zurück
Magazin Mitbestimmung

: Ein schwieriges Verhältnis

Ausgabe 11/2010

BEZIEHUNGSKRISE Gibt es noch die "privilegierte Partnerschaft" zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokraten oder hat sie so nie existiert? Von Martin Kaluza

Martin Kaluza ist freier Journalist in Berlin/Foto: Michael Cintula

Gewerkschaften wie SPD arbeiten sich nach wie vor an den Konflikten aus der Zeit der rot-grünen Regierung unter Gerhard Schröder ab. Die Gewerkschaften nehmen der SPD die Hartz-Reformen ebenso übel wie Schröders Drohung, in die Tarifautonomie einzugreifen. Umgekehrt trägt die SPD den Gewerkschaften - insbesondere der IG Metall - ihre Rolle bei der Gründung der WASG nach, die letztlich mit der PDS zur Linken fusionierte. "Das haben die Gewerkschaften der SPD heimgezahlt", sagt WZB-Wissenschaftler Wolfgang Merkel beim ersten sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Dialog. Gestartet haben diese Gesprächsreihe die Hans-Böckler- und die Friedrich-Ebert-Stiftung gemeinsam mit der Heimvolkshochschule Springe. Adressiert war die Debatte nicht zuletzt an den akademischen Nachwuchs - die (Alt-)Stipendiaten der beiden Stiftungen.

Dass sich das Verhältnis nach dem Ende der Regierungsbeteiligung der SPD noch nicht wieder entspannt hat, ließ sich exemplarisch an dem Streitgespräch zwischen dem IG-Metall-Funktionär Lothar Wentzel und dem ehemaligen SPD-Staatssekretär Klaus Brandner ablesen. Obwohl Moderator Ludger Vielemeier (ein Profi vom NDR) sich redlich bemühte, die beiden zu einem Zwiegespräch anzuregen, beschränkten sie sich darauf, jeweils ihre Positionen zur Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik darzulegen. Beide Statements kamen über weite Strecken ohne Bezug zur anderen Seite aus. Dabei hätte es Gelegenheit gegeben, auch gemeinsame Projekte oder zurückliegende Erfolge zu benennen.

Schließlich meldete sich Jens Hildebrandt, Altstipendiat der Hans-Böckler-Stiftung und stellvertretender SPD-Fraktionsgeschäftsführer in Mannheim, im Stile eines Paartherapeuten aus dem Publikum zu Wort: "Wenn ich in meiner industriell geprägten Heimatstadt die Leute auf der Straße frage, wie sie die beispiellose Finanzkrise der letzten Jahre erlebt haben, dann war da nicht viel Krise." Und gerade das sei doch ein gemeinsamer Erfolg, auf den man stolz sein könne, sagte Hildebrandt. Unter Mitwirkung der Gewerkschaften habe die schwarz-rote Regierung die Kurzarbeitsregelung ausgehandelt, die letztlich ganze Branchen gerettet habe. "Wäre das nicht ein Anknüpfungspunkt für künftige Zusammenarbeit?", fragte der Altstipendiat.

KEIN EXKLUSIVANSPRUCH MEHR_ Im Verlauf der Tagung deutete sich an, dass sich die Beziehung zwischen Sozialdemokratie und Gewerkschaften in einer Umbruchphase befindet. "Zunächst muss jeder für sich die Erosion stoppen und sich eine neue Machtbasis erarbeiten, sonst wird es eine Koalition der Loser", sagte Hans-Jürgen Urban. Das Vorstandsmitglied der IG Metall machte keinen Hehl daraus, dass er die Gewerkschaften dabei im Vorteil sieht. Sie teilten nicht das Vertrauensproblem der Parteien.

Die Zeit der "privilegierten Partnerschaft" zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie hält Urban für beendet. Künftige Koalitionen zwischen Gewerkschaften und SPD unter erneuerten Bedingungen würden keinen Exklusivitätsanspruch mehr haben. Er stelle sich eine gezielte Zusammenarbeit bei bestimmten gesellschaftlichen Reformprojekten vor. Urban: "Die Bündnisangebote sollten sich dabei an Mehrheitskonstellationen richten, nicht an einzelne Parteien." Die Unabhängigkeit, die in einer solchen Konstruktion steckt, könnte für beide Seiten von Nutzen sein. Ein Schulterschluss wie zu "alten, harmonischen Zeiten" wäre das nicht.

SCHON IMMER KONKURRENTEN_ Doch diese harmonischen Zeiten hat es ohnehin nicht gegeben. "Phasen der Distanzierung sind im Verhältnis von Gewerkschaften und Sozialdemokraten nichts Neues", sagte Michael Schneider, ehemaliger Leiter des Archivs der Sozialdemokratie und jetzt an der Uni Bonn. Er führte das auf die Arbeitsteilung der beiden Streithähne zurück: Die Sozialdemokraten kümmerten sich um die Theorie und die Politik, die Gewerkschaften um so praktische Fragen wie Tarifverhandlungen und Streiks, was - immer wenn die SPD in der Bundesrepublik an der Regierung beteiligt war - zu Interessenkonflikten führte.

Geht man noch ein paar Jahrzehnte zurück, sieht das Bild nicht viel anders aus. Bereits in ihren Anfängen standen sich Sozialdemokratie und Gewerkschaften als Konkurrenten gegenüber, so der Bielefelder Historiker Thomas Welskopp in seinem Vortrag. Die Sozialdemokratie rekrutierte ihre Mitglieder eher unter den Betreibern und Mitarbeitern kleiner, handwerklicher Betriebe, die Gewerkschaft dagegen in größeren Betrieben, wo sich die Leute am Arbeitsplatz organisieren ließen. Beide Seiten neideten sich gegenseitig die Mitglieder und waren um ihren eigenen politischen Einfluss besorgt.

"Es wäre übertrieben, zu sagen, es stünde eine chinesische Mauer zwischen Gewerkschaften und Sozialdemokratie. Die ersten Türme stehen jedoch bereits", sagte Martin Behrens vom WSI der Hans-Böckler-Stiftung, der mit seinem US-Kollegen Wade Jacoby von der Brigham Young University 2000 aktive SPD-Mitglieder zu ihrem Verhältnis zu den Gewerkschaften befragt hat. Eine gewisse Entfremdung konstatierten die Wissenschaftler in den Aussagen der SPD-Genossen, und zwar inhaltlich ("Die wollen etwas anderes als wir") als auch im Kontakt untereinander ("Auf die Gewerkschaften kann man sich nicht mehr verlassen"). Das sieht fast ein Drittel so.

Was aber auch wiederum verwundert, da 64 Prozent der befragten aktiven SPD-Mitglieder gleichzeitig einer DGB-Gewerkschaft angehören. Allerdings stellten Behrens und Jacoby auch fest, dass die älteren SPDler die Zusammengehörigkeit als weniger strapaziert empfinden als die Jüngeren. "Die Gewerkschaften wachsen sozusagen aus der Partei heraus", sagte Behrens.

Zur Geschichte des Verhältnisses SPD und Gewerkschaften:

Gründerjahre (pdf) ,

Konfliktpotenziale (pdf) ,

Strategiedefizite (pdf)

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen