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Magazin Mitbestimmung

: Dienstleister mit Kompetenz beim Bau

Ausgabe 11/2011

BILFINGER BERGER SE Bei kaum einem Unternehmen kann man den Wandel vom Industrieunternehmen zum industrienahen Dienstleister derzeit besser beobachten – wegen der sich überlagernden Branchen entsteht ein Flickenteppich an Tarifverträgen und eine Interessenvertretung durch „Multi-Gewerkschaften“. Von Mario Müller

Mario Müller ist Wirtschaftsjournalist in Frankfurt/Foto: Bilfinger Berger

Im Aufsichtsrat der Bilfinger Berger SE bestimmen drei große Industriegewerkschaften die Geschicke des Unternehmens mit. Die IG BAU, die den Konzern traditionell organisiert, ist mit zwei Kollegen im Zwölfer-Aufsichtsrat der Europäischen Aktiengesellschaft vertreten. Die IG BCE stellt den stellvertretenden Aufsichtsratsvorsitzenden, und die IG Metall ist seit Mai 2011 mit zwei statt bisher einem Sitz präsent, weil sie einen der beiden externen Sitze für sich reklamiert hat, die beide bis dato Kollegen der IG BAU innehatten. Der sechste Arbeitnehmervertreter im SE-Aufsichtsrat des Mannheimer Bilfinger-Berger-Konzerns kommt aus Polen.

TIEF GREIFENDER WANDEL_ Die (nicht immer konfliktfreien) Veränderungen auf der Arbeitnehmerbank im Aufsichtsrat spiegeln gewissermaßen den tief greifenden Wandel von Bilfinger Berger wider. Der in weiten Teilen der Öffentlichkeit immer noch als Bau-Riese wahrgenommene Konzern macht inzwischen einen Großteil seines Umsatzes europaweit mit industrienahen Dienstleistungen für andere Unternehmen, vor allem aus den Branchen Chemie, Energie und Metall. So befasst sich der Teilkonzern Power Service mit der Instandhaltung von Kraftwerken, und so arbeiten im Teilkonzern Industrial Services (BIS) die in der IG BAU organisierten Gerüstbauer und Isolierer Hand in Hand mit Elektrikern, Schlossern und Anlagenbauern, die in der IG Metall zu Hause sind.

Daneben wachsen auch Dienstleistungen aus dem Bau heraus. Etwa wenn Bilfinger Berger nahe der schottischen Stadt Glasgow eine Autobahn ausbaut, um anschließend für 39 Jahre als Betreiber der neuen Autopiste zu fungieren. Diese neuen Cross-over-Branchen stellen die Gewerkschaften vor „große Herausforderungen“, sagt Holger Timmer, der beim IG-Metall-Vorstand den Bereich der industrienahen Dienstleistungen betreut und nunmehr im Aufsichtsrat von Bilfinger Berger sitzt. Das Problem: Als Folge der zahlreichen Firmenkäufe, mit denen das Management in den vergangenen Jahren den Umbau vorantrieb, tun sich bei Arbeitsbedingungen und Löhnen zwischen den zuletzt mehr als 58 000 Beschäftigten deutliche Unterschiede auf. Eine Unübersichtlichkeit, die geradezu nach der ordnungspolitischen Hand der Gewerkschaften ruft, will man keine allzu großen Schieflagen und Ungerechtigkeiten hinnehmen.

Bilfinger Berger ist kein Einzelfall. Das Unternehmen ist Teil einer rasant wachsenden Branche der „Industrial Services“, die milliardenschwere Umsätze einfährt. Sie wachsen parallel mit der Strategie der Industrieunternehmen, eng mit der Produktion verknüpfte Prozesse an externe Service-Firmen auszulagern (siehe auch Beitrag "Im Schatten der Industriekonzerne"). Das drückt Kosten und ermöglicht die Konzentration aufs Kerngeschäft. Industrienahe Dienstleister wie Bilfinger Berger kümmern sich in den Betrieben ihrer Auftraggeber um Instandhaltung, technische Reinigung, Logistