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Magazin Mitbestimmung

: Im Schatten der Industriekonzerne

Ausgabe 11/2011

STUDIE Das Geschäft mit „Industrial Services“ boomt. Während die Unternehmen von Outsourcing und veränderten Wertschöpfungsketten profitieren, geraten gute Industrie­löhne und starke Mitbestimmungsstrukturen unter Druck. Von Hendrik Roggenkamp

Hendrik Roggenkamp ist Journalist in Berlin/Foto: Waltraud Grubitzsch/dpa

Porsche kennt jeder. Die Firma WISAG Produktionsservice – kurz wps – ist kaum bekannt, auch wenn sie eine Tochter des Dienstleistungsriesen WISAG ist – eines Konzerns mit 40 000 Beschäftigten, der mit Saubermachen groß wurde und derzeit in die industrienahen Dienstleistungen hineinexpandiert. Was die ungleichen Unternehmen in diesem Fall verbindet, sind die Achsen im Luxuswagen Porsche Cayenne: Für bescheidene acht Euro Lohn (unterste Lohngruppe) werden sie in einem Werk in Leizpig von Mitarbeitern des WISAG Produktionsservice aus angelieferten Teilen montiert und anschließend für den Einbau „just in time“ zum Leipziger Porsche-Werk transportiert. Diese Arbeitsteilung ist typisch für sogenannte industrienahe Dienstleistungsunternehmen: Sie selbst produzieren nichts, ihre Dienstleistungen sind aber für die Produktion ihrer Industriekunden unverzichtbar. Und vielfach sehr billig zu haben. Die Beschäftigten, die die Porsche-Achsen montieren, sind zwar Teil der industriellen Wertschöpfungskette von Porsche, aber sie arbeiten in Deutschland zu Stundenlöhnen auf Niedrigstniveau.

Insgesamt reicht das Leistungsspektrum der industriellen Dienstleister von der Maschinenreinigung, Wartung und Instandhaltung über die Montage von Komponenten bis hin zur Verlagerung kompletter Produktionsanlagen – dabei werden Maschinen am alten Standort abgebaut und in einer anderen Fabrik wieder installiert. Mittlerweile hat die Industriedienstleistungsbranche, die für die amtliche Statistik noch immer keine Branche ist, eine erhebliche wirtschaftliche Bedeutung erlangt: Wissenschaftler der Berliner Forschungsgemeinschaft für Außenwirtschaft, Struktur- und Technologiepolitik (FAST e. V.) schätzen in einer jetzt vorgelegten Studie im Auftrag der IG Metall, dass deutschlandweit mindestens 250 000 Arbeitnehmer in Industriedienstleistungsunternehmen beschäftigt sind. Die Unternehmensberatung Roland Berger beziffert den Umsatz mit extern erbrachten „Industrial Services“ auf deutschlandweit rund neun Milliarden Euro, der „Wirtschaftsverband für Industrieservice e. V.“ geht sogar von bis zu 20 Milliarden Euro aus.

NEUES BILLIGLOHNMODELL_ Mit Sorgen beobachten die Gewerkschaften die Auslagerung von Teilen der Wertschöpfung zugunsten der industrienahen Dienstleister. Durch das Outsourcing von Montage- oder Wartungsarbeiten gehen Stellen in tarifgebundenen Industriebetrieben verloren, die häufig nicht durch gleichwertige Arbeitsplätze bei externen Dienstleistern ersetzt würden, kritisiert beispielsweise die IG Metall. In einer aktuellen Stellungnahme sieht die Industriegewerkschaft die industrielle Dienstleistung auf Werkvertragsbasis als neues „Billiglohn-Modell“: Während es in der Leiharbeit mittlerweile einen Mindestlohn gebe, seien die Werkverträge noch unreguliert und ein „Freifahrtschein zur billigen und flexiblen Fremdvergabe“. Selbst in der Stahlindustrie werden in manchen Betrieben 15 bis 34 Prozent der Arbeiten über Werkverträge fremd vergeben, vor allem in der Instandhaltung, wie eine aktuelle Metall-Branchenbefragung von Betriebsräten ergab.

Tatsächlich bekommen viele Beschäftigte in der Industriedienstleistungsbranche keinen Tariflohn. Auf der anderen Seite ist die Branche aber nicht grundsätzlich tariffrei. Bei der Bilfinger Berger Industrial Services, der mittlerweile dominierenden Dienstleistungssparte des ehemaligen Baukonzerns, gilt für die weitaus meisten Beschäftigten ein Tarifvertrag einer der Industriegewerkschaften IG Metall, IG BAU oder IG BCE. In der Regel sind die industrienahen Dienstleistungsunternehmen jedoch durch eine verwirrende Vielfalt tariflicher und nicht-tariflicher Arbeitsverhältnisse gekennzeichnet, wie die FAST-Studie herausarbeitet. Ursache ist vor allem das Wachstum der Dienstleistungskonzerne durch die Übernahme einzelner Betriebe.

Der Industriedienstleister WISAG beispielsweise besteht aus annähernd 230 Einzelgesellschaften mit zusammen 27 000 Beschäftigten, für die unterschiedlichste oder auch keine Tarifverträge gelten. Auch bei kleineren Dienstleistern wie der Buchen Group, einer Konzerntochter der Remondis AG – die wiederum größter deutscher Konzern der Wasser- und Kreislaufwirtschaft mit insgesamt 18 000 Mitarbeitern ist – ist die Lage unübersichtlich. Für gut 1200 der knapp 1900 Köpfe zählenden Stammbelegschaft gilt ein Tarifvertrag der IG Metall bzw. IG BCE, während gut 570 Arbeitnehmer in Betrieben ohne Tarifbindung arbeiten.

Hinzu kommt, dass einige der industriellen Dienstleistungsriesen ihrerseits Subunternehmen beauftragen oder Leiharbeiter einsetzen. Immerhin vier der 16 von den FAST-Wissenschaftlern analysierten Dienstleister haben eine eigene Verleihfirma, deren Beschäftigte überwiegend innerhalb des Konzerns verliehen werden. Für diese Leiharbeiter gilt dann der niedrigere Zeitarbeitstarif, auch wenn sie in einem Betrieb mit deutlich besserem Tarifvertrag arbeiten.

Löhne, die zum Leben reichen, garantiert eine Tarifbindung allein nicht. Beim Porsche-Dienstleister wps in Leipzig beispielsweise lag der tarifliche Einstiegslohn ursprünglich bei sechs Euro je Stunde, mittlerweile gibt es rund acht Euro. Zugrunde liegt ein Haustarifvertrag, den der Unternehmerverband Industrieservice und die wps-Mutter 2006 mit drei Industriegewerkschaften abgeschlossen hat.

UNTERENTWICKELTE MITBESTIMMUNG_ Der Boom der industriellen Dienstleistungen ist auch eine Herausforderung für die betriebliche Mitbestimmung. Weil viele Industriedienstleister ihre Betriebe in der Nähe ihrer Kunden ansiedeln müssen, sind auch größere Dienstleistungskonzerne häufig ausgesprochen kleinteilig organisiert. Zudem arbeitet der FAST-Studie zufolge etwa jeder dritte Industriedienstleister auf Projektbasis – zum Beispiel beim Rückbau von Kraftwerken. Ist ein Auftrag abgeschlossen, ziehen die Mitarbeiter des Dienstleisters zum nächsten Kunden. Wegen der Vielzahl kleiner Betriebe und der häufig wechselnden Einsatzorte der Belegschaft lässt sich eine Betriebsratsarbeit nur schwer organisieren. Bis auf wenige Ausnahmen haben die in der Studie analysierten Unternehmen kaum Niederlassungen oder Standorte mit mehr als 60 Beschäftigten. Entsprechend unterentwickelt ist die betriebliche Mitbestimmung.

Die IG Metall sieht daher die Betriebsräte der Industriekonzerne als Auftraggeber in der Pflicht: Wenn die „Fremdvergabe“ an externe Dienstleister nicht verhindert werden könne, sollte dort zumindest die Bildung von Betriebsräten gefördert werden. Doch ist dies leichter gesagt als getan. Denn in vielen Industriebetrieben wissen offenbar die Betriebsräte gar nicht, ob bereits externe Dienstleister „im Werk“ sind, ob für diese ein Tarifvertrag gilt oder ob es einen Betriebsrat als Ansprechpartner gibt.

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