKSCHAFTEN_ Mit einer gemeinsamen Demonstration vor der Frankfurter Zentrale der EZB machten die Finanzgewerkschaften mehrerer EU-Mitgliedstaaten jetzt auf die Situation der Beschäftigten aufmerksam. In einem gemeinsamen Manifest, der Frankfurter Erklärung, vereinen sie Forderungen zur stärkeren Regulierung der Kapitalmärkte mit Forderungen nach Veränderungen am Arbeitsplatz. Sie stellen Zusammenhänge her, wo die Arbeitgeber abwiegeln.

Uwe Foullong, Mitglied im ver.di-Bundesvorstand, ist der Meinung, dass das Vertriebssystem mit der Dominanz von Zielvorgaben die Finanzmarktkrise verschärft hat. Er sagt, die Banken sollten das verloren gegangene Vertrauen bei den Kunden auch dadurch zurückgewinnen, dass sie nun seriöser beraten. Und ein Berater formuliert auf der ver.di-Internetseite: "Jedem ist bekannt, dass schon lange nicht mehr im Interesse des Kunden gehandelt wird, sondern nur die Produkte der Bank auf Teufel komm raus abgesetzt werden müssen. Es verdient keiner, außer der Bank.".

Auch für die Mitarbeiter, die nicht im Vertrieb, sondern zum Beispiel in der Verwaltung arbeiten, sieht es nicht besser aus: "Früher hatte man beides - Kundenkontakt und Büroarbeiten. Jetzt ist das getrennt", sagt Sparkassen-Mitarbeiter Wißuwa. "Da gibt es Arbeitsgänge, die häufig wiederkehrend bis stupide sind." Jörg Reinbrecht, ver.di-Sekretär im Fachbereich Finanzdienstleistungen, spricht von einer "Zerstückelung der Arbeit": "Vorne wird der Kredit verkauft, hinten macht einer Namensänderungen, ein anderer Kontoänderungen, der nächste Zinsänderungen und so weiter."

Der Druck und die Zerstückelung der Arbeit könne sogar krank machen, sagen die Gewerkschaften. ver.di hat das Problem bei der Mitte April begonnenen Tarifrunde für 240.000 Beschäftigte privater und öffentlicher Banken thematisiert. Die Gewerkschaft fordert für jedes Institut die Bildung einer Kommission, die regelmäßig die Gesundheitsrisiken der Arbeitsplätze untersucht. Zudem sollen Maßnahmen festgelegt werden, die die Arbeitssituation verbessern. Die Betriebs- und Personalräte sollen nach den Vorstellungen von ver.di weitreichende Mitbestimmungsrechte bekommen, zum Beispiel wenn es darum geht, über die Personalbemessung zu entscheiden.

Die Arbeitgeber lehnten die Forderungen umgehend ab. "Entscheidungen müssen die treffen, die auch für das Ergebnis verantwortlich sind - also die Geschäftsleitung", sagte Ulrich Sieber, Verhandlungsführer der Banken-Arbeitgeber, nach den ersten Gesprächen in Berlin. Tarifpolitik könne nicht die Geschäftsabläufe regeln. Es gebe bereits gesetzliche Vorgaben, die bei den Themen Vertriebssteuerung und Gesundheitsschutz zu beachten seien. Die würden keinen Raum für tarifliche Ergänzungen lassen.

Überhaupt sehen die Arbeitgeber die Lage nicht so dramatisch wie ver.di. Zwar sei der Anteil psychischer Erkrankungen unter Bankmitarbeitern wie in allen Branchen in den vergangenen Jahren gestiegen, sagt Carsten Rogge-Strang, Geschäftsführer beim Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (AGV). "Aber der Prozentsatz liegt immer noch unter dem gesamtwirtschaftlichen Durchschnitt." Die Branche verzeichne pro Jahr 1,22 Arbeitsunfähigkeitstage durch psychische Störungen je versichertem Pflichtmitglied der Betriebskrankenkassen (BKK). Der Durchschitt liege laut BKK bei 1,35 Tage.

Dass die Zielvorgaben für Vertriebsmitarbeiter unseriöse Beratungen förderten, weist der AGV zurück. Schließlich bezögen die Commerzbank und andere Geldhäuser mittlerweile die Kundenzufriedenheit in die Vergütung ein. Bedeutet: Nur wer von seinen Kunden in einer Befragung gute Noten bekommt, erhält einen bestimmten Bonus. "Das erhöht ja noch den Druck auf den Kundenberater", kontert ver.di-Bundesvorstand Foullong. Die Kundenzufriedenheit sei eine Marginalie des Vergütungssystems. "Kern sind die Zielvorgaben." Er wirft den Arbeitgebern "Problemverleugnung" vor. Selbst wenn der Anteil psychischer Erkrankungen unter Bankangestellten im Branchenvergleich niedriger sein sollte, gebe es einen Anstieg - "und gegen den müssen wir etwas unternehmen". Die Praxis, so der Gewerkschafter, habe gezeigt, dass die Gesetze nicht ausreichten. Die Verhandlungen werden am 17. Mai in Frankfurt fortgesetzt.


DOKUMENTATION

Frankfurter Erklärung

Wir fordern von den Arbeitgebern: Schluss mit dem Verkaufsdruck!
1. Keine Verkaufsvorgaben für bestimmte Produkte
2. Schluss mit überzogenen Verkaufsvorgaben
3. Wertschätzung der Arbeit und Teamarbeit statt überzogener und andauernder Kontrolle
4. Mehr Zeit/mehr Personal für gute Beratung
5. Bessere und regelmäßige Qualifizierung der Bankangestellten - für eine qualifizierte Beratung
6. Angemessene, feste Monatsgehälter - das Monatsgehalt darf nicht vom Verkauf von einzelnen Produkten abhängen

Wir fordern von den europäischen Regierungen und der Europäischen Union: Reguliert und
kontrolliert die Finanzmärkte - verhindert die Spekulation!
7. Einführung einer starken nationalen und europäischen Finanzmarktaufsicht für alle, die Finanzdienstleistungen anbieten
8. Strengere Eigenkapitalanforderungen für riskante Geschäfte
9. Verbot von Produkten, die überwiegend der Spekulation dienen und Abwicklung aller Wertpapiergeschäfte über öffentliche Börsen
10. Zulassung von neuen Finanzmarktprodukten durch eine Aufsichtsbehörde
11. Einrichtung einer unabhängigen, öffentlichen Europäischen Ratingagentur
12. Einführung einer Finanztransaktionssteuer

Frankfurt am Main, 16. April 2010


MEHR INFORMATIONEN

http://www.verkaufsdruckneindanke.de/ Wissenswertes zur ver.di-Kampagne im Finanzdienstleistungssektor

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen