zurück
Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Diesen Entwurf muss man ablehnen'

Ausgabe 10/2008

EU-RECHT Unternehmensrechtler Roland Köstler über den Entwurf der EU-Kommission für die neue Rechtsform der Europäischen Privatgesellschaft und die ungenügenden Regeln zur Mitbestimmung

Das Gespräch führte Kay Meiners/Foto: Wolfgang Roloff

Im Juni 2008 hat die EU-Kommission den Entwurf einer Verordnung für die Europäische Privatgesellschaft (SPE) vorgestellt, der ab 2010 gelten soll. Die Gewerkschaften laufen dagegen Sturm. Warum?
Der Entwurf verweist bei der Mitbestimmung auf das jeweilige nationale Recht - hier haben wir Länder ganz ohne Mitbestimmung neben Ländern mit ganz unterschiedlichen Schwellenwerten, ab denen Mitbestimmung einsetzt - in Schweden ab 25 Beschäftigten, in Dänemark ab 35 bis zu Deutschland mit 500 Beschäftigten. Weiterhin wäre es erlaubt, eine Kapitalgesellschaft ohne Kapital zu gründen, mit einem symbolischen Einsatz von nur einem Euro. Und es stünde jedem offen, an jedem beliebigen Ort innerhalb der EU eine SPE zu gründen - ohne irgendeinen grenzüberschreitenden Bezug.

Die Kommission begründet ihren Entwurf damit, dass gerade kleine und mittlere Unternehmen eine schlanke Rechtsform brauchen.
Die Verordnung ist nicht auf kleine Unternehmen beschränkt. Ich bin der Meinung, dass die SPE gerade für größere Unternehmen und für Konzerne interessant ist, die auch tatsächlich in mehreren Ländern Arbeitnehmer beschäftigen. Da muss man sich dann fragen, ob ein Unternehmen, das in mehreren europäischen Staaten aktiv werden will, nicht auch 120.000 Euro für eine Europäische Aktiengesellschaft zusammenbringen kann. Und die ganz kleinen Firmen, die Europa lediglich als Markt entdecken, brauchen sie nicht. Bei Ihrem Lieblingsladen in Frankreich können Sie schon heute bequem via Internet bestellen.

Das zweite Argument der Kommission ist, dass die GmbHs in Europa sehr unterschiedlich geregelt sind.
Es gibt in der Tat große Unterschiede und verschiedene Traditionen, zum Beispiel bei der Frage, ob man als Unternehmensgründer ein Stammkapital benötigt oder nicht. Deswegen scheint Brüssel der Weg über die SPE einfacher gangbar.

Wo sind die Gefahren für die Unternehmensmitbestimmung?
Der Entwurf der Kommission öffnet der Mitbestimmungsflucht Tür und Tor. So kann ein Unternehmer seinen Satzungssitz in einem Land haben, in dem es keine Mitbestimmung für private Unternehmen gibt, und kann dann aber mehr als 500 Mitarbeiter in Deutschland beschäftigten - ganz ohne Mitbestimmung. Nur für den Fall, dass ein Unternehmen seinen Satzungssitz verlegt, ist ab einer bestimmten Betroffenheitsgrenze - Artikel 38 des Entwurfs sieht mindestens ein Drittel der Arbeitnehmer vor - überhaupt ein Verhandlungsverfahren für Arbeitnehmerbeteiligung vorgesehen. Aber es muss kein Unternehmer seinen Satzungssitz verlegen. Die Vorschrift ist leicht zu umgehen.

Gewerkschaften setzen darauf, dass Unternehmen mit ihrer nationalen Rechtsform ins Ausland wandern können. Zu kompliziert?
Das deutsche GmbH-Recht wird gerade modernisiert. Im Juni hat der Bundestag das Gesetz zur Modernisierung des GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen (MoMiG) beschlossen. Es sieht vor, dass Firmen mit der deutschen Rechtsform der GmbH ins Ausland ziehen können - der Sitz und damit nur der Handelsregistereintrag bleibt in Deutschland, aber die Verwaltung der GmbH kann ins Ausland verlegt werden.

