zurück
Magazin Mitbestimmung

: Editorial

Ausgabe 11/2006

Wettbewerb mit sozialen Flanken



Liebe Leserinnen, liebe Leser,

wenn das Europäische Parlament voraussichtlich am 15. November in zweiter Lesung über die überarbeitete EU-Dienstleistungsrichtlinie befindet, können die europäischen Gewerkschaften, ja alle Anhänger eines europäischen Sozialmodells mit Recht stolz sein. Mit ihren entschiedenen Protesten überzeugten sie schließlich eine Mehrheit im EU-Ministerrat wie im Parlament in Straßburg und brachten das so genannte Herkunftslandprinzip zu Fall, dem ihre Hauptkritik galt.

Danach hätten polnische (oder demnächst auch rumänische) Krankenschwestern und lettische Fliesenlegerkünftig zu den Arbeits- und Entlohnungsbedingungen ihres Heimatlandes überall in Europaarbeiten können. Ein flächendeckender Unterbietungswettbewerb wäre die Folge gewesen: In ihrem Beitrag auf Seite 15arbeiten Frank Lorenz und Manfred Wannöffel die wesentlichen Unterschiede zwischen dem Ursprungsentwurf und der jetzigen Fassung.

Den europäischen Dienstleistungsmarkt, den die EU-Kommission mit der Richtlinie fördern wollte, gibt es übrigens bereits - ganz ohne Dienstleistungsrichtlinie, wenn auch nicht ohne aktive Weichenstellung in Brüssel: Seit der Privatisierung der großen öffentlichen Infrastrukturmonopole tobt beispielsweise im Verkehrssektor, im Energiebereich und der Telekommunikation längst ein heftiger Wettbewerb, der dafür sorgt, dass die ursprünglich rein nationalen Dienstleistungsbranchen sich zunehmend europäisch orientieren und die Dienstleistungsgesellschaft europäische Konturen annimmt.

Ob der damit verbundene Standortwettbewerbfair verläuft, liegt auch in den Händen der europäischen Gewerkschaften. Deswegen fordert Sabine Groner-Weber, die in der ver.di-Bundesvorstandsverwaltung den Bereich Politik und Planung leitet, in ihrem Beitrag auf Seite 24: "Nicht auf halbem Weg stehen bleiben" und meint damit, dass über der notwendigen Abwehr von Deregulierungsinitiativen die Entwicklung qualitativ hochwertiger Dienstleistungsangebote, die in einem europäischen Wettbewerb bestehen können, nicht vernachlässigt werden darf. Weil sie national und europaweit nachgefragt werden und deshalb Beschäftigung schaffen und sichern.

Und von einem weiteren bedeutsamen Datum ist in dieser Ausgabe die Rede: vom 21.7.2006. An diesem Tag wählten die Beschäftigten des Walldorfer Softwareriesen SAP erstmals einen Betriebsrat. Die turbulente Vorgeschichte lesen Sie auf Seite 40.

Margarete Hasel
margarete-hasel@boeckler.de

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen