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Magazin Mitbestimmung

Interview: „Keine faire Chance“

Ausgabe 10/2013

John Fetherston, Gewerkschafter bei der GM-Tochter Opel-Vauxhall, über persönlichen Ärger, vertragsbrüchige Manager und warum die Solidarität im Eurobetriebsrat nicht zerbröseln darf. Das Gespräch führte Margarete Hasel

Im Mai 2012 haben Sie in einem Interview mit der BBC Ihre Freude zum Ausdruck gebracht, dass Ihr Standort Ellesmere Port den Zuschlag für die Produktion von jährlich 160 000 Opel Astra erhält. Das haben wir in der April-Ausgabe dieses Magazins in einem Beitrag über die Schwierigkeiten grenzüberschreitender Solidarität aufgegriffen. Darüber haben Sie sich geärgert. Warum?

Ihr Magazin suggeriert, dass mich die Erleichterung über die Entscheidung blind gemacht hätte für alles, was um uns herum passiert. Ja, es war ein guter Tag für Ellesmere Port. Das habe ich im Interview mit der BBC zum Ausdruck gebracht. Von Bochum oder den anderen Standorten war dabei nicht die Rede. Die Unterstellung, wir hätten gegen die Interessen der anderen verhandelt, weise ich entschieden zurück.

Erleichtert zu sein, wenn man selbst verschont geblieben ist, ist doch eine sehr menschliche Reaktion.

Vorsicht! Die Entscheidung für Ellesmere Port war eine gute Nachricht, aber keine Erleichterung. Wir wussten, dass unser Überleben das Ende eines anderen Standortes bedeuten konnte. Doch das hatten nicht wir zu entscheiden. Opel-Vauxhall hat uns die Pistole auf die Brust gesetzt. Entweder ihr akzeptiert das Paket, oder ihr verliert die Produktion der nächsten Astra-Generation.

So einfach war das?

Verpflichtet bin ich zuallererst den 2000 Gewerkschaftern in Ellesmere Port, die mich gewählt haben, um ihre Interessen zu vertreten. Und die haben keinen Zweifel daran gelassen, wo ihre Interessen liegen, als sie mit einer überwältigenden Mehrheit von 94 Prozent die Konditionen des Managements akzeptierten.

Welche Kröten mussten sie schlucken?

Im Gegenzug für garantierte Investitionen und Arbeitsplätze wurden die Löhne eingefroren, neue Arbeitszeit- und Schichtmodelle eingeführt – Dinge, um die es danach auch an den Opel-Standorten in Deutschland oder Spanien ging. Und die mit ähnlich hohen Zustimmungsraten der Beschäftigten auch in Kaiserslautern und Rüsselsheim akzeptiert wurden.

Und in Bochum?

Opel-Vauxhall hatte den Entschluss wohl längst gefasst, Bochum zu schließen. Wie es vor zehn Jahren Luton in Großbritannien getroffen hat und die Motorenfabrik in Ellesmere Port. 2006 schlossen sie das Werk im portugiesischen Azambuja, 2010 Antwerpen. Es wird immer enger. Ohne Absatzprobleme sähe das anders aus. So hatte der EBR nur sehr bescheidene Möglichkeiten.

Wie haben Sie Ihren Kollegen im EBR Ihr Verhalten erklärt?

Als GM uns damit konfrontierte, dass sie die Astra-Produktion abziehen könnten, war uns die europäische Dimension sehr wohl bewusst. Ich habe sofort den EBR über die Erpressung informiert. Jedem im Eurobetriebsrat war klar, dass wir in Ellesmere Port leer ausgehen, wenn wir nicht zu Zugeständnissen bereit sind.

In Zeiten von Überkapazitäten und Absatzproblemen ist kämpfen nicht einfach.

Noch vor vier Jahren ist es uns gelungen, in einer gemeinsamen Kraftanstrengung 65 Millionen Euro einzusparen. Alle Standorte haben dazu beigetragen. Im Gegenzug erhielten wir Arbeitsplatzgarantien und die Zusage, dass bis 2014 kein Werk geschlossen wird.Schon bei der Schließung von Antwerpen wurde dagegen verstoßen.

„Share the pain“, die gerechte Verteilung der schmerzhaften Einschnitte, lautete damals die Losung des EBR. Trotzdem kam GM Europe nicht zur Ruhe. Hat der Kampf um das Überleben jedes einzelnen Werkes, der unvermindert weiterging, dieses ehrgeizige Kooperationsprojekt überdehnt?

Ich erinnere mich noch gut an ein EBR-Treffen vor sechs Jahren hier in Rüsselsheim. Vertreter aller Standorte waren gekommen, um gemeinsam zu überlegen, wie wir die Einschnitte verteilen könnten. Opel-Vauxhall hatte gerade öffentlich darüber nachgedacht, eine Produktionslinie zu verlagern.

War die transnationale Solidarität in Europa im Jahr 2007 belastbarer als heute?

Leicht war das auch damals nicht. Doch haben wir Gewerkschafter im EBR sehr ernsthaft beraten, wie wir vermeiden können, dass es nur einen Standort trifft. Wir waren überzeugt davon, dass wir eine Lösung präsentieren können, wenn alle Zugeständnisse machen. Mitten in unsere Diskussion hinein platzte der damalige Vorstandsvorsitzende Carl-Peter Forster mit der Bekanntgabe, dass die 1000 Arbeitsplätze in Ellesmere Port gestrichen werden. Weil in Großbritannien Werksschließungen und Entlassungen vergleichsweise günstig zu haben waren.

Zählt die transnationale Solidarität zu den Krisenverlierern?

Sie war schlicht nicht effektiv, wir konnten uns ja nicht durchsetzen. Und wer verliert, wirft Steine auf alles, was zur Niederlage beigetragen haben mag. 

Was kann ein EBR realistischerweise in Krisenzeiten leisten?

Wäre Opel-Vauxhall die erfolgreichste Automobilmarke in Europa, hätten wir viele solidarische Instrumente. Stattdessen haben wir in vielen Ländern Europas eine Rezession. Das macht die Schwerter eines EBR stumpf. In Ellesmere Port hatten wir keine faire Chance zu Verhandlungen. Doch alle – Gewerkschaften, Interessenvertreter wie Beschäftigte – sollten darüber nachdenken, was seither an den übrigen Standorten passiert ist: Überall haben die Kollegen getan, was getan werden musste, um ihre Leute zu schützen. Und Zugeständnisse gemacht.

Der Opel-EBR hatte Rechte weit jenseits der EU-Richtlinie ausgehandelt. Ist das Scheitern deshalb besonders schmerzhaft?

Ist es unserem europäischen Gremium in der letzten Restrukturierungs- und Sparrunde gelungen, allen Standorten Sicherheit zu geben? Nein. Aber sollten wir deswegen die Idee aufgeben? Nochmals nein. Eurobetriebsräte werden gebraucht. Sie brauchen sogar mehr Einfluss auf Entscheidungen, als dies heute der Fall ist. Doch gerade als Vertragspartner ist man auf Gegenüber angewiesen, die es ehrlich meinen und Wort halten.

Soll heißen?

Wenn die Firmenleitung mit dem Angebot auf uns zugekommen wäre, die Konditionen für die Produktion der nächsten Astra-Generation auszuhandeln, dann hätten wir Nein gesagt und auf die mit dem Eurobetriebsrat ausgehandelten Rahmenbedingungen für solche Entscheidungen verwiesen. Denn die gab es, und die funktionierten bisher beim Astra sehr gut. Stattdessen hat das Management darauf gesetzt, den EBR zu spalten. Das ist ihnen ja auch gelungen.

Was könnte die Zusammenarbeit im EBR wieder voranbringen?

Wir Arbeitnehmer haben nichts davon, wenn wir uns zerstreiten. Doch es ist nicht leicht, Menschen dazu zu bewegen, Schmerzen auf sich zu nehmen, solange es Hoffnung gibt, diese zu vermeiden. „Share the pain“ – das ist schon die richtige Idee, denn es wird immer wieder schmerzhafte Prozesse geben.

Zur Person

John Fetherston, 61, ist Vorsitzender des gewerkschaftlichen Shop-Steward-Komitees bei Opel-Vauxhall im englischen Ellesmere Port – und damit einem deutschen Betriebsratsvorsitzenden vergleichbar. Seit 2002 ist er Mitglied des Eurobetriebsrats der GM-Tochter Opel, dessen stellvertretender Vorsitzender er heute ist.

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