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Magazin Mitbestimmung

Fraport: „Leckerei“ vom Scheich

Ausgabe 05/2013

Die Betreibergesellschaft des Frankfurter Flughafens besitzt ein umfangreiches Compliance-Management-System. Den Alltag bestimmen nicht die großen Fälle, sondern kostbare Reisemitbringsel, Umschläge mit kleinen Geldgeschenken oder der Missbrauch von Ausweisen. Von Guntram Doelfs

Karl-Heinz Schulze* staunte nicht schlecht, als er sein Reisegepäck auspackte. Vor seinem Abflug hatten seine Geschäftspartner dem Fraport-Manager in Saudi-Arabien ein Geschenk überreicht. Es sollte eine kleine Aufmerksamkeit sein, hatte es geheißen. Nichts Ungewöhnliches, dachte sich Schulze, denn in islamischen Ländern ist es Tradition, nach Ende des Fastenmonats Ramadan den Liebsten ein kleines Geschenk zu machen: Spielzeug und Süßes für die Kinder, leckere Spezialitäten für die Frau – oder den Geschäftspartner. Nur ist „klein“ein dehnbarer Begriff für arabische Großzügigkeit.

In der Schatulle lag tatsächlich eine „Leckerei“, wie Otto Geiß, Leiter des Zentralbereiches Compliance, Werte- und Risikomanagement im Unternehmern und damit oberster hausinterner Korruptionsbekämpfer, das Mitbringsel nennt. Was genau es war, mag er nicht sagen. Nur so viel, dass es Nichts zum Naschen war und obendrein sehr wertvoll. Vorsichtshalber rief Schulze bei Geiß an: „Was mache ich jetzt mit dem Ding?“, fragte er konsterniert. Schließlich kam eine Rückgabe des Geschenks nicht infrage, weil dies auf der arabischen Halbinsel schnell als Beleidigung aufgefasst wird. Schulze musste das Geschenk bei Geiß abliefern, der es für einen guten Zweck spendete. Es landete in einer Tombola.

VIELE VERLOCKUNGEN

In der Welt des Frankfurter Flughafens ist Otto Geiß nicht ganz leicht zu finden. Seit November 2012 residiert er in einem neuen Gebäude südlich der gerade eröffneten Startbahn Nordwest in der Nähe von Kelsterbach. Mitten im Niemandsland sozusagen, nur eine einsame Straße führt hinaus zum Gebäude 700. Das neue Verwaltungsgebäude wirkt ein wenig deplaziert inmitten des ganzen Brachlandes; früher stand hier eine Chemiefabrik, die technische Kunststoffe produzierte. Bis Fraport die Fabrik einfach kaufte und abreißen ließ, weil Gutachter in ihr eine Gefahr für die Startbahnerweiterung sahen. Nun sitzt unter anderem Geiß mit seiner Abteilung mit insgesamt 16 Mitarbeitern hier. Der 54-jährige Betriebswirt trat im Jahr 1999 seinen Job bei der Fraport an. Er soll den Mitarbeitern der Flughafen-Gesellschaft eine Wertephilosophie vermitteln, die die strikte Einhaltung gesetzlicher Vorgaben und saubere Geschäftspraktiken propagiert.

„Wirtschaftlicher Erfolg und moralische Überzeugungen dürfen nicht im Widerspruch stehen“, formuliert Fraport-Vorstandschef Stefan Schulte den hohen Anspruch. Wohl wissend, dass auch Fraport in der Vergangenheit nicht frei von Skandalen war und wiederholt in das Visier von Staatsanwälten geriet. So segnete in den 1990er Jahren eine ganze Abteilung überteuerte Bauaufträge für den Bau des Terminals 2 ab und teilte den Millionengewinn mit den Baufirmen. 2004 ermittelten Staatsanwälte gegen den damaligen Vorstandsvorsitzenden Wilhelm Bender und seinen Stellvertreter Manfred Schölch, weil ein fristlos entlassener Mitarbeiter behauptet hatte, beide hätten von Schmiergeldzahlungen im Zuge der Modernisierung des Flughafens Taschkent in Usbekistan gewusst. Die Vorwürfe erwiesen sich als haltlos, die Ermittlungen wurden eingestellt. Zwei Jahre später standen erneut die Ermittler in der Tür, dieses Mal wegen angeblicher Bestechungszahlungen im Zuge des gescheiterten Terminalprojektes in Manila. Auch diese Ermittlungen wurden vorläufig eingestellt.

Die Verlockungen unmoralischer Angebote sind deshalb so groß, weil der Konzern mit derzeit 20 700 Mitarbeitern seit Jahren Milliardenbeträge in den Ausbau des Frankfurter Flughafens investiert; allein im vergangenen Jahr waren es rund 700 Millionen Euro. Zudem versucht Fraport, auch international als Flughafenbetreiber zu reüssieren. Korruption, Betrug und andere Formen ungesetzlichen Verhaltens schaden da dem Image und der Reputation – und langfristig auch dem Geschäft. Im Januar 2003 führte Fraport deshalb ein Wertemanagement-System ein. „Zunächst war der Fokus darauf gerichtet, auf intelligente Art und Weise Wirtschaftskriminalität zu vermeiden“, erzählt Geiß. Meint: effektive Kontrolle und klare Regeln. Geschenke im Wert von mehr als 35 Euro sind tabu, Geschäftsessen müssen dem Anlass angemessen sein, und Dienstreisen gibt es nur, wenn Fraport zahlt. In allen Geschäfts- und Arbeitsverträgen gibt es Antikorruptionsklauseln, zudem überwacht die Revision Ausschreibungen und Verträge auf besondere Auffälligkeiten, und neue Geschäftspartner werden zunächst „genau angeschaut“.

Eines weiß aber auch Otto Geiß: „Den letzten Kriminellen fängt man damit nicht ein.“ Dennoch wurden die Vorkehrungen in den letzten Jahren verschärft. So führte Fraport im Jahr 2009 zusätzlich zu einem internen Vertrauensmann auch ein elektronisches Hinweisgebersystem ein. Dort können Beschäftigte anonym melden, wenn sie den Verdacht haben, dass Kollegen oder Vorgesetzte gegen die Vorgaben des Unternehmens verstoßen. Ein extra abgestellter Mitarbeiter überprüft, ob die Vorwürfe Substanz haben. „Anfangs gab es große Befürchtungen, dass System könnte der Denunziation dienen“, erklärt Gerold Schaub, Leiter des Fachbereichs Verkehr beim ver.di-Landesbezirk Hessen und Vize-Vorsitzender des Aufsichtsrates der Fraport AG, „aber die Praxis hat gezeigt, dass in mehreren Jahren keine größeren Probleme aufgetreten sind.“ Geiß erklärt dazu: „Wir gehen keinen unbelegten Vorwürfen nach und ermitteln im Ernstfall auch gegen Vorgesetzte bis hin zum Vorstand.“

EINE ART WANDERPREDIGER

Noch wichtiger als die reine Kontrolle ist dem Compliance-Chef aber, dass Mitarbeiter und Geschäftspartner eine Unternehmenskultur mittragen, „wo jeder weiß, dass das Unternehmen auf gar keinen Fall ungesetzliche Handlungen duldet und sich daran aktiv oder passiv beteiligt “, erzählt Geiß. Bei Neuanstellungen wird deshalb jeder zu diesem Thema geschult; seit Jahren zieht Geiß zudem wie ein Wanderprediger durch das Unternehmen wie auch die Unternehmenstöchter im In- und Ausland, um diesen Wertekanon zu vermittelt. So war Geiß auch in Ägypten bei der Kairo Airport Company, wo Fraport-Mitarbeiter beratend tätig sind. Dort erklärte er den Ägyptern, welche Werte für Fraport-Berater gelten. Vorsichtshalber hatte er dazu auch einen Brief des Vorstandschefs im Gepäck mit zwei Kernaussagen: 1. In Ägypten gelten die gleichen Regeln wie in Deutschland. 2. Wenn es hart auf hart käme, würde Fraport lieber aus einem Projekt aussteigen als faule Kompromisse machen.

Naiv ist Otto Geiß aber nicht. Wer ihn in seinem neuen Büro besucht, sitzt einem umgänglichen, doch kühl analysierenden Pragmatiker gegenüber. Einem, der genau weiß, dass Bakschisch in Ägypten zum täglich Brot gehört. Auf dem Korruptionsindex von Transparancy International rangiert Ägypten derzeit weit abgeschlagen auf Platz 118. Dementsprechend hätten ihn die Ägypter auch mit großen Augen angeschaut, erzählt er. Ähnlich schwierig kann es auch im saudischen Riad und Jeddah werden, wo 15 Fraport-Mitarbeiter beratend tätig sind. „Ich weiß natürlich, dass solche Vorträge dort teilweise auf taube Ohren treffen. Aber sie sollen es hören und sehen, dass uns das wichtig ist. Wir haben keine Lust, durch irgendeinen saudischen Prinzen unsere gesamte Reputation zu gefährden.“ So sieht das auch ver.di-Mann Schaub: „Das Unternehmen steht in einem weltweiten Standortwettbewerb, da kann es sich ein schlechtes Image nicht leisten.“

In der harten wirtschaftlichen Praxis wird sich Fraport an diesem hehren Anspruch messen lassen müssen, wenn die nächsten Korruptionsvorwürfe auftauchen sollten.Veränderungen in der Unternehmenskultur sind schon heute erkennbar. Seit Einführung des Wertemanagements befragt das Unternehmen anonym im zweijährigen Abstand rund 1200 Entscheider im Unternehmen, wie weit Fraport den selbst formulierten Anforderungen im Umgang mit Lieferanten gerecht wird. Während die erste Befragung „wirklich schlecht war“, wie Geiß einräumt, stimmten in der jüngsten Umfrage vom vergangenen Oktober 81 Prozent der Aussage zu, dass die Grundsätze des Wertemanagements „tatsächlich gelebt werden“.

EIN UMSCHLAG MIT 500 EURO

Der offensive Kurs im Unternehmen gegen Korruption und Betrug sorgt offenbar für ein gewachsenes Bewusstsein der Mitarbeiter in Hinblick auf Korruption. Im Jahr 2007 meldete sich ein Mitarbeiter bei Geiß, nachdem ihm ein freiberuflicher Sachverständiger einen Prospekt in die Hand gedrückt hatte, in dem ein Kuvert mit 500 Euro steckte. Der Fraport-Mitarbeiter sollte zusätzliche Honorarnachforderungen des Sachverständigen überprüfen, der das Dach eines Abfertigungsgebäudes kontrolliert hatte. Der Sachverständige verlor seinen Auftrag – und Fraport dauerhaft als Auftraggeber. Es sind eher solche Geschichten, die Geiß beschäftigen. Die wirklichen großen Fälle, die auch Wellen in der Öffentlichkeit schlagen, kommen in der täglichen Praxis der Abteilung sehr selten vor.

In den vergangenen sechs bis acht Jahren habe es keinen größeren Korruptionsfall mehr gegeben, berichtet Geiß. Von der 26 Fällen im elektronischen Meldesystems, der die Abteilung 2012 nachforschte, ging es um andere Dinge: um einen Mitarbeiter, der neben seiner Fraport-Tätigkeit von seinem Arbeitsplatz aus noch einen schwunghaften Internethandel betrieb; um fingierte Dienstwagenverträge, Verstöße gegen Arbeitsschutz- oder Sicherheitsvorgaben oder auch den Missbrauch von Ausweisen. Gerade erst hat Geiß sich noch einmal durch den Aufsichtsrat bestätigen lassen, dass er sich im Zweifelsfall auch bei vermeintlichen Compliance-Verstößen durch den Vorstandsvorsitzenden direkt an den Aufsichtsratsvorsitzenden wenden kann.

Otto Geiß plant derweil bereits seine nächste Auslandsrunde. Im Zeitraum von Mai bis August reist er zu Fraport-Dependancen in Bulgarien, der Türkei und in Peru. Nachdem es bei den Verhaltensregeln zunächst vorrangig um Betrugs- und Korruptionsprävention ging, hat der Vorstand des Unternehmens im Februar nun zwei weitere Verhaltenskodizes, sogenannte Codes of Conduct, beschlossen. Einerseits einen Kodex für die Mitarbeiter, der sich an den Vorgaben der ILO und des UN Global Compact orientiert, die u.a. die Einhaltung der Menschenrechte, Diskriminierungsfreiheit, ein Verbot der Kinderarbeit und Versammlungsfreiheit garantieren. Ein zweiter Verhaltenskodex soll auch die Fraport-Zulieferer verpflichten, bestimmte Mindeststandards einzuhalten. Im Fall von Verstößen droht das Unternehmen konkrete rechtliche Schritte an. Das mag manchen nicht genug sein, denn Codes of Conduct sind rechtlich nicht bindend, und je weiter entfernt vom Kern des Unternehmens sich die Dinge abspielen, desto schwieriger wird die Kontrolle sein. Doch Geiß macht weiter. Niemand, der Böses im Schilde führt, soll sich sicher fühlen.

* Name von der Redaktion geändert

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