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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Gegen kriminelle Energie wirkt das Entsendegesetz nicht'

Ausgabe 06/2005

Ernst-Ludwig Laux, der stellvertretende Vorsitzende der IG BAU, über seine Erfahrungen mit dem Arbeitnehmerentsendegesetz in der Bauwirtschaft und die Schwierigkeiten, es auf andere Branchen zu übertragen.

Das Kabinett hat unlängst die Ausweitung des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes auf alle Branchen beschlossen. Begrüßt die IG BAU diesen Schritt der Bundesregierung?
Der Gesetzentwurf entspricht, bereinigt um die bauspezifischen Begriffe, unserem Entsendegesetz für die Bauwirtschaft. Nach diesem Entwurf muss jede Gewerkschaft einen bundesweiten Tarifvertrag über die Mindestlöhne abschließen und versuchen, diesen Tarifvertrag über die Allgemeinverbindlichkeitserklärung (AVE) auch auf die nicht tarifgebundenen Unternehmen und auf die Beschäftigten zu übertragen, die keine Gewerkschaftsmitglieder sind.

Sind die anderen Gewerkschaften mit dieser Lösung genauso zufrieden?
Nein, sie fordern zum Teil einen gesetzlichen Mindestlohn. Denn zwei Probleme sind mit dem Entsendegesetz nicht gelöst: Zum einen muss man überhaupt erst einmal einen Tarifvertrag abschließen können, zum zweiten muss es ein bundesweiter Tarifvertrag sein. Beides ist nicht in allen Branchen der Fall.

Ihr habt euch mit dem Entsendegesetz für eure Branche schon 1996, noch unter der Regierung Kohl, durchgesetzt. Wie war das möglich?
Unter dem Druck, den die Öffnung der Grenzen seit 1993 auf die Baubranche ausübte, haben wir den Sozialen Dialog in Brüssel offensiv genutzt. Die Arbeitgeber und wir waren einer Meinung und hatten damals aufgrund der guten wirtschaftlichen Entwicklung auch einen guten Stand. 1993 hatten wir wegen der Streichung des Schlechtwettergelds in Bonn die größte Demonstration nach dem Krieg. Beeindruckt war die Regierung auch davon, dass wir das Entsendegesetz mit den Arbeitgebern gemeinsam gefordert haben und viele Arbeitgeber namhafte CDU-Mitglieder waren. Außerdem hatten vor allem Frankreich, die Beneluxländer und Italien die Entsenderichtlinie in Europa durchgesetzt und auch sofort ratifiziert.

Ist nach euren Erfahrungen ein Entsendegesetz ein wirkungsmächtiges Instrument?
Wenn die Kontrolle stimmt, ja. Die ist - darauf haben wir jahrelang hingearbeitet - seit Anfang 2004 zentralisiert. Heute kontrolliert ausschließlich der Zoll die Einhaltung des Entsendelohns und gleichzeitig die Abführung der Sozialbeiträge. Denn der Entsendelohn verpflichtet auch alle Ausländer, zumindest für den Mindestlohn pro Stunde die Sozialabgaben, die Steuern und das Urlaubsgeld zu zahlen.

Ein Argument der Gegner von Mindestlöhnen ist, dass damit einer Abwärtsspirale Tür und Tor geöffnet wird. Wie hat sich euer Tarifgefüge in diesen neun Jahren verändert?
Es gab Veränderungen, doch ohne einen Mindestlohn wären wir heute wahrscheinlich keine Tarifvertragspartei mehr. Auch mit Mindestlohn sind wir hart an der Grenze, weil etliche "schwarze Schafe" auf der Arbeitgeberseite mit illegalen Praktiken Sonderprofite einfahren. Wir haben seit 1996 die Hälfte der Arbeitsplätze verloren, aber ohne Mindestlohn wären es entscheidend mehr gewesen. In den einfachen Tätigkeiten gäbe es dann sicher nur noch Ausländer, die für weitaus weniger arbeiten würden als die Deutschen. Vor allem in Ostdeutschland wird heute nur der Mindestlohn gezahlt, dort hat sich die Verbändelandschaft fast vollständig aufgelöst.

Wie viele ausländische Beschäftigte, die unter das Entsendegesetz fallen, beziehen den Mindestlohn?
Bei unserer Sozialkasse (SOKA) sind zirka 80 000 Ausländer erfasst. Man weiß aber nicht, ob sie den Mindestlohn tatsächlich bekommen, oder ob er ihnen in ihrem Heimatland wieder abgenommen wird. Manche Arbeitgeber haben Vollmachten für die Konten ihrer Mitarbeiter und überweisen den Mindestlohn nur pro forma. Wir können derzeit kaum kontrollieren, wie viele Stunden sie effektiv für diesen Lohn arbeiten. Gerade wenn die Arbeitgeber manipulieren. Das ist unsere Achillesferse. Außerdem gehen wir davon aus, dass mindestens 300 000 Illegale aller Nationalitäten auf deutschen Baustellen arbeiten. Illegale nennen wir alle, auch Deutsche, die Schwarzarbeit machen. Das Problem darf nicht immer am Beispiel eines Polen thematisiert werden.

Die Findigkeit krimineller Unternehmer scheint keine Grenzen zu kennen, so dass ein Spaziergang entlang einer Großbaustelle einer Zeitreise in den Frühkapitalismus gleichkommt. Stellt das die Wirksamkeit des Entsendegesetzes nicht sehr in Frage?
Gegen kriminelle Energie wirkt das Entsendegesetz nicht. Dass die Polen jetzt über Menschenhändler als Selbstständige eingeschleust werden und damit zunächst unter die Niederlassungsfreiheit fallen, um de facto dann doch als abhängig Beschäftigte zu arbeiten, muss durch effiziente Kontrollen unterbunden werden. Wirtschaftsminister Clement hat angekündigt, hier mit aller Härte vorzugehen. Wir müssen allerdings die Definition der Selbstständigkeit weiter vorantreiben. Das Riester-Gesetz, in dem Scheinselbstständigkeit genau definiert und geregelt war, wurde ja leider zurückgenommen. Nach unserer Erfahrung prüfen auch die Handwerkskammern in der Praxis zu wenig, ob jemand wirklich selbstständig ist. Wer sich als Fliesenleger ausgibt, muss oft nur 20 Euro zahlen und entgegen der Handwerksordnung sonst nichts nachweisen.

Hat sich die Kontrolle durch die Zentralisierung beim Zoll inzwischen verbessert?
Finanzminister Eichel hatte mit einer Milliarde Euro an Bußgeldern gerechnet. Durch die Kontrollen sind jetzt 750 Millionen Euro hereingekommen. Wir halten das für einen Erfolg, sagen aber auch: Das muss noch besser werden. Weil bei den jetzigen Kontrollen durch gefälschte Papiere immer noch sehr viel vertuscht werden kann, fordern wir schon seit Jahren die Einführung einer Bau-Card. Diese Chipkarte würde nicht nur die Identifikation ermöglichen, sondern auch die Arbeitszeit und die Löhne kontrollierbar machen.

Wie können Gewerkschafter dem massenhaften Missbrauch entgegensteuern?
Wir haben inzwischen regionale gewerkschaftliche Netzwerke: Wenn beispielsweise einer unserer Betriebsräte auf einer Baustelle Verdacht schöpft, erkundigt er sich bei der SOKA, für wie viele Leute diese Firma Urlaubsgeld zahlt. Sind zum Beispiel nur 14 gemeldet, aber 200 arbeiten, informiert er den Zoll. Der sperrt dann die Baustelle ab und stellt fest: 14 Ukrainer und 14 Rumänen, die gar nicht da sein dürften, 30 aus Polen, von denen aber nur zwölf bei der Kasse gemeldet sind, und zehn deutsche Schwarzarbeiter. Dann gibt es ein Bußgeld. Außerdem haben wir im vergangenen Herbst einen Europäischen Verband für Wanderarbeiter gegründet, denn die Polen treten keiner deutschen Gewerkschaft bei.

Wir hoffen, dass sie sich durch eine solche direkte Organisation eher angesprochen fühlen. Der Verband ist aber organisatorisch erst im Aufbau. Dass die potenziellen Mitglieder dieses Verbands Vorbehalte gegenüber einer deutschen Gewerkschaft haben, kommt auch daher, dass sie beispielsweise als Polen zwar hier zum Mindestlohn arbeiten dürfen, aber damit nur rund die Hälfte dessen verdienen, was etwa ein Türke mit Tariflohn verdient, mit dem sie auf der Baustelle zusammenarbeiten. Diese erniedrigende Situation lasten sie auch uns an. Das ist langfristig eine große Hypothek und nicht gerade friedensfördernd.

Die aktuelle Diskussion um die Dienstleistungsrichtlinie hat die Mindestlohndebatte bei uns wieder aufleben lassen. Anders als die Bauarbeitgeber vor neun Jahren ist die BDA heute vehement gegen Mindestlöhne.
Den gesetzlichen Mindestlohn lehnen sie als Eingriff des Staates vollkommen ab, übrigens auch schon vor Jahren im Baugewerbe. Und gegen den Mindestlohn nach Entsendegesetz können sie sein, weil sie wissen, dass ihnen in den Branchen, in denen die Gewerkschaften nichts an den Füßen haben, kein Mindestlohn aufgezwungen werden kann.

Die Bauarbeitgeber wollten einen Mindestlohn im Rahmen des Entsendegesetzes, weil sie sonst als deutsche Unternehmen bei keiner Auftragsvergabe mehr zum Zuge gekommen wären. Interessanterweise argumentiert so heute das Manager-Magazin für eine Ausweitung des Entsendegesetzes auf alle Branchen.
Es gibt sie noch, die Unternehmer, die wissen, dass sie qualifizierte Arbeit machen müssen und dafür eine Stammbelegschaft brauchen. Der Mindestlohn als Untergrenze bietet ihnen eine verlässliche Kalkulationsgrundlage, die sie nicht hätten, wenn ein Konkurrent für 3,50 Euro mit Chinesen oder mit Ukrainern anbieten könnte. Wenn ein Konkurrent 40 Prozent unter ihrem Angebot liegt, können sie vor die VOB-Stelle gehen, die die Einhaltung der Verdingungsordnung für Bauleistungen kontrolliert. Die Gegenseite muss dann ihre Kalkulation einem Gutachter offen legen. Allerdings gibt es in allen Verdingungsordnungen bei uns eine Fußangel, denn es ist das "billigste" Angebot zu nehmen. In Großbritannien, Frankreich und Belgien gilt das "günstigste" Angebot. Bei uns ist die entsprechende Änderung des Vergabegesetzes, die den öffentlichen Auftraggebern größere Spielräume bringen sollte, vor kurzem im Bundesrat gescheitert. Geiz gilt eben als geil.

Das Argument, der gesetzliche Mindestlohn vernichte Arbeitsplätze, wird unter anderem durch das britische Beispiel widerlegt. Zumindest in bestimmten Regionen ist dort ein Arbeitsplatzzuwachs zu verzeichnen und auch Einkommenssteigerungen in Größenordnungen, von denen wir hierzulande nur träumen.
Das ist Frank Bsirskes wichtigstes Argument für den gesetzlichen Mindestlohn. Weil aber niemand nachweisen kann, dass die Zuwächse mit dem Mindestlohn zusammenhängen, liegt diese Argumentation in einer Grauzone. Außerdem besagt die Beschlusslage des DGB, dass über einen gesetzlichen Mindestlohn erst nachgedacht werden soll, wenn deutlich geworden ist, dass die Ausweitung des Entsendegesetzes nicht funktioniert. Das ist auch der Stand unserer Gespräche mit der Bundesregierung. Vielleicht sind ja sogar die Arbeitgeber in den Schlachtereien durch schärfere Kontrollen zu Verhandlungen über einen Mindestlohntarifvertrag zu bewegen.

Was spricht gegen einen gesetzlichen Mindestlohn, der mit Sicherheit leichter zu kontrollieren wäre?
Ein gesetzlicher Mindestlohn würde über kurz oder lang in den Tarifverträgen einen Riesendruck auf die Überstundenzuschläge und die Arbeitszeit erzeugen. Eine Gefährdung der Tarifautonomie ist nicht auszuschließen. Kaum hatten ver.di und andere den Mindestlohn gefordert, schloss sich der Bau-Arbeitgeberverband im Osten dieser Forderung an. Sie rechnen sich aus, dass der gesetzliche Mindestlohn unter dem im Baugewerbe vereinbarten liegt.

Wie geht die innergewerkschaftliche Diskussion jetzt weiter?
Die Bundesregierung hat das Gesetz auf den Weg gebracht. Und wir müssen uns jetzt auf die Umsetzung konzentrieren. Als IG BAU haben wir noch zwei große Bereiche, die Gebäudereiniger und die Landwirtschaft, zu regeln. Hier haben die Arbeitgeber schon zugesagt, mit uns einen bundesweiten Tarifvertrag zu machen. Dann müssen wir noch in einigen kleineren Branchen bundesweite Tarifverträge vereinbaren. Bei der IG Metall sind die Handwerksbereiche betroffen, die bisher eher am Rande standen.

Und bei ver.di wird das Problem massiv kommen. Denn die meisten Polen drängen in den Dienstleistungsbereich, in die Angestellten-, die Dienstleistungs-, die pflegerischen Berufe und in den Einzelhandel. Im Baugewerbe sind ja "nur" noch 700 000 zu verdrängen, aber im Organisationsbereich von ver.di sind es vier oder fünf Millionen. In Polen wird irgendwann der Lebensstandard steigen und damit die Arbeitskraft teuerer werden. Dann kommen die Chinesen und die Inder, das ist das große Problem. Deshalb muss jetzt die Spirale nach unten durch einen Mindestlohn angehalten werden.

Zur Person

Ernst-Ludwig Laux ist stellvertretender Vorsitzender der IG BAU.

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