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Magazin Mitbestimmung

Arbeitsmarktpolitik: Kraftakt mit Perspektive

Ausgabe 01/2016

Die Kooperation von sechs Transfergesellschaften in den Insolvenzfällen der Baumarktketten Praktiker und Max Bahr hat das Zeug, zum Lehrstück zu werden. Von Hans-Jürgen Arlt

Rund 15 000 Beschäftigte der bundesweit über 300 Praktiker- und Max-Bahr-Baumärkte verloren 2013 ihren Job. Nach der Insolvenz der beiden Ketten wechselten knapp 8000 ehemalige Mitarbeiter, die eine sozialversicherungspflichtige Stelle hatten, in Transfergesellschaften. Das Bochumer Helex Institut hat jetzt die Wirksamkeit der sechs beteiligten Transferträger sozialwissenschaftlich untersucht und deren Arbeit als „eine wichtige Hilfe für die Beschäftigten“ bewertet.

Angesiedelt zwischen betrieblicher Personalpolitik und öffentlicher Arbeitsmarktpolitik sind Transfergesellschaften eine Alternative zu drohenden Massenentlassungen. Sie beraten und qualifizieren Arbeitnehmer, die in dieser Zeit Transferkurzarbeitergeld (85 bis 90 Prozent des Nettogehalts) beziehen und ihren Anspruch auf ein eventuelles späteres Arbeitslosengeld behalten. Als entscheidenden Vorteil einer Transfergesellschaft nennt Wolfgang Köbernik, Geschäftsführer des Transferträgers BOB Transfer in Essen, dass sie die einzelnen Betroffenen nicht als Fall unter vielen anderen behandeln müsse: „Auch bei Massenentlassungen befindet sich jede und jeder in einer anderen Situation – ich denke an Alter, Familie, Geschlecht, Bildung, Berufspraxis, Gesundheit, Wohnort – und muss eigene Bewältigungsstrategien entwickeln. Wenn Betroffene die Erfahrung machen, dass der Respekt für sie und die Kooperation mit ihnen erhalten bleiben, dann können sie auch eine längere Phase der Arbeitssuche besser durchstehen.“

Einmalige Konstruktion

Im Einzelhandel – man denkt sofort an die Schlecker-Insolvenz – sind Transfergesellschaften selten, weil den Forderungen der Gläubiger in der Regel außer einem Warenlager und vielleicht noch Immobilien kaum Werte gegenüberstehen. Dass es im Fall von Praktiker/Max Bahr gelang, ist das erste kleine Wunder, das ohne die beiden innovativen Insolvenzverwalter Christopher Seagon und Jens-Sören Schröder, das Drängen von ver.di und die Kompetenz des Essener Beratungsunternehmens PCG Project Consult nicht geschehen wäre.

Transferträger stehen für gewöhnlich im Wettbewerb zueinander, jeder macht sein Ding und lässt sich nicht mehr als nötig in die Karten schauen. Das ist das zweite Ungewöhnliche: Es gelang, eine bundesweite Zusammenarbeit zwischen sechs Transferträgern zu organisieren. Teamwork statt Konkurrenz, Qualitätskontrolle, Koordina­tion durch einen Beirat, die Stelle eines Mitbestimmungsbeauftragten – die Arbeitsorganisation der sechs Transfergesellschaften hat es so noch nicht gegeben, auch nicht in anderen Branchen (siehe Fragen an Klaus Kost).

Nach dem Urteil der Bochumer Sozialforscher Gernot Mühge und Kathrin Filipiak handelte es sich bei Praktiker/Max Bahr um den größten Transferfall seit dem Übergang vom Arbeitsförderungsgesetz zum SGB III, das seit 1998 das Tätigkeitsfeld der Bundesagentur für Arbeit regelt. Das dritte Bemerkenswerte ist, dass er trotz schwieriger Ausgangslage zu guten Ergebnissen führte: Die Transferzeiten lagen deutlich unter den gesetzlich möglichen zwölf Monaten und waren mit einem viertel bis halben Jahr extrem eng bemessen. Die Finanzmittel für Qualifizierung aus dem Sozialplan lagen bei 200 Euro pro Teilnehmer, dazu kamen Zuschüsse aus dem Europäischen Sozialfonds.
Positive Vermittlungsquoten

Das Helex-Forschungsprojekt gaben die Insolvenzverwalter und die Transfergesellschaften in Auftrag mit dem Ziel, die Qualität der Beratungsleistungen und der Unterstützung der Beschäftigten bei der Stellensuche untersuchen zu lassen. Als entscheidenden Erfolgsindikator werten die Forscher die subjektive Zufriedenheit der Transferteilnehmer mit der Transfergesellschaft im Allgemeinen (64,9 Prozent) und mit den persönlichen Transferberatern im Besonderen (69,3 Prozent). Diese Quoten liegen knapp unter den Evalutionsergebnissen, wie sie in einer größeren Studie für die Gesellschaft für innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.) ermittelt wurden. „Die chaotischen Startbedingungen bei Praktiker/Max Bahr haben zu schlechten Anfangswerten geführt, die späteren Werte entsprechen Transferfällen, die deutlich besser­ ausgestattet waren“, erläutert Gernot Mühge.

Dass die Transfergesellschaften gute Arbeit geleistet haben, bescheinigt ihnen auch ver.di-Bundesvorstandsmitglied Stefanie Nutzenberger: „Das zeigen die positiven Rückmeldungen der ehemaligen Beschäftigten und die Vermittlungsquote in Arbeit von 67,6 Prozent. Grundsätzlich brauchen Transfergesellschaften längere Laufzeiten als ein halbes Jahr und ausreichende Mittel zur Qualifizierung.“

Das Bochumer Forscherteam zieht eine positive Bilanz: „Transfergesellschaften stehen in den Medien oftmals in einem zu negativen Licht. Wir halten sie für ein arbeitsmarktpolitisch wichtiges Instrument, das einen Schutzraum bietet für Beschäftigte in einer schwierigen Lebenssituation.“


"Motivationsschub für die Belegschaften": Fragen an Klaus Kost, Geschäftsführer der PCG Project Consult, die Koordinierungsstelle der sechs Transfergesellschaften.

Wie waren die Startbedingungen? Das Vertrauen war durch das Management zerstört, alles Porzellan zerschlagen. Ein Spiegelbild sind solche Zahlen: hier 80 Millionen Euro für Wirtschaftsberater und -prüfer, dort 17 Millionen Lohnverzicht der Beschäftigten. 

Sind Transfergesellschaften nur ein Kostenfaktor? Nein, es entstand eine echte Win-win-Situation. Die Transfermaßnahmen kosteten rund 75 Millionen, die Verkaufserlöse der Warenbestände brachten fast 300 Millionen. Ohne den Motivationsschub für die Belegschaften, der von dem Transferangebot ausging, wäre Verschleudern auf der Resterampe angesagt gewesen – alles für einen Euro.

Was hat die Koordinierungsstelle geleistet? Uns oblag das gesamte Organisations- und Beschwerdemanagement. Wir haben darauf geachtet, dass sich alle Transferträger an gleiche Kriterien und Standards halten. Dazu wurde ein Datenraum eingerichtet, zugänglich für Insolvenzverwalter, Betriebsrat, Transfergesellschaften, PCG, Arbeitsagentur und ver.di. So gelang ein völlig neuer Ansatz: Kooperation statt Wettbewerb. Das ist ein Modell, wie effektive Arbeitsvermittlung auch unter extremen Bedingungen gelingen kann.

Auf der Homepage des Helex Instituts finden sich unter 

„Projekte“ alle verfügbaren Informationen zum Evaluationsbericht. Die Endfassung des Berichts liegt noch nicht vor. 

Die GIB-Studie zum Download

Antworten auf „die zehn wichtigsten Fragen zur Transfergesellschaft“

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