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Magazin Mitbestimmung

Frankreich: Hollandes etwas andere Agenda

Ausgabe 07+08/2013

Mitbestimmung, Berufsbildung und Rentenreform: Die sozialistische Regierung in Paris sucht ihren eigenen Weg zwischen dem Modell Deutschland und europäischen Reformauflagen – bisher mit bescheidenem Erfolg. Von Eric Bonse

Die EU-Kommission kann uns nicht diktieren, was wir zu tun haben.“ Mit diesen harschen Worten reagierte Frankreichs Staatspräsident François Hollande Ende Mai auf die detaillierte Spar- und Reformagenda, mit der die Europäische Kommission das Land auf EU-Kurs bringen will. Viele Beobachter in Berlin und Brüssel deuteten Hollandes Protest als Zeichen mangelnder Reformbereitschaft. Doch dieser Eindruck hält einer näheren Prüfung nicht stand. Schon kurz nach seinem Amtsantritt im Mai 2012 hatte Hollande ein eigenes Reformprogramm entworfen. Dabei griff er auf Empfehlungen des ehemaligen EADS-Chefs Louis Gallois und auf Erfahrungen von Altkanzler Gerhard Schröder mit der deutschen Agenda 2010 zurück. Zudem stimmte er seine Pläne hinter den Kulissen mit den Vorstellungen der Brüsseler EU-Behörde ab.

Die Differenzen liegen vor allem im Zeitplan und in der Methode. Die EU-Kommission setzt auf ein wenig sozialverträgliches Hauruckprogramm: In nur zwei Jahren soll Paris tief greifende Renten-, Steuer- und Sozialreformen auf den Weg bringen, den Arbeitsmarkt liberalisieren und zudem noch das Budgetdefizit unter die erlaubte Schwelle von drei Prozent drücken. All dies hatte Hollandes konservativer Amtsvorgänger Nicolas Sarkozy in fünf Jahren nicht geschafft. Der neue, sozialistische Präsident hat eine etwas andere Agenda: In – für französische Verhältnisse – ungewöhnlich enger Abstimmung mit den Sozialpartnern sucht Hollande einen eigenen Reformweg zwischen dem „Modell Deutschland“ und den Brüsseler Auflagen.

GROSSKONZERNE WERDEN MITBESTIMMUNGSPFLICHTIG

Die ersten Ergebnisse können sich sehen lassen. Die Regierung in Paris hat die Unternehmensmitbestimmung ausgeweitet, den Arbeitsmarkt mit einer Mischung aus Flexibilisierung und Sicherheit („flexicurity“) reformiert und eine Rentenreform auf den Weg gebracht. Beim zweiten Sozialgipfel Ende Juni kündigte Hollande zudem eine umfassende Reform der betrieblichen Ausbildung an. Aus Sicht der deutschen Gewerkschaften besonders bemerkenswert ist der Ausbau der Mitbestimmung. Die „Codétermination“ gibt es in Frankreich zwar bereits seit dem Zweiten Weltkrieg, doch sie führte bisher ein Schattendasein in staatlichen oder privatisierten Betrieben. Nun wird sie auf den Privatsektor ausgeweitet. Betroffen sind jene rund 200 Unternehmen, die mehr als 5000 Mitarbeiter in Frankreich (oder mehr als 10 000 weltweit) beschäftigen. Auch Großkonzerne wie Total, L’Oréal oder Bouygues werden nun mitbestimmungspflichtig.

Allerdings bleibt das neue Gesetz, das am 16. Juni im „Journal officiel“ veröffentlicht wurde, weit hinter den Erwartungen vieler Gewerkschafter und Politiker zurück. Denn zum einen enthält es Schlupflöcher für Unternehmen, deren Muttergesellschaft weniger als 50 Mitarbeiter beschäftigt. Für sie gelten künftig besondere Regeln, die die Mitbestimmung der Arbeitnehmer bei strategischen Konzernentscheidungen erschweren oder ganz verhindern. So wird in die Dachgesellschaft des Lebensmittelkonzerns Carrefour mit seinen weltweit 365 000 Beschäftigten kein Arbeitnehmervertreter einziehen, da die Holding nur neun Mitarbeiter zählt. Zum anderen ziehen wesentlich weniger Arbeitnehmervertreter in die Leitungsgremien ein als zunächst geplant. EADS-Chef Louis Gallois hatte in seinem Expertenbericht noch empfohlen, mindestens ein Drittel der Verwaltungs- bzw. Aufsichtsratssitze mit Arbeitnehmervertretern zu besetzen – die meisten französischen Unternehmen werden monistisch von einem Conseil d’administration geführt. Tatsächlich werden in den meisten Unternehmen künftig aber nur zwei Plätze, in Firmen mit einem bis zu zwölfköpfigen Conseil sogar nur ein Sitz für die Mitarbeiter reserviert. Oppositionspolitiker der Linken kritisieren denn auch den „mangelnden Ehrgeiz“ der Regierung. „Mit nur zwei Vertretern können die Arbeitnehmer nicht wirklich Einfluss auf die Unternehmensentscheidungen nehmen“, sagt der Abgeordnete François Asensi von der Front de Gauche. Auch die den Kommunisten nahestehende Gewerkschaft CGT monierte, das Gesetz gehe nicht weit genug.

Demgegenüber betont die Regierung den Kulturwandel, den das Gesetz einleite: „Man kann sich nur darüber freuen, dass in die bisher abgeschotteten Kreise endlich Arbeitnehmervertreter einziehen und für die Sicherung der Arbeitsplätze eintreten“, sagt Jérôme Guedj vom Parti socialiste. Eine ähnliche Position vertreten die gemäßigten Gewerkschaften CFDT und CFE-CGC. Eine positive Bilanz zieht auch Aline Conchon, Mitbestimmungs-Expertin am Gewerkschaftsinstitut ETUI in Brüssel. Zwar habe sich die Regierung für eine „minimalistische Variante der Mitbestimmung“ entschieden. Mehr sei angesichts des Widerstands der Arbeitgeber aber kaum möglich gewesen. Zudem gibt Conchon zu bedenken, dass die deutsche Mitbestimmung in der französischen Reformdebatte zwar viel zitiert wurde, jedoch nicht als Modell gedient habe. Ob sich ein spezifisch französisches Mitbestimmungsmodell herausbilden werde, bleibe abzuwarten.

Dies gilt auch für andere Politikbereiche, etwa die Rentenreform. Hollande sucht seinen eigenen Weg und geht dabei bedächtig voran. Viel Zeit bleibt ihm allerdings nicht mehr. Dem Sozialisten sitzt nämlich nicht nur die EU-Kommission im Nacken, die schnelle Reformerfolge fordert. Er muss auch die Erwartungen seiner Wähler erfüllen, denen er ein Ende der schlechten Nachrichten und sinkende Arbeitslosenzahlen versprochen hatte.

Spätestens Ende dieses Jahres werde die Trendwende kommen, sagte Hollande beim Sozialgipfel im Juni. Doch bisher ist davon wenig zu sehen, im Gegenteil: Das französische Statistikamt INSEE rechnet mit einem weiteren Anstieg der Arbeitslosigkeit in Frankreich. Auch die Reform der Mitbestimmung dürfte daran nichts ändern. In der betrieblichen Praxis wird sie frühestens 2014 ankommen. Ob sie dann tatsächlich wie in Deutschland hilft, Arbeitsplätze zu sichern, ist noch völlig offen.

Mehr Informationen

Auszüge des Gesetzes zur erweiterten Arbeitnehmerbeteiligung in Frankreich auf Deutsch auf der Internetseite der Hans-Böckler-Stiftung

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