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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Freiwillig ist nichts passiert'

Ausgabe 10/2010

Ex-Frauenministerin Christine Bergmann erzählt, wie die Wirtschaftsverbände 2001 das im Koalitionsvertrag vereinbarte Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft verhinderten.

Mit Christine Bergmann, Bundesministerin für Familie und Frauen von 1998 bis 2002 und heute Beauftragte zur Aufarbeitung des sexuellen Kindesmissbrauchs, sprach Petra Riedel in Berlin./Foto: Peter Himsel

Frau Bergmann, Ihre Nachfolgerin Kristina Schröder scheut vor konkreten Gesetzen zurück, die die Diskriminierung von Frauen in der Wirtschaft beenden könnten. Sie will stattdessen den Dialog mit den Verbänden aufnehmen und Überzeugungsarbeit bei den Unternehmen leisten. Was meinen Sie?
Wir drehen uns im Kreis. Eine freiwillige Vereinbarung zwischen Wirtschaft und Bundesregierung zur Gleichstellung gibt es seit 2001. Und nachweislich ist nichts passiert. Nach wie vor gibt es Lohndiskriminierung und nach wie vor sind Frauen in Führungspositionen kaum vertreten. Es ist wirklich genug geredet worden. Die Fakten liegen alle auf dem Tisch. Die Bundesregierung könnte das Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft jederzeit aus der Schublade ziehen, der Gesetzentwurf ist nach wie vor aktuell.

Sie waren Ministerin für Familie und Frauenpolitik in der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder. Die hatte 1998 in ihrem Koalitionsvertrag ein Gleichstellungsgesetz für die Privatwirtschaft vereinbart. Wieso wurde das nicht realisiert?
Bevor der Gesetzentwurf ausgearbeitet wurde, haben wir Hearings zusammen mit Vertretern der Wirtschaft, der Gewerkschaften und der Wissenschaft veranstaltet. Dazu haben wir auch Unternehmen eingeladen, die gute Erfahrungen mit familienfreundlichen und mit Gleichstellungsregelungen gemacht haben. Es sollten nicht nur die Frauenpolitikerinnen zu Wort kommen. Das waren richtig gute Veranstaltungen. Zunächst lief alles ganz wunderbar.

Doch dann ging plötzlich gar nichts mehr.
Weil wir den maximalen Widerstand der Wirtschaftsverbände bekommen haben. Den gibt es ja immer noch, sobald es irgendwelche rechtlichen Regelungen zur Gleichstellung von Frauen geben soll. Und diesem Widerstand wurde politisch nichts entgegengesetzt. Auf einmal stand ich ziemlich alleine da.

Warum hatten Sie keinen Rückhalt?
Kurz vorher waren das Betriebsverfassungsgesetz novelliert und einige Rechte der Arbeitnehmer - darunter auch eine Frauenquote für die Betriebsräte - neu definiert worden. Aber das war offenbar genug mit "Wirtschaft ärgern", so schätze ich das heute ein.
 
Wie haben sich die Gewerkschaften verhalten?
Die hatten sich beim Kanzler für das erneuerte Betriebsverfassungsgesetz starkgemacht. Formal haben sie sich auch für das Gleichstellungsgesetz eingesetzt. Aber die Unterstützung war weniger ausgeprägt als beim Betriebsverfassungsgesetz - vorsichtig ausgedrückt.

Können Sie den Widerstand der Wirtschaftsverbände verstehen?
Nein. Der Gesetzentwurf folgt EU-Mustern und ist sehr modern. Er enthält zunächst keine Vorschriften, wie etwas gemacht werden muss. Die Firmen haben alle Freiheiten, für ihren Betrieb geeignete Maßnahmen zu entwickeln. Nur wenn in einer bestimmten Zeit gar nichts passiert, dann müssen härtere Bandagen ran.

Stattdessen kam zur Gleichstellung nur eine freiwillige Vereinbarung zwischen Bundesregierung und Wirtschaft zustande.
Immerhin ist dort auch festgelegt worden, dass die freiwillige Vereinbarung überprüft wird, und wenn sie nichts bringt, wieder das Gesetz ins Spiel kommt. Nachweislich ist freiwillig nichts passiert. Aber trotzdem ist nie wieder ernstlich über das Gesetz gesprochen worden.

Eine persönliche Niederlage?
Sicher, das war bitter. Wenn sich wenigstens die nächste Runde angeschlossen hätte. Egal, wer es macht, wichtig ist, dass es in der Sache weitergeht.


Mehr Informationen 


Die Architektur des Gleichstellungsgesetzes von 2001 (pdf zum Download)

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