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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Arbeitsplätze haben Priorität'

Ausgabe 07/2007

IG-Metaller Thomas Klebe über die Kontakte seiner Gewerkschaft zu arbeitsorientierten Beratern und seine eigenen Erfahrungen als Arbeitnehmervertreter



Das Gespräch führten KAY MEINERS und CHRISTOPH MULITZE.


Kollege Klebe, Daimler und Chrysler, die 1998 fusionierten, haben sich nun wieder getrennt. Haben gewerkschaftsnahe Unternehmensberater an dieser Trennung mitgearbeitet?
Nein. Die IG Metall hat den Beratungsbedarf der Arbeitnehmer-vertreter intern abgedeckt. Außerdem hat der Gesamtbetriebsrat Daimler-Chrysler einen sehr qualifizierten eigenen Stab.

Bei den US-Kollegen gab es Unmut wegen der Trennung. War es schwer, einen Interessenausgleich zu finden?
Die Zusammenarbeit mit den amerikanischen Kollegen war sehr gut. Sie waren am Ende mehr als einverstanden - sie finden, dass es so die beste Lösung war. Uns allen war sehr wichtig, dass es einen Fall wie BenQ nicht mehr geben darf. Chrysler hat gute Entwicklungsmöglichkeiten und ist schuldenfrei. Dazu gibt es Finanzgarantien aus Deutschland und Zusagen des Investors Cerberus.

Sie als IG-Metaller sind zufrieden, obwohl Chrysler an ein Unternehmen der Private-Equity-Branche, an einen Finanzinvestor gegangen ist?
Man darf Private Equity nicht generell verteufeln. Wir müssen als Arbeitnehmervertreter bei solchen Transaktionen Bedingungen stellen und Garantien für die Beschäftigten fordern. Entscheidend ist, was hierbei rauskommt und nicht die Branche des Erwerbers. Hätte ein nordamerikanischer Automobilhersteller das Unternehmen gekauft, hätte es ein wahres Blutbad gegeben. Die hätten nur einen Konkurrenten vom Markt weggekauft und wahrscheinlich statt zwei Werken eine vielfache Zahl dichtgemacht. Wichtig ist auch, dass Daimler weiter einen Anteil von 19,9 Prozent an Chrysler hält. Daimler bleibt also beteiligt und in der Verantwortung.

In vergleichbaren Fällen arbeiten Arbeitnehmervertreter und -Gewerkschaften oft mit externen Beratern zusammen - warum?
Die IG Metall betreut rund 12?000 Betriebsräte, und die Anfor-derungen an sie sind extrem gestiegen - zum Beispiel durch die Internationalisierung und die betriebsnahe Tarifpolitik. Da können wir gar nicht alles selbst machen - eine Aufgabenteilung ist daher durchaus sinnvoll.

Wie viele Anfragen von Betriebs- und Aufsichtsrats-mitgliedern -erreichen die IG Metall im Verhältnis zu früher?
Ich kann es nicht exakt sagen. Fest steht aber, dass die Zahl der juristischen Anfragen definitiv zugenommen hat. Ebenso ist die Zahl der wirtschaftlichen Beurteilungen von Unternehmen erheblich wegen des Pforzheimer Abkommens von 2004 gestiegen, das unter bestimmten Voraussetzungen Abweichungen vom Tarifvertrag ermöglicht. Bei den Bilanzanalysen, die zur Unterstützung der -Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat von uns gemacht werden, hat sich nicht viel geändert. Hier gibt es seit langem eine bewährte Aufgabenteilung mit der Hans-Böckler-Stiftung.

Es gibt aber auch Betriebsräte, die sich informell selbst versorgen.
Das ist auch gut so. Es ist wichtig, dass Betriebsräte eigenständig handeln. Sie sind ja keine Befehlsempfänger von Botschaften, die ein Zentralkomitee aus Frankfurt schickt. Ich sehe nicht, dass Selbstständigkeit unsere Autorität als Gewerkschaft untergräbt. Die Anbindung an die IG Metall bleibt eng.

Abweichungen vom Tarifvertrag werden nach wie vor zentral von Frankfurt genehmigt.
Ja, das ist richtig. Die IG Metall schließt die Tarifverträge, also kann auch nur die IG Metall Abweichungen genehmigen. Ansonsten bricht das gesamte Tarifvertragssystem zusammen. In diesen Fällen ist es zwingend nötig, die finanzielle Lage des Unternehmens wirtschaftlich zu begutachten. Wir sind nur dann bereit abzuweichen, wenn uns die Bücher geöffnet werden und das Unternehmen zu substanziellen Gegenleistungen - wie etwa Investitionen oder Beschäftigungssicherung - bereit ist. Hierzu werden in vielen Fällen externe Berater zur Begutachtung der Zahlen einbezogen. Außerdem reicht der betriebliche Blick allein nicht. Abweichungen können oft Auswirkungen auf andere Unternehmen in der Branche haben. Das muss mitberücksichtigt und wenn möglich verhindert werden. Das können nur wir leisten.

Die Gewerkschaft versucht, die Fäden in der Hand zu behalten?
Betriebsräte suchen häufig den Rat ihrer Gewerkschaft. Wir arbeiten dann eng zusammen. Bei den Auseinandersetzungen geht es oft nicht nur um betriebswirtschaftliche und juristische Fragen. Es kommt auf eine ganzheitliche, betriebspolitische Perspektive an, bei der die Gewerkschaft unverzichtbar ist. Denn dieses Wissen und diese Kompetenz sind auf dem Markt so nur bei uns vorhanden. Außerdem: Wenn es um unsere Mitglieder geht, dann wollen wir auch mitreden.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Oft versuchen Unternehmen, für die Beschäftigten negative Entscheidungen zuerst in den Betrieben durchzusetzen, die sie für die schwächsten halten. Dann ist es wichtig, den Organisationsgrad der Belegschaft zu steigern und zum Beispiel die Auseinandersetzung auf die Ebene des Gesamtbetriebsrates zu ziehen, um eine solidarische Zusammenarbeit im Unternehmen zu organisieren.

An welcher Stelle genau kommen die Berater ins Spiel?
Simpel gesprochen, wenn Betriebsrat und IG Metall den Beratungsbedarf nicht alleine abdecken wollen. Betriebsverfassungsrechtlich gibt es dann zwei Möglichkeiten: § 80 Abs. 3 des Betriebsverfassungsgesetzes erlaubt dem Betriebsrat, Sachverständige zur Erledigung seiner Aufgaben hinzuzuziehen - dazu braucht er aber eine vorherige Vereinbarung mit dem Arbeitgeber. Das nutzt dieser häufig, um eine Strategie sanfter Behinderung zu verfolgen, indem er die Zustimmung in die Länge zieht. Bei Betriebsänderungen ist die Hinzuziehung eines Beraters für den Betriebsrat, jedenfalls in Unternehmen mit mehr als 300 Arbeitnehmern, sehr viel leichter.

Es entsteht ein lukrativer Markt - das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hat ihn einmal auf mehr als 100 Millionen Euro im Jahr geschätzt.
Selbst wenn diese Angabe stimmt, ich habe da Zweifel, bewegen sich die Betriebsräte in einem äußerst moderaten Rahmen. Die Kosten für die Arbeitgeber selbst belaufen sich nach vorsichtigen Schätzungen auf knapp 15 Milliarden Euro.

Die Arbeitnehmer werden kurz gehalten?
Man kann es so sagen. Typischerweise vereinbaren die Arbeitgeber mit ihren Anwälten sehr viel höhere Honorar-regelungen, als Gesetz und Gebührenordnung dies vorsehen. Die Anwälte des Betriebsrats werden demgegen-über nur so vergütet, wie es nach dem Gesetz unvermeidbar ist.

Gleichwohl haben die Arbeitnehmer attraktive Aufträge zu vergeben. Wie sorgt die IG Metall für Transparenz und Qualität?
Wir haben Standards festgelegt. Wir denken auch weitergehend an eine Zertifizierung. Daran arbeiten wir, einen konkreten Zeitpunkt kann ich aber noch nicht nennen.

Eine Art Gütesiegel, das die Orientierung am Markt erleichtert?
Um mehr kann es nicht gehen. Der Betriebsrat ist autonom, das sagt schon das Betriebsverfassungsgesetz. Das gilt auch dann, wenn er sich einen Berater sucht.

Und für die Kostenkontrolle sorgen vermutlich die Arbeitgeber?
Das ist richtig. Wenn die Gewerkschaft nicht selbst einen Beratungsauftrag vergibt, sind es die Arbeitgeber, die die Berater zahlen müssen. Hierbei versuchen sie häufig, den Betriebsrat finanziell kurz zu halten. So verweisen sie den Betriebsrat gern auf unternehmensinterne Fachleute, obwohl diese ja in der Regel auf der Seite der Arbeitgeber stehen.

Welche besondere Sichtweise sollen externe Berater mitbringen, die für Gewerkschaften, Betriebsräte oder Arbeitnehmervertreter in Aufsichtsräten tätig werden?
Hier haben wir eine klare Politik: Unsere Berater müssen neben ihrem Fachwissen auch Vorgehensfragen berücksichtigen, die Probleme also aus der Betriebsrats- und aus der Arbeitnehmersicht ganzheitlich sehen. Sie müssen nicht nur fachlich qualifiziert, sondern auch politisch denkende Experten sein. Nur so können wir den angestrebten hohen Standard erreichen und halten.

Das würde ein traditioneller Berater wohl ebenso für sich in Anspruch nehmen.
Ist das so? Meine Erwartung an einen unserer Berater ist, dass er alles kann, was ein traditioneller Berater kann, dass er zusätzlich politisch denkt, dass er die Position der Arbeitnehmer kennt und sie stützt. Der Interessenstandpunkt spielt eine wichtige Rolle. Darüber hinaus muss auch die Schwerpunktsetzung stimmen. Der Erhalt und die Schaffung von Arbeitsplätzen genießen bei uns höchste Priorität.

Was bedeutet das konkret im Alltag?
Wir haben ja zum Teil gute Rechtspositionen. Teilweise sind Fragen aber auch sehr umstritten oder nur eine Minderheit stützt die Betriebsratsauffassung. Ein Jurist kann sich dann hinter der herrschenden Meinung verstecken und gibt damit keine falsche Auskunft. Er vertritt aber eine Partei, hier den Betriebsrat. Also muss er sich meines Erachtens fragen: Gibt es vielleicht eine Mindermeinung, die ich für den Betriebsrat vertreten kann, ohne dass ich gleich rot werden muss?

Gibt es eine Gerichtsentscheidung, vielleicht auch nur einer unteren Instanz, die den Arbeitnehmern weiterhelfen kann? Kann man vielleicht einen Zusammenhang zu einem anderen Problem, bei dem der Betriebsrat bessere Rechtspositionen hat, herstellen nach dem Motto: Du bewegst Dich dort, und wir bewegen uns hier. Davon lebt ja auch der Alltag in den Betrieben. Wenn jemand nur sagt, nach herrschender Meinung haben die Arbeitnehmer auf dieses oder jenes keinen Anspruch, hilft mir das auch nicht weiter.

Wenn Gewerkschaften ihre eigenen Strukturen unter die Lupe nehmen, greifen Sie ab und zu auch auf traditionelle Berater zurück. Dies war beim DGB und auch der IG BAU so. Warum?
Da kann ich nur spekulieren. Auch Gewerkschaften sind Arbeitgeber und demzufolge nicht gefeit vor Rollenkonflikten. Ich denke, man will mit der Einschaltung traditioneller Berater eine möglichst offene Beschreibung von Veränderungsmöglichkeiten, vielleicht auch von einem zunächst in erster Linie betriebswirtschaftlichen Blickwinkel. Das ist auch in Ordnung. Man muss sich nur vergegenwärtigen, dass es nicht das gesamte Bild ist, deshalb darf man dort nicht stehen bleiben und auch nicht vergessen, dass Gewerkschaften politische Organisationen sind. Die Sichtweise von Beratern wie McKinsey wird dies nicht ausreichend erfassen.

Die Frage ist, wie sehr sich die Gewerkschaften mit normalen -Unternehmen vergleichen lassen.
Das geht eben nur begrenzt. Aber hier und dort können auch Gewerkschaften von Unternehmen etwas lernen. So sind Planung und Budgetierung oder auch ein effektives Projektmanagement heute Standard. Außerdem können wir uns ökonomischen Zwängen nicht völlig verschließen. Beim Finden solcher Erkenntnisse können traditionelle Unternehmensberater durchaus hilfreich sein.

Es gibt aber doch einen engen Zirkel von arbeitsorientierten Beratern, die der IG Metall nahe stehen. Was sind das für Leute, und wie sieht ihre Arbeit aus?
Es gibt ein Beraternetzwerk für die betriebswirtschaftliche Begutachtung, auch von sogenannten Pforzheim-Fällen, mit rund 40 Leuten - auch die Hans-Böckler-Stiftung ist ja an dieser Arbeit beteiligt, wenn es unsere Aufsichtsräte betrifft. Außerdem gibt es einen Kreis von Rechtsanwälten, mit denen die IG Metall enger zusammenarbeitet. Er hat in etwa die gleiche Größe. Daneben haben wir aber auch weiße Flecken, zum Beispiel in der Arbeitspolitik, wo wir noch systematischer eine Zusammenarbeit mit Fachleuten suchen müssen. Unsere Erwartung ist, dass diese Berater unseren vorhin geschilderten Anforderungen entsprechen.

Wie wird man Teil dieses Netzwerkes?
So etwas entwickelt sich. Das ist oft Empfehlungssache, oder man stößt in laufenden Verfahren und Konflikten auf gute Leute.

Wie pflegen Sie diese Netzwerke?
Es gibt Jahrestreffen mit uns nahestehenden Rechtsanwälten, bei denen prominente Referenten, wie etwa Richter vom Bundesarbeitsgericht, auftreten. Dort besprechen wir aktuelle Themen und im internen Teil auch Verfahrensstrategien, wie neue Ideen bei der Durchsetzung des Gesundheitsschutzes oder von Sozialplänen. Gleiches wie für die Juristen gilt für das Netzwerk unserer Wirtschaftsberater, die sich auch einmal im Jahr treffen, um wesentliche Themen, wie beispielsweise Innovation und Investition, mit prominenten Referenten zu diskutieren. Diese Treffen werden von unseren eigenen Fachleuten vorbereitet. Sie schlagen auch neue Teilnehmer vor, die sie für qua-lifiziert halten.

Welche Kriterien gibt es da?
Die fachliche Qualifikation ist selbstverständlich vorausgesetzt. Hinzukommen muss bei Juristen die Fähigkeit, die rechtliche Beratung ganzheitlich, mit der erforderlichen Phantasie und explizit als Interessenvertreter der Beschäftigten durchzuführen.

Welche Rolle spielen externe Berater für die Qualifizierung von Aufsichtsräten?
Eine sehr wichtige Rolle - alle Aufsichtsratsmitglieder haben einen großen Qualifizierungsbedarf, schon wegen des sich sehr schnell wandelnden Umfelds: Durch die Regeln einer guten Corporate Governance, im Hinblick auf Haftungsrisiken oder auch auf die Themen, die man unter "Compliance" zusammenfasst, also Rechtstreue, Antikorruption, ethisches Verhalten, aber auch im Hinblick auf den alltäglichen Kampf um Arbeitsplätze und Standorte müssen wir alle unser Wissen ständig aktualisieren und vertiefen. Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat müssen sich zwingend auch um unternehmerische Themen, wie Produktentwicklung, Modellpolitik oder Qualität kümmern, wenn sie Arbeitsplätze sichern wollen. Unser Ziel ist es, für die Mitbestimmung zu werben, ihre Qualität zu verbessern und die Kompetenz unserer Aufsichtsratsmitglieder zu erhöhen.

Die Internationalisierung der Aufsichtsräte und die Euro-Betriebsräte kommen noch dazu. Tun die Gewerkschaften hier genug, um die Zusammenarbeit zwischen den Ländern anzustoßen?
Die Internationalisierung der Gewerkschaften ist durch die Euro-Betriebsräte extrem befördert worden. Euro-Betriebsräte gibt es im Grunde erst seit 1996. Inzwischen sind es über 800, mehr als 300 allein im Bereich der IG Metall. Die Qualität der Zusammenarbeit, selbst über die EU-Grenzen hinaus, hat sich meines Erachtens in vielen Fällen gut entwickelt. In der Tarifpolitik haben wir ebenfalls Fortschritte gemacht.

Sind die Gewerkschaften bei der Internationalisierung schon so weit wie die Unternehmen?
Es ist noch ein weiter Weg dahin, dass Gewerkschaften und Euro-Betriebsräte nur annähernd so gut international aufgestellt sind wie die Multis. Auch die Internationalisierung der Arbeitnehmerbänke in den Aufsichtsräten ist von uns gewollt. Das stößt allerdings auf rechtliche Grenzen. Trotzdem müssen wir ganz eindeutig der Internationalisierung unserer Arbeit einen deutlich höheren Stellenwert als bisher geben.


ZUR PERSON

Er gilt als Pragmatiker und international erfahrener Betriebspolitiker: THOMAS KLEBE, Jahrgang 1948, ist promovierter Jurist und leitet den Funktionsbereich Betriebs- und Mitbestimmungspolitik beim IG-Metall-Vorstand in Frankfurt. Seit mehr als 20 Jahren gehört er Aufsichtsräten großer Unternehmen wie Opel oder Compaq an - derzeit bei der DaimlerChrysler AG sowie bei der ThyssenKrupp Services AG. Thomas Klebe ist außerdem ehrenamtlicher Richter des 1. Senats des Bundesarbeitsgerichts und Mitherausgeber eines Standardkommentars zum Betriebsverfassungsgesetz.

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