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Magazin Mitbestimmung

: Herabgestuft!

Ausgabe 12/2011

RATINGAGENTUREN Ratings und Ratingagenturen haben in der Krise viel Kredit verspielt. Trotzdem bestimmen sie weiterhin das Schicksal von Staaten und die Geschicke auch deutscher Unternehmen mit. Wie kann diese Macht beschnitten werden? Von Mario Müller

MARIO MÜLLER ist Wirtschaftsjournalist in Frankfurt am Main/Foto: Sadof, AP

Kürzlich nahm der DGB-Vorsitzende Michael Sommer eine Anleihe bei Multi-Milliardär Warren Buffett. Der Großinvestor aus den USA hatte schon vor Jahren bestimmte Finanzinstrumente, die sogenannten Derivate, als „Massenvernichtungswaffen“ gegeißelt. Im Arsenal der Militärs wurde nun auch Sommer fündig. Als er auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall in Karlsruhe mit den Zuständen an den Finanzmärkten abrechnete, brachte er gewissermaßen Marschflugkörper in Stellung. „Die US-Ratingagenturen“, wetterte der DGB-Chef, „sind die wirkungsvollsten Cruise-Missiles der Wall Street.“

Mit seiner Kritik steht Sommer nicht allein. Die Ratingagenturen, die die Kreditwürdigkeit von Staaten und Unternehmen beurteilen, sind selbst in Misskredit geraten. Nicht nur sehen zahlreiche Beobachter in ihnen die Hauptverantwortlichen für das Debakel am US-Hypothekenmarkt und den anschließenden Beinahe-Kollaps des Finanzsystems. Seitdem sie mehreren Mitgliedsländern in Sachen Zahlungsfähigkeit miese Noten ausstellten, gelten sie auch als Brandbeschleuniger in der Eurokrise.

DIE DREI MARKTBEHERRSCHER_ Angesichts der Sprengkraft ihrer Urteile werden die Rufe nach einer Regulierung der Ratingagenturen immer lauter. Doch die Zensoren in die Schranken zu verweisen oder gar ihre Macht zu brechen ist leichter gesagt als getan. Denn als wichtige Akteure des Finanzmarktkapitalismus haben sie sich, mit tatkräftiger Unterstützung durch die Politik, in weiten Teilen der Wirtschaft unentbehrlich machen können und bestimmen auch die Geschicke deutscher Unternehmen mit.

Zu denjenigen, die frühzeitig auf die Gefahren hinwiesen, gehört der New-York-Times-Kolumnist Thomas Friedman. Es gebe heutzutage, schrieb er schon 1996, zwei Supermächte auf der Welt, die Vereinigten Staaten und die Ratingagentur Moody’s. „Die USA können dich zerstören, indem sie Bomben abwerfen, und Moody’s, indem sie deine Anleihen runterstufen. Und glauben Sie mir, es ist nicht immer klar, wer mehr Macht besitzt.“ Während die USA seitdem erhebliche Kratzer an ihrem Status hinnehmen mussten, gewannen Moody’s und die beiden anderen führenden Ratingagenturen, Standard & Poor’s (S & P) sowie Fitch, weltweit noch mehr Einfluss. Von der Notengebung des Trios hängt entscheidend ab, wohin die internationalen Finanzströme fließen und zu welchen Konditionen staatliche Einrichtungen oder Unternehmen sich Kapital beschaffen können.

Der Aufstieg von drei privaten Firmen zu Oberschiedsrichtern in der globalen Finanzarena ist umso erstaunlicher, als sie sich Wissen anmaßen, das sie nicht haben können, und deshalb mit ihren Urteilen immer wieder danebenliegen. Die Ratingagenturen „liefern keine brauchbaren Informationen zur Früherkennung von Problemen. Sie sehen Krisen nicht im Voraus und reagieren nur im Nachhinein“, schimpft der liberale Ökonom und Direktor des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts, Thomas Straubhaar. „Ganz offensichtlich“ seien die Ratingagenturen „nicht in der Lage, ihren Aufgaben gerecht zu werden.“

Die Aufgaben sind schwierig genug. Schließlich geht es darum, zu beurteilen, ob und inwieweit beispielsweise ein Unternehmen in der Lage ist, einen Kredit zu bedienen, also Zinsen und Tilgung zu zahlen. Dabei tauchen zwei grundsätzliche Probleme auf: Zum einen kennt der Schuldner den eigenen Zustand gewöhnlich immer besser als der Gläubiger, zum anderen muss, entsprechend der Laufzeit des Darlehens, die zukünftige Entwicklung vorweggenommen werden. Diese Schwierigkeiten versuchen Banken, bevor sie einem Unternehmen einen Kredit geben und dessen Konditionen festlegen, mit einer hauseigenen Bonitätsbewertung, dem sogenannten internen Rating, zu überwinden. Die Ergebnisse dieser Prüfung sind allerdings nicht für die Öffentlichkeit bestimmt, sondern bleiben Bankgeheimnis.

DRAMATISCHE FEHLURTEILE_ Damit kommen die Ratingagenturen ins Spiel. Ihr Geschäftsmodell besteht darin, Anleger, die Kredite vergeben, indem sie etwa Anleihen zeichnen, mit Einschätzungen über die Schuldner oder einzelne Wertpapiere zu versorgen. Die Ergebnisse werden, wie in der Schule, in einem einfachen Notenschema dargestellt. Die Skala reicht von AAA für höchste Bonität über mehrere Zwischenstufen bis hinab zu D für Pleite. Die jeweilige Einordnung richtet sich nach der von den Agenturen angenommenen Wahrscheinlichkeit eines Zahlungsausfalls. Doch die Feinheiten des Systems können über seine Schwächen nicht hinwegtäuschen. Ratings sind, wie die englische Notenbank in einer Studie betont, „gänzlich zukunftsorientiert und subjektiv“.

Wie fehlerhaft der subjektive Blick in die Glaskugel sein kann, zeigen zahlreiche Beispiele aus der Geschichte der Rating-Branche. Sie begann 1909, als John Moody eine Analyse über Eisenbahn-Wertpapiere veröffentlichte. Schon bei der ersten großen Bewährungsprobe versagten die Agenturen auf ganzer Linie: Den tiefen Sturz der Anleihekurse, der dem Börsencrash von 1929 folgte, hatten sie nicht auf ihrer Rechnung. Ähnlich schlecht war es um ihre Prognosefähigkeit in jüngerer Zeit bestellt. Sowohl bei der Südostasienkrise Ende der 1990er Jahre als auch bei den Pleiten der US-Großkonzerne Enron, Worldcom oder Global Crossing sowie zuletzt des Bankhauses Lehman reagierten sie erst, als das Kind bereits in den Brunnen gefallen war. Eine besonders üble Rolle spielten die Agenturen aber, als sie auf amerikanischen Schrott-Hypotheken aufgebaute Finanzkonstruktionen mit dem höchsten Gütesiegel versahen und so die verheerende Finanzkrise auslösen halfen.

MACHT DANK STAATLICHER REGELWERKE_ Warum konnte das Rating trotz der miesen Resultate zunehmend an Bedeutung gewinnen? Der US-Wirtschaftsrechtler Frank Partnoy spricht von einem „Paradox“, für das er eine einfache Erklärung hat: Die Beurteilung durch externe Agenturen wurde in immer mehr (halb-)staatliche Regelwerke eingebaut und damit verpflichtend. So dürfen Großanleger wie Versicherungen oder Pensionsfonds nur solche Wertpapiere kaufen, die „investment grade“ haben, also eine gute Note aufweisen. Und Banken müssen umso mehr teures Eigenkapital vorhalten, je niedriger ihr jeweiliger Kunde durch Moody’s und Co. bewertet wird. Diese „regulatorische Lizenz“ sieht Partnoy als wesentliche Schubkraft für die enorme Ausweitung von Geschäft und Macht der Agenturen.

Auch diesseits des Atlantiks konnten die Ratingagenturen längst Fuß fassen. Das anglo-amerikanische System der Unternehmensfinanzierung hat den „Rheinischen Kapitalismus“ weitgehend verdrängt. Anstelle deutscher Banken bestimmen nun die Interessen internationaler Investoren und ihrer Helfer das Geschehen. Damit sind auch hiesige Finanzinstitute und Großunternehmen auf eine externe Bewertung durch Ratingagenturen angewiesen. Wer schlechte Noten erhält, wird mit höheren Kreditzinsen bestraft, wenn nicht vom Markt für Fremdkapital gänzlich ausgeschlossen.

Wie die Rating-Leute zu Urteilen kommen, bleibt allerdings ihr Geheimnis. Bei der Bewertung von Unternehmen ziehen sie zwar zahlreiche Geschäftsunterlagen zu Rate, untersuchen das Branchenumfeld, lassen sich Investitions- sowie Finanzpläne präsentieren und die Strategie des Managements erklären. Doch die Entscheidung über die Noten fällt „letzten Endes in einer Blackbox“, also im stillen Kämmerlein, schreiben die Jenaer Wirtschaftssoziologen Stefanie Hiß und Sebastian Nagel in ihrer demnächst erscheinenden Studie „Ratingagenturen zwischen Krise und Regulierung“, die sie im Auftrag der Hans-Böckler-Stiftung erstellt haben. Selbst die Unternehmensvertreter erfahren nicht, nach welchen Kriterien geurteilt wurde.

Zu mangelnder Transparenz gesellt sich gelegentlich mangelnde Kompetenz. Dem Ostdeutschen Sparkassenverband seien von den Ratingagenturen „nie fachkundige Mitarbeiter geschickt“ worden, klagt dessen Präsident Claus-Friedrich Holtmann. Zudem maßten sie sich eine Macht an, „die ihnen nicht zusteht“. Derartige Vorwürfe werden immer wieder geäußert, allerdings meist nur hinter vorgehaltener Hand. Tatsächlich üben die Rating-Vertreter indirekt einen erheblichen Einfluss auf die Unternehmenspolitik und -strategie aus. Doch kaum ein Manager wagt es, die externen Besserwisser öffentlich zu kritisieren.

ZAHMER VORSTOSS DES BINNENMARKT-KOMMISSARS_ Dabei ist vielen Beobachtern klar, dass die Ratingagenturen schärfer an die Kandare zu nehmen sind. Das „Oligopol“ aus drei führenden Anbietern müsse aufgebrochen werden, meint ver.di-Experte Uwe Foullong und spricht sich für eine „europäische, unabhängige öffentliche Ratingagentur“ aus. Doch abgesehen davon, dass ihr Aufbau nicht von heute auf morgen zu schaffen wäre, ist zu bezweifeln, ob sie zu exakteren Urteilen käme. Erfolgversprechender erscheint der auch von Foullong unterstützte Vorschlag, den Agenturen die regulatorische Lizenz zu entziehen. Dann wären Großinvestoren nicht mehr gezwungen, herabgestufte Anleihen massenhaft zu verkaufen und damit den Absturz noch zu beschleunigen. Zielführend auch die Idee, die Ratings, wie früher üblich, von den Anlegern zahlen zu lassen statt von den Unternehmen. Doch die EU-Kommission tut sich schwer. Binnenmarkt-Kommissar Barnier beklagt zwar die „zu große Macht“ der Agenturen. Das ursprünglich geplante befristete Veröffentlichungsverbot von Länderbewertungen ist aber schon wieder vom Tisch. Die Brüsseler Regulierungsvorschläge zielen nun lediglich darauf ab, Ratingagenturen bei schweren Fehlern in die Haftung zu nehmen sowie ihr Mandat je Schuldner oder Wertpapier auf maximal drei Jahre zu begrenzen.

Auch eine völlige Abschaffung steht nicht auf der Tagesordnung. Da sie den Anlegern wichtige Informationen lieferten, gebe es für die Rolle der Ratingagenturen gute ökonomische Gründe, schreibt die Bank of England. Das dürfte Warren Buffet freuen. Er war zuletzt mit noch zwölf Prozent an Moody’s beteiligt. Ein durchaus einträgliches Geschäft. Schließlich machte das Rating-Trio nach Angaben der Londoner Notenbank 2008 bei einem Umsatz von zusammen knapp neun Milliarden Dollar einen Gewinn von 5,5 Milliarden.

Mehr Informationen

Stefanie Hiß/Sebastian Nagel: Ratingagenturen zwischen Krise und Regulierung. Baden-Baden, Nomos-Verlagsgesellschaft 2011. Im Erscheinen

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