zurück
Magazin Mitbestimmung

: Editorial

Ausgabe 07/2003

Arbeit mit menschlichem Antlitz

Von Kay Meiners Kay-Meiners@boeckler.de

Im Jahr 1963 erschien Hannah Arendts "Vita activa oder Vom tätigen Leben" erstmals in deutscher Sprache. Das viel beachtete Buch war eine Kritik der täglichen Lebensführung. Arbeiten, Herstellen, Handeln - dieser Dreiklang hatte nach Arendt einmal ursprünglich das tätige Leben ausgemacht. In der Gegenwart aber war es reduziert auf Arbeit und Konsum. Angesichts dieses Verlustes bestand die Philosophin darauf, dass dem Menschen wieder Raum für freies, für politisches Handeln zuerkannt werden müsse. Zugleich warnte sie vor der Gefahr, "dass der Arbeitsgesellschaft die Arbeit ausgeht, als die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht."

Heute ist Arbeit tatsächlich ein knappes Gut. Der Einzelne, der im Arbeitsleben steht, erlebt sie aber ganz anders: als hoch verdichtete, hoch produktive Tätigkeit unter dem Gesetz der Ökonomie. Die Industriegesellschaft hat nicht nur die Arbeitsprozesse zerlegt, seziert und rationalisiert, sondern oft auch den Menschen. Neue Gesundheitsrisiken lösen die alten ab - das zeigt der rapide Anstieg psychischer Belastungen. "Arbeit muss für mich Lebensqualität haben", sagt ein junger Berufseinsteiger in einem Artikel (Seite 10), in dem wir nach Vorstellungen von "guter Arbeit" fragen. Und das stimmt: Wir brauchen eine Arbeit, die beides ist: menschengerecht und produktiv. Die Einsicht, dass es immer um den ganzen Menschen geht, breitet sich noch zu langsam aus - und sie ist vor Rückschlägen nicht gefeit. Darum machen wir dieses Heft zu Gesundheitsrisiken und zum Gesundheitsschutz.

In einer individualisierten Gesellschaft ist die Vertretung kollektiver Interessen schwieriger geworden. Verordnungen allein können den Menschen nicht schützen - es kommt auch auf Betriebskulturen und das Verhalten jedes Einzelnen an. Wir müssen uns auf Hannah Arendt besinnen, wenn wir nicht nur gute Arbeit für wenige, sondern ein gutes Leben für alle wollen. Der Soziologe Ralf Dahrendorf plädiert in seinem Interview gegenüber der "Mitbestimmung" (Seite 40) ganz leidenschaftlich dafür. Und er plädiert für einen starken, demokratisch verfassten Staat, der seine Kernaufgaben und seine soziale Infrastruktur gegen Übergriffe verteidigt.

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen