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Magazin Mitbestimmung

Interview: "Erfolgreich, weil wir klein können"

Ausgabe 12/2015

Michaela Rosenberger, Vorsitzende der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten, sagt, was ihre Gewerkschaft ausmacht. Die Fragen stellte Johannes Schulten

Die NGG hat zwischen 1993 und 2007 fast die Hälfte ihrer Mitglieder verloren. Seit einigen Jahren gehen die Zahlen wieder nach oben. Was sind die Gründe dafür? 

Ich glaube, der entscheidende Grund für unsere Mitgliederzuwächse ist, dass wir „klein“ können. Das haben wir tatsächlich anderen Gewerkschaften voraus. Wir scheuen uns nicht davor, Betriebe mit nur zehn Beschäftigten zu organisieren. Mitgliederwerbung ist für uns immer ein sehr aufwendiges Feld, wir arbeiten in kleinteiligen Branchen wie dem Handwerk oder der Gastwirtschaft. Bei uns fängt „Think big“ bei 500 Beschäftigten an. Deshalb müssen wir um jedes Mitglied kämpfen. Das läuft gut, bei den Zuwächsen an Erwerbstätigen sind wir sogar führend im DGB.

Intensive Mitgliederwerbung ist auch eine Frage der Ressourcen. Die sind bei der NGG bekanntlich begrenzt. Wie bekommen Sie das hin? 

Es hat viel damit zu tun, dass wir sehr engagiert arbeiten. Aber wir machen auch Organizing. Wenn auch nicht in den Größenordnungen wie die IG Metall oder ver.di. Ein schönes Beispiel gab es kürzlich in Bayern. Dort war die Bäckerinnung so freundlich, den Manteltarifvertrag zu kündigen. Daraufhin haben wir Freiwilligenteams gebildet aus Studierenden und Ehrenamtlichen. Die haben dann unzählige Bäckereien abgeklappert und die Kolleginnen und Kollegen informiert. Daraufhin sind ein paar Hundert Beschäftigte zu uns gekommen. 

Die Nahrungswirtschaft war in den letzten Jahrzehnten von starken Strukturveränderungen geprägt. Wie gehen sie damit um? 

Das ist ein Problem, denn so verlieren wir regelmäßig Mitglieder. Ein klassisches Beispiel ist die Brotindustrie. Auch in den Brauereien haben wir Federn lassen müssen. Das sind dann gleich mehrere Hundert Beschäftigte und Mitglieder auf einen Schlag. So wie aktuell bei Coca-Cola, wo durch Standortschließungen Hunderte Stellen brutal wegrationalisiert werden. 

Anders als viele andere Gewerkschaften hat die NGG während der 90er Jahre nicht fusioniert. Hat sich das bezahlt gemacht? 

In den Kleinstrukturen, in denen wir arbeiten, kann Eigenständigkeit durchaus sinnvoll sein, weil wir eine Betreuung und Zuwendung garantieren können, wie es vielleicht in einem größeren Verbund nicht möglich wäre. Wer kennt denn heute noch die Gewerkschaft Leder oder die Holz und Kunststoff – einst stolze Gwerkschaften? Im Verbund der „fünf kleinen Tiger“ waren wir gar nicht so weit entfernt davon, zu fusionieren. Wenn eine Fusion Sinn gemacht hätte, dann nur mit den anderen kleinen Gewerkschaften.

Was sind die Megatrends, mit denen sich die NGG in Zukunft auseinandersetzen muss? 

Wir sind eine Lebensmittelgewerkschaft. Beim Thema Lebensmittelsicherheit sind wir die Experten. Deshalb treibt uns auch TTIP um. Die Verbraucher reagieren unendlich sensibel. Themen wie Genmanipulation haben sofort Auswirkungen auf die Arbeitsplätze. Gleiches gilt für Fracking. Mal davon abgesehen, dass niemand in diesem Land Fracking braucht, sorgen wir uns natürlich um die Auswirkungen auf die Wassersicherheit. In der Brau- und Getränkeindustrie sind wir auf sauberes Trinkwasser angewiesen. Mit Fracking würden wir das alles aufs Spiel setzen – auch die Arbeitsplätze. 

Vor welchen Probleme stehen die Arbeitnehmer in den NGG-Branchen? 

Wir lehnen die Rente mit 67 weiterhin ab. In unserem Organisationsbereich wird im Sieben-Tage-Schichtsystem gearbeitet. Da haben viele Arbeitnehmer schon mit Anfang 50 die Grenze erreicht. Hier gilt es Lösungen zu finden – etwa mit tarifvertraglichen Regelungen zur Arbeitszeitgestaltung oder mit gleitenden Übergängen. Wir müssen die Rente sichern und Altersarmut verhindern, das wird künftig ein größeres Gewicht bekommen.

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