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Magazin Mitbestimmung

: Neue Regeln gegen die Zockerei

Ausgabe 11/2008

FINANZMARKTKRISE Mit der Jagd auf schnelle Renditen muss Schluss sein. Damit sich die Banken auch wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können - die Kreditversorgung der Realwirtschaft.

Von Michael Sommer, Vorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes/Foto: ddp

Unter all den verwirrenden, manchmal bizarren und auch schlechten Nachrichten der vergangenen Wochen ist eine gute hervorzuheben: Unsere Demokratie hat sich als handlungsfähig, mithin als wehrhaft erwiesen! Während Bankvorstände mehr oder weniger hilflos vor dem von ihnen selbst verantworteten Scherbenhaufen stehen und Manche sich aus der Verantwortung stehlen, hat die Bundesregierung gehandelt. Sie hat die selbst ernannten "Masters of the Universe" in die Schranken gewiesen. Das Primat der Politik, der Demokratie und auch der sozialen Marktwirtschaft vor dem verantwortungslosen Gewinnstreben des Casino-Kapitalismus scheint zumindest vorübergehend wiederhergestellt. Mit einem Mal sind politische Entscheidungen möglich, die noch vor vier Wochen als Ausgeburt der Phantasie und einer steinzeitsozialistischen Weltanschauung gebrandmarkt worden wären.

WER HAT DIE VERANTWORTUNG?_ Die Wirtschaft muss dem Menschen dienen - diesen Satz führen inzwischen Politiker aller Parteien im Mund. Damit er ihnen von den Menschen geglaubt wird, muss allerdings Schluss sein mit dem Elend des Verschweigens, mit dem Leugnen der eigenen Verantwortung für manche Fehlentwicklung, die uns heute um die Ohren fliegt. Viele waren dabei, Bänker, Wirtschaftswissenschaftler, Politiker und Medienschaffende auch - aber wie üblich will es keiner gewesen sein. Deswegen gehört nach dem ersten Krisenmanagement schleunigst die Frage nach der politischen Verantwortung auf die Agenda. Sie zu beantworten ist unerlässlich, wenn aus der Krise der Finanzmärkte nicht doch noch eine Krise der Demokratie werden soll.

Jede Krise bietet eine Chance - diese Einschätzung gilt auch heute. Die Chance, sich auf die Werte einer wirklich sozialen Marktwirtschaft zu besinnen und ihre an grenzenloser Gewinnmaximierung und Renditeerwartung orientierte Deformation zu überwinden. Auf eine soziale Marktwirtschaft, die nicht zuletzt auf einem der größten Erfolge der Bundesrepublik beruht, auf der Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Eine Konsequenz aus den Ereignissen der vergangenen Wochen muss demnach heißen: Wir müssen mehr Mitbestimmung wagen! Der Aktionär darf nicht mehr im Mittelpunkt der Unternehmenspolitik stehen. Folglich muss die Unternehmensmitbestimmung jetzt ausgebaut werden. Dies stärkt gleichzeitig eine nachhaltigere Ausrichtung der Unternehmenspolitik.

NEUE FINANZORDNUNG_ Zweitens bedarf es weiterer zügiger Schritte, um wirklich eine neue Ordnung des internationalen Finanzsystems zu errichten. Um die richtigen auch gehen zu können ist es lohnend noch einmal zu schauen, was eigentlich in den letzten Monaten passiert ist. In nicht einmal zehn Jahren ist die zweite Blase des Shareholder-Value-Kapitalismus geplatzt. Nach der New Economy Anfang des Jahrtausends hat es nun das internationale Finanzsysteme in Gänze erwischt. Spekulationsblasen gehören nun einmal zur Anatomie des modernen Casino-Kapitalismus.

Ihre Häufigkeit und Größe hängen aber vom staatlichen Ordnungsrahmen der Finanzmärkte ab. Der Zufluss in die Spekulation speist sich auch aus der Umverteilung des gesellschaftlichen Reichtums. So geht das 140 Billionen US-Dollar schwere weltweite Finanzvermögen auch auf sinkende Steuern für Reiche, die Privatisierung sozialer Sicherung sowie eine chronische Lohnschwäche zurück. Allein hierzulande bescherte die Senkung des Spitzensteuersatz den 826 000 deutschen Millionären ein zusätzliches Nettoeinkommen von über 100.000 Euro pro Kopf.

Die Gewinn- und Vermögenseinkommen stiegen von 2000 bis 2007 fast siebenmal so stark wie Löhne und Gehälter. In diesem Zeitraum fielen über zwei Drittel des bundesdeutschen Volkseinkommens - 219 Milliarden Euro - an die Unternehmer und Vermögensbesitzer. Die deutsche Lohnquote befindet sich auf einem Tiefststand. Diese massive Umverteilung erhöhte die Einsätze im globalen Casino. Nur ein politischer Kurswechsel und eine offensive Tarifpolitik können diesen Trend künftig stoppen. Insofern gibt die IG Metall jetzt die richtige tarifpolitische Antwort auf die Finanzmarktkrise. Außerdem muss die Bevölkerung mit einem 25 Milliarden Euro schweren Konjunkturprogramm vor den Folgen der Finanzmarktkrise für die reale Wirtschaft geschützt werden.

Denn die Lage ist so ernst, dass viele von denen, die sich mehr oder weniger angewidert vom Staat abgewendet und sich auch als Steuerzahler vor seiner Unterstützung gedrückt haben, nun ganz laut nach staatlicher Hilfe rufen. Und sie wurden und werden erhört. Mit dem kuriosen Ergebnis, dass der Steuerzahler den Banken mit 500 Milliarden Euro aus der Patsche hilft. Um es klar zu sagen: Dieser staatliche Rettungseinsatz ist alternativlos. Ohne Nothilfe kollabieren die Finanzmärkte - mit unabsehbaren Folgen für die Realwirtschaft genauso wie für die öffentlichen Haushalte. Allerdings ist es etwas befremdlich, wenn nun Akteure, die in den vergangenen Jahren immer die Deregulierung des Finanzsystems vorangetrieben haben, nun seine Re-Regulierung herbeiführen sollen.

Eines muss daher klar sein: Hilfe gibt es nur für Gegenleistung. Will heißen: Die Steuerzahler werden Eigentümer der notleidenden Banken und bestimmen zukünftig deren Geschäftspolitik. Alles andere wäre die größtmögliche Verschwendung von Steuergeldern. Und: Nur eine Bank, die den neuen Ordnungsrahmen auch annimmt, ist eine gute Bank. Die, die diesen Schritt nicht gehen wollen - und sei es aus Scham - haben nicht verstanden und handeln verantwortungslos.

NACHHALTIGE LEHREN_ Akuthilfe ist das eine, es müssen aber dringend nachhaltig wirkende Lehren aus den Fehlentwicklungen gezogen werden. Die Operation am offenen Herzen der Finanzmärkte ist zunächst erfolgreich verlaufen, der Patient aber noch lange nicht über den Berg. Was ist zu tun? Was fehlt ist nicht mehr und nicht weniger als eine neue Ordnung auf den Finanzmärkten und eine stärkere Langfristorientierung des Wirtschaftens. Die Finanzmärkte müssen der Wirtschaft wieder dienen. Das neue Regelwerk sollte die Finanzierung langfristiger Realinvestitionen fördern und kurzfristige Spekulation diskriminieren. Ein neuer Ordnungsrahmen braucht zudem mehr Prävention, eine bessere Haftung, mehr Mitbestimmung und Regeln für ein nachhaltiges und langfristiges Wirtschaften. Doch was heißt das konkret?

Mehr Prävention bedeutet eine bessere Bankenregulierung. Banken sollen sich wieder auf ihr Kerngeschäft konzentrieren: Die Kreditversorgung der Realwirtschaft. Mit der Zockerei auf schnelle Renditen muss jetzt Schluss sein. Deshalb darf es zukünftig keine Schattenbanken und Steueroasen mehr geben. Für Finanzmarktprodukte brauchen wir einen TÜV. Kredite an Heuschrecken und das gesamte Verbriefungsgeschäft müssen künftig mit mehr Eigenkapital unterlegt werden. Auch die Frühwarnsysteme müssen gründlich renoviert werden: Eine "Schufa für Banken" - ein internationales Kreditregister - hilft Kreditrisiken rechtzeitig zu erkennen. Darüber hinaus brauchen wir eine europäische Ratingagentur.

Um die Haftung zu verbessern, sollten die europäischen Privatbanken aus eigenen Mitteln einen Haftungsverbund finanzieren. Dieser Verbund würde kriselnden Wettbewerbern unter die Arme greifen. Damit haften die Banken für ihr eigenes Verhalten und nicht die europäischen Steuerzahler. Aber auch die individuelle Managerhaftung muss neu geregelt werden. Darüber hinaus brauchen wir jetzt eine europäische Finanztransaktionssteuer. Alle Wertpapier- und Devisenkäufe sollten mit 0,01 Prozent besteuert werden. Eine solche Steuer verteuert die Spekulation und lässt die Verursacher der Krise für den öffentlichen Rettungseinsatz bezahlen.

Trotz aller guten Ideen wissen wir: Die nächste Krise kommt bestimmt! Und auch ein neuer Ordnungsrahmen wird nicht verhindern, dass wieder Spekulationsblasen entstehen - er wird aber die Shareholder-Value-Orientierung konterkarieren. Wir vermindern mit den vorgeschlagenen Maßnahmen das häufige Auftreten und unkontrollierte Wachsen dieser Blasen. Im Mix mit einer anderen Verteilungspolitik würden Firmen und Arbeitsplätze wetterfester. Denn nie wieder dürfen Banker, Broker und Vermögensverwalter in die Lage versetzt werden, die Jobs und den wohl verdienten Lebensabend von Millionen hart arbeitenden Menschen zu gefährden.

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