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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Wir sind stabiler als eine NGO'

Ausgabe 04/2009

Frank Werneke über seinen Weg zu ver.di, die Attraktivität seiner Gewerkschaft für junge Leute und die Mühen der Mitgliederwerbung.

Das Gespräch führten KAY MEINERS, Redakteur des Magazins Mitbestimmung, und CHRISTOPH MULITZE, Journalist in Düsseldorf/Foto: Nicole Maskus

Was macht ver.di für junge Leute sexy?
Den Anspruch habe ich gar nicht. Sagen wir doch lieber: attraktiv.

Gut - stellen Sie sich vor, wir beide wären Azubis. Warum sollen wir eintreten?
Unsere Kompetenz ist die Arbeitswelt. Wir handeln in Fragen des Einkommens, der Übernahme nach der Ausbildung, in Fragen der beruflichen Fortentwicklung. Dazu kommen unsere jugendspezifischen Forderungen wie das Grundrecht auf Ausbildung.

Wie viel Platz hat das im Kopf junger Leute - neben der Freundin, neben dem Computer, vor allem aber neben Attac und Greenpeace?
Neben der Arbeitswelt kümmern wir uns auch um Themen wie Bildung oder soziale Gerechtigkeit. Das sind Themen, die junge Leute interessieren. Damit überzeugen die Gewerkschaften übrigens mehr junge Menschen zum Beitritt als alle NGOs und Parteiorganisationen zusammen.

Trotzdem kommen die sozialen Bewegungen frischer daher. Wie wollen Sie mit der Konkurrenz mithalten?
Ich sehe das nicht als Konkurrenz, sondern gönne diesen Organisationen jedes Mitglied. Es gibt viele Doppelmitglieder, und ver.di ist als Organisation Mitglied bei Attac. Die Gewerkschaften kommen vielleicht etwas träger daher, aber sie sind stabiler und in konkreten Konfliktsituationen auch durchsetzungsfähiger. Wir sind politisch.

Welche Rolle spielen traditionelle Jugendorganisationen wie die Falken, aus denen viel Gewerkschaftsprominenz hervorgegangen ist?
Wir haben Kontakte zu solchen Organisationen, zum Beispiel über den Deutschen Bundesjugendring. Bei den Falken ist die Bedeutung, soweit ich das einschätzen kann, regional sehr unterschiedlich. Am wichtigsten in der Zusammenarbeit sind die Jugendorganisationen der anderen Einzelgewerkschaften.

Früher wurden bei dieser Frage nach dem wichtigsten Partner immer gleich die Jusos genannt. Hat sich da etwas geändert?
Wir haben auch gute Kontakte zu den Jusos. Es gibt auch Jugendfunktionäre bei uns, die in der Jungen Union sind. Aber zugegeben, nicht so häufig.

Wo ziehen Sie die Altergrenze zwischen Jugend und Erwachsensein?
ver.di zieht die Grenze bei 27 Jahren.

Mit 27 arbeiteten Sie schon zwei Jahre hauptamtlich für die Gewerkschaft - in der Bundeszentrale. Wie ist es dazu gekommen?
Ich war vorgeprägt. Meine Eltern waren beide Gewerkschafter, und ich war in der Friedensbewegung und bei den Jusos aktiv. Mit 16, als meine Ausbildung begann, bin ich am ersten Tag in die Gewerkschaft eingetreten - in die damalige IG Druck und Papier. Für mich war der Beitritt eine Selbstverständlichkeit.

Das war 1983, vor einem Vierteljahrhundert. Die Welt, die Sie beschreiben, klingt heute für die meisten jungen Leute exotisch.
Ja, viele steigen heute später in den Beruf ein - und politische Vorprägungen haben heute nicht mehr ganz die Bedeutung wie in meiner Biografie. In dem grafischen Betrieb, in dem ich arbeitete, waren bis auf einige Angestellte alle organisiert. Ich konnte sehen, welche Mächtigkeit Gewerkschaften entwickeln können. Dann habe ich selbst ehrenamtliche Funktionen übernommen - erst als Jugendvertreter, dann als ehrenamtlicher Ortsjugendleiter.

Sie sind in der Organisation schnell aufgestiegen. War die Karriere geplant?
Damals wurden in kurzer Zeit sehr viele Hauptamtliche gebraucht - durch die Gründung der IG Medien 1989 und die Phase des Aufbaus neuer Strukturen in den neuen Bundesländern. Es wurde Nachwuchs gesucht, und ich wurde angesprochen. Damals fand die Einstellung noch nach einem Vorstellungs- und Auswahlgespräch vor dem gesamten Gremium des Hauptvorstandes statt. Ich wurde dann zuerst Bundessekretär für die Druckbranche.

Heute arbeiten Sie an einer strategisch sehr sensiblen Stelle. Ist der Druck nicht sehr groß?
Jugendarbeit und Mitgliederentwicklung sind Themen von strategischer Bedeutung. In der Organisation wird daher sehr genau diskutiert, was wir machen. Welche Leistungen bieten wir unseren Mitgliedern? Wie gehen wir auf einzelne Zielgruppen zu? Welche Strategien zur Mitgliederentwicklung sind erfolgreich?

Was muss man mitbringen, um heute als Jugendsekretär bei ver.di einzusteigen?
Wer einen betrieblichen Erfahrungshintergrund hat, auch in der betrieblichen Interessenvertretung, und schon ehrenamtliche Funktionen hatte, ist vermutlich geeignet - und wird vielleicht angesprochen oder bewirbt sich.

Wie läuft dann die Bewerbung ab?
Die Gespräche finden an unterschiedlichen Orten statt. Der Landesbezirk, in dem später der Einsatzschwerpunkt vorgesehen ist, ist beim Bewerbungsgespräch vertreten, außerdem der Personalbereich, die Abteilung Jugend und der Betriebsrat. Wer genommen wird, durchläuft eine 18 Monate dauernde Ausbildung.

Suchen Sie einen bestimmten Typus?
Man sollte Persönlichkeit mitbringen, und man muss Menschen mitnehmen können. Das kann auf eine eher laute oder eher leise Art geschehen - je nach Talent. Die Menschen, die wir dann einstellen, sind unterschiedlich - zum Glück.

Wie viel Geld gibt ver.di für die Jugend aus?
Es gibt keine zentral erfasste Zahl - das Geld kommt aus einer Reihe von Töpfen der verschiedenen Gliederungen von ver.di.

Gibt es ein Controlling, sodass ver.di Aussagen über Kosten-Nutzen-Relationen einzelner Kampagnen treffen kann?
Natürlich achten wir bei konkreten Kampagnen oder wiederkehrenden Aufgaben wie JAV-Wahlen oder Berufseinsteigeraktionen auf das Ergebnis. Wir wollen schließlich keine Mitgliedsbeiträge verbrennen. Gleichzeitig gibt es Raum für neue Wege, etwa in der Gewinnung von Studierenden in dualen Studiengängen, und wir befassen uns mit der Frage einer speziellen Ansprache beim Übergang von der Ausbildung zum Berufsleben.

Lassen Sie uns über Zahlen sprechen. Jugendliche sind in Gewerkschaften unterrepräsentiert. Die ver.di-Jugend hat schwere Zeiten hinter sich, in denen die Mitgliederzahlen sanken.
2008 haben sich fast 140 000 Menschen für den Eintritt in ver.di entschieden. Unter dem Strich ergab das ein Mitgliederplus von 1,8 Prozent bei den erwerbstätigen Mitgliedern. Im Bereich der ver.di-Jugend hatten wir 30 000 Eintritte, insgesamt ergab das ein Plus von 2,9 Prozent. Eine insgesamt erfreuliche Entwicklung.

Für einzelne Orte weist die Statistik der ver.di-Jugend gigantische Zuwächse aus - etwa 52 Prozent für Wiesbaden in einem Jahr. Was ist da passiert?
Das sind dann meist besondere Ereignisse. Zum Beispiel im Rahmen von Arbeitskämpfen oder wenn es gelingt, in Ausbildungseinrichtungen besonders erfolgreich zu sein - etwa einer Pflegeschule, die zu einer Uniklinik gehört.

