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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Da müssen wir verdammt aufpassen'

Ausgabe 10/2006

Im Privilegiensystem der Unternehmen gibt es viele Vergünstigungen und Belohnungen. Wie wachsam müssen Betriebsräte sein, damit daraus keine unmoralischen Angebote werden? Fragen an den Miele-Betriebsrat Peter Krüger.



Mit Peter Krüger, 60, von 1988 bis Sommer 2006 Gesamtbetriebsratsvorsitzender der Miele KG und aktiver IG Metaller, sprach Cornelia Girndt in Gütersloh.


Peter Krüger, war der Fall VW und die auf Firmenkosten abgerechneten Damen ein Ausrutscher einer Handvoll schwarzer Schafe? Oder müssen Betriebsräte und Gewerkschaften eine grundlegendere Debatte führen über die Moral von Arbeitnehmervertretern?
Beteiligt war eine kleine Gruppe und beileibe nicht alle Betriebsräte bei VW. Ich kenne einige dieser Kollegen, die da bei VW hineingeraten sind, persönlich - aus Zeiten, in denen sie noch keine Spitzen-Arbeitnehmervertreter waren. Da wären sie auch nicht in die Situation gekommen. Der Knackpunkt ist doch, dass ein Unternehmen Führungskräfte - und damit eben auch Betriebsräte - mit Privilegien und Vergünstigungen ausstattet, die dann irgendwann als normal angesehen werden.

Die Unternehmen machen also unmoralische Angebote. Haben Betriebsräte da etwas dagegenzusetzen?
Aber ja: Denn wir müssen uns der Wahl stellen. Das fängt bei der Auswahl der Kandidaten an. Wer kommt in Frage als Betriebsrat oder Vertrauensmann? Da wird von Anfang an geprüft: "Ist das der Richtige, der uns vertreten soll? Ist die Person zuverlässig und glaubwürdig, steht sie auf unserer Seite oder ist sie bestechlich oder gar käuflich?"

Gibt es in der IG Metall überhaupt Kriterien, wer geeignet ist oder nicht?
Mitglieder zu werben gilt als Qualifikation. Gerade in Großbetrieben müssen gewählte Belegschaftsvertreter die Ochsentour nach oben machen und werden dabei über Jahre beäugt. Sollten die Kollegen merken, dass der oder die nicht hält, was er verspricht, oder gemeinsame Sache mit dem Arbeitgeber macht - dann ist man seinen Job in der Regel schnell los.

Welche Privilegien darf ein Belegschaftsvertreter haben?
Vieles hängt von der Unternehmenskultur ab. Manche Zuwendungen und Privilegien müssen mit Bedacht in Anspruch genommen werden, etwa wenn ein Betriebsratsvorsitzender einen Wagen mit Fahrer hat, wie es zumindest in der Stahlindustrie üblich war.

Ist das prinzipiell in Ordnung?
Das ist o.k., wenn die Nutzung klar geregelt ist. Problematisch wird es, wenn der Fahrer auch bereitstehen muss, wenn es abends in die Kneipe geht. Ich finde: Da kann man auch ein Taxi nehmen.

Wer sollte da das Korrektiv sein?
Die Person selbst muss so integer und gefestigt sein. Jeder Betriebsrat weiß, dass er gegenüber den Beschäftigten Rechenschaft abzulegen hat.

Und wie festigt man einen Charakter, der noch nicht so gefestigt ist?
Ich denke, die auf Abwege geratenen Betriebsräte bei VW waren in ihren Anfängen gefestigt, Klaus Volkert hat solche Dinge nicht gemacht und genutzt. Aber irgendwann sind mit den Möglichkeiten die Verlockungen gewachsen. Daran sind ganz klar die Unternehmen beteiligt. Wenn ich als Unternehmen eine Wohnung anmiete und stelle die den Betriebsräten für Geschäftsessen oder was immer zur Verfügung, dann hat das schon einen komischen Beigeschmack, das riecht nach Bestechlichkeit, nach Käuflichkeit. Da kann die obere Führungsebene nicht sagen: Haben wir alle nicht gewusst.

Hat die Rechnungsprüfung versagt?
Die Belege werden doch hin und her geprüft. Bei mir im Unternehmen wurde einem Betriebsrat wegen sechs Mark Spesenbetrug gekündigt. Das waren zwei Bier, die jemand anders als angegeben getrunken hatte. Das ist zwar 20 Jahre her, aber Spesenbetrug ist nach wie vor ein fristloser Kündigungsgrund.

Hat die Vorteilsnahme in den Unternehmen zugenommen?
Das vermag ich nicht zu entscheiden. Klar ist: Die Finanzbehörden sind strikter geworden, geldwerte Vorteile müssen versteuert werden, Arbeitsessen werden nicht mehr so locker gehandhabt.

Wo fangen die Vergünstigungen an?
Das beginnt ganz harmlos etwa bei den Mitarbeiterrabatten. Die gibt es für die Miele-Waschmaschine genauso wie für den VW-Jahreswagen oder die Bücher, die ein Beschäftigter bei Bertelsmann günstiger kaufen kann - und seine Verwandten auch. Dazu kommt: In vielen Unternehmen existiert ein Privilegiensystem für Führungskräfte. Und nicht zuletzt gibt es Budgets für Einkäufer, die für ihre Kunden bestimmte Summen verausgaben dürfen - ob sie damit auch den Geschäftspartnern Bar- und Bordellbesuche finanzieren, muss das Unternehmen entscheiden. In manchen Ländern ist das nicht unüblich.

In diesem Milieu können auch die Begehrlichkeiten von Betriebsräten und Co-Managern à la VW wachsen?
Diese Geschichte hat mit den Privilegien für Führungskräfte zu tun, wie sie in den Großkonzernen gepflegt werden. Da werden mit Vorstandsgehältern von bis zu zwölf Millionen Euro pro Jahr Grenzen überschritten, die für mich nicht mehr fassbar sind. Das kann dazu verführen, zu meinen: Wenn man schon so viel weniger Geld kriegt, dann nimmt man zumindest das oder jenes Privileg mit.

Mit bestimmten Incentives werden heutzutage ja auch die so genannten Leistungsträger im Unternehmen wie auch Kunden kräftig umworben.
Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern Vergünstigungen und Belohnungen, die nicht direkt auf der Gehaltsliste stehen, sei es die goldene Kreditkarte vom Unternehmen oder die Bonusmeilen. Oder die Einkäufer und Marketingleute halten ihre Geschäftspartner mit allen möglichen Einladungen und Werbegeschenken bei der Stange - und da müssen wir als Betriebsräte verdammt aufpassen, dass wir nicht in diesen Sog geraten.

Ab wann sollte man Nein sagen?
Ganz problematisch ist, wenn bestimmte Systeme in Unternehmen aufgebaut werden, den Betriebsrat "gefügig" und abhängig zu machen. Mit dem diskreten Wink: Wir könnten das ja auch streichen, wenn du nicht mit uns kooperierst oder die Funktion nicht mehr hast.

Sich nicht abhängig machen heißt auch, Angebote des Unternehmens abzulehnen.
Vor allem wenn es um größere materielle Zuwendungen geht. Bei Miele ist es üblich, dass Führungskräfte - auch Abteilungsleiter und Meister - die neueste Waschmaschine kostenlos erhalten, um sie in ihrem Haushalt auszuprobieren. Da hab ich immer gesagt: Nein, ich will nicht auf die Liste - auch wenn das steuerlich und rechtlich alles korrekt ist. Ich wollte vermeiden, dass die Kollegen sagen: "Gestern haben die Krügers wieder eine kostenlose Waschmaschine geliefert bekommen."

Sollte man diese Fragen im Betriebsrat und unter den IG-Metall-Kollegen besprechen?
Im Betriebsrat muss allen bekannt sein: Wer hat welche Privilegien im Unterschied zur Belegschaft. Also wer im Betriebsrat ist zum Beispiel berechtigt, einen Firmenwagen - unbegrenzt oder fallweise - zu nutzen.

Manche fordern: Betriebsräte sollen offenlegen, was sie verdienen?
Das muss nicht ans Schwarze Brett. Aber auch hier sollte im Betriebsrat jeder wissen, was der Vorsitzende oder die freigestellten Kolleginnen und Kollegen verdienen.

Das Gesetz sagt, sie dürfen in diesem Amt nicht weniger erhalten als zuvor, ob der Arbeitgeber den einen oder anderen Betriebsrat aber mit Geld zuschüttet, ist ihm überlassen. Soll es da Grenzen geben?
Ein Betriebsratsvorsitzender sollte nicht mehr verdienen als ein Abteilungs- oder Bereichsleiter im Betrieb, die sind unterhalb der leitenden Angestellten angesiedelt. Ich persönlich halte die höchste Gruppe im Entgelttarifvertrag als Verdienst für angemessen. Das hat den Vorteil: Wenn die Kollegen fragen "Was bekommst du denn?", dann sage ich: "Das höchste Tarifeinkommen". Da können sie dann selbst nachschauen.

Das sind so um die 5000 Euro herum?
Wenn wir mit dem Tarif eine Obergrenze setzen, laufen wir auch nicht Gefahr, dass es wegen des Geldes zu einem Verdrängungswettbewerb um das Betriebsratsamt kommt. Größenordungen von mehr als 150.000 Euro pro Jahr sind schon eher die Anstrengung wert, jemanden wegzuschubsen.

Ist es verwerflich, wenn der Betriebsrat ein eigenes Budget hat - bei VW war das offenbar ein Problem?
Das kann man so und so handhaben. Entscheidend ist, dass letztendlich alle Belege geprüft und Unkorrektheiten beanstandet werden. Wenn das nicht der Fall ist, dann kann es sich nur um eine gezielte Strategie handeln, daran muss die Führungsebene des Unternehmens beteiligt sein. Die geben doch nicht den Betriebsräten 100.000 Euro in die Hand und sagen: "Macht damit, was ihr wollt."

Wie bedenklich ist es, dass Unternehmen solche Angebote machen?
Ich halte es für unanständig. Aber keiner muss sich doch Illusionen über die Moral der Manager machen. Im Zweifelsfall sind der Unternehmensseite viele Mittel recht, um ihre Geschäftsstrategie durchzusetzen.

Wo doch moralische Glaubwürdigkeit das Stärkste ist, was Gewerkschaften haben. Oder?
Ich entscheide als Betriebsrat mit darüber: Werden Standorte geschlossen? Werden Kollegen entlassen? Gibt es Einkommenszuwächse oder nicht? Und gleichzeitig sage ich mir selbst: "Ob dies oder jenes das Unternehmen bezahlt, das nehme ich nicht so genau, das nehm ich so mal mit." Und dann muten wir bei Kostendruck den Kollegen zu, dass sie ihr Weihnachtsgeld abgeben! Das kann es nicht sein. Da wird es ganz kritisch.

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