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Magazin Mitbestimmung

: Neue Verbindlichkeit

Ausgabe 04/2010

CORPORATE GOVERNANCE Das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts konkretisiert die Überwachungspflichten des Aufsichtsrats. Damit steigen die Anforderungen an die Qualifikation der Mitglieder. Von Arno Prangenberg und Christian Strenger

Arno Prangenberg ist Wirtschaftsprüfer, Christian Strenger ist Mitglied der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex. Beide Autoren sind Mitglieder im Aufsichtsrat der Fraport AG.

Seit dem 29. Mai 2009 ist das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG) in Kraft. Der Gesetzgeber hat damit nicht nur bilanzrechtliche Vorschriften neu gefasst - er hat auch die Überwachungsaufgaben des Aufsichtsrats konkretisiert. Das BilMoG, das Änderungen im Handelsgesetzbuch (HGB) und im Aktiengesetz (AktG) kodifiziert, betrifft nicht nur die Aufsichtsräte kapitalmarktorientierter Gesellschaften. Zwar haben diese Aufgaben nach dem Verständnis des Gesetzgebers bereits in der Vergangenheit bestanden, doch sind sie jetzt expliziter formuliert worden.

Überwachen muss der Aufsichtsrat nicht nur den Rechnungslegungsprozess, sondern auch die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems (§ 107 Absatz 3 Satz 2 AktG). Außerdem muss er sich mit der Überwachung der Abschlussprüfung, insbesondere mit der Unabhängigkeit des Abschlussprüfers und den zusätzlich von ihm erbrachten Leistungen befassen. In kapitalmarktorientierten Gesellschaften muss mindestens ein unabhängiges Mitglied des Aufsichtsrats als Finanzexperte (Financial Expert) über Rechnungslegungs- oder Abschlussprüfungssachverstand verfügen (§ 100 Abs. 5 AktG). Die Überwachungsaufgaben können teilweise oder vollständig an einen Prüfungsausschuss delegiert werden. Die Einrichtung dieses Ausschusses ist weiter freiwillig, lediglich kapitalmarktorientierten Gesellschaften ohne Aufsichtsrat - in der Regel GmbHs - wurde sie als Pflicht auferlegt. Richtet der Aufsichtsrat einen solchen Ausschuss ein, so muss ebenfalls mindestens ein Mitglied die Voraussetzungen des § 100 Absatz 5 AktG erfüllen. Kapitalmarktorientierte Gesellschaften müssen zudem Angaben zu Merkmalen des internen Kontrollsystems und des Risikomanagementsystems sowie eine "Erklärung zur Unternehmensführung" offenlegen.

Wie können Aufsichtsräte und Prüfungsausschüsse die Überwachungspflichten gesetzeskonform erfüllen, und wo ergeben sich in der Praxis tatsächliche und rechtliche Grenzen?

DER "FINANCIAL EXPERT" IM AUFSICHTSRAT_ Das BilMoG enthält weder eine Definition der geforderten Unabhängigkeit des "Financial Expert" noch eine Erklärung, was genau unter "Sachverstand auf den Gebieten Rechnungslegung oder Abschlussprüfung" zu verstehen ist. In der Gesetzesbegründung wird aber unter anderem auf eine Empfehlung der EU-Kommission (2005/162/EG) sowie auf den Deutschen Corporate Governance Kodex verwiesen, in dem es heißt, ein Aufsichtsratsmitglied sei dann "als unabhängig anzusehen, wenn es in keiner geschäftlichen oder persönlichen Beziehung zu der Gesellschaft oder deren Vorstand steht, die einen Interessenkonflikt begründet".

In Bezug auf den erforderlichen Sachverstand wird nach dem Wortlaut der Gesetzesbegründung vorausgesetzt, "dass zumindest ein Mitglied des Aufsichtsrats beruflich mit Rechnungslegung und/oder Abschlussprüfung befasst ist oder war". Dies ist "nicht nur bei Angehörigen der steuerberatenden oder wirtschaftsprüfenden Berufe oder einer speziellen beruflichen Ausbildung der Fall, sondern kann beispielsweise auch angenommen werden für Finanzvorstände, fachkundige Angestellte in den Bereichen Rechnungswesen und Controlling, Analysten sowie langjährige Mitglieder in Prüfungsausschüssen oder Betriebsräte, die sich diese Fähigkeit im Zuge ihrer Tätigkeit durch Weiterbildung angeeignet haben". Die Rolle des "Financial Expert" kann prinzipiell jedem Aufsichtsratsmitglied zukommen, sofern es diese Voraussetzungen erfüllt. Sie ist nicht an die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe gebunden.

Gerade bei größeren Gesellschaften wird ein "Financial Expert" die durch das BilMoG konkretisierten Überwachungspflichten nicht im Alleingang erfüllen können. Das widerspräche auch dem Verständnis vom Aufsichtsrat als Kollegialorgan. Gerade angesichts der rechtlich weiterhin bestehenden Gesamtverantwortung des Aufsichtsrats müssen Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss deshalb die Realisierbarkeit der Überwachungsaufgaben diskutieren und verantwortlich organisieren. Vor allem bei größeren Unternehmen wird unabdingbar sein, dass ein Prüfungsausschuss mehr als einen unabhängigen "Financial Expert" aufweist.

Nicht zuletzt die Vielfalt der Prüfungs- und Überwachungsaufgaben sowie der Auskunftspersonen und Gesprächspartner - zu nennen sind der Vorstand, die Leiter unternehmensinterner Fachbereiche und die Wirtschaftsprüfer - gebietet es, diese aufwendige Arbeit auf mehrere Schultern zu verteilen. Auch wenn bei kleineren Aufsichtsräten, die nur drei oder sechs Mitglieder haben, die Bildung eines Prüfungsausschusses nicht erforderlich sein sollte, muss auch hier ausreichende Expertise in Fragen der Rechnungslegung oder Abschlussprüfung vorhanden sein.

DER RECHNUNGSLEGUNGSPROZESS_ Der Aufsichtsrat muss sich zunächst ein Bild davon machen, wie der Rechnungslegungsprozess organisiert ist und ob es diesbezüglich Defizite in der Erfassung und Verarbeitung der relevanten Daten gibt. In Konzernen muss dann insbesondere die Erstellung des Konzernabschlusses (Konsolidierung) betrachtet werden. Beides ist auch Gegenstand der Prüfung der entsprechenden Abschlüsse (Jahres- und Konzernabschluss) durch den Abschlussprüfer. Bei Bedarf sollten ergänzende Prüfungsschwerpunkte, die brauchbare Erkenntnisse für die Überwachung bringen, in die Beauftragung des Abschlussprüfers einfließen. Dies betrifft beispielsweise die Abbildung von Akquisitionen in der Konzernbilanz (einschließlich der Bewertung des sogenannten Goodwill). Darüber hinaus muss sich der Aufsichtsrat bzw. der Ausschuss aber auch ein eigenes Bild verschaffen, indem er sich von den im Rechnungslegungsprozess relevanten Personen, etwa dem Leiter des Rechnungswesens, unmittelbar berichten lässt und sie kritisch befragt. Diese Fragen sollten sich nicht nur auf abgeschlossene Geschäftsvorgänge beziehen. Vielmehr sollte am Beispiel von Leasingverträgen hinterfragt werden, ob und wie die bilanziellen Konsequenzen geplanter Geschäfte vor deren Realisierung überprüft wurden.

Die vielleicht wichtigste Neuerung des BilMoG im Hinblick auf die Aufgaben des Aufsichtsrats ist aber die Konkretisierung der Überwachungsaufgabe im Hinblick auf die Wirksamkeit des internen Kontrollsystems, des Risikomanagementsystems und des internen Revisionssystems. Stets muss zunächst die Frage geklärt werden, ob und in welcher Ausprägung und Effizienz derartige Systeme im Unternehmen oder im Konzern vorhanden sind. Allein die Tatsache, dass sie existieren, besagt noch nichts. Der Aufsichtsrat muss für sich auch die Frage beantworten, ob sie in der Praxis tatsächlich wirkungsvoll sind. Mit beiden Fragen beschäftigt sich auch der Abschlussprüfer eines Unternehmens. Allerdings geht die Überwachungsaufgabe des Aufsichtsrats darüber hinaus. Sie umfasst auch solche Teile der Kontroll- und Überwachungssysteme im Unternehmen, die keinen Bezug zur Rechnungslegung haben. Aufsichtsrat bzw. Prüfungsausschuss müssen sich auch deshalb fragen, in welcher Form und in welchem Umfang eigene Prüfungen zur Überwachung der Wirksamkeit vorgenommen werden sollen und können.

DAS INTERNE KONTROLLSYSTEM_ Das interne Kontrollsystem (IKS) umfasst die Maßnahmen und Kontrollen innerhalb des Unternehmens, mit denen sichergestellt werden soll, dass die Geschäftstätigkeit des Unternehmens im Rahmen der gesetzlichen Ordnung, der satzungsmäßigen Vorgaben und der Beschlüsse der Unternehmensorgane erfolgt. Zu den Sorgfaltspflichten des ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (vgl. § 93 AktG) gehört es, entsprechende organisatorische Vorkehrungen im Unternehmen zu treffen und dafür zu sorgen, dass diese wirksam sind.

Der Teil des IKS, der für die Rechnungslegung des Unternehmens oder Konzerns relevant ist, ist auch Gegenstand der Prüfung durch den Jahres- bzw. Konzernabschlussprüfer. Dessen Wirksamkeitsprüfung erfolgt zweistufig: Nachdem der Aufbau des Systems überprüft wurde (Vorhandensein, Angemessenheit) erfolgt die Funktionsprüfung des Kontrollsystems. Prüfungen einzelner Sachverhalte können auf die Bereiche der Rechnungslegung konzentriert werden, die eher anfällig für Fehler sind. So ist beispielsweise davon auszugehen, dass die Wahrscheinlichkeit für Fehler in den Bilanzpositionen des Anlagevermögens umso geringer ist, je besser Anlagenbuchhaltung und Inventurprozess organisiert sind.

Aufsichtsrat bzw. Ausschuss müssten in vergleichbarer Weise vorgehen, wenn sie die Wirksamkeit des IKS überwachen wollen. Allerdings dürften eigene Prüfungen, beispielsweise dahingehend, ob bestimmte Kontrollen (z.B. Vieraugenprinzip bei der Billigung von Zahlungen) im Unternehmen eingerichtet und umgesetzt werden, den Aufsichtsrat regelmäßig schon zeitlich überfordern. Auch sollten Aufsichtsräte nur in Ausnahmefällen selbst im Unternehmen tätig werden. Sie werden deshalb zunächst auf die jeweilige Berichterstattung des Vorstands und der fachlich zuständigen Mitarbeiter wie des Leiters des Rechnungswesens, der Internen Revision oder des Compliance Office zurückgreifen. Daher ist es gerade zu Beginn der Befassung mit dem IKS sinnvoll, dass Aufsichtsrat bzw. Ausschuss das IKS einer Plausibilisierung durch einen sachverständigen Dritten unterziehen lassen. Der von diesem erstellte Status-Report kann die Grundlage einer weiteren regelmäßigen Berichterstattung über die Wirksamkeit des IKS an den Aufsichtsrat bzw. Ausschuss sein. Er sollte auch Potenziale zur Verbesserung des IKS aufzeigen. Insoweit kann die "formale" Wirksamkeitsüberwachung einen Mehrwert für die gesamte Compliance bzw. Corporate Governance schaffen.

DAS RISIKOMANAGEMENTSYSTEM_ Das zweite Objekt der Wirksamkeitsüberwachung durch den Aufsichtsrat ist das Risikomanagementsystem. Über das aktienrechtlich vorgeschriebene Risikofrüherkennungssystem (§ 91 Abs. 2 AktG) hinaus umfasst es die Risikoidentifikation, die Risikoanalyse und -bewertung, die Risikokommunikation, die Risikosteuerung - also das Management latenter und eingetretener Risiken - sowie die Einrichtung eines Überwachungssystems (§ 91 Absatz 2 AktG). Die gesetzliche Pflicht zur Einrichtung eines Risikomanagementsystems besteht seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Kontrolle und Transparenz im Unternehmensbereich (KonTraG) im Jahr 1998.

Die heute etablierten Systeme umfassen neben strukturellen Bestandteilen wie Organisationsformen und Zuständigkeiten auch Berichtsformen und -wege. Berichte zum Risikomanagement sollten den Aufsichtsräten bereits seit Jahren vorliegen. Die Wirksamkeitsüberwachung erfordert aber auch hier, ausdrücklich die Frage nach Eignung und Funktionsfähigkeit des Systems zu stellen. Die Berichterstattung an den Aufsichtsrat bzw. Ausschuss sollte deshalb auch Aussagen zu Veränderungen im Risikomanagementsystem sowie zu den von der internen Revision oder dem Abschlussprüfer erkannten Systemschwächen treffen. So sollte auch darüber berichtet werden, wenn sich im Nachhinein herausgestellt hat, dass (wesentliche) Risiken zwar erkannt wurden, aber fälschlicherweise darüber nicht berichtet wurde.

Auch für die Wirksamkeitsüberwachung der internen Revision - der unternehmensinternen Instanz zur Aufbau- und Funktionsprüfung des IKS - durch den Aufsichtsrat bzw. Ausschuss gelten die dargelegten Grundsätze. Sowohl die Ergebnisse der Prüfungen als auch strukturelle Fragen der internen Revision (Organisation, Ressourcen etc.) sollten Gegenstand regelmäßiger Berichterstattung sein.

KONSEQUENZEN FÜR DIE PRAXIS_ Der Aufsichtsrat und der Prüfungsausschuss bewegen sich bei der Umsetzung des Überwachungsauftrages aus § 107 Absatz 3 AktG in einem Spannungsfeld zwischen den gestiegenen Anforderungen an die sorgfältige Aufgabenwahrnehmung und den praktischen Möglichkeiten (und rechtlichen Grenzen) aufsichtsratlichen Handelns: Der Aufsichtsrat hat im Rahmen seiner Selbstorganisationspflicht die Umsetzung dieses Auftrages in geeigneter Form sicherzustellen. Die Delegation der Überwachungsaufgabe auf den Prüfungsausschuss löst aber das eigentliche Problem nicht: Für die skizzierte Wirksamkeitsüberwachung müssen der Aufsichtsrat und der Ausschuss gangbare Wege der Umsetzung finden. Systemprüfungen, wie sie vom Abschlussprüfer durchgeführt werden, können und sollen weder in dieser Tiefe noch in diesem Umfang durch den Aufsichtsrat erfolgen. Dies kann die Beauftragung sachverständiger Dritter erforderlich machen, um den Überwachungsauftrag als Aufsichtsrat gesetzeskonform erfüllen zu können.

Das BilMoG verstärkt die fachlichen Anforderungen an die Mitglieder des Aufsichtsrats und des Prüfungsausschusses deutlich - sowohl im Hinblick auf bilanzielle und prüferische Sachkunde als auch auf allgemeine ökonomische Zusammenhänge. Die in § 107 Absatz 3 AktG nunmehr explizit genannten Überwachungsaufgaben schaffen in der Praxis neue bzw. zugespitzte inhaltliche Verantwortlichkeiten des Aufsichtsrats bzw. des Prüfungsausschusses. Beide Gremien sollten deshalb eine Arbeitsplanung festlegen, Vorgehensweise und Berichterstattung des Prüfungsausschusses klären sowie Qualifikationsmaßnahmen für ihre Mitglieder benennen.

Auch wenn diese Neuregelungen vom Gesetzgeber nur als "Konkretisierung bereits bestehender Überwachungspflichten" angesehen werden, ist eine erhöhte Sorgfalt bei der Erfüllung der Aufgaben geboten. Die Intensivierung der Überwachungspflichten führt durch die zunehmende Komplexität der Materie (wie die IFRS-Rechnungslegungsvorschriften) zu noch höheren Anforderungen. Ohne nachweisbare Bemühungen um entsprechende fachliche Qualifikation steigt die Gefahr negativer rechtlicher Konsequenzen für die Aufsichtsräte.

Grafik So verändert das BilMoG die Corporate Governance (zum Download)

Grafik Anwendung des BilMoG nach Unternehmensformen (zum Download)

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