Auf der Webseite der ver.di-Jugend liest man viel davon, wie unsicher die Arbeitswelt ist, und es heißt dort, Bildung brauche keinen Wettbewerb. Zieht man damit nicht eher die Verlierer an?
Nein. Hinter diesen Sätzen stehen politische Forderungen, wie die Forderung nach Chancengleichheit oder Bildungsgerechtigkeit, nach einem freien Hochschulzugang ohne Studiengebühren.

Bei welchen Gelegenheiten gelingt es ver.di, junge Auszubildende und Berufstätige zu werben?
Ganz überwiegend in betrieblichen Zusammenhängen - durch die Ansprache vor Ort durch aktive Jugend- und Auszubildendenvertreter. Eine wichtige Rolle spielen Tarifrunden und Streiks. Wenn wir ein überzeugendes Ziel haben, wenn wir Gegenmacht entwickeln, erreichen wir junge Beschäftigte. Es ist wichtig, dass Gewerkschaft konkret und positiv erfahrbar ist.

Auch Schnuppermitgliedschaften sind immer mal wieder im Gespräch.
Viel verspreche ich mir davon nicht. Das macht die Schwelle nur höher, weil die Menschen gewissermaßen zweimal Mitglied werden müssen. Die Fragen, die wir aktuell diskutieren, sind eher, ob es spezielle Ansprachewege für Jugendliche gibt oder besondere Mitgliederleistungen für die Zeit nach dem Eintritt.

Welche Rolle spielt die virtuelle Welt des Internets?
Von durchschnittlich 8000 bis 9000 neuen Mitgliedsanträgen, die uns insgesamt im Monat erreichen, stammen etwa 1500 aus dem Internet. Das sind nicht alles Jugendliche, aber es sind vielfach jüngere Leute, die diesen Weg beschreiten. Und es sind Menschen, die nicht über den Betrieb Zugang zu einer Gewerkschaft haben - also zum Beispiel Studenten. Das Internet ist für uns eine wichtige Plattform, etwa im Rahmen unserer Mindestlohnkampagne.

Wie viele Studenten organisiert ver.di?
Derzeit haben wir etwa 10 000 Mitglieder, die studieren.

Welche Mittel halten Sie für legitim, um junge Menschen anzusprechen, und welche nicht?
Wir dürfen niemals unaufrichtig sein. Dazu gehört, dass die Gewerkschaft keine Dinge verspricht, die wir nicht halten können. Ebenso wenig halte ich etwas davon, Mitgliedschaften durch, ich will das mal so formulieren, kulturellen Druck in Belegschaften zu erzwingen. Daraus entstehen weder stabile noch zufriedene Mitgliedschaften.

Oft kann man beobachten, dass DGB-Gewerkschaften ein Event organisieren - und dann laufen irgendwelche Splittergruppen mit.
Es ist nicht beeinflussbar, wer beim 1. Mai mitdemonstriert. Ich finde aber auch, dass wir es ertragen können, wenn sich dort ein paar exotische Gruppen tummeln.

Gibt es auch politische Schamgrenzen?
Ich denke, dass man sich auch jenseits der traditionellen Bündnispartner umsehen darf. Aber wir müssen uns als Gewerkschaften nicht alles antun und schauen hin, mit wem wir kooperieren.

Als Jugendlicher kann man schnell denken: Alles was links ist, gehört irgendwie zu uns. Im Zweifel auch die Steinewerfer.
Nein. ver.di grenzt sich von jeder Form der Gewalt klar ab. Sie ist kein politisches Mittel, mit dem wir arbeiten oder das wir akzeptieren.

Was bieten Sie jungen Leuten an Partizipation?
Es gibt viele Möglichkeiten zum Mitmachen - auch jenseits fester Gremienstrukturen. Wer sich für Themenarbeit interessiert - etwa zum Thema Antirassismus oder Antifaschismus - wird fündig. Zusätzlich bieten wir viele Seminare an - das reicht von politischen Themen bis hin zur Persönlichkeitsentwicklung.

Wer sich besonders engagiert zeigt, bei der Stange bleibt, der wird politisch fester eingebunden?
Wir organisieren zahlreiche mehrtägige JAV-Schulungen, mit ca. 2500 Teilnehmern im Jahr. Eine spezielle Seminarreihe zur gewerkschaftlichen Qualifizierung, auch für jüngere Mitglieder in Funktionen, heißt "GPS". Die schließt dann auch Themen wie Konfliktmanagement oder die Ausbildung für die eigene Seminarleitung mit ein. Ungefähr 200 Leute nehmen jährlich daran teil.

Bleiben junge Leute ver.di treu, wenn sie einmal eingetreten sind?
Es gibt eine kritische Phase nach der Ausbildung, insbesondere dann, wenn keine Übernahme erfolgt. Da haben wir Austritte. Wir versuchen übrigens, verstärkt mit Rückholteams zu arbeiten, nicht nur bei Austritten von Jugendlichen.

Wie genau laufen die Rückholaktionen?
Wo es Zugänge im Betrieb gibt, nutzen wir sie. Da, wo das nicht möglich ist, etwa weil Kolleginnen und Kollegen überhaupt nicht mehr im Betrieb sind, arbeiten wir mit Teams von Ehrenamtlichen, die telefonische Gespräche führen. Dort wird nach Austrittsgründen gefragt und natürlich auch argumentiert.

Jeder Einzelne wird angerufen?
Das ist unser Ziel. Es gelingt derzeit in den einzelnen Landesbezirken noch unterschiedlich gut. In Nordrhein-Westfalen beispielsweise geschieht es fast flächendeckend, anderswo gibt es noch Lücken. Es ist auch nicht ganz einfach, die Teams aufzubauen und stabil zu halten. Mitgliederrückholarbeit ist eine harte, manchmal frustrierende Arbeit. Aber es gibt auch viele Erfolgserlebnisse.

Wie hoch ist die Erfolgsquote?
Von den Mitgliedern, die wir erreichen und ansprechen, zieht etwa jeder Fünfte seinen Austritt zurück.

Trotzdem - zwischen einem ver.di-Mitglied, das 60 Jahre alt ist, und einem Jugendlichen liegen oft Welten.
Es gibt in einer großen Organisation wie ver.di natürlich ganz unterschiedliche Gruppen, Interessenlagen und auch Milieus. Das macht uns gleichzeitig interessant. Denn viele Themen wirken auch verbindend und generationsübergreifend. Gerade junge Menschen mit Mitte 20 oder Anfang 30 werden beispielsweise von der Rente mit 67 getroffen.

Wie autonom ist die ver.di-Jugend bei der Beschlussfassung?
Sie beschließt eigenständig und unabhängig, etwa auf der Bundesjugendkonferenz. Das ist zumeist mit dem Anspruch verbunden, Einfluss geltend zu machen, um die Politik der Gesamtorganisation in ihrem Sinne zu beeinflussen. Ein Antrag der ver.di-Jugend auf dem Bundeskongress hat immer einen Sympathiebonus, manchmal auch zum Leidwesen des Bundesvorstandes …

Und dann wird die Jugend von den Älteren überstimmt.
Mir ist keine einzige Abstimmung bekannt, die einen Generationenkonflikt offenbart hätte. Außerdem sind die Delegiertenschlüssel für den Bundeskongress so gewichtet, dass die jugendlichen Mitglieder etwas stärker repräsentiert sind.


ZUR PERSON

Frank Werneke, geboren 1967 in Schloß Holte-Stukenbrock, entschied sich bereits in jungen Jahren für eine Laufbahn bei der Gewerkschaft, nachdem er eine Ausbildung zum Verpackungsmittelmechaniker durchlaufen und mehrere Jahre im betrieblichen Qualitätsmanagement gearbeitet hatte. Beim ver.di-Gründungskongress 2001 wurde er in den Bundesvorstand gewählt. Er ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft und Mitglied des ZDF-Fernsehrates. Als Leiter des Fachbereiches Medien, Kunst und Industrie ist er zuständig für alle Tarifverhandlungen im Mediensektor, für die Medien- und Kulturpolitik bei
ver.di, Selbstständige, die Jugend und die Mitgliederarbeit.

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