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Magazin Mitbestimmung

Werkverträge: Druck auf die Werftleitung

Ausgabe 10/2013

Auf Drängen von IG Metall und der niedersächsischen Landesregierung kam bei der Papenburger Meyer Werft jetzt ein Haustarifvertrag zustande, der die Mitbestimmung ausweitet – gegenüber Werkverträgen und deren Missbrauch. Von Marc von Lüpke-Schwarz

Die friedliche Idylle in der Landsbergstraße im niedersächsischen Papenburg hat Mitte Juli 2013 deutliche Risse bekommen. In einem Einfamilienhaus, das jetzt als Brandruine in den Himmel ragt, kamen zwei Menschen ums Leben. Das tragische Unglück lenkte die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf verheerende Zustände. Die beiden toten Männer, 32 und 45 Jahre alt, stammten aus Rumänien und arbeiteten auf der in Papenburg ansässigen Meyer Werft – beschäftigt als Werkvertragsarbeiter bei dem Emdener Dienstleister SDS des Schiffbauunternehmens. Zahlreiche Arbeiter aus den EU-Armenhäusern Bulgarien und Rumänien sollen auf der Werft tätig sein – über Werkvertragskonstruktionen und zu Stundenlöhnen zwischen 3,50 und 5,50 Euro und Arbeitzeiten von bis zu zwei Schichten hintereinander. Die offiziellen Ermittlungen dauern an, auch darüber, ob zutrifft, dass zeitweise bis zu 30 Personen im Haus untergebracht waren. Niedrigstlöhne, Massenunterkünfte, überlange Arbeitszeiten – das Brandunglück hat die hässlichen Nebenwirkungen der modernen Arbeitswelt ans Tageslicht gezerrt.

SUB UND SUB UND SUB

Ein „Geschwür auf dem Arbeitsmarkt“ nennt der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil, SPD, dessen Bundesland immer wieder von Skandalen um solche ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse betroffen ist, den Missbrauch von Werkverträgen. Berüchtigt war bislang vor allem die Fleischindustrie, in der Menschen aus Osteuropa im Akkord schlachten – zum Dumpinglohn und oft per Werkvertrag. Das Thema ist aber komplizierter, als es aussieht. „Man muss differenzieren“, sagt Meinhard Geiken, Bezirksleiter Küste der IG Metall. Nicht alle Werkverträge dienen dem Dumping. „Es gibt jede Menge Werkverträge, in denen ein Betrieb eine Leistung abfordert, über die er selbst nicht verfügt“, sagt Geiken. Gerade auch in der Werftindustrie. Für den Bau und die Fertigstellung eines Kreuzfahrtschiffes sind unterschiedlichste Arbeiten notwendig, die per Werkauftrag bei externen Dienstleistern eingekauft werden, wie beispielsweise der Einbau eines Kinosaals. Mehrere Hundert Firmen wirken so beim Bau eines Kreuzfahrtschiffes mit. Auch in den Augen der Gewerkschaft ein vollkommen legitimes Vorgehen. Doch es gibt auch die dunkle Seite. „Wir stellen allerdings fest, dass es mittlerweile Werkverträge gibt, die dazu benutzt werden, die Leiharbeit zu umgehen“, betont Bezirksleiter Geiken. Vor allem die Einführung eines Mindestarbeitsentgelts und tarifliche Zuschläge haben die Leiharbeit deutlich teurer werden lassen.

Auch deswegen greifen manche Unternehmen gern zu Werkverträgen – gerade mit osteuropäischen Arbeitskräften, um die Kosten niedrig zu halten. IG-Metall-Bezirksleiter Geiken kritisiert die Auswüchse dieser Praxis: „Man gibt auch seine Verantwortung ab und schaut nicht mehr darauf, was der jeweilige Vertragspartner eigentlich macht. Dieser Werkvertragsnehmer gibt den eigentlichen Auftrag weiter an Sub- und Sub- und Sub-Unternehmen. Letztendlich weiß man gar nicht mehr, was für Leute eigentlich auf dem eigenen Betrieb tätig werden.“ Das schwächste Glied in der Kette des Subunternehmertums sind am Ende diejenigen, die die eigentliche Arbeit leisten – aber mit ihrer Tätigkeit das Wenigste verdienen. „Letztendlich sahnen da Subunternehmen zulasten der Beschäftigten ab“, urteilt Geiken über diese schwarzen Schafe. Noch ein weiteres Merkmal der Werkvertragsvergabe ist den Gewerkschaften ein Dorn im Auge: wenn Unternehmen reguläre Arbeitsplätze abbauen, nur um diese Arbeiten kurz darauf von Werkvertragsarbeitern erledigen zu lassen. Wie viele Menschen in Deutschland per Werkvertrag beschäftigt werden und wie hoch das Ausmaß des Missbrauchs ist, weiß kein Mensch. Eine solche Statistik existiert bislang nicht.

EINE SOZIALCHARTA SOLL ES RICHTEN

Für die Meyer Werft war das Brandunglück im Juli ein PR-Desaster ersten Ranges. Normalerweise hört man vor allem dann von dem Unternehmen, wenn es seine luxuriösen Amüsierschiffe aus den Papenburger Hallen unter den Augen Tausender Schaulustiger über die Ems auf die Weltmeere entlässt. Schnell erarbeitete das Unternehmen nach dem Brand eine Sozialcharta, deren Inhalt auf den ersten Blick an die Zustände in Entwicklungsländern statt an das wohlhabende und arbeitsrechtlich hochregulierte Deutschland denken lässt. Die Rede ist vom Verbot von Kinderarbeit, Zwangs-, Pflicht- sowie Häftlingsarbeit. Die Arbeitsumwelt soll in Sachen Sicherheit und Hygiene den „nationalen Standards“ genügen, die Arbeitszeit das gesetzliche festgelegte Maß nicht überschreiten. „Dies gilt ausnahmslos für alle auf der Werft arbeitenden Menschen“, heißt es – auch für Werkvertragsarbeiter, was anscheinend der besonderen Betonung bedarf. Angemessene und lebenswürdige Unterkünfte für „entsandte Beschäftigte der Nachunternehmer“ sowie einen Mindestlohn von 8,50 Euro (brutto) pro Stunde sieht die Sozialcharta der Meyer Werft ebenfalls vor. Durch einen Verhaltenskodex, den die Lieferanten der Werft in ihren Verträgen künftig unterzeichnen müssen, will das Unternehmen die Einhaltung dieser Punkte erreichen. Vieles wäre eigentlich selbstverständlich. Ansprüche weist die Werft genauso zurück wie Schuld. „Aus dieser Erklärung können durch Dritte keinerlei Ansprüche geltend gemacht werden“, heißt es. Pressesprecher Peter Hackmann betont zudem, dass die beiden rumänischen Arbeiter in ihrer Unterkunft ums Leben kamen, ihr Tod in keiner Verbindung zur Meyer Werft steht. Auch eine mangelnde Aufsicht seitens des Unternehmens über die Höhe der Löhne weist er zurück: „Wir haben von der Firma SDS eindeutig belegte Informationen, nicht nur mündlich, sondern auch schriftlich, was die Entgeltabrechnung angeht: acht bis zehn Euro netto.“

Der Hamburger Sozialarbeiter Andrea Stasiewicz kümmert sich in seiner Beratungsstelle um diese Opfer des europäischen Arbeitsmarkts. Angesprochen auf die Papenburger Sozialcharta meint Stasiewicz: „Dass man im Jahre 2013 in einem demokratischen Land, in dem die soziale Markwirtschaft herrschen sollte, solche Chartas schreiben muss, ist schon eine ethische Bankrotterklärung.“ Der Sozialarbeiter weiß von vielen Fällen zu berichten, in denen Osteuropäer in Massenunterkünften untergebracht sind, in Zelten schlafen und zu Dumpinglöhnen schuften. So zum Beispiel von Menschen aus Bulgarien, die für 1,80 Euro die Stunde deutsche Hotelzimmer putzen. Oder von einem Arbeiter, der statt Geld Schläge kassierte, als er seinen Lohn einforderte. „Moderne Sklaverei“ nennt Stasiewicz die Bedingungen, unter denen viele Osteuropäer in Deutschland arbeiten – fern von Heimat und Familie, rechtlos, ohne soziale Absicherung, der Sprache kaum mächtig und immer der Ehrlichkeit ihres Auftraggebers ausgeliefert.

Meyer-WERFT unter Druck_ Das Brandunglück führte zu einem gewaltigen Druck auf die Meyer Werft. Wenige Tage danach bot der IG-Metall-Bezirk Küste, der über seine Mitglieder auf dem Werftgelände eine starke Position hat, der Geschäftsführung Verhandlungen über einen Tarifvertrag für die Werkvertragsbeschäftigten an. Auch der niedersächsische Wirtschaftsminister Olaf Lies, SPD, lud zügig am 22. Juli Gewerkschaft, Geschäftsführung sowie den Betriebsrat der Meyer Werft zu einem Gespräch ein, als dessen Ergebnis alle ihre Unterschriften unter eine Vereinbarung setzten. Neben der Erstellung einer Sozialcharta seitens der Meyer Werft verpflichtete das Dokument alle Seiten auf den Abschluss eines verbindlichen Tarifvertrags. Dem Management der Werft blieb kaum eine andere Wahl.

Zu fünf Verhandlungsterminen kamen die Geschäftsführung der Meyer Werft, die IG Metall, darunter die erste Bevollmächtigte für den Bezirk Leer-Papenburg, Evelyn Gerdes, sowie der Betriebsratsvorsitzende der Meyer Werft, Thomas Gelder, zusammen – bis am 12. September die Tarifparteien ihre Unterschriften unter einen fünfseitigen Haustarifvertrag setzten: Den ersten in Deutschland, der die Situation von Werkvertragsarbeitern regelt. Einfach war die Einigung offenbar nicht. Meinhard Geiken meint: „Die Verhandlungen waren schon hart.“ Nicht zuletzt der politische Druck der rot-grünen Landesregierung bewog Bernard Meyer als Vorsitzendem der Geschäftsführung der Meyer Werft zur Unterschrift unter den Haustarifvertrag. Das enorme Interesse seitens des Wirtschaftsministeriums lässt sich auch daran erkennen, dass der Tarifvertrag in Anwesenheit von Minister Olaf Lies in Hannover vorgestellt wurde, wie auch die erste Pressemeldung dazu aus seinem Wirtschaftsministerium kam. Olaf Lies scheint vorerst zufrieden zu sein, er sieht in dem Tarifvertrag einen „Meilenstein bei der Bekämpfung des Werkvertragsmissbrauchs“. Zwar nicht am Verhandlungstisch dabei, zeitigte der enorme Druck seitens der Landesregierung und der Öffentlichkeit, gegen ausbeuterische Arbeitsverhältnisse vorzugehen, offenbar Wirkung.

LOHN VON 8,50 EURO STEHT DRIN

Um was wurde an fünf Verhandlungsterminen so hart gerungen? Vor allem die entscheidende Frage der Entlohnung, die in der Sozialcharta noch eine unverbindliche Absichtserklärung war, wurde jetzt auf eine verbindliche rechtliche Basis gestellt. Ein wichtiger Punkt dabei: Werkvertragsbeschäftigten, die länger als einen Monat auf dem Werftgelände tätig sind, steht laut Haustarifvertrag nun eine Entlohnung von mindestens 8,50 Euro brutto pro Stunde zu. Zusätzlich sieht der Tarifvertrag eine dauerhaft eingerichtete Beratungsstelle auf der Werft eigens für die Werkvertragsarbeiter vor. Gleich zu Beginn ihrer Tätigkeit sollen sie zudem über die Möglichkeit, Beschwerden bei dem Unternehmen einzureichen, informiert werden. Unterkünfte müssen behördlichen Vorschriften entsprechen, eigentlich eine Selbstverständlichkeit, sollte man denken.

Für besondere Unruhe im Arbeitgeberlager wird aber vor allem ein weiterer Passus des Haustarifvertrages sorgen. Der Betriebsrat der Meyer Werft darf den Verantwortlichen künftig bei der Vergabe von Werkverträgen auf die Finger schauen. Die gewählte Arbeitnehmervertretung der Werft erhält so Einblick in die Werkverträge beziehungsweise die Personal- und Stundenplanung. Der Sozialwissenschaftler und Arbeitsmarktexperte Stefan Sell, der an der Hochschule Koblenz lehrt, hält den Tarifvertrag darum neben dem garantierten Mindestbruttolohn von 8,50 Euro für einen Durchbruch: „Weil eine der wichtigsten Forderungen, nämlich die betriebliche Mitbestimmung auszuweiten auf den Bereich der Werkvertragsarbeitnehmer, mit diesem Tarifvertrag erfüllt wird.“ Ein Zugeständnis der Meyer Werft an Gewerkschaft und Betriebsrat, das bei anderen Unternehmern in Deutschland auf wenig Zuspruch stoßen dürfte. „Das fürchten die wie der Teufel das Weihwasser“, meint Stefan Sell.

Würde dieser Tarifvertrag Schule machen, müssten die Unternehmen Einblicke in ihre Kalkulation gewähren. „Wir werden unsere neuen Möglichkeiten nutzen, damit ein Missbrauch von Werkverträgen verhindert wird“, zeigt sich der Betriebsratsvorsitzende der Meyer Werft Thomas Gelder kämpferisch. Eine vierköpfige, paritätisch besetzte „Arbeitsgruppe Werkverträge“ soll über die Einhaltung der Mindeststandards bei der Meyer Werft wachen. Bei Missachtungen oder Verletzungen der Bestimmungen gehen die Sanktionsmöglichkeiten bis hin zur Kündigung eines Subunternehmens. Am 1. Oktober 2013 trat der Vertrag in Kraft. Allerdings kann ein solcher Haustarifvertrag nur ein erster Schritt zur Bekämpfung ausbeuterischer Arbeitsverhältnisse sein. Viele Unternehmen und Betriebe agieren im tariflosen Raum, auch Betriebsräte sind dort häufig unbekannt. „Da ist der Gesetzgeber gefordert“, meint Stefan Sell.

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