zurück
Magazin Mitbestimmung

: Hunger nach Wachstum

Ausgabe 07/2004

Expandierende Unternehmen verändern handwerklich geprägte Wirtschaftszweige, sie kaufen kleinere Betriebe auf und bieten sich als Allrounder an. Die Gewerkschaften müssen sich auf komplexe Strukturen einstellen.

Von Annette Szegfü und Herbert Weber.
Die Autoren sind Referenten in der Abteilung Wirtschaft-Technologie-Umwelt beim Vorstand der IG Metall in Frankfurt. Annette Szegfü arbeitet im Ressort Industriepolitik, Herbert Weber im Ressort Handwerk.

Die Weller-Gruppe GmbH & Co. KG steuert in eine prosperierende Zukunft. Geschäftsführer Burkhard Weller begann im Jahr 1979 als Toyota-Vertragshändler und Harley-Davidson-Händler mit zwei Mitarbeitern - heute ist sein Unternehmen eine der größten Autohäusergruppen im deutschen Kraftfahrzeugmarkt. In 21 Autohäusern werden Wagen der Marken Toyota, Lexus, BMW, Mini, VW, Audi und Skoda gehandelt - zur Weller-Gruppe gehört außerdem die Online-Plattform http://www.montena.de/ - Ziel ist der Direktvertrieb von Fahrzeugen via Internet. Im Jahr 2004 will das Unternehmen 30000 Neu- und Gebrauchtfahrzeuge verkaufen - das wären 5000 mehr als im Jahr 2003. Die Weller-Gruppe beschäftigt derzeit rund 950 Mitarbeiter, während es im Jahr 2002 noch weniger als 600 waren. Durch das Vorantreiben von Übernahmen und die Etablierung weiterer Zweigbetriebe soll die Weller-Gruppe bis zum Jahre 2008 50000 Autos verkaufen. Der Gewinn vor Steuern stieg im letzten Jahr um 25 Prozent in der Gesamtgruppe.

Wer Erfolg hat, kauft andere dazu

Der Erfolg der Weller-Gruppe ist nur ein Beispiel für die Konzentrationsprozesse, wie man sie derzeit in verschiedenen Branchen, darunter im Kraftfahrzeughandwerk, beobachten kann. Im Kraftfahrzeughandwerk nützt die fortschreitende Liberalisierung des Automobilvertriebs besonders den Autohäusern, die sich in Gruppen am Markt bewegen. Die Verlierer sind Autohäuser, die in kein Netzwerk eingebunden sind und mit nur einer Reparatureinheit und einer Verkaufsstelle ihre Betriebe führen. Heute gibt es in Deutschland bereits mehr als 1100 Unternehmen, die über mehr als drei Zweigbetriebe verfügen - beim Fahrzeugverkauf ist der Marktanteil dieser Autohausgruppen gegenüber dem Vorjahr von 28 auf rund 40 Prozent gestiegen. Übernahmen von Zweigbetrieben oder ganzen Gruppen, wie im Falle der Lueg AG, die zahlreiche DaimlerChrysler-Servicecenter unterhält und in diesem Jahr die Van-Eupen-Gruppe übernommen hat, einem Opel-Händler mit sieben Standorten, bestätigen diesen Trend.

Unternehmen, die bereits mehrere Betriebseinheiten haben, werden von noch größeren geschluckt. Eine EU-Richtlinie, die die Beziehungen zwischen Händlern und Herstellern regelt, die so genannte Gruppenfreistellungsverordnung, treibt den strukturellen Wandel und damit die Konzentrationsprozesse im Kfz-Handwerk voran. Besonders die Hersteller selbst betreiben und unterstützen die Zusammenschlüsse mit dem Ziel, Kosteneinsparungen durch Synergieeffekte zu erreichen, wenn die organisatorischen Abläufe aufeinander abgestimmt werden.

Ähnliche Entwicklungen lassen sich auch im Zahntechnikerhandwerk beobachten - etwa bei der Flemming Dental AG mit Sitz in Hamburg, unter deren Dach mehr als 80 Zahnlabore aus Deutschland und dem benachbarten Ausland zusammengeschlossen sind. Die Unternehmensgruppe ist in den letzten Jahren durch Übernahmen mittelständischer Dentallabore stark gewachsen. In der Zentrale ist man ständig auf der Suche nach neuen, alteingesessenen regionalen Dentallaboren mit Potenzial, um sie aufzukaufen. Mittlerweile ist die Gruppe nahezu in allen großen Städten Deutschlands vertreten. Sie beschäftigt mehr als 2500 Mitarbeiter, wobei eine genaue Zahl schwer zu ermitteln ist. Der Marktanteil betrug im Jahr 2002 etwa drei Prozent und soll sich auf mittlere Sicht verdoppeln. Die Übernahme der mittelständischen Dentalbetriebe erfolgt ab einer Größe von 20 Mitarbeitern bis hin zu großen Einheiten von 100 Beschäftigten.

Die Flemming AG ist international in Großbritannien, Lettland und Schweden tätig. Die Investoren sind seit Mitte 2002 die Berliner Beteiligungsgesellschaft Capital Management Partners (CMP). Hinter dieser Gesellschaft stehen die Hypo-Vereinsbank, der Gerling-Konzern und die Unternehmensberatung Roland Berger.

Nach der Übernahme droht die Entlassung

Im Zahntechnikerhandwerk wurde die Expansion mit großer Aufmerksamkeit und vielen Ängsten verfolgt. Nach Aussagen von Verbandsfunktionären aus dem Arbeitgeberlager, haben sich die Meinungen mittlerweile geändert. Flemming Dental ist weitestgehend akzeptiert - die Konkurrenz spottet nur noch gelegentlich über die Qualität der Produkte. Das ist eine Unterschätzung: Das Unternehmen plant, noch stärker als Dienstleister für Zahnärzte aufzutreten.

Das Angebot geht weit über Zahnersatzprodukte hinaus. Spezielle Konzepte sollen Zahnärzten die Existenzgründung oder eine Praxisübernahme erleichtern, sogar Fortbildungsangebote sind geplant. Die Flemming Dental AG plant, die Zahnärzte bei der Einführung moderner Praxismethoden umfassend zu unterstützen - von der Akquisition bis hin zur Patientenbindung. Technik-, Produktions- und Verfahrenstransfers sind zwischen den Niederlassungen stark ausgebaut. Bei der offensiven Expansion bleiben die Beschäftigten oft auf der Strecke: Flemming Dental hat bei jeder Unternehmensübernahme durchschnittlich 30 Prozent der Mitarbeiter gekündigt. Hinzu kommt, dass nach einer Konsolidierungsphase Änderungskündigungen zu Lasten älterer Mitarbeiter ausgesprochen werden. Die "Fielmannisierung" des Zahntechnikerhandwerks steht im krassen Widerspruch zu den selbst erklärten Firmenzielen von engagierten Mitarbeitern, die mit ihrem großen Know-how auf die Kundenwünsche eingehen.

Auch in den klassischen Gewerken des Elektrohandwerks, des Handwerks Heizung-Klima-Sanitär, des Zentralheizungs- und Lüftungsbauerhandwerks oder des Metallhandwerks ist eine Neuordnung zu beobachten. Eine wachsende Zahl von Unternehmen entwickelt sich in Richtung Facility-Management und kümmert sich um das technische Gebäudemanagement. Das Facility-Management bewegt sich in einem Markt, der von Fachleuten auf 400-Milliarden Euro geschätzt wird. Hohe Wachstumserwartungen und Kostenreduzierungen von bis zu 30 Prozent verändern die Branche. Dabei entwickeln sich völlig neue Strukturen.

Die alten Branchengrenzen fallen, weil eine Dienstleistung "aus einer Hand" gefragt und erforderlich ist. Klassische Anbieter rutschen in andere Marktnischen ab oder lösen neue Konzentrationsprozesse in diesen Märkten aus. Die alten Unternehmen werden mit Themen wie Übernahme, Aufgabe oder der Reduzierung auf eine Subunternehmertätigkeit im Auftrag von großen Unternehmensgruppen konfrontiert.

Anders als im Kraftfahrzeughandwerk dringen große industrielle Anbieter in diese neuen Marktnischen ein. Es ist bekannt, dass Thyssen-Krupp auf leisen Sohlen kleine und mittlere Handwerksbetriebe über die letzten Jahre hinweg aufgekauft und neu zusammengeführt hat. Die Gebäudetechnik-Firma Imtech, hervorgegangen aus den Unternehmen Rudolf Otto Meyer und Rheinelektra Technik, ist auf diese Weise gewachsen, wie auch die Jenoptik AG, die die Handwerksunternehmen Meisner & Wurst sowie M+W Zander übernommen hat. Auch diese Firmen sind im Bereich der Gebäudetechnik tätig. Die Liste der heimlichen und stillen Übernahmen ließe sich ohne Probleme fortsetzen.

Interessant ist noch eine weitere Form von Konzentration. Handwerksunternehmen, die einen wirtschaftlich gesunden Background haben und im klassischen Markt verblieben sind, bauen ihre Stellung in diesem Markt wiederum aus. Ein Beispiel ist die M+B Blumenbecker GmbH. Durch Zukauf von Handelsunternehmen mit Elektrobedarf bis hin zum Ingenieur-Unternehmen entwickelt sich der Schaltanlagenbauer zu einem neuen Unternehmen mit einer veränderten Struktur. Diese Unternehmensgruppe stärkt ihre Stellung auf der einen Seite durch den Handel von Materialien, Maschinen und Werkzeugen, auf der anderen Seite durch neue Dienstleistungsangebote.

Die gewerkschaftliche Interessenvertretungsarbeit muss sich neu ordnen, um mit diesem Wandel Schritt halten zu können. Teilweise wird dazu eine branchenübergreifende, auf jeden Fall eine überörtliche und auch teilweise eine gewerkschaftsübergreifende Betreuung notwendig sein. Dies stellt die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen - denn die klassische Interessenvertretungsarbeit ist ortsbezogen und innerhalb traditioneller Branchen begrenzt. Die branchenübergreifende Unternehmenstätigkeit stellt an die Tarifpolitik, Betriebspolitik, Betriebsbetreuungspolitik und Mitgliederentwicklung veränderte Anforderungen. Erschwert wird die gewerkschaftliche Betreuungsarbeit durch die oft sehr komplizierten Unternehmenskonstruktionen, aber auch durch die Organisationsabgrenzungen innerhalb der Gewerkschaften.

Ohne eine branchenübergreifende sowie verwaltungsstellen- und bezirksübergreifende Unternehmensgruppenbetreuung wird die gewerkschaftliche Tarifpolitik in diesen Unternehmen weiter abnehmen, werden Betriebsräte eine Ausnahme bleiben und der Aufbau von Gesamtbetriebsräten oder Konzernbetriebsräten schwierig. Eine solche Unternehmensgruppe muss mindestens den Informationsfluss unter Betriebsräten, Vertrauensleuten, örtlichen Betreuern sichern und die Aktivitäten koordinieren. Hinzu kommt, dass neben hoher gewerkschaftlicher Kompetenz ein ausreichendes Branchen-Know-how Grundbedingung für erfolgreiches Handeln ist.

Die Gewerkschaften sollten ihr Engagement in den durch den Strukturwandel entstandenen Dienstleistungsbereichen der ehemaligen klassische Industrie- und Handwerksbranchen verstärken. Die traditionelle handwerksbezogene Betriebspolitik muss zwar weiter betrieben werden - die neu entstehenden Unternehmensgruppen beinhalten jedoch ein großes Erfolgspotenzial.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen