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Magazin Mitbestimmung

Das Interview führte MARTIN KALUZA: Micha Brumlik über die Neue Rechte

Ausgabe 12/2016

Interview Der Erziehungswissenschaftler Micha Brumlik über die Think Tanks der Neuen Rechten, den Aufstieg von AfD und Pegida, und wie die Linke dagegen ihre Themen behaupten kann.

Das Interview führte MARTIN KALUZA

Herr Brumlik, Sie haben sich ausgiebig mit der Ideologie der Neuen Rechten befasst, insbesondere mit der identitären Bewegung, die glaubt, jede Ethnie habe ein Lebensrecht, aber eben nur in dem Raum, der ihr zusteht. Wer sich zu seiner regionalen, nationalen und kulturellen Herkunft bekennt, lebt dieser Ideologie zufolge identitär. Warum befassen Sie sich mit diesen Theorien?

Durch die Wahlerfolge der AfD ist die Neue Rechte politisch eine ernst zu nehmende Auseinandersetzung wert. Es gibt einen Think Tank, der hinter diesen ideologischen Erfolgen der AfD steht, der aus sich aus rechtsintellektuell eingestellten Personen und Institutionen zusammensetzt, die auf die politische Meinungsbildung gezielt Einfluss nehmen wollen.

Wer sind diese Leute?

Dazu zähle ich die rechtsreformistische Wochenzeitung „Junge Freiheit“ und die Publikationen des „Instituts für Staatspolitik“, eine private Einrichtung, die sich als Aktionsplattform für neurechte Bildungsarbeit darstellt. Dazu gehört auch die „Blaue Narzisse“, eine Jugendzeitschrift aus Chemnitz, die seit 2004 erscheint und Leute wie Götz Kubitschek um die Zeitschrift „Sezession“. Nicht zu vergessen Jürgen Elsässer, der bis 2008 für erklärtermaßen linke Medien wie Neues Deutschland oder Junge Welt tätig war und heute das rechtspopulistische Magazin „Compact“ herausgibt.

Wie kann es sein, dass die Rhetorik der Neuen Rechten – und nicht nur der intellektuelle Teil, auch Pegida und AfD – so schlagkräftig ist und viele Menschen anspricht?

Man muss sich einzelne Bundesländer anschauen. Es fällt auf, dass AfD und Pegida in den östlichen Bundesländern besonders hohe Anteile haben. Das hat zu tun mit der Enttäuschung darüber, wie die Einheit verlaufen ist und dass den damals geweckten Erwartungen – gemessen an den Wünschen dieser Menschen – nicht entsprochen wurde. In Baden-Württemberg hingegen scheint der hohe Anteil an AfD-Wählern der Tatsache geschuldet zu sein, dass diesen die gemeinsame Wertebasis zur CDU abhandengekommen ist.

Während des ersten Aufschwungs der AfD hatte man das Gefühl, dass die Berliner Politik regelrecht ratlos war. Anfangs dachte man, das Beste wäre, sich nicht mit der AfD auseinanderzusetzen. War das die falsche Strategie?

Ja, ich glaube, das war falsch. Einen großen Fehler haben auch die Medien begangen, vor allem das Fernsehen, indem sie meinten: Diese Leute muss man jetzt einfach vorführen. Das ist in vielen Fällen ein Rohrkrepierer gewesen. Im Moment hat sich die Berichterstattung etwas normalisiert: Jetzt haben wir diese Politiker, und jetzt werden wir sehen, was sie leisten oder nicht.

Im US-Wahlkampf war es Michelle Obama, die der Rhetorik Trumps etwas entgegensetzen konnte. Sie schaffte es, mit Argumenten zu arbeiten und die Leute gleichzeitig emotional anzusprechen. Wäre das ein Weg?

Die USA sind eine Gesellschaft, die von starken rassischen Konflikten durchzogen ist. Aber wenn man zur Kenntnis nimmt, dass große Teile der klassischen weißen Industriearbeiterschaft jemandem wie Trump zugeneigt sind und ihn wählen, dann hätte jemand wie Michelle Obama in diesen Kreisen ohnehin keine Chance. Ein deutscher Professor in Stanford, Hans Ulrich Gumbrecht, hat gesagt, dass Obama, nicht nur weil er ein Schwarzer ist, sondern auch, weil er sich elaboriert ausdrückt und Akademiker ist, diesen Leuten im wahrsten Sinne des Wortes nichts zu sagen hat. Sie verstehen ihn nicht, sie wollen ihn nicht verstehen, da ist einfach der kulturelle Schichtunterschied zu groß.

Sehen Sie hinter der Wahl Trumps ein Muster, das sich ähnlich in Europa, in Deutschland wiederholen kann?

Gewiss, es ist hochwahrscheinlich, dass in Österreich ein FPÖ-Mann zum Präsidenten gewählt wird, und auch eine Präsidentschaft von Marine Le Pen in Frankreich ist jedenfalls im Bereich des Möglichen – in Ungarn und Polen ist all dies schon Wirklichkeit geworden.

Wie schafft es die Rechte, Menschen derart mitzureißen?

Das ist nicht unbedingt eine Frage von rechts und links. Schon in den Auseinandersetzungen um den Stuttgarter Bahnhof ist das Phänomen der sogenannten Wutbürger bekannt geworden. Das hat auch mit der Digitalisierung der politischen Debatte zu tun. Wer früher am Stammtisch wetterte, hat jetzt die Möglichkeit, über Facebook oder Twitter öffentlich mit immer wütenderen Einlassungen zu Wort zu kommen. Dabei fällt mir eines auf: Diese Menschen nehmen die Möglichkeiten überhaupt nicht wahr, die unser gegenwärtiges politisches System bietet, um politische Mitbestimmung auszuüben.

Was meinen Sie damit?

Denken Sie an Bebauung: In den meisten Bundesländern und Kommunen liegen Bebauungspläne aus, jeder kann sich informieren. Auf der kommunalen Ebene gibt es Ortsbeiräte, in denen viele wichtige Fragen diskutiert werden. Aber das alles passt den Wutbürgern nicht, sie wollen eigentlich nur Dampf ablassen, und sie lassen sich von dem Vorurteil leiten, dass diese Institutionen sowieso alle gekauft sind. Und damit rechtfertigen sie, dass sie dort nicht mitarbeiten. So nehmen sie Möglichkeiten der politischen Partizipation in unserer demokratischen Ordnung nicht wahr.

Auch Gewerkschaftsmitglieder sind offensichtlich nicht immun gegen Rechtspopulismus. Ihre Erklärung?

Ich könnte mir vorstellen, dass es einige gibt, die meinen, dass ihre Gewerkschaften nicht genug gegen die Neoliberalisierung und den Abbau des Sozialstaats unternommen haben – vor allem seit den Hartz IV-Reformen. Sondern, dass sie zu viele Kompromisse eingegangen sind – wenn auch im Interesse eines relativen sozialen Friedens und einer maximalen Wahrung von Arbeitsplätzen. Dagegen haben vor allem Gewerkschafter der Linken opponiert. Aber ein Teil dieser Leute sagt eben auch: Die konsequentere Politik gegen diese Kompromisse finden wir bei AfD und Pegida.

Sie sprechen häufig ein Phänomen an, das der Soziologe Armin Nassehi bezeichnet hat als: „Links denken, aber rechts leben.“ Was meinen Sie damit?

Als Erziehungswissenschaftler will ich das mal so illustrieren: Viele meiner Freunde geben ihre kleinen Kinder nicht auf die nächstgelegene öffentliche Schule, sondern nehmen lieber weite Schulwege in Kauf, um sie auf eine Schule schicken zu können, an der nicht so viele Kinder ausländischer Herkunft sind. Wobei diese Eltern gerade in eher problematischen Stadtteilen und in den Elternbeiräten dieser Schulen dringend benötigt werden. Einerseits kann man das verstehen: Wer würde nicht für seine Kinder nur das Beste wollen? Die Frage ist nur, ob der Besuch einer Grundschule, an der 60 Prozent der anderen Schüler Migrationshintergrund haben, wirklich so gefährlich und so schlimm für das Kind ist. Ich glaube, das ist es nicht.

Der Aufstieg der Neuen Rechten scheint solche Widersprüche zuzuspitzen. Wir erleben, dass eine linke Politikerin wie Sarah Wagenknecht in der Flüchtlingsfrage Äußerungen macht, die man ihr gar nicht zugetraut hätte – etwa zu den Vorfällen am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht: „Wer sein Gastrecht missbraucht, der hat sein Gastrecht eben auch verwirkt“. Wird die Linke als gesellschaftliche Kraft dazu gezwungen, sich selbst neu zu bestimmen?

Eine Linke, die sich mit dem strukturellen Abstieg der industriellen Arbeiterschaft – übrigens in in allen westlichen Gesellschaften – intensiver auseinandersetzt, muss deren Sprache finden. Das Problem haben aber auch die CDU, die Grünen und zunehmend auch die SPD. Der ehemalige rheinland-pfälzische Ministerpräsident Kurt Beck war der letzte Nicht-Akademiker in einer Regierungsposition in der SPD. Und da stellt sich die Frage: Welches ist die richtige Sprache, die man für dieses Milieu finden muss, ohne dabei die eigenen Prinzipien zu verraten und preiszugeben?

Die Neue Rechte sieht sich im Widerstand und hat zum Teil eine linksradikale Rhetorik übernommen. Kann die Linke ihre Ideen verteidigen?

Das kann sie, aber sie muss das Richtige tun. Wäre Globalisierung nur ein neoliberales Projekt, würde der pauschale Widerstand dagegen vielleicht Sinn machen. Doch das ist nicht der Fall. Die Frage ist jetzt: Kann die Linke deutlich machen, dass Globalisierung positiv besetzt werden kann. Das würde zu einer politischen Haltung führen, die ich als Kosmopolitismus bezeichne – also den Kampf und den Einsatz für Bürger und soziale Rechte für Menschen in aller Welt, egal, in welcher Region und in welchem Staat sie leben.

Welche Lehren sollte die deutsche Politik aus den Wahlen in den USA ziehen?

Meiner Meinung nach kommt jetzt alles auf die Gewerkschaften und ihre politische Stärkung an. Es geht politisch – schwierig genug – um so etwas wie die Quadratur des Kreises: neoliberale Strukturen politisch und gesetzlich zurückzunehmen, ohne dabei die Weltoffenheit des Landes zu opfern. Geschlossene Nationalstaaten können heute nicht mehr funktionieren. Allerdings: Allen Formen des Rassismus gegenüber darf es kein Zurückweichen geben.

Fotos: Nadine Raupach

WEITERE INFORMATIONEN

Zur Person

Micha Brumlik, Publizist und Autor, ist emeritierter Professor am Institut für Allgemeine Erziehungswissenschaft der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt/M. Seit Oktober 2013 steht er dem Zentrum Jüdische Studien Berlin-Brandenburg als Senior Advisor zur Seite. Brumlik leitete das Fritz-Bauer-Institut für Holocaust-Forschung und war 12 Jahre lang Stadtverordneter der Grünen in Frankfurt am Main. Er ist Mitherausgeber der Zeitschriften „BABYLON – Beiträge zur jüdischen Gegenwart“ und der „Blätter für deutsche und internationale Politik“. Taz-Leser kennen ihn aus seiner Kolumne „Gott und die Welt“.

Konferenz der Vertrauensdozenten

„Grenzüberschreitungen“ lautete das Motto der diesjährigen Konferenz der Vertrauensdozenten der Hans-Böckler-Stiftung in Kiel. Einmal im Jahr treffen sich die VDs, um gesellschaftspolitische Trends zu besprechen. Dazu lädt die Stiftung profilierte Gastredner ein. In diesem Jahr analysierte der Publizist Micha Brumlik in seinem Eröffnungsvortrag die ideologisch-theoretischen Grundlagen im Denken der Neuen Rechten und schlug einen Bogen von den Identitären bis zur AfD. Die ehemalige Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth sprach über die aktuellen Entwicklungen in der Migrationspolitik.

Micha Brumliks Vortrag basiert auf einem Artikel aus den Blättern für deutsche und internationale Politik, den man hier nachlesen kann: Das alte Denken der neuen Rechten

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