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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Gleichheit ist eine Basis für Wachstum'

Ausgabe 07/2007

Schwedens Ex-Finanzminister Pär Nuder über die Wahlniederlage der Sozialdemokraten, die Strahlkraft des skandinavischen Modells und einen neuen sozialdemokratischen Aufbruch


Herr Nuder, das schwedische Modell galt europaweit als erfolgreich und nachahmenswert. Müssen wir es nach der Wahlniederlage der Sozialdemokraten im Oktober 2006 zu den Akten legen?
Ganz und gar nicht. Im Wahlkampf haben uns die Konservativen von links angegriffen. Sie haben nicht gewagt, das Modell in Frage zu stellen, sondern sich sogar dazu bekannt. Denn wer unser Modell attackiert, verliert. Nach den Wahlen haben sie Einschnitte bei den Hilfen für Arbeitslose und bei den Steuern vorgenommen. Das hat in den Umfragen zu einem dramatischen Umschwung zugunsten der Sozialdemokratie geführt. Die Wähler wollen, dass am schwedischen Modell festgehalten wird. Und sie verweigern sich einer Regierung, die es angreift.

Warum haben die schwedischen Sozialdemokraten dann verloren?
Wir sind seit 1932 nahezu ununterbrochen an der Macht. Wir sind der Normalfall und die Norm. Hin und wieder denken die Wähler, es sei Zeit für einen Wechsel und die Opposition könne mehr sozialdemokratische Politik zustande bringen als die Sozialdemokratie selbst. Zuletzt haben wir zwölf Jahre am Stück regiert. Außerdem war der Eindruck entstanden, Ministerpräsident Persson wolle nicht mehr. Aber die Wähler wollen keinen Politiker, der keine Lust mehr hat. Zudem haben wir versäumt, Führungskraft zu demonstrieren. Gute politische Führung hat fünf Dimensionen: Mitgefühl, Analyse, Werte, Visionen und Maßnahmen. Wir haben versäumt, die Bedürfnisse der Leute anzusprechen. Wir haben nicht genug Mitgefühl gezeigt. Wir haben die Ängste der Leute vor der Globalisierung nicht aufgegriffen.

Was war Anfang der 90er Jahre der Kern der schwedischen Krise und was der Kern des schwedischen Weges aus der Krise?
Ursache war der Zusammenbruch der Inlandsnachfrage. Die Leute konsumierten nicht mehr, weil ihnen das Vertrauen in die Gesellschaft fehlte. Wir hatten extrem hohe Zinsen. Als wir 1994 die Regierung übernahmen, mussten wir uns mit einem riesigen Defizit herumschlagen. Deshalb erhöhten wir die Steuern und kürzten in den sozialen Sicherungssystemen. Wichtig war, dass wir die Steuern für die Wohlhabenden erhöht haben. Wenn Sozialdemokraten den Haushalt konsolidieren wollen, müssen sie die Lasten gleich verteilen.

Liegt in dieser Balance das ganze Geheimnis? Unsere Regierung hat das nicht gemacht.
Wir haben ihr geraten, es ähnlich zu machen. Aber sie sind diesem guten Rat nicht gefolgt. In Schweden war es unabdingbar, die Reichen besonders zu besteuern. Sonst hätten wir die einfachen Leute nicht überzeugen können, die harten Maßnahmen zu ertragen. Als wir die Solidaritätssteuer einführten, um das Wohlfahrtssystem zu erhalten, hatte das enormen Einfluss auf die Bereitschaft der Bürger, die massiven Einschnitte zu akzeptieren.

Wieso akzeptieren die Schweden hohe Steuern und eine hohe Staatsquote?
Sie wissen, was sie dafür bekommen, nämlich das großzügigste Wohlfahrtssystem der Welt. Ein hochwertiger öffentlicher Sektor schafft nicht nur Sicherheit, er schafft auch Wachstum. Entscheidend ist, wie man besteuert und wofür man die Steuern verwendet. Damit die Leute die Steuern akzeptieren, muss man progressiv besteuern. Gleichzeitig muss man die Steuern auf Arbeit reduzieren und die Steuerbasis verbreitern.
 
Auch Umverteilung durch Steuern wird akzeptiert.
Unsere Elternunterstützung ist außerordentlich großzügig, aber auch teuer - sie kostet ein Prozent des Bruttoinlandproduktes. Dafür haben wir die höchste Beschäftigungsquote von Frauen. Das ist von einem philosophischen und ideologischen Standpunkt aus genauso gut wie von einem ökonomischen. Es erzeugt ein Gefühl von Gleichheit und Teilhabe. Und wir geben viel Geld für Forschung und Technologien aus. Das ist der einzige Weg für ein kleines Land, wett-bewerbsfähig zu bleiben. Wir können nicht mit einfachen Produkten und niedrigen Löhnen konkurrieren. Aber der Markt investiert nicht von selbst in Bildung und Forschung. Deshalb verteilen wir mittels Steuern um.

Die Akzeptanz des Steuersystems wächst auch mit der Überschaubarkeit. Wie steht es um die Transparenz des schwedischen Steuersystems?
Der größere Teil der Einkommenssteuern geht an lokale und regionale Körperschaften. Die Unterstützung der Eltern, die Schulen, die Krankenhäuser liegen in lokaler und regionaler Verantwortung. Man kann unmittelbar sehen, wohin das Geld fließt. Die Reichen bezahlen Steuern auf gesamtstaatlicher und föderaler Ebene, die Ausgaben für Verteidigung und die Ausgaben des Staates.

Was ist an einer Politik, die auf den Abbau des Haushaltsdefizits zielt, besonders sozialdemokratisch?
Ein ausgeglichener Haushalt und eine niedrige Inflationsrate sind absolut notwendig. Das wird manchmal als rechte Politik diffamiert. Aber bei hohen Inflationsraten verlieren immer die kleinen Leute. Ihr Geld wird weniger wert. Die Eigentümer von Immobilien-eigentum überstehen eine Inflation immer besser als die Leute, die ihre Häuschen mieten müssen. Haushaltsdefizite und Inflation verteilen den gesellschaftlichen Reichtum von unten nach oben um, machen ein Land weniger wettbewerbsfähig und lassen die Zinsen höher steigen als es gut tut. Weil ich als Finanzminister Überschüsse hatte und kein Defizit reduzieren musste, war ich viel freier, schwierige Maßnahmen mit positiven Reformen zu kombinieren.

Die Grundwerte Gleichheit und Solidarität sind Basis der schwedischen Mentalität und Politik. Woher kommt das?
Das geht auf die 30er Jahre des 20. Jahrhunderts zurück. Im rapiden gesellschaftlichen Umbruch damals haben die Schweden ein Gespür entwickelt, dass Gleichheit eine Triebkraft für Entwicklung ist. Gleichheit hat nicht nur eine ethische, sondern auch eine ökonomische Dimension. Wachstum ist ein Fundament der Gleichheit. Andererseits ist Gleichheit eine Basis für Wachstum. Wenn man das intus hat, findet man für egalitäre Politik Unterstützung. Auf dieser Grundlage kann man echte Kompromisse zwischen Kapital und Arbeit schließen. Die Kapitalseite versteht, dass eine egalitäre Gesellschaft kostengünstiger ist, weil die Leute gut ausgebildet sind. Und die Gewerkschaften begreifen, dass wir profitable, international wettbewerbsfähige Unternehmen brauchen. Gleichheit ist in Schweden nicht nur eine Herzenssache. Sie ist auch eine Sache der Vernunft. Diese Verbindung von Herz und Kopf erklärt, warum unsere Bürger so für die Gleichheit sind.

Revolutionen und Kriege prägen oft die politische Mentalität. Gibt es in der schwedischen Geschichte einen Big Bang, der die Gleichheit beflügelt hat?
Wir haben keine revolutionäre Geschichte. Vielleicht hängt das auch mit dem Klima bei uns zusammen. Bis 1900 war Schweden arm und ländlich. Die Leute lebten in kleinen Ortschaften. Das schuf ein gutes Umfeld für unsere Mentalität. In den 30er Jahren gab es eine starke Volksbewegung gegen den Alkoholismus, denn wir gehören zum so genannten Wodka-Gürtel. Solidarität mit denen zu üben, die unter dem Alkoholismus litten, war eine ethische Frage genauso wie eine der ökonomischen Rationalität. 1938 wurde eine allgemeine Übereinkunft zwischen der zentralen Arbeiterorganisation und den Arbeitgebern geschlossen, um Ruhe auf dem Arbeitsmarkt herzustellen. Das war der große Kompromiss zwischen Arbeit und Kapital. Seither gibt es das gemeinsame Bewusstsein auf allen Seiten der Gesellschaft, dass wir die Früchte wirtschaftlicher Tätigkeit teilen müssen. Während des Zweiten Weltkrieges war Schweden ein geeintes Land. Wir hatten eine nationale Einheitsregierung. Dieses Gefühl wurde in die 50er und 60er Jahre verlängert, das goldene Zeitalter der schwedischen Gesellschaft.

Wie hat sich das Verhältnis zwischen Gewerkschaften und der Sozialdemokratie im Laufe des Reformprozesses entwickelt?
Die Gewerkschaften opponierten zunächst massiv gegen die Regierung. Danach haben wir eng zusammengearbeitet, vor allem, als wir die Ergebnisse unserer Erfolge zurückzahlen konnten. Dazu kam 1996 die entscheidende Übereinkunft zwischen Göran Persson und Bertil Jonsson, dem Vorsitzenden der Arbeitergewerkschaft LO, die Arbeitslosigkeit von acht auf vier Prozent zu halbieren. Dies wurde zum Maßstab der Wirtschaftspolitik. Das zweite Ziel war, die Beschäftigungsquote auf 80 Prozent steigern. Wenn man in der Wirtschaftspolitik nicht sehr präzise und spezifische Ziele festlegt, entscheidet der Markt.

Woher rührt der hohe Organisationsgrad der schwedischen Gewerkschaften?
In Schweden ist die Arbeitslosenversicherung an die Gewerkschaftsmitgliedschaft gekoppelt. Das ist ein Anreiz, Gewerkschaftsmitglied zu werden. 80 Prozent der schwedischen Beschäftigten sind organisiert. Der hohe Organisationsgrad nimmt die Gewerkschaften in die Verantwortung. Denn wenn sie die Interessen ihrer Mitglieder vertreten, kämpfen sie automatisch für die ganze Gesellschaft. Das macht die Gewerkschaften offen für den gesellschaftlichen Wandel. Manchmal stehen sie dann sogar zu schmerzlichen Strukturreformen. Wir haben aber auch verlässliche soziale Brücken gebaut: die Arbeitslosenversicherung, lebenslanges Lernen und neue Chancen für Arbeitslose. Die Gewerkschaften wissen, dass ihre Mitglieder auch im sozialen Wandel abgesichert sind. Unsere Philosophie ist nicht, Jobs zu schützen, sondern Menschen.

Schweden hat Erfahrungen mit einer Partei links von der Sozialdemokratie. Zwischen beiden Gruppierungen entbrennt die Konkurrenz um den Zugang zu den Gewerkschaften. Wie sollen die darauf reagieren?
Die Gewerkschaften haben eine enorme Verantwortung, die Arbeiterbewegung zusammenzuhalten. Es kann leicht passieren, dass sie von der einen oder anderen Partei vereinnahmt werden. Die Gewerkschaften sollten sorgfältig prüfen, ob sie die weiter links stehenden Parteien unterstützen wollen. Das kann auf die Dauer den gesellschaftlichen Einfluss der Gewerkschaften gefährden. Wenn sie die Beziehungen zu den sozialdemokratischen Parteien vernachlässigen, ist die Folge, dass die nach rechts marschieren. Alle sozial-demokratischen Parteien in Europa, die die Verbindungen zu den Gewerkschaften gekappt haben, sind nach rechts gedriftet. Deshalb sollten die Gewerkschaften und die Sozialdemokratie in beiderseitigem Interesse an ihren engen Beziehungen festhalten.

Als Gerhard Schröder 1998 gewählt wurde, regierten fast überall in Europa Sozialdemokraten. Jetzt haben sie in Schweden verloren, und Ségolène Royal wurde in Frankreich bös geschlagen. Und auch die SPD schwächelt schwer. Geht schon wieder ein sozialdemokratisches Zeitalter zu Ende?
Das politische Pendel schwingt hin und her. 1998 haben wir vergessen, dass wir auf einem gemeinsamen Fundament stehen. Wir waren viel zu sehr mit dem Regieren beschäftigt. Jetzt müssen wir eine gemeinsame sozialdemokratische Regierungspolitik vorbereiten und zwar gründlicher als in der Vergangenheit. Wir koordinieren uns immer besser, wenn wir in der Opposition sind. Das ist widersinnig.

Wie wird die Sozialdemokratie in Europa wieder mehrheitsfähig?
Wir müssen die Politik der Arbeiterbewegung auf internationaler Ebene besser koordinieren. Wenn sich das Kapital globalisiert, dann müssen wir uns auch globalisieren. Sonst werden Sozialdemokratie und Gewerkschaftsbewegung im ewigen Kampf zwischen Kapital und Arbeit unterliegen. Wir müssen in der praktischen Politik und bei Kampagnen besser zusammenarbeiten. Erfahrungen müssen viel häufiger als früher ausgetauscht werden. Wir haben die Institutionen dazu. Die Europäische Sozialistische Partei hat eine fantastische Entwicklung durchgemacht und ist zu einem echten Workshop geworden, in dem wir Ideen austauschen. Wir brauchen ein sozialde-mokratisches Netzwerk. Ansonsten werden wir an der Macht erneut vergessen, woher wir kommen und dass wir Sozialdemokraten sind. Das können wir uns nicht noch einmal leisten.

Das Gespräch führte HERBERT HÖNIGSBERGER.


ZUR PERSON


PÄR NUDER, 44, ist Jurist und Mitglied des schwedischen Reichstages. Bis Herbst 2006 war er Finanzminister in der vorläufig letzten sozialdemokratischen Regierung Schwedens. Er gilt als einer der -Architekten des erfolgreichen schwedischen Modells. Auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung hielt Nuder Ende Juni an der Humboldt Universität Berlin eine viel beachtete Vorlesung zum Thema "Successful Social Democratic Financial and Economic Policy - the Swedish Experience". Der Vortrag ist abrufbar als PDF-File unter www.fes.de - dann "Publikationen" anklicken.

 

 

 

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