zurück
Magazin Mitbestimmung

Stadtwerke: Große Ernüchterung

Ausgabe 12/2013

So haben sie sich die Energiewende nicht vorgestellt: Sinkende Strompreise machen zu schaffen, es fehlt das Geld für Investitionen. Betriebsratsvorsitzende aus den Stadtwerken Hannover, Frankfurt, Rastatt und Dinslaken berichten. Von Ralf Köpke

Martin Bühre redet nicht lange herum: „Es hat schon Zeiten gegeben, da hat es mehr Spaß gemacht, bei uns Betriebsratsvorsitzender zu sein.“ Seit Mitte der 1990er Jahre gehört Bühre dem Betriebsrat der Stadtwerke Hannover an, seit Ende 2012 ist er Vorsitzender des Gremiums. Die Stadtwerke Hannover sind nicht irgendwer in der heimischen Energielandschaft. Die rund 2500 Mitarbeiter erwirtschafteten im vergangenen Geschäftsjahr einen Gewinn von gut 114 Millionen Euro bei einen Umsatz von 2,64 Milliarden, mit diesen Bilanzzahlen zählt der Kommunalversorger von der Leine zu den zehn größten Stadtwerken bundesweit.

Allerdings gab es bei den Hannoveranern 2012 sowohl bei Umsatz als auch Gewinn Einbußen. Was vor allem der hohen Eigenstromerzeugung geschuldet war. Die Stadtwerke verfügen über ein Kraftwerks-Portfolio von 1200 Megawatt. „Der Deckungsbeitrag, den wir in den Vorjahren mit der Erzeugung erzielt haben, sinkt“, erklärt Bühre, „einige unserer Kraftwerksblöcke sind nicht mehr im Geld.“ Denn seit gut zwei Jahren sinken die Börsenstrompreise, da immer mehr Wind-, Bio- und Solarkraftwerke ins Netz einspeisen. Mit fossiler Erzeugung können derzeit nur die wenigsten Energieversorger Geld verdienen, vor allem die modernen, flexiblen Gas- und Dampfkraftwerke (GuD) wie in Hannover stecken alle mehr oder weniger im Minus. Die Stadtwerke Hannover hatten für 150 Millionen Euro ihre GuD-Anlage im Stadtteil Linden modernisiert; wohl erst im Winter, wenn Fernwärme ausgekoppelt werden kann, wird das Kraftwerk wieder in Betrieb sein.

 

WACHSENDE UNSICHERHEIT

„Wir sind in einer Sandwich-Situation“, umschreibt Bühre die wachsende Unzufriedenheit und Unsicherheit im Unternehmen. „Unsere Gewinne brechen ein, gleichzeitig gilt es finanziell relevante Vertragsklauseln gegenüber den Banken einzuhalten. Beides zusammen setzt uns mächtig unter Druck.“ Die Unsicherheit wachse, weil es derzeit kein Konzept gäbe, mit welchem Geschäftsmodell die Deckungsbeiträge aus der Erzeugungssparte kompen­siert werden könnten. Bühre: „So habe ich mir die Energiewende, die ich für völlig richtig halte, nicht vorgestellt.“ Gerade die rund 800 in der Energieversorgung tätigen kommunalen Unternehmen hatten nach der Atomkatastrophe im japanischen Fukushima im Frühjahr 2011 auf einen Aufschwung gesetzt. In diesen Tagen galten sie als das künftige Rückgrat der Energiewende. Die Entscheidung der Bundesregierung, die wenige Monate zuvor beschlossene Laufzeitverlängerung für die 17 Atomreaktoren hierzulande zurückzunehmen und mit dem Jahr 2022 ein definitives Ausstiegsdatum festzulegen, bedeutete gleichzeitig eine Stärkung für dezentrale Energietechniken. „Stadtwerke sind dank ihrer Kundennähe und der guten Akzeptanz in der Bevölkerung die richtige Plattform, um erneuerbare Energien, Kraft-Wärme-Kopplung und Innovationen im Netzsektor voranzubringen“, lautet das Credo von Uwe Leprich, dem wissenschaftlichen Leiter des Instituts für Zukunftsenergiesysteme in Saarbrücken. Stadtwerke hätten vielerorts die Hoheit über Erzeugungsanlagen sowie über Strom- und Wärmenetze, was sie auch zu einem wichtigen Partner für ländliche Regionen werden lasse.

Doch viele dieser Hoffnungen sind einer großen Ernüchterung gewichen. „Noch nie hat eine Bundesregierung ein Großprojekt derart schlecht verwaltet wie die Energiewende“, konstatierte kürzlich Energiefachmann Fritz Vorholz in der „Die Zeit“. „Wo auch immer man hinschaut: Desinteresse, Chaos, Obstruktion.“ Genau diese Situation meint Martin Bühre, der Betriebsratschef der Stadtwerke Hannover: „Wie es weitergeht bei uns, hängt im hohen Maße von politischen Entscheidungen ab. Und das ist schlecht.“ Noch schlechter ist, dass die Bundesregierung bislang nicht hat erkennen lassen – auch nicht im Koalitionsvertrag – wie sie das Zusammenspiel von konventionellen und erneuerbaren Energien regeln will.

Die Lösung für die fossilen Kraftwerke könnte ein neues Marktdesign bringen, wie es auch ver.di fordert: Kraftwerksbetreiber würden dann nicht mehr mit der Erzeugung von Kilowattstunden Geld verdienen, sondern vor allem mit dem Vorhalten von Reserveleistung für die Netzstabilität, wenn Wind und Sonne nicht genügend Strom produzieren. Ein solches Modell war in der bisherigen Bundesregierung nicht mehrheitsfähig.

Nicht nur das Fehlen dieses Marktdesigns beklagt auch Karlheinz Kratzer, seit 2008 Betriebsratschef der N-ERGIE in Nürnberg: „Es gibt aus Berlin für die Energiewende keine Vorgaben, es wird zwar viel geredet, letztlich werden die Unternehmen aber alleingelassen.“ Das verunsichere seit Wochen die rund 2600 Beschäftigten im ­N-ERGIE-Konzern. Auch die Franken haben Probleme mit ihrer Erzeugungssparte. Sie sind mit 25,2 Prozent an dem neuen, 2010 in Betrieb gegangenen Gaskraftwerk Irsching 5 bei Ingolstadt beteiligt. Dank einer mit der Bundesnetzagentur und dem Übertragungsnetzbetreiber Tennet getroffenen Vereinbarung kann das Betreiberkonsortium zumindest einen Teil der Betriebskosten mit dem hocheffizienten 800-MW-Block erwirtschaften. „Das kann nicht sein“, ärgert sich Kratzer. „Umweltschädliche Braunkohlekraftwerke sind derzeit im Geld, während wir mit unseren modernen Kraftwerken rumkrebsen.“ Wie in Hannover fehlt auch in Nürnberg das Geld aus der Erzeugung. Was doppelt schmerzt: „Wir stehen unter dem Renditedruck unserer Anteilseigener, die auf eine bestimmte Ausschüttung drängen“, sagt der Betriebsratschef. „Uns fehlt das Geld, um damit in erneuerbare Energien, Bürgerkraftwerke oder den Ausbau der Verteilnetze zu investieren.“ Chancen, mit neuen Geschäftsaktivitäten die Verluste aus der Erzeugungssparte zu kompensieren, sieht Kratzer nur begrenzt: „Eine richtige zündende Idee für Geschäftsfelder, die dauerhaft neue Beschäftigung generieren, hat meines Erachtens niemand in der Energiewirtschaft.“ Was aber wichtig wäre: „Die Energielandschaft wird sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren exorbitant verändern“, lautet Kratzers Prognose.

Der Betriebsratschef ist froh, derzeit nicht gegen ein Personalabbauprogramm der Geschäftsführung kämpfen zu müssen, wie in den 2000er Jahren nach einer Fusion. Ob dieser Burgfrieden andauert, will Kratzer nicht beschwören. „Wenn die Margen und die Gewinne weiter sinken, befürchte ich, dass zuerst die Personalkosten und die Arbeitsplätze im Fokus stehen“, sagt der N-ERGIE-­Betriebsratschef. Auch sein Kollege Gunter Kreis, Betriebsratschef bei den Stadtwerken Rastatt, muss sich derzeit nicht mit den Folgen eines Sparprogramms in seinem Unternehmen beschäftigen. „Dank einer neuen Organisationsstruktur und in Verbindung mit dem Interessenausgleich haben wir mittelfristig eine gute Basis für die Sicherung der Arbeitsplätze geschaffen.“

Gut 130 Mitarbeiter sind bei dem kleineren Kommunalversorger, dessen Hauptabsatzgebiet zwischen Baden-Baden und Karlsruhe liegt, beschäftigt. Bewusst vermeidet Kreis, auf die Energiewende als Wurzel allen Übels dreinzuschlagen, wie es momentan beliebt ist: „Nicht die Energiewende, sondern politische und unternehmerische Entscheidungen durch die jeweiligen Eigentümer der Energieversorger machen die Arbeitsplätze unsicherer“, sagt er. Bereits 1998, mit Umsetzung der Liberalisierung des deutschen Strommarktes, habe eine Verunsicherung bei den Belegschaften von Energieversorgern begonnen. Kooperationen, Reorganisationen, Optimierungsprogramme haben Tausende von Arbeitsplätzen in der Energiewirtschaft vernichtet, sagt Kreis, der auch dem Aufsichtsrat der Stadtwerke Rastatt angehört.

So hat auch der Leistungsdruck auf die Beschäftigten auf jeden Fall zugenommen, konstatiert auch Volker Kobelt, Betriebsratschef der Stadtwerke Dinslaken. Kobelt ist deshalb froh, dass die Arbeitnehmervertretung jüngst mit der Geschäftsführung eine Betriebsvereinbarung zur Suchtprävention und Suchthilfe abschließen konnte, wobei es auch um Verhaltenssüchte wie Spiel- oder Arbeitssucht geht. „Das hat manchem Vorgesetzten die Augen geöffnet.“ 

STEAG-BETEILIGUNG RICHTIG

„Seine“ Stadtwerke am Nordwestrand des Ruhrgebiets sieht der Betriebsratschef in Energiewende-Zeiten gut, „weil breit genug von der Fernwärme bis zur regenerativen Eigenstromerzeugung“ aufgestellt. Keine Sorgen macht sich Kobelt derzeit, dass sich die Beteiligung der Stadtwerke Dinslaken an dem Steinkohleverstromer Steag nicht rechnet. Dinslaken gehört zu den sieben Kommunalunternehmen aus dem Ruhrgebiet, die Ende 2010 die Mehrheit an dem Traditionsunternehmen übernommen haben. „Die Beteiligung ist für mich eine absolut richtige Entscheidung gewesen“, so Kobelt. Auch wenn die Kraftwerke unter Druck geraten sind, „haben wir bislang immer unsere Ausschüttung erhalten, wie es auch die mittelfristige Finanzplanung der Steag bis zum Jahr 2017 vorsieht“, wirbt Kobelt dafür, dass die Revierkommunen die Steag demnächst komplett übernehmen: „Das rechnet sich für uns.“ Änderungsbedarf sieht der Betriebsratsvorsitzende allerdings bei der Unternehmenskultur, die „gerade in dieser Zeit ein stärkeres Miteinander und soziale Kompetenz erfordert anstatt ein einseitiges Von-oben-nach-unten-Durchreichen“. Das heißt, dass Führungskräfte künftig auch „aus dem eigenen Haus gewonnen werden müssen, anstatt von Headhuntern ausgewählte Kräfte vor die Nase gesetzt zu bekommen“. 

 „Wir werden noch einige Umbrüche in der Energiewirtschaft und bei so manchem Unternehmen erleben, was auch heißt, dass es zu Kraftwerksschließungen kommt“, prophezeit Reinhard Klopfleisch, Referatsleiter Energiepolitik in der ver.di-Bundesverwaltung. Der Kenner der bundesdeutschen Energielandschaft geht gleichwohl von einer guten Entwicklung für die Stadtwerke aus. „Vom technischen und energiewirtschaftlichen Know-how bis hin zur Kundennähe ist auf dieser lokalen Ebene alles vorhanden“, betont Klopfleisch. Dafür müsse aber jetzt die Politik die politischen Rahmenbedingungen schaffen – dazu zählt ver.di ein neues Marktdesign für den Kraftwerksmarkt, Anpassungen beim EEG und dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz.

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen