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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Verdächtigt ist, wer vom Publikum geliebt wird'

Ausgabe 03/2007

Auch wenn das Feuilleton skeptisch ist - für Frank Hoffmann, den Intendanten der Ruhrfestspiele, sind Kunst und Unterhaltung kein Widerspruch. Auch 2007 will das DGB-Festival mit Lust und Anspruch auf soziale Ungerechtigkeiten reagieren.



Mit Frank Hoffmann, dem Intendanten der Ruhrfestspiele, sprachen Margarete Hasel und Dominik Reinle auf dem "Grünen Hügel" in Recklinghausen.


Was bekommt das Publikum der Ruhrfestspiele in dieser Saison zu sehen?
In der Spielzeit 2005 hatte ich Lessing als Hauptautor, im Programm 2006 war es Shakespeare. Wir haben versucht, eine Art Werkschau um diese Autoren zu machen. 2007 steht wieder ein Autor im Mittelpunkt: Goethe. Aber wir haben das Konzept erweitert. Goethe ist nicht nur mit Werken präsent, sondern er ist sozusagen der heimliche Intendant dieser Festspiele.

Denn Goethe war zu seinen Lebzeiten auch Theaterleiter und hat in Weimar nicht nur französische Klassiker des 17. Jahrhunderts aufgeführt, sondern vor allem junge, zeitgenössische Autoren auf die Bühne gebracht. So ist es auch bei uns. Zwölf von 22 Produktionen sind Ur- und Erstaufführungen.

Warum Goethe?
Es ist schwer, an Goethe vorbeizukommen. Er ist der deutsche Dichter, der die deutsche Literatur am umfassendsten verkörpert, und gleichzeitig ist er der internationalste. Er hat immer wieder über die Grenzen des Kleinstaates hinausgeschaut und europäisch gedacht. Dieser europäische Gedanke ist die Basis dessen, was ich bei den Ruhrfestspielen machen möchte.

Wie sehen die Besetzungslisten aus?
Wir haben sehr bekannte und bedeutende Leute gewinnen können, das Who's who des deutschen Theaters: Otto Sander, Hannelore Elsner, Uwe Bohm, Wolfram Koch, Ben Becker, Eva Mattes. Wir haben auch die Jungen wie Fritzi Haberlandt, die im "Werther" spielt, dazu im "Faust" Edgar Selge und Joachim Meyerhoff - alles grandiose Darsteller. In dieser Fülle ist das einzigartig für ein deutsches Theater.

Welche Rolle spielen große Namen?
Sie spielen eine wichtige Rolle, aber sie sind nicht der Kern des Konzepts. Im vorigen Jahr zum Beispiel ist Kevin Spacey hier aufgetreten. Er kommt vom Theater und ist auf der Bühne einfach ein Wunder. Viele junge Leute kennen Spacey vom Kino, kommen auch vor allem deswegen nach Recklinghausen. Dann passiert aber Folgendes: Sie schauen sich ein Stück von Shakespeare an, und dies sogar im englischen Original! Wir holen die Leute da ab, wo sie sich zu Hause fühlen, und nehmen sie auf ein Abenteuer mit.

Das "Groß-Feuilleton" hat in seiner Kritik durchscheinen lassen: große Namen - abgenudelte Klassiker.
Das ist das Problem des Groß-Feuilletons, nicht meines. Wer Erfolg hat und vom Publikum geliebt wird, macht sich in Deutschland verdächtig. Das muss mit den Existenzzweifeln der Kritiker zu tun haben: Wozu gibt es uns dann noch? Mit der Menge zu jubeln fällt ihnen schwer. Aber es ist keine Definition von Qualität, wenn keiner hingeht. Bereits in den ersten beiden Jahren meiner Intendanz habe ich viele neue Sachen gemacht. Bestimmte Leute übersehen das absichtlich.

Dabei haben wir etwas realisiert, was es vorher noch nie bei einem großen Festival gegeben hat: Wir haben ein Fringe-Festival ins Leben gerufen, das neben dem offiziellen Programm neue, dynamische Akzente setzt. Es präsentiert Produktionen der freien Theaterszene rund um den Globus. In diesem Jahr kommen Gruppen aus Europa, Kanada und Australien und zeigen ungewöhnliches, spielerisches, experimentelles Theater.

Kritiker werfen Ihnen auch vor, Sie würden Unterhaltung statt Kunst machen.
Die großen Themen müssen nicht langweilig oder bierernst daherkommen. Das heißt aber nicht, dass alle Stücke, die wir machen, pure Unterhaltung sind. Wenn du die Zuschauer langweilst, kannst du keine Botschaft vermitteln. Man muss die Menschen berühren und gleichzeitig wichtige politische und gesellschaftliche Fragen stellen. Große Unterhaltung ist auch Kunst. Und große Kunst ist für mich unterhaltend. Und anspruchsvoll zugleich.

Wie wichtig ist der kommerzielle Erfolg?
Wir sind kein Festival, das auf Gewinn ausgerichtet ist. Im Gegenteil: Wir sind als gemeinnützig anerkannt und stehen nicht in Verdacht, Geld zu machen. Trotzdem sind die Eintrittsgelder ein wichtiger Bestandteil der Finanzierung. Dadurch haben wir einen Eigenfinanzierungsanteil von 22 Prozent, was sehr viel ist. Bricht der weg, klafft sofort eine große Lücke. Die günstigen Eintrittspreise bei den Ruhrfestspielen sind nur durch öffentliche Förderung möglich.

Was tun Sie als Theatermacher, um diese Lücke zu verhindern?
Ich versuche, das zu machen, was ich mir selbst gerne ansehen würde. Ich will mich ja nicht selbst quälen. Ich mag es, berührt und bewegt zu werden - im Kopf, aber auch vom Bauch her. Ich habe den Anspruch, etwas zu verändern. Ich wollte immer politisch verändern und verbessern. Ungerechtigkeiten machen mich bis heute wahnsinnig.

Dieses Unbehagen versuche ich produktiv umzusetzen. Ein Beispiel dafür ist dieses Jahr meine Inszenierung des Stückes "Procès ivre", trunkener Prozess. Die Menschen darin sind extremsten Zuständen ausgesetzt. Es geht um Ausbeutung und Gewalt. Das Stück beruht auf dem Roman "Schuld und Sühne" von Dostojewski. Es ist ein sehr hartes Stück, aber nicht ohne Humor. Trotzdem: Da geht es wirklich zur Sache.

Das Theater - ein politischer Akteur?
Wir müssen einen Gegenentwurf anbieten. Wir können im Theater nicht wiederholen, was wir täglich im Fernsehen sehen. Wie zum Beispiel Gewalt in den Medien dargestellt wird, das können wir im Theater nicht mehr toppen. Wenn man sich die 15 Minuten Tagesschau anschaut und das emotional nachvollzieht, ist man hinterher am Ende. Das heißt nicht, dass wir Gewalt nicht darstellen dürfen. Aber wir können sie nicht mehr so darstellen wie noch vor zehn oder 15 Jahren. Das Medium Theater muss heute andere Mittel einsetzen.

Vor 20 Jahren, als unsere Gesellschaft noch satter war, war es die verdammte Aufgabe des Theaters, Gewalt nackt zu zeigen, weil die Leute sie ausblenden wollten. Aber heute leben wir nicht mehr in dieser satten Gesellschaft, auch wenn einige immer dicker und fetter werden. Es gibt immer mehr Menschen, die auf der anderen Seite stehen. Wir müssen heute in eine andere Richtung gehen. Die Sucht nach Originalität, die mir selbst nicht fremd war, ist überholt.

In der letzten Saison haben Sie gesagt: "Wir müssen immer auch an Hartz IV denken, wenn wir Shakespeare inszenieren." Inwiefern ist Hartz IV für eine Inszenierung von Bedeutung?
Wir Theatermacher müssen uns mit der gesellschaftlichen Wirklichkeit auseinandersetzen und mit der Wirklichkeit jener Menschen, von denen wir wollen, dass sie ins Theater kommen. Wir müssen wissen, welche Probleme unsere Zuschauer haben, worunter sie leiden und worüber sie sich freuen. Zu uns kommt nicht nur das Bürgertum oder die Intellektuellen. Wir haben hier ein Publikum, von dem die meisten Theater nur träumen. Deswegen ist es wichtig, dass das Theater auch eine Sprache für dieses einzigartige Publikum findet. Und diese Sprache kann nicht bloßes Wiederkäuen der täglichen Belastungen sein. Das schließt in keiner Weise politische Stücke aus. Aber auch die treffen nur, wenn sie die Menschen mitnehmen.

Hans Böckler sprach von der "Sehnsucht nach dem Schönen, dem Wertvollen und Erhabenen", die die deutschen Gewerkschaften bewogen hat, sich für dieses Theaterfest zu engagieren. Diese Worte bewegen, klingen aber so gar nicht nach Avantgarde.
Was Hans Böckler wollte, klingt heute etwas abgehoben, aber eigentlich ist dieser Anspruch doch sehr berührend und sehr ehrlich. Heute darf man so etwas ja fast gar nicht mehr sagen, weil das nicht Mainstream ist. Die Worte scheinen zu groß, aber als Anspruch finde ich sie durchaus bedenkenswert. Die Ruhrfestspiele waren immer ein Kind ihrer Zeit, Experiment und Veränderung sind Teil ihrer 60-jährigen Geschichte.

Sie haben ebenfalls eine Sehnsucht ausgemacht - die "nach dem Ganzen - vielleicht nach dem Land der Kindheit".
Das ist richtig. Wenn ich im Theater bin, empfinde ich diese Sehnsucht nach Momenten von Glück. Was Ernst Bloch am Ende von "Prinzip Hoffnung" mit dem Begriff Heimat umschreibt. Ich versuche, die zerstückelte und kaputte Welt wahrzunehmen, wie sie ist, und Antworten darauf zu finden und Wege aufzuzeigen.

Dank des Festspiel-Gesellschafters DGB erreichen Sie andere gesellschaftliche Schichten. Übt der sonst noch Einfluss aus?
Die anderen Gesellschaftsschichten erreichen wir auch unmittelbar über mein Konzept. Denn kluge Gesellschafter bestimmen das Programm nicht selbst. Sie nehmen auch keinen direkten Einfluss auf das Programm. Beide Gesellschafter tragen dazu bei, dass wir hier erfolgreich arbeiten können. Als Festspielleiter habe ich jedoch allein die künstlerische Verantwortung. Trotzdem existiert eine enge Kooperation mit dem Aufsichtsrat, dem ich das Programm vorstelle.

Die Ruhrfestspiele gelten als Gewerkschaftsfestival. Aber öffentlichkeitswirksam tritt vor allem der Hauptsponsor RAG auf. Was bedeutet das für die Unverwechselbarkeit der Festspiele?
Von 47 Produktionen mit insgesamt 248 Vorstellungen, davon 111 im Fringe-Festival, unterstützt die RAG eine Premiere, die ohne diese Zuwendungen nicht verwirklicht werden könnte. Dafür wird die RAG mit Logo in der Programmbroschüre genannt. Das kann zu keiner Verwechslung führen. Darüber hinaus wird das Image der Ruhrfestspiele durch großformatige, bundesweit geschaltete Anzeigen aufgewertet, die die RAG finanziert. Das wiederum liegt ausschließlich im Interesse der Träger der Ruhrfestspiele, des DGB und der Stadt Recklinghausen.

Nicht nur regionale, sondern auch global agierende Unternehmen wie BASF gehören zu den Sponsoren. Lösen sich die regionalen Wurzeln auf?
Mit seiner Geschichte ist das Festival in der Region verankert, mit den Zuschauern aus Recklinghausen, dem Ruhrgebiet und aus Nordrhein-Westfalen. Aber unsere Zuschauer kommen darüber hinaus aus ganz Deutschland. Sie kommen auch aus Belgien und Frankreich. Entsprechend kommen auch die Sponsoren aus ganz Deutschland und Europa. Das hilft den Festspielen und unterstreicht ihre Attraktivität. 2007 versuchen wir, diese überregionale Ausstrahlung noch zu vergrößern. Es ist wichtig, in der Region verankert zu sein. Aber genauso wichtig ist es, über die Region hinauszugehen. Die Produktionen, die im Ruhrgebiet gezeigt werden, werden im Laufe des Jahres auch in anderen deutschen Städten aufgeführt.

Was wünschen Sie sich vom Gesellschafter DGB? Reicht die eine Million, die er jährlich zuschießt?
Er könnte den Betrag gerne verdoppeln. Ernsthaft: Der DGB ist einer der beiden Pfeiler der Ruhrfestspiele, ohne DGB sind sie nicht denkbar. Ich wünsche mir weiterhin eine starke Solidarität. Wir brauchen diese Unterstützung. Wir sind kein reiches Festival, wir versuchen, so gut wie möglich über die Runden zu kommen. Dabei können wir uns nicht erlauben, Kunst zweiter Klasse zu machen. Ausländische Gewerkschaften blicken neidvoll auf das kulturpolitische Engagement des DGB. Die Ruhrfestspiele sind eine wichtige Bildungs- und Kulturstätte. Insofern: Was die Gewerkschaften uns geben, das geben wir ihnen durch unsere Arbeit auch ein Stück zurück.

 


Zur Person
Frank Hoffmann, 53, ist seit Herbst 2004 Intendant der Ruhrfestspiele. Er hat die Nachfolge von Frank Castorf angetreten, in dessen einjähriger Amtszeit das Festival einen erheblichen Besucherrückgang hatte hinnehmen müssen. Dem gebürtigen Luxemburger Hoffmann gelang es, das Publikum zurückzuholen und die drohende Insolvenz abzuwenden: Im Jubiläumsjahr 2006 wurden über 70 000 Karten verkauft und eine Auslastung von 90 Prozent erreicht - das bisher beste Ergebnis in der 60-jährigen Geschichte der Ruhrfestspiele.

Nach seiner Promotion in Literaturwissenschaft arbeitete Hoffmann als freier Regisseur unter anderem in Berlin, Paris, Köln, Basel und Stockholm. 1990 kürte ihn die Zeitschrift "Theater heute" zum Nachwuchsregisseur des Jahres. Ein Jahr später band er sich vertraglich an das Schauspiel Bonn. 1996 gründete er das "Théatre National du Luxembourg", das er bis heute als Intendant leitet. Das Theater kooperiert mit den Ruhrfestspielen bereits seit 2001. Drei Mal hatte Hoffmann im Rahmen dieses Austausches in Recklinghausen inszeniert. Er hat vier Kinder und lebt in Luxemburg.

 

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