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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Wer hat, dem wird gegeben.'

Ausgabe 05/2008

Personal-Experte Werner Nienhüser wünscht sich, dass Mitbestimmung nicht erst dann beginnt, wenn die Personalplanung schon fertig ist.

Das Gespräch führten KAY MEINERS und CHRISTOPH MULITZE.

Herr Nienhüser, was im Betriebsverfassungsgesetz zum Personalwesen gesagt wird, klingt recht mechanisch: Es gibt Bewerbungen, Einstellungen, Kündigungen - das war's. Ist das Gesetz, das im Kern ein halbes Jahrhundert alt ist, noch eine gute Grundlage für strategisch orientierte, mitbestimmte Personalpolitik?
Das Gesetz ist aus meiner Sicht immer noch funktional. Ich bin aber der Meinung, dass die Betriebsräte auch in personalstrategischen Fragen stärkere Mitbestimmungsrechte erhalten sollten. Dazu müsste man das Gesetz in der Tat ändern. Denn dessen Grundgedanke ist, dass die zentralen unternehmerischen Entscheidungen nicht der echten Mitbestimmung unterliegen, diese setzt vielmehr an der Verarbeitung der Folgen solcher Entscheidungen an.

Sind die Betriebsräte darauf vorbereitet, mehr strategische Verantwortung im personalwirtschaftlichen Bereich zu übernehmen? Wir spüren da immer noch Vorbehalte.
In der Vergangenheit mag es solche Vorbehalte gegeben haben. Aber bei der Mehrheit der Betriebsräte hat sich das gewandelt. Sie haben längst erkannt, dass personalwirtschaftliche Entscheidungen für die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter wichtig sind. Denken Sie nur an die vielen Betriebsvereinbarungen zur Weiterbildung, die heute bereits existieren.

Spätestens, wenn es um einzelne Personen im Betrieb, um Begriffe wie Karriere-Coaching oder um Aufstiegsleitern geht, werden viele Mitarbeiter misstrauisch.
Oft gilt leider das Matthäus-Prinzip: Wer schon hat, dem wird gegeben. Wer bereits hoch qualifiziert ist, kann mit Hilfe des Unternehmens seine Qualifikationen ausbauen. An- und Ungelernte, selbst Facharbeiter oder kaufmännische Mitarbeiter mit vergleichbaren Qualifikationen bekommen wenig von der Personalentwicklung ab. Wenn die niedriger qualifizierten Arbeitnehmer Weiterbildungsprogramme skeptisch sehen, bei denen sie zu kurz kommen, und dies als ungerecht empfinden, dann ist das sehr verständlich. Denn so verfestigt sich letztlich auch soziale Ungleichheit.

Ein solcher Zustand kann Sie als Personaler nicht befriedigen.
Natürlich nicht. Personalentwicklung muss mehr sein als Karriere-planung und Qualifizierung der Eliten im Betrieb. Wenn ein Betriebsrat sieht, dass nur wenige im Betrieb von der Personalentwicklung profitieren, sollte er sich einmischen, um Verteilungsungerechtigkeit zu verhindern.

In welchen Fällen noch?
Wenn er sieht, dass junge Führungsnachwuchskräfte in einen harten Auslese-Wettbewerb geschickt werden, kann das ein Thema für ihn sein. Solche Arbeitnehmer sagen häufig: Ich kann mich selbst vertreten, und lange Arbeitszeiten machen mir nichts aus. Dass sie sich selbst ausbeuten und auf lange Sicht ihre Gesundheit gefährden, sehen sie häufig nicht.

Gerade diese Leute wenden sich doch kaum an den Betriebsrat.
Ich weiß, dass es nicht einfach ist, diese Beschäftigten zu erreichen. Dabei müssten sie ein objektives Interesse daran haben, dass sich etwas ändert. Der Betriebsrat kann nicht einfach sagen: Ich glaube, du solltest weniger Überstunden machen. Aber es gibt Arbeitnehmervertreter, die sich erfolgreich um solche Probleme kümmern, etwa in einigen Hightech-Unternehmen.

Jedes Unternehmen wird genau prüfen, welche Mitarbeiterwünsche auch betriebswirtschaftlich Sinn machen und welche nicht. Wo gibt es am häufigsten Interessenkonflikte?
Massive Interessengegensätze, eine schlechte Machtposition der Arbeitskräfte und deswegen schlechtere Arbeitsbedingungen gibt es dort, wo die Arbeitskräfte leicht ersetzt werden können. Relativ wenige Konflikte gibt es bei Beschäftigten, die gut qualifiziert sind und zugleich über viel Erfahrungswissen verfügen, das sie im Betrieb erworben haben. Wenn solche Arbeitskräfte den Betrieb verlassen, kann der Wissensverlust nur mühsam wieder ausgeglichen werden. Beide Seiten, Arbeitgeber und Arbeitnehmer, haben hier ein Interesse an langfristigen Verträgen - im Ergebnis sind die Arbeitsbedingungen relativ gut.

Haben die Firmen Druckmittel in der Hand, um zu verhindern, dass Top-Leute, in die viel investiert wurde, trotzdem abwandern?
In manchen Firmen gibt es Klauseln, die besagen, dass ein Top-Mitarbeiter die Kosten für bestimmte Qualifizierungen zurückzahlen muss, wenn er das Unternehmen verlässt. Aber wenn es hart auf hart kommt, wenden das viele Unternehmen nicht an.

Unternehmen brauchen nicht ausschließlich betriebspezifisches Wissen, das nur für den einzelnen Betrieb wertvoll ist. Es wird auch allgemeines Wissen benötigt.
Ja, das stimmt. Hier besteht ein Problem, das in den Wirtschaftswissenschaften häufig als Unterinvestition in ein öffentliches Gut bezeichnet wird. Alle wollen es haben, aber zahlen will keiner, weil man sich auf den anderen verlässt. Viele Unternehmen wollen gut qualifizierte Facharbeiter, aber ausbilden wollen nur wenige. Daher muss der Betriebsrat darauf achten, dass auch in kollektive Güter wie Bildung investiert wird.

Was macht ein Unternehmen für die Beschäftigten interessant?
Wichtig ist, dass alle Mitarbeiter im Unternehmen eine Perspektive für sich sehen, dass sie Aufstiegsmöglichkeiten haben, ihre Qualifikationen erhalten und Neues lernen können. Dazu gehört auch, dass Mitarbeiter sich artikulieren, ihre Stimme geltend machen können. Dann sind sie bereit, sich zu engagieren. Eine Personalentwicklung, die ein solches Klima schafft, erhöht damit die Lernfähigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der Organisation.

Dann erstaunt es, dass sich viele Unternehmen dieser Einsicht verweigern.
Das Problem ist, dass Lernen nicht überall in gleichem Maße benötigt wird. Außerdem kann Lernen kurzfristig die Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit verschlechtern - häufig wirkt es erst langfristig fördernd. Ähnlich ist es auch mit der Mitbestimmung. Sie bedeutet zunächst mehr Aufwand - aber wer sich artikulieren kann und mit Rechten ausgestattet ist, bleibt länger im Unternehmen und ist bereit, mehr zu leisten, als im Arbeitsvertrag festgeschrieben ist. Davon profitieren dann alle.

Wie kriegt ein Personalentwickler heraus, wo Weiterbildungsbedarf besteht?
Das geht nicht ohne die Beschäftigten selbst. Viele Mitarbeiter müssen sich erst einmal darüber klar werden, was ihnen an Wissen und Fertigkeiten fehlt. Die Betriebsräte können maßgeblich dabei mitwirken, diesen Bedarf zu ermitteln, denn die Beschäftigten haben zu ihnen mehr Vertrauen als zum Management.

Wie geht man professionell vor?
Das Übliche sind Fragebögen oder Online-Befragungen. Das kann auch die Personalabteilung unter Beteiligung des Betriebsrates machen. Aber es gibt auch unkonventionelle Verfahren, die klassische Befragungsmethoden ergänzen können. Sie bieten andere Möglichkeiten, sich zu artikulieren.

An welche Verfahren denken Sie?
Warum soll man nicht Mitarbeiter Bilder malen oder Geschichten erzählen lassen? So können sie vielleicht besser ausdrücken, wie sie sich ihren Arbeitsplatz in fünf Jahren vorstellen und welches Wissen ihnen dann fehlen wird. Eine andere Methode: Man fordert Mitarbeiter auf, von kritischen Ereignissen in der Vergangenheit zu berichten, in denen ihnen schon einmal Wissen oder eine bestimmte Fähigkeit gefehlt hat.

Sie meinen, solche Aufgaben könnte auch der Betriebsrat übernehmen?
Ja - solche Methoden kann man lernen. Ich glaube nicht, dass da immer gleich ein Organisationspsychologe anreisen muss. Am schwierigsten ist bei den Methoden die Interpretation der Daten: Wie liest man aus einem Bild den Weiterbildungsbedarf heraus? Dies geht nicht ohne denjenigen, der das Bild gemalt hat, und er wird eine sinnvolle Interpretation nur dann liefern, wenn er seine Interessen berücksichtigt sieht. Daher ist es wichtig, dass der Betriebsrat dabei ist. Allerdings ist die Erhebung des Personalentwicklungsbedarfes ein Spezialproblem. Ein wichtiges zwar, aber generell hat der Betriebsrat doch weiter reichende Aufgaben der Interessenwahrnehmung.

Welche Aufgaben kommen dem Betriebsrat darüber hinaus im Bereich der Personalentwicklung zu?
Er muss für Verteilungsgerechtigkeit bei den Bildungsinvestitionen und für faire Aufstiegschancen sorgen. Ich weiß, das ist leicht gesagt, aber schwierig zu tun.

Wenn schon für die gewöhnlichen Mitarbeiter so wenig abfällt, wie ist es dann um die Randbelegschaften oder um die freien Mitarbeiter bestellt?
Diese Gruppen sind von der Personalentwicklung oft völlig ausgeschlossen. Der häufigste Mechanismus bei Leiharbeit ist dieser: Der Entleihbetrieb schiebt die Verantwortung auf den Verleiher, und der Verleiher schiebt sie auf den Mitarbeiter. Und am Ende passiert häufig gar nichts. Freie Mitarbeiter sind ohnehin meist komplett auf sich allein gestellt.

Empfinden Sie das als einen unveränderlichen Zustand?
Prinzipiell ist denkbar, dass auch Leiharbeitsfirmen ihre Beschäftigten gut qualifizieren. Einige dieser Firmen tun tatsächlich etwas. Aber in der Menge wird hier ganz wenig qualifiziert - wegen des Kostendrucks.

So entsteht eine Gruppe faktisch abhängig Beschäftigter, die sich mit weniger Rechten und mit weniger Ansprüchen zufrieden geben soll. Was kann man tun?
Bei den freien Mitarbeitern sind die Möglichkeiten der Interessenvertretung beschnitten. Hier greift das Betriebsverfassungsgesetz zu kurz, da es sich auf das klassische Arbeitsverhältnis bezieht. Die Betriebsräte können hier nur zusammen mit den Arbeitnehmern und den Gewerkschaften auf eine Verbesserung hinwirken. Das gilt auch für die Leiharbeiter.

Mit welchen konkreten Maßnahmen kann man bei diesen Beschäftigten etwas erreichen?
Man muss weniger bei den Verleihfirmen ansetzen, sondern stärker bei den entleihenden Betrieben. Denn dort haben die Gewerkschaften und Betriebsräte bessere Eingriffsmöglichkeiten als in den Leiharbeitsfirmen. Ein wichtiges Instrument sind Betriebsvereinbarungen, die den Einsatz von Leiharbeit begrenzen und inhaltlich ausgestalten. Notwendig sind Regelungen wie "Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit". Auch Regelungen über gleiche Weiterbildungsmöglichkeiten für Leiharbeiter und Stammbeschäftigte wären sinnvoll.

Ein anderer Trend, mit dem sich die Personalentwicklung befassen muss, ist der demografische Wandel. Welche Folgen hat der für die Personalarbeit?
Sie können nicht mehr so leicht wie heute ihren Wissensbestand durch den Austausch der Älteren gegen jüngere Mitarbeiter erneuern. Das bedeutet zunächst einmal, dass die Personalarbeit mit den Älteren wichtiger wird.

Heute sehen viele Manager es doch gern, wenn die Älteren bei der ersten Gelegenheit gehen.
Ich glaube, dass man das Erfahrungswissen Älterer unterschätzt. Ältere können komplexe Zusammenhänge schneller erfassen, nur das mechanische Auswendiglernen von Einzelinformationen dauert etwas länger, und bei schwerer körperlicher Arbeit sind Ältere weniger belastbar. Doch selbst solche Defizite, die übrigens deutlich geringer sind, als man lange Zeit gedacht hat, werden von den Älteren durch ihr Erfahrungswissen ausgeglichen. Insgesamt sind ältere Mitarbeiter ein Potenzial.

Was hilft uns dieses Lob der Älteren, wenn keiner sie beschäftigen will?
Hier wird sich zwangsläufig etwas ändern, wenn Jüngere knapper werden. Man wird sich auch wieder mehr damit befassen, was Jüngere von den Älteren lernen können. Noch vor zehn Jahren haben die Unternehmen davon wenig wissen wollen - aber seit drei oder vier Jahren befasst man sich damit. Vorreiter sind meist die Großunternehmen, die merken, dass es nicht möglich sein wird, immer nur junge Mitarbeiter einzustellen.

Gibt es, wie manchmal behauptet wird, eine spezifisch deutsche Angst davor, die Leute zu gut zu qualifizieren, so dass sie dann das Weite suchen oder mehr Gehalt verlangen?
Ich glaube nicht, dass das ein spezifisch deutsches Phänomen ist. Dass ein Arbeitnehmer wechselt, wenn sich eine Chance bietet, kann immer passieren. Wer das beklagt, predigt an anderer Stelle nicht selten die Vorzüge des Marktes, will aber den Arbeitskräften Marktfreiheiten versagen. Das ist entweder dumm oder unehrlich.


ZUR PERSON
Prof. Dr. Werner Nienhüser, geboren 1953 in Preußisch Oldendorf, lehrt seit 1995 Betriebs- und Personalwirtschaft an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Mitherausgeber der Zeitschrift für -Personalforschung. Nienhüser ist außerdem Mitglied des Aufsichtsrates der Georgsmarienhütte Holding GmbH und Vertrauensdozent der Hans-Böckler-Stiftung.

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