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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Da haben wir scharf geschaltet'

Ausgabe 07+08/2010

50 JAHRE VW-GESETZ Bernd Osterloh berichtet, wie sich die VW-Betriebsräte für den Erhalt des VW-Gesetzes einsetzten und wie effektiv dieses Instrument war, als Porsche VW übernehmen wollte.

Mit dem VW-Konzernbetriebsratsvorsitzenden sprachen die Redakteurinnen CORNELIA GIRNDT und MARGARETE HASEL in Wolfsburg./Foto: ostkreuz, Frank Schinski

Herzlichen Glückwunsch an die VW-Beschäftigten. Ein Gesetz aus den Jugendjahren der BRD hat verhindert, dass bei VW finanzkapitalistische Hemdsärmligkeit eine gewachsene, mitbestimmte Unternehmenskultur verdrängt. Wird der Betriebsrat das VW-Gesetz an seinem 50. Geburtstag am 21. Juli gebührend feiern?
Wir freuen uns jeden Tag, dass wir das VW-Gesetz haben. Exakt am 21. Juli sind aber Werksferien. Deshalb haben wir schon gefeiert - mit Bundesarbeitsministerin von der Leyen, mit unseren VW-Vorständen, mit Detlef Wetzel, dem Vize der IG Metall, und mit unserem Aufsichtsratsvorsitzenden Herrn Dr. Piëch und seiner Frau. Sie alle waren zur Mitbestimmungsveranstaltung des Betriebsrats gekommen.

Vor drei Jahren glaubte kaum jemand daran, dass das VW-Gesetz noch eine Zukunft hat. Der Europäische Gerichtshof hatte im Oktober 2007 entschieden, es sei ein Hemmnis für den freien Kapitalverkehr in Europa und muss weg. Wer war denn der Retter?
In der Tat war der Erhalt des VW-Gesetzes kein Selbstläufer. Wir - die VW-Betriebsräte und die IG Metall - kämpften anfangs scheinbar auf verlorenem Posten. Als unsere Kollegen zum ersten Mal im Justizministerium vorfühlten, war niemand von den Ministerialbeamten begeistert, das Thema VW-Gesetz noch einmal aufzulegen. Wir selbst haben dann bei Uni-Professoren europarechtliche Gutachten in Auftrag gegeben. Nachdem ich gemeinsam mit meinen engsten Mitarbeitern mit der damaligen Justizministerin Brigitte Zypries gesprochen hatte, kam Bewegung in die Sache. Zypries hat mit Angela Merkel gesprochen, und auch Ministerpräsident Wulff, unser jetziger Bundespräsident, hat uns von Anfang an unterstützt. Irgendwann war klar: Da musste man was machen.

Welche Rolle hat dabei die versuchte Porsche-Übernahme von VW gespielt?
Das ist schwer zu sagen. Aber ich gehe davon aus, dass wir nie so viel politischen Rückenwind für das VW-Gesetz bekommen hätten, wenn sich die Ex-Porsche-Vorstände Wiedeking und Härter uns gegenüber vernünftig verhalten hätten. Sie haben zur Generalattacke auf die Mitbestimmungsrechte der VW-Beschäftigten geblasen. Und auf unser VW-Gesetz. Das war ein Fehler, weil sie den Widerstand völlig unterschätzt haben.

War es gerechtfertigt, dass die Bundeskanzlerin sich auf einer Betriebsversammlung in Wolfsburg im September 2008 von 25 000 VW-Arbeitern als Retterin des VW-Gesetzes hat feiern lassen?
Sie hat entscheidend dazu beigetragen, dass dieses Gesetz im Bundestag verabschiedet und im Bundesrat von einer breiten Mehrheit getragen worden ist. Zusammen mit Brigitte Zypries. Und die Menschen bei Volkswagen haben gemerkt, dass es der Bundeskanzlerin ernst war, deshalb gab es anhaltenden Applaus. Und sie steht bis heute zum VW-Gesetz.
 
Der damalige EU-Wettbewerbskommissar McCreevy hat sofort angekündigt, er werde auch gegen die Neufassung vorgehen.
Ich hatte auch einen Termin bei Herrn McCreevy in Brüssel - in durchaus netter Atmosphäre. "Herr Osterloh, Betriebsratsvorsitzende gehören nicht unbedingt zu meinen Gästen", sagte er damals zu mir, "aber Sie haben so viel Lärm gemacht, Sie wollte ich mal kennenlernen."

Was meinte er mit "Lärm gemacht"?
40 000 Arbeitnehmer aus europäischen VW-Standorten haben 2008 hier auf dem Werksgelände gegen Brüssel und für den Erhalt des VW-Gesetzes demonstriert. Wo bleibt denn sonst in Europa der soziale Gedanke? Und die Mitglieder unseres VW-Weltkonzernbetriebsrates haben die EU-Kommissare angeschrieben. Das VW-Gesetz ist nicht nur ein deutsches Thema. VW ist Europas größter Autokonzern und hat Standorte überall auf der Welt. Über deren Neugründung und Verlagerung entscheiden wir Arbeitnehmervertreter mit, weil - qua VW-Gesetz - im Aufsichtsrat dafür eine Zweidrittelmehrheit nötig ist.

Die EU hat zwar im Moment andere Sorgen. Trotzdem die Frage: Wird es das VW-Gesetz in 20 Jahren noch geben?
Ich bin mit Vorhersagen vorsichtig. Aber das neue Gesetz ist jetzt europarechtskonform, und wir haben die Unternehmenssatzung der VW AG noch einmal neu verabschiedet. Verankert ist dort auch, dass man bei Volkswagen für besonders wichtige Entscheidungen auf Hauptversammlungen eine Mehrheit von 80 Prozent braucht. Das heißt, gegen das Land Niedersachsen, das etwas mehr als 20 Prozent hält, geht da nichts. Das Entsenderecht des Landes von zwei Aufsichtsräten haben wir auch neu festgeschrieben, was ganz wichtig war, damit nicht noch ein Kläger kommt und sagt: Die Satzung von 1969 ist ja uralt.

Blicken wir zurück: 2005 galt es, Übernahmegefahren auszuschließen. Da war Porsche eine gute Option, VW sollte in der Familie bleiben. War das auch den Arbeitnehmern willkommen?
Logisch, wir haben den Einstieg von Porsche immer begrüßt. Und wir stehen auch heute zur Beteiligung der Familien Piëch und Porsche. Zusammen mit dem Land Niedersachsen haben wir zwei Ankeraktionäre, die uns vor Übernahmen schützen. Die Turbulenzen wurden von Herrn Wiedeking mit dem Ausspruch: "Bei VW darf es keine heiligen Kühe geben", ausgelöst.

Was meinte er genau damit?
Er sprach von unseren Tarifverträgen, von unseren Betriebsvereinbarungen, von unseren Mitbestimmungsmöglichkeiten.

Das habt ihr sicher als eine Art Kampfansage empfunden?
Das haben wir nicht so empfunden, das war eine Kampfansage. Dazu kam die Mitbestimmung in der neu gegründeten Porsche SE, die die VW-Beteiligung managte: 370 000 VW-Arbeitnehmer sollten das gleiche Gewicht haben wie die 12 000 Porsche-Arbeitnehmer. Wir sind dagegen vor Gericht gegangen und hätten das durch alle Instanzen - bis zum EuGH - ausgefochten. Unser Hauptkritikpunkt war: Auf der Arbeitnehmerseite kann das Demokratieprinzip nicht ausgehebelt werden durch die Aktienpakete der Kapitalseite.

Die VW-Seite hat den Eindruck vermittelt, sie wäre durch die SE-Mitbestimmungsvereinbarung von Porsche regelrecht über den Tisch gezogen worden.
Das war so. Wir waren nirgendwo beteiligt. Die Vereinbarung zur Arbeitnehmerbeteiligung in der SE, die der Porsche-Vorstand gemacht hatte, war quasi unkündbar, weil sie nicht gegen die Stimmen der Porsche-Arbeitnehmervertreter hätte verändert werden können. Auch wenn sich alle Arbeitnehmer von VW, Audi, von Skoda, von Seat und alle anderen einig gewesen wären, hätten sie keine Änderung erreichen können. Das heißt, die Stimmen der 370 000 waren bei den entscheidenden Fragen wertlos, weil sich die 12 000 ein Vetorecht haben festschreiben lassen.

Konnte da zwischen den Familienunternehmen oder auch von der IG Metall nicht ein Machtwort gesprochen werden?
Natürlich haben wir IG-Metall-intern viel geredet. Vermittlungsversuche gab es einige, die aber die Ungerechtigkeiten nicht aufheben konnten. Porsche-Vorstandsvorsitzender Wiedeking ließ wissen: "Das bleibt, wie es ist." Wir haben ihm auch unsere Euro- und Weltkonzernbetriebsratsvereinbarungen nach Stuttgart geschickt und gefragt, was für Probleme sie dann damit hätten. Eine Antwort erhielten wir nie.

Hat es überrascht, dass die beiden Manager von Porsche die Heuschreckentour gefahren sind, also einen Gewinnabführungs- und Beherrschungsvertrag mit VW anstrebten?
Uns ging es um die Eigenständigkeit des Volkswagen-Konzerns, darum, dass die Entscheidungen auch in Zukunft in Wolfsburg fallen, und um unsere über Jahrzehnte erkämpften Arbeitnehmerrechte bei Volkswagen. Nach den Attacken von Wiedeking und Härter haben wir echt scharf geschaltet. Wir haben alles mobilisiert, um das VW-Gesetz und seine Schutzrechte zu erhalten. Uns ging es immer darum, das Beste für die Arbeitnehmer und Volkswagen zu erreichen.

Wer bei VW die ganze Macht will, muss die Mitbestimmung schleifen. Sind die Porsche-Lenker also auch in dieser Hinsicht gescheitert?
Sie haben sich am Betriebsrat und an der Belegschaft die Zähne ausgebissen. Ihre Ansage, die heiligen Kühe von VW schlachten zu wollen, ist in Wolfsburg extrem schlecht angekommen. Wir hatten nichts dagegen, über unsere Tarifverträge zu reden, aber sie kannten die nicht einmal.

Es gab auch Konter: Ich denke an jene Aufsichtsratssitzung, bei der die Arbeitnehmerseite die Mehrheit hatte, weil sich der Aufsichtsratsvorsitzende Piëch der Stimme enthielt.
(lacht) Der legendäre 12. September 2008. Ein Tag, den ich nie vergessen werde. Nicht nur weil es mein 52. Geburtstag war. Draußen stehen 40 000 VW-Arbeiter aus allen europäischen Standorten und demonstrieren für das VW-Gesetz, gleichzeitig läuft die Aufsichtsratssitzung, die unterbrochen wird, weil ich und meine IG-Metall-Kollegen zu den Demonstranten mussten. Was drinnen in der Aufsichtsratssitzung passierte, ist ja bekannt.

Worum ging es?
Wir stimmten für die Einrichtung eines Aufsichtsrats-Ausschusses, der die Geschäfte mit Porsche strikt kontrolliert und ohne dessen Zustimmung nichts mehr lief. Eigentlich war das nur Ausdruck dafür, dass wir unsere Aufsichtspflicht sehr ernst nehmen. Denn Porsche war ein fremdes Unternehmen. Und es musste sichergestellt werden, dass Volkswagen keine Nachteile aus Geschäften mit dem Sportwagenbauer entstehen. Dieser 12. September war in der ganzen Geschichte um das VW-Gesetz ein Wendepunkt. Und auch ein Signal, dass wir mit dem Gebaren der Herren Wiedeking und Härter keineswegs einverstanden sind.

Zumal Mitbestimmung bei VW mehr ist als das VW-Gesetz.
Wir haben einen Organisationsgrad von 90 Prozent auch im Angestelltenbereich. Das ist eine gewachsene Mitbestimmungskultur. Da nimmt sich der Vorstandsvorsitzende Martin Winterkorn die Zeit, mit mir und meinem KBR-Stellvertreter und dem Finanz- und dem Personalvorstand darüber zu diskutieren, wie sich das Unternehmen VW entwickelt. So etwas ist hier normal

VW ist ein internationaler Konzern, weltweit die Nummer drei. Was haben die ausländischen Belegschaften vom VW-Gesetz, das die EU-Kommission als nationale, deutsche Eigenart behandelt?
Das Wichtigste für uns als Arbeitnehmer ist, dass bei Neugründung und Verlagerung zwei Drittel der Aufsichtsräte zustimmen müssen. Im Klartext: Ohne uns als Belegschaft geht da gar nichts. Bis heute haben wir Arbeitnehmer aber jeder Auslandsinvestition, sei es in Kaluga in Russland, sei es in China oder in Curitiba in Brasilien, zugestimmt. Aber wir haben immer hintergefragt, was das für die VW-Arbeitnehmer in Deutschland, in West- und in Mittel- und Osteuropa bedeutet.

Auch wenn es um weltweite Investments geht?
Als Präsident des Weltkonzernbetriebsrats stehe ich bei meinen Kollegen in Argentinien, Brasilien, Mexiko, in der Slowakei, in Polen, in Italien, Spanien, Portugal und allen anderen in der Pflicht. Die fragen nämlich: "Osterloh, was heißt das für unseren Standort, wenn du dies oder jenes Projekt im Aufsichtsrat mitträgst?" Da kann es um die Existenz und die Sicherheit von Arbeitsplätzen gehen. Nicht zufällig kamen viele der 40 000 VW-Arbeitnehmer, die hier am 12. September demonstrierten, von ausländischen Standorten. Wir hatten ja auch auf jeder Sitzung des Weltkonzernbetriebsrats ausführlich über das VW-Gesetz und die Auseinandersetzung mit dem Porsche-Vorstand berichtet.

Das Ergebnis ist paradox: Die Porsche-Lenker haben ihren Übernahmeplan darauf aufgebaut, dass das VW-Gesetz fällt. Letztlich haben sie erheblich dazu beigetragen, es zu erhalten - wird das VW-Gesetz auch für Porsche gelten?
Davon kann man ausgehen: Mein Kollege Uwe Hück, zu dem ich ein gutes Verhältnis habe, will, dass die Regelungen bei Porsche ebenso gelten. Und wir stehen da hinter ihm. Wer uns kennt, der weiß, dass wir durchaus durchsetzungsfähig sind. Schließlich haben wir auch gemeinsam in der Grundlagenvereinbarung viel für die Arbeitnehmer rausgeholt: die Eigenständigkeit von Porsche als Marke, den Erhalt des VW-Gesetzes und den Erhalt von Volkswagen als Dach des Konzerns.

Nach der Grundlagenvereinbarung der Unternehmen Porsche und VW will man VW-Mitarbeiter an den Aktien beteiligen. Soll das eine relevante Größe werden?
Da steht, dass es eine Mitarbeiterkapitalbeteiligung geben soll. Ob durch eine Genossenschaft, einen Verein, eine Stiftung oder sonst wie, wird man sehen, auch wie sich das umsetzen lässt. Eine Größenordnung von ein bis drei Prozent halte ich mittelfristig für realistisch. Ich will aber allen die Angst nehmen, dass wir auf zehn Prozent abzielen, um dann noch ein Aufsichtsratsmandat auf der dunklen Seite - wie wir scherzhaft die Seite des Kapitals nennen - zu bekommen. Wir bleiben mit dem VW-Gesetz lieber auf der hellen Seite der Macht.


ZUR PERSON

BERND OSTERLOH, 53, ist Braunschweiger, kann Autos bauen und Hochdeutsch. Er hat eine Metall- und eine kaufmännische Ausbildung gemacht, ehe er zu Volkswagen kam, wo er anfangs in Halle zwölf den Golf I baute, gewerkschaftlicher Vertrauensmann wurde und Betriebsrat. Osterloh stand achteinhalb Jahre an der Spitze der gewerkschaftlichen Vertrauensleute und ist seit genau fünf Jahren Konzernbetriebsratsvorsitzender, er hat nach der "Lustreisenaffäre" der VW-Mitbestimmung wieder Reputation verliehen und im Schlagabtausch zwischen Porsche und VW eine gute Figur gemacht: selbstbewusst, sachlich, interessenbezogen. Bernd Osterloh ist Mitglied des Aufsichtsrats der Porsche SE und stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender der VW AG. Bei der Betriebsratswahl 2010 hat die IG Metall in Wolfsburg mit über 90 Prozent ihr bestes Ergebnis erzielt.

Mehr Informationen

Das VW-Gesetz schreibt Geschichte. Ein Überblick von Cornelia Girndt (hier pdf zum Download)

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