Wie wird das Stammkapital geregelt?
Die Pläne, es für die deutsche GmbH von 25.000 Euro auf 10.000 zu senken, sind vom Tisch. Es bleibt bei der alten Summe. Zusätzlich gibt es in Zukunft aber die Möglichkeit, eine haftungsbeschränkte Unternehmergesellschaft ohne Kapital zu gründen. Anders als bei der SPE dürfen aber, wenn die Gesellschaft dann Geld verdient, die ersten 25.000 Euro nicht ausgeschüttet werden. Das Stammkapital wird im Nachhinein angespart. Diese Neuerungen hat die EU-Kommission nicht zur Kenntnis nehmen wollen.

Gleichwohl ist die SPE für die Unternehmen attraktiv.
Ja - das ist von der Kommission gewollt. Die neue Rechtsform soll so attraktiv sein, dass sie der deutschen GmbH das Wasser abgräbt. Die Kommission will auf die nationalen Rechtsformen Druck ausüben. Ich wäre eher dafür, mit einer Richtlinie eine Grundlage für die Sitzverlegung in Europa zu schaffen, die allerdings auch mit einer adäquaten Mitbestimmungsregelung ausgestattet sein müsste.

Kann man heute schon abschätzen, wie groß das Interesse der Firmen sein wird?
Alle Schätzungen von Arbeitgeberseite, die von 150?000 bis 250?000 Unternehmen allein in Deutschland ausgingen, stammen aus der Zeit, bevor die Reform des deutschen Gesellschaftsrechts durch das MoMiG vorangekommen war. Es gibt bei den Firmen sicher Interesse wegen der großen Gestaltungsfreiheit und den niedrigen Standards. Aber seriöse Zahlen gibt es nicht.

Was müsste geändert werden, damit auch die Gewerkschaften zufrieden gestellt wären?
Diesen Entwurf muss man wegen seiner Mängel derzeit als Ganzes ablehnen. Zwei Punkte sind besonders sensibel. Als Erstes müsste man die Mitbestimmungsfrage aus der Verordnung herauslösen und dazu eine eigene Richtlinie auf den Weg bringen, wie es bei der Europäischen Aktiengesellschaft und der Europäischen Genossenschaft war. Die Mitbestimmungsregelungen im jetzigen Verordnungsentwurf sind völlig unzureichend.

Und der zweite Punkt?
Bei der grenzüberschreitenden Verschmelzung einer SPE mit einem anderen Unternehmen würde schon heute die Richtlinie zur grenzüberschreitenden Verschmelzung von Kapitalgesellschaften greifen - und damit gäbe es dort eine verhandelte Mitbestimmung. Aber die Frage der Neugründungen müsste anders geregelt werden. Wenn man die Neugründung einer Europäischen Privatgesellschaft auf der grünen Wiese zulassen will, dann müsste es dafür ein spezifisches Mitbestimmungsmodell geben.

Auch für Klein- und Kleinstbetriebe?
Bei der Europäischen Genossenschaft ist es so gelöst worden, dass ab 50 Beschäftigten, die in mindestens zwei Mitgliedstaaten beschäftigt sind, über die Mitbestimmung der Arbeitnehmer wie bei der SE verhandelt werden muss. Warum blendet man diesen Ansatz bei der SPE aus?

Welche politischen Wege gibt es, auf die Pläne der Kommission Einfluss zu nehmen?
Diese Verordnung soll über das heute nur noch selten verwendete Konsultationsverfahren verabschiedet werden. Das heißt, die Kommission gibt ihren Vorschlag an das Parlament und an den Rat weiter. Das Parlament wird konsultiert, aber der Rat entscheidet. Darum sehe ich nun vor allem die Bundesregierung in der Pflicht. Sie muss erklären, dass es beim jetzigen Entwurf nicht bleiben kann.

 

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen