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Fabrikarbeiterinnen in einer Werkshalle in Frankfurt Magazin Mitbestimmung

Rätselhaftes Fundstück: Kampf um eine humane Arbeitswelt

Ausgabe 05/2023

Im Jahr 1973 kommt es bundesweit in Betrieben zu wilden Streiks. Arbeitsbedingungen und Inflation sorgen für Frust in den Belegschaften. In Baden-Württemberg nutzt die IG Metall die Stimmung für ihren Kampf um eine humane Arbeitswelt. Von Witich Roßmann

Die Glitzerwelt des bundesdeutschen Wirtschaftswunders, ob Waschmaschinen oder Fernsehapparate, Fotoapparate oder Autos, präsentiert die Werbebranche in bunten Prospekten oder auf der IAA. „Die im Schatten“ (Brecht) zeigt sie nicht. Denn hinter der Glitzerwelt steckt die ermüdende, taylorisierte Arbeit an Fließbändern und Taktstraßen im Dreischichtbetrieb ohne Erhol- oder Bedürfnispausen – entfremdete Arbeit in kürzesten Takten. Die Bilder aus der Welt hinter dem Wirtschaftswunder bleiben schwarz-weiß. So wie das Bild der Frauen in der Produktion bei Telenorma,  aufgenommen von der Fotografin Abisag Tüllmann, die in ihren Bildern die Widersprüche jener Zeit in der jungen Bundesrepublik festhält. Das Bild der Frauen erscheint in einer Sondernummer der Mitgliederzeitung der IG Metall 1973. Es geht um das „Nein der Arbeitgeber“ zu besseren Arbeitsbedingungen.

In über 400 spontanen Streiks des Jahres 1973 – für Teuerungszulagen gegen die grassierende Inflation und gegen die harten Arbeitsbedingungen – treten die Menschen aus dem Schatten: deutsche, griechische, spanische, portugiesische, italienische, türkische Frauen und Männer. Mehr Geld können sie ertrotzen, nicht aber humanere Arbeitsbedingungen. Nach 27 Verhandlungstagen über einen Tarifvertrag zur „Humanisierung der Arbeit“ trifft die Verhandlungskommission der IG Metall Baden-Württemberg unter ihrem jungen Bezirksleiter Franz Steinkühler eine mutige Entscheidung: Gegen Vorbehalte an der IG-Metall-Spitze – „für Arbeitsbedingungen kann man nicht streiken“ – erklären sie das Scheitern der Verhandlungen, und das am 29. August 1973, inmitten der „wilden“ Streiks bei Ford, Opel in Bochum, AEG in Gelsenkirchen, bei Rheinstahl, Pierburg und Hella. Fast 90 Prozent der 245 000 Metallerinnen und Metaller in Baden-Württemberg stimmen für Streik. Bei Daimler und bei Bosch beginnt am 16. Oktober 1973 der Schwerpunktstreik von 57 000 Beschäftigten und endet am 26. Oktober.

Solidarische Gegenmacht von Deutschen und Migranten erkämpft einen Tarifvertrag, der den Weg für eine humanere Arbeitswelt für Leistungslöhne in der Fließband- und Taktarbeit eröffnet: Mitbestimmung bei Leistungsvorgaben, Taktzeiten und Gruppenarbeit, bezahlte fünf Minuten Erholzeit, mindestens drei Minuten für persönliche Bedürfnisse und, besonders wichtig, Verdienst- und Arbeitsplatzsicherung für ältere Beschäftigte ab dem 53. Lebensjahr.

Zeiten für persönliche Bedürfnisse und Erholzeiten sind seither als „Steinkühler-Pausen“ in die Tarifgeschichte eingegangen, eine symbolische Würdigung für einen IG-Metall-Bezirksleiter, der die soziale Energie der spontanen Streiks kurz entschlossen in einen gewerkschaftlichen Streik für bessere Arbeitsbedingungen umgewandelt hat.


Rätselfragen

  1. Wie hoch war die Inflation 1973?
  2. Was löste die Inflation Anfang der 1970er Jahre aus?
  3. Seit wann gibt es das Programm der Bundesregierung zur Humanisierung der Arbeitswelt?

Alle richtigen Einsendungen, die bis zum 15.11.2023 bei uns eingehen, nehmen an einer Auslosung teil.

Preise:
1. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 100 Euro 2.– 4. Preis: Gutschein der Büchergilde Gutenberg, Wert 50 Euro

Schicken Sie uns die Lösung:
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Redaktion Mitbestimmung
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40474 Düsseldorf
E-Mail: redaktion[at]boeckler.de

Auflösung der Rätselfragen 4/2023:

  • Portugal
  • 1973
  • Technologie- und Innovationszentrum Wasserstoff

 

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