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Magazin Mitbestimmung

: Im Stahlnetz

Ausgabe 11/2004

Der Name Terni ist in Italien zum Symbol eines erbitterten, aber erfolgreichen Arbeitskampfes geworden. Die Bewohner der umbrischen Stadt, der Bürgermeister und sogar der Papst protestierten gegen die Schließung von Teilen des Stahlwerkes, das zum ThyssenKrupp-Konzern gehört. Doch in Terni wurde auch Europa entdeckt.

Von Michaela Namuth
Dr. Namuth ist Politologin und Journalistin in Rom.

Michele Dettori hat sich am Kiosk vor dem Werkstor ein schattiges Plätzchen gesucht. Er rückt seine Sonnenbrille zurecht und nippt an einer eiskalten Cola. Es ist ein heißer Sommertag in Terni. Doch der Kiosk vor dem Eingang des Stahlwerkes ThyssenKrupp ist immer geöffnet, Gott sei Dank. Michele zeigt auf die Straße, die das alte Hauptwerk mit den Hochöfen und Pressen von den neueren Werkshallen trennt, wo Elektroband - ein Stahl, der in elektrischen Geräten und Motoren verwendet wird - und Edelstahl hergestellt werden: "Im Februar war hier alles voll mit Leuten. Wir haben 18 Tage lang die Zugänge blockiert und bitter gefroren. Doch es kamen Leute aus der Stadt und aus der ganzen Region. Sie haben uns Öfen und Essen gebracht." Der 31-jährige Belegschaftsvertreter arbeitet selbst in dem Werk, das vor kurzem noch von der Schließung bedroht war. Er hat mit seinen Kollegen zu Beginn des Jahres einen Arbeitskampf ins Rollen gebracht, der einen Monat lang das ganze Land bewegte.

Ein Prototyp für europaweite Verhandlungen

In Terni heißt das Werk nur "la fabrica". Die Anlage breitet sich auf 1,5 Millionen Quadratmetern aus. Es ist eine Stadt für sich, um die in den letzten 100 Jahren eine andere Stadt gewachsen ist. In ihr leben heute 110000 Menschen. Jede Familie hier hat in den vergangenen 30 Jahren direkt oder indirekt Einnahmen aus dem Stahlwerk erzielt. Am 6. Februar demonstrierten 30000 Menschen gegen die Schließung des "magnetico", der Elektrobandproduktion, die die deutsche Konzernleitung beschlossen hatte. Von den 3000 Arbeitsplätzen in der Fabrik wären 450 verloren gegangen, dazu noch einmal 400 Jobs in Sub- und Zulieferunternehmen.

Viele befürchteten damals den Anfang vom Ende: die erste Etappe einer schrittweisen Stilllegung des gesamten Werks - ein harter Schlag für die Stadt im umbrischen Bergland, wo viele Familien seit über 100 Jahren vom Stahl leben. Sogar der Papst solidarisierte sich mit den Arbeitern aus Terni, und der englische Regisseur Ken Loach kam persönlich in die Fabrik, um Michele die Hand zu schütteln. Mit so erbittertem Widerstand und so viel Aufsehen in den Medien hatten die deutschen Konzernchefs nicht gerechnet - sie gaben nach. Am 18. Februar unterzeichneten sie eine Vereinbarung, die die Fortführung der Elektrobandproduktion und die Sicherheit der Arbeitsplätze garantierte. Das war ein durchschlagender Erfolg für die Arbeiter und die drei Metallgewerkschaften. Es war ihnen gelungen, statt eines Sozialplanes die Sicherung der Arbeitsplätze durch einen Industrieplan durchzusetzen.

Dieser Plan wurde am 6. Juli vereinbart - nach monatelangen Verhandlungen zwischen Vertretern der italienischen Gewerkschaften, der IG Metall, des Europäischen Metallgewerkschaftsbundes (EMB) und der Konzernführung. Er sieht vor, dass bis 2008 rund 200 Millionen Euro in das Stahlwerk Terni investiert werden sollen. Eine Schließung des Werks ist damit vorerst abgewendet. "Diese Vereinbarung ist der Embryo einer Verhandlung auf europäischer Ebene. So sollte es künftig eigentlich immer laufen", erklärt Ferdinando Liuzzi, Sprecher der linksgerichteten Metallgewerkschaft FIOM. Auch die anderen Metallgewerkschaften, die FIM und die UILM, interpretieren das Verhandlungsergebnis als Erfolg. Die Gewerkschaftsvertreter sind sich aber auch über eines einig: Ohne die Unterstützung der Stadtverwaltung, der Nachbarstädte und der Einwohner Ternis hätten die Arbeiter den Protest nicht so lange durchgehalten. Dieser Meinung ist auch Lucia Rossi, die Generalsekretärin der CGIL in Terni. Sie hat die Proteste von Anfang an mit organisiert: "Wir waren bei unserem Widerstand nie allein. Die lokalen und regionalen Institutionen haben uns immer unterstützt", sagt sie.

Bis jetzt hält allerdings noch niemand den ausgehandelten Industrieplan in der Hand. "Wir sind immer noch in der Phase des Abwartens", sagt Lucia. Ob die vorgesehenen Investitionen auch wirklich realisiert werden, hängt jetzt von der italienischen Regierung ab. Sie hat versprochen, die Bahnverbindung zur Hafenstadt Civitavecchia auszubauen. Ein direkter Zugang zum Meer ist für das Stahlwerk, das Ende des 19. Jahrhunderts nahe der Wasserfälle von Marmore gebaut wurde, die wichtigste Voraussetzung für die Senkung der Transportkosten. Ein anderer Kostenfaktor ist die Energie. Bislang profitierte ThyssenKrupp von einer 40 Jahre alten Vereinbarung mit den staatlichen Energieversorgern, die einen reduzierten Stromtarif für die Stahlfabrik vorsieht. Die Vereinbarung läuft Ende 2006 ab. Antonio Marzano, Industrieminister der Berlusconi-Regierung hat dem Konzern im Februar zugesagt, die nötigen Infrastrukturen für konkurrenzfähige Transport- und Energiekosten zu schaffen.

Vielleicht hält die Regierung, was sie verspricht

Lucia Rossi mag noch nicht so recht an die Zusagen glauben. "Diese Regierung steckt doch immer in irgendeiner Krise und ist nur mit ihren eigenen Angelegenheiten beschäftigt", erklärt sie. Doch "die Hoffnung stirbt zuletzt", sagen die Italiener, und so hofft Lucia, dass die Regierung ausnahmsweise mal ein Versprechen hält: "Die wissen, dass hier sonst wieder die Hölle los ist. Ohne die Fabrik verliert die Stadt ihre Identität." Ihr Kollege Gianfranco Fattorini, Generalsekretär der FIOM in Umbrien, ist optimistischer. "Der Industrieplan wird in den nächsten Wochen Realität", glaubt er. Fattorini ist derzeit auch Vertreter der italienischen Arbeitnehmer im für Terni zuständigen Aufsichtsrat. Dies ist dank einer für die deutsche Mitbestimmung bislang noch ungewöhnlichen Regelung möglich und geht zurück auf eine Mitbestimmungsvereinbarung zwischen IG Metall und der Konzernspitze, in der beschlossen wurde, dass ein Sitz an die Gewerkschafter in Terni geht. Die FIOM, die FIM und die UILM teilen sich diesen Sitz im Rotationsprinzip.

Fattorini war einer der Aktivisten des Widerstands. Die ersten Proteste gingen von der linken FIOM aus, die anderen beiden Metallgewerkschaften zogen aber schnell mit. "Wir haben alle an einem Strang gezogen, das ist an sich schon ein Erfolg", erklärt Celestino Tasso, Generalsekretär der eher christdemokratisch orientierten FIM in Terni. Diese Einheit der drei Metallgewerkschaften ist in der Tat eine Seltenheit. Denn bei anderen Arbeitskämpfen, etwa im krisengeschüttelten Fiat-Konzern, klaffen ihre Positionen weit auseinander. Und auch im Terni-Konflikt kochte so mancher anfangs sein eigenes Süppchen. Luigi Angeletti, Generalsekretär des eher regierungstreuen Gewerkschaftsbundes UIL, heizte im Februar die Stimmung an, als er erklärte, dass die Schließung von Terni die Werke in Frankreich und Deutschland - genauer: in Isbergues und Gelsenkirchen - retten sollte. Ein anderer UIL-Funktionär sorgte für anti-deutsche Ressentiments, indem er in der Presse die Falschmeldung verbreitete, die IG Metall hätte für die Liquidierung des italienischen Werks demonstriert.

Erst bei den verschiedenen Treffen zwischen Deutschen und Italienern, die durch den EMB organisiert wurden, konnten solche Misstöne aus der Welt geschafft werden. Die FIOM distanzierte sich von Anfang an von der nationalistischen Kraftmeierei und setzte auf Kontakte zu den deutschen Kollegen: "Wir haben unsere Beziehung und somit auch unsere gemeinsame Position gegenüber dem Konzern entscheidend gestärkt", erklärt Gianfranco Fattorini. Auch für die FIM sind die Zeiten der nationalen Alleingänge vorbei. "Unser Ziel ist ein europäischer Vertrag, und den können wir nur mit einer europäischen Mentalität durchsetzen", so FIM-Generalsekretär Celestino Tasso. Der EMB spricht in seiner Erklärung zu der Vereinbarung über Terni von einem neuen "Informations- und Kommunikationsnetzwerk auf europäischer Ebene".

Die Arbeitnehmer geben den Managern die Schuld

Alle Arbeitnehmervertreter, auch auf der deutschen Seite, eint im Fall Terni der Konsens, dass die Krise des Standorts durch Missmanagement verursacht wurde. Die ThyssenKrupp AG ist seit 2001 Alleinbesitzerin der Firma Acciai Speciali Terni (AST), die das Stahlwerk betreibt. Vor der Privatisierung im Jahr 1994 arbeiteten in der Stahlfabrik 8000 Personen, heute sind es mit der Zweigstelle in Turin noch 3500 Beschäftigte. Die Probleme, die jetzt durch den Industrieplan gelöst werden sollen, begannen 2002, als die Elektrobandproduktion von Terni und anderen Standorten in der Gesellschaft ThyssenKrupp Elektric Steel zusammengefasst wurde.

Es gab Absatzschwierigkeiten, auf die das Management nicht reagierte. Stattdessen wurde die Produktion in Terni drastisch von ursprünglich über 250000 Tonnen Stahl auf 70000 Tonnen (Ende 2003) gedrosselt und zum Teil auf die Werke in Bochum, Gelsenkirchen und im französischen Isbergues verlagert. Die Anlagen in Terni sind nicht mehr ausgelastet und produzieren Verluste. Das Unternehmen hat 30 Prozent seiner Anteile auf dem heimischen Markt verloren, der in den letzten Jahren von Stahlimporten aus China und Russland überschwemmt wird. Inzwischen wurde die Elektroband-Herstellung von Terni wieder in die AST eingegliedert.

Langfristig ist das Überleben des "magnetico" noch nicht gesichert. Derzeit wird umstrukturiert, es läuft ein Programm zur Produktivitätssteigerung und Qualitätsverbesserung. Die Beschäftigten wurden auf 270 reduziert und 200 Personen in anderen Abteilungen untergebracht. Eine Kündigung hat aber niemand erhalten. Das ist im Moment das Wichtigste für Michele Dettori und seine Kollegen im "magnetico". Die meisten sind kaum älter als 30 Jahre. Sie verdienen als Schichtarbeiter maximal 1200 Euro, und viele müssen davon eine Familie ernähren. Sie sehen nicht aus wie der klassische Malocher, sondern tragen Ohrringe und piercen sich die Nase. Sie sind als ungelernte und billige Arbeitskräfte angeheuert worden. In Terni gibt es keine anderen Jobs. Deshalb sind sie im Februar voller Wut auf die Straße gestürmt und haben alle mitgerissen. "Es war nicht immer leicht, die Bande unter Kontrolle zu halten", erzählt Michele. Doch dann haben sie alle an einem Strang gezogen. Heute sind 90 Prozent aller Beschäftigten des Stahlwerks organisiert. "Jetzt hören uns alle zu, wenn wir was zu sagen haben", erzählt Michele. Schon allein deshalb, findet er, hat sich der Aufstand gelohnt.

Die drei Richtungsgewerkschaften unterhalten jeweils eigene Metallorganisationen, die FIOM-CGIL, die FIM-CISL und UILM-UIL. Die Gewerkschaft CGIL ist traditionell linksgerichtet, während sich die CISL eher an der christdemokratischen Politik orientiert. Der kleinste Dachverband, UIL, stand den sozialistischen und liberalen Parteien nahe, die zum Teil in der Regierungspartei Forza Italia aufgegangen sind.

"Wir haben gemeinsam eine Krise abgewendet"

Zum Kampf um Arbeitsplätze in Terni befragte Michaela Namuth Peter Scherrer, der im Düsseldorfer Zweigbüro des IG-Metall-Vorstandes als Konzernbetreuer für die ThyssenKrupp AG zuständig ist.

Die Schließung der Elektroband-Produktion bei ThyssenKrupp in Terni wurde verhindert. Die Stahlarbeiter und ihre Gewerkschaften haben viel Solidarität und Unterstützung erfahren. Ist jetzt alles in Butter?
Wir haben auf jeden Fall gemeinsam eine unmittelbare Krise abgewendet. Jetzt müssen wir weiterarbeiten und ein neues Industriekonzept für den Stahlstandort Terni entwickeln. Dafür haben wir uns die nötige Zeit ausgehandelt: Wir stehen nicht mehr unter direktem Krisendruck. Das ist ein Ergebnis, mit dem wir alle sehr zufrieden sind. Das heißt aber nicht, dass es keine Konflikte mehr gibt. Es geht darum, gemeinsam mit dem Management eine für alle Beteiligten tragbare Lösung zu entwickeln.

Welche Probleme stehen jetzt an?
Die Konzernleitung hat bislang noch keinen konkreten Vorschlag für ein industrielles Konzept vorgelegt. Es wurden Investitionen angekündigt. Aber die hängen davon ab, ob die italienischen Institutionen ihre Versprechen halten, und den - in Italien sehr hohen - Energiepreis für das Werk in Terni senken und die Transportwege zum nächstgelegenen Hafen ausbauen. Ohne direkte Verbindung zum Meer hat Terni Wettbewerbsnachteile.

Waren Probleme mit den Kosten und der Infrastruktur die Ursache der Krise?
Nein. Das Management hat gravierende Fehler gemacht. Die Elektroband-Produktion erlebte einen drastischen Einbruch auf dem Markt, und es wurde sträflich versäumt, wirksame Gegenstrategien zu entwickeln. Die Qualitätsverbesserung wurde nicht forciert, der Vertrieb nicht effizient organisiert. Große Teile des italienischen Marktes gingen so an andere Anbieter. Die Arbeitnehmer sollten diese Fehler dann ausbaden. So kann man mit Menschen nicht umgehen.

Am Anfang des Konflikts gab es in Italien nationalistische Misstöne gegen den "hässlichen Deutschen”. Hat das auch die Beziehungen zwischen den Gewerkschaften beeinflusst?
Ja, am Anfang hat dies Verdruss geschaffen. Einige italienische Kollegen haben sich später für diese Entgleisungen entschuldigt. Wichtiger ist aber, dass wir die Nicht-Kommunikation, die anfangs zwischen uns herrschte, überwunden haben. Wir treffen uns jetzt öfter und sind dabei, eine kontinuierliche Zusammenarbeit aufzubauen. Letztendlich hat der Konflikt um den Standort Terni dazu geführt, dass die Beziehungen zwischen den Arbeitnehmervertretern beider Länder auf eine solidere Basis gestellt wurden.

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