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Magazin Mitbestimmung

Netzwerk: Junge Autobauer proben Solidarität

Ausgabe 07+08/2014

Internationale Jugendwochen bei Ford und Opel bringen junge gewerkschaftlich engagierte Beschäftigte der europäischen Standorte zum Erfahrungsaustausch zusammen. Von Andreas Schulte

Die Luftfahrtbranche boomt. Gleich reihenweise fertigt „Disponent“ David Lüdtke aufgeregte Verkäufer an seinem Tisch ab. Anbieter aus Deutschland, Großbritannien, Rumänien und Spanien texten auf ihn ein und fuchteln dem 23-Jährigen mit Flugzeugmodellen unter der Nase herum. In gebrochenem Deutsch preisen sie leidenschaftlich die Vorzüge ihrer Passagiermaschinen und Jets. Lüdtke kauft und kauft und kauft ... den Markt einfach ratzekahl leer. Die „Flugzeugbauer“ Thomas McMahon (24) und Cristina Dracea (25) aus Rumänien wollen die Gunst der Stunde nutzen und treiben ihre Produktionen an, zahlen Überstunden und Sonderschichten. Händeringend suchen sie nach Arbeitern, damit sie Lüdtkes Nachfrage bedienen können. Und der? Macht plötzlich dicht, bricht alle Verhandlungen ab. Aus den USA sei überraschend die Wirtschaftskrise nach Europa herüber­geschwappt. Der Markt gebe nun einfach nichts mehr her, so sei das eben, sagt er dem verdutzten McMahon. Der Brite bleibt auf seiner letzten Charge Flugzeuge sitzen, verkündet seinen Mitarbeitern Emily und Michael, dass ihnen nun Arbeitslosigkeit droht. Und versenkt seine Überproduktion achtlos im Mülleimer. Ende eines Rollenspiels, das mithilfe von Papierfliegern jungen Gewerkschaftern den globalisierten Markt erklären will.

Denn natürlich sind David, Thomas und Cristina nicht wirklich Tycoons der europäischen Luftfahrt, sondern junge Ford-Beschäftigte. Auf Einladung der IG Metall verbrachten die rund 30 jungen Gewerkschafter von verschiedenen europäischen Ford-Standorten die Woche nach Pfingsten in der IG-Metall-Bildungsstätte Sprockhövel. Das Ziel? Gegenseitiges Kennenlernen, ein Austausch über Arbeits- und Lebensbedingungen in ihren Ländern und über nationale Gewerkschaftsstrukturen. „Langfristig wollen wir ein europäisches Netzwerk junger Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter aufbauen“, sagt Natalie Glück, Referentin des Gesamtbetriebsratsvorsitzenden bei Opel. Sie hat in Rüsselsheim für 26 Jugendliche aus sieben europäischen Opel-Werken zeitgleich eine Begegnungswoche organisiert.

SELBSTBEWUSSTE BEGEGNUNG MIT DEM CEO

Glaubt man den jungen Opelanern, sind sie diesem Ziel mit der „Europäischen Jugendwoche“ einen guten Schritt näher gekommen. Sie haben sich mit prekärer Beschäftigung und Jugendarbeitslosigkeit in Europa auseinandergesetzt, und sie haben eine Abschlussaktion vorbereitet: einen Demonstrationszug von der Opel-Bildungsstätte zum Bahnhofsplatz, wo eine Kundgebung am Freitag lautstark die Öffentlichkeit wachrütteln will. „Unter den Jugendlichen bei Opel entsteht ein neues europäisches Bewusstsein“, sagt Marian Rozsa am Rande der Demo. Der 22-Jährige ist im Werk Aspern in Österreich für die Instandhaltung der Elektroinstallationen zuständig. Jetzt demonstriert er gemeinsam mit rund 200 Metallern und Opelanern – sowie mit Tröte und Trillerpfeife. Man habe sich zu Beginn der Begegnungswoche nicht vorstellen können, wie sehr sich die prekäre wirtschaftliche Situation in Spanien auf die Lebensbedingungen der jungen Menschen dort auswirkt, berichtet er. Erst durch die Schilderungen der Kollegen aus Saragossa sei dies klar geworden. 2013 litten in Europa sechs Millionen Menschen unter 25 Jahren unter Arbeitslosigkeit. „Jung und prekär, ab sofort nicht mehr“, haben Demonstranten auf dem Rüsselsheimer Bahnhofsplatz auf ihr Transparent geschrieben. Auf der Kundgebung wählt David Navarro Sebastian, 24-jähriger Opelaner aus Saragossa, ähnliche Worte: „Wir fordern unbefristete Verträge und für alle Standorte die gleichen Bedingungen“, ruft er selbstbewusst in die Menge. 

Tags zuvor hat er dem Opel-Management gemeinsam mit den anderen Teilnehmern der Jugendwoche einen Besuch abgestattet. Gemeinsam traten sie gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden Karl-Thomas Neumann für europaweit einheitliche Ausbildungsstandards ein. „Herr Neumann hat das sehr ernst genommen“, ist auch Marian aus Österreich überzeugt. Tatsächlich konnten die Jugendlichen dem Opel-Chef ein erstes Versprechen abringen: Die europäische Jugendwoche wird auf jeden Fall wiederholt werden. 

WIE WETTBEWERB FUNKTIONIERT

Diese Gewissheit hat Georg Leutert vom europäischen Ford-Betriebsrat noch nicht. Eine EBR-Arbeitsgruppe wolle sich um eine Folgeveranstaltung des Jugendseminars bei Ford kümmern, so der Organisator der Jugendbegegnung. Er selbst denkt schon einen Schritt weiter: an eine konzernübergreifende Jugendwoche. Sie soll den Automobilstandort Europa stärken, an dem fast alle Marktteilnehmer mit gleichen Problemen kämpfen, zum Beispiel mit vergleichsweise hohen Löhnen im Wettbewerb mit Fernost und mit Abgasnormen, die die EU verlangt. „Wir haben nur dann eine Zukunft, wenn wir aus dem vom Unternehmen geschürten Standortwettbewerb ausscheren. Der existiert auch zwischen Regionen, Ländern und verschiedenen Herstellern“, sagt Leutert. Solche Zusammenhänge haben die jungen Fordler in der IG-Metall-Bildungsstätte in Sprockhövel eine Woche lang erörtert: in Rollenspielen zur Globalisierung, in Interviews mit älteren Gewerkschaftern und im Erfahrungsaustausch untereinander. „Die Teilnehmer waren tief beeindruckt von den unterschiedlichen Arbeits- und Lebensbedingungen in Deutschland, Spanien, Großbritannien und Rumänien“, berichtet Leutert. „Obwohl wir doch alle für das gleiche Unternehmen arbeiten.“ Aber während sich deutsche Gewerkschaftsvertreter oft für bessere Ausbildung von Beschäftigten einsetzen, kämpfen britische Metaller gegen drohende zero-hour contracts, die es Arbeitgebern ermöglichen, Mitarbeiter stundenweise zu beschäftigen. „Den Spaniern und den Rumänen hingegen geht es einfach darum, Arbeit zu haben und Arbeitsplätze zu schaffen“, sagt Leutert. 

Tatsächlich ist Cristina Dracea froh darüber, in der Produktion des Modells B-MAX im rumänischen Craiova Benzinpumpen montieren zu dürfen. Dabei hat sie einen Abschluss als Wirtschaftswissenschaftlerin. „Jobs für Akademiker sind rar in Rumänien“, sagt sie. Rund 400 Euro verdient ein Arbeitnehmer der Industrie dort monatlich. „Die Leute haben Angst, entlassen zu werden und dann mit nichts dazustehen. Sie halten es für riskant, in die Gewerkschaft einzutreten“, sagt Dracea. 

Wie groß der Unterschied zwischen west- und osteuropäischen Löhnen ausfällt, hatte auch ihren britischen Kollegen Thomas überrascht. Wenn er nicht wie zuvor im Spiel mit Cristina den Chef einer Flugzeugproduktion mimt, steht er in Halewood bei Liverpool an der Produktionsstraße der Ford-Tochter Rover. „Es war erschreckend zu erfahren, dass unsere rumänischen Kollegen einen Monat lang für einen Betrag arbeiten müssen, den wir in knapp einer Woche verdienen“, sagt er. Das sei ungerecht. „Wir müssen europäische Standards schaffen.“ 

SOLIDARITÄT BEIM BIER DANACH

Wie die Opel­aner setzen auch die Jugendlichen bei Ford auf die europäische Solidarität als Mittel zur Durchsetzung besserer Arbeitsbedingungen. „Überall in Europa sind Standorte bedroht. Deshalb müssen wir uns verbünden“, sagt David Lüdtke, Jugendvertreter im Werk Köln. Gerade hat das Ford-Management beschlossen, die Produktion des Fiesta bis 2021 in Köln zu belassen und nicht nach Craiova zu verlegen. Dort könnte kostengünstiger produziert werden. „Insofern haben die Kollegen dort etwas für Köln gegeben, beim nächsten Mal werden wir denen etwas geben“, sagt Lüdtke. 

Im Kleinen war Solidarität während der gemeinsamen Ford-Woche schon gelebte Realität. „Wir haben zuerst nicht bemerkt, warum die Rumänen am Abend so wenig trinken“, erzählt Lüdtke. Dann sei einigen Kollegen klar geworden, dass die sich Getränke zu den hiesigen Preisen nicht leisten können. „Da haben einige von uns ohne große Worte einfach diskret für Nachschub gesorgt.“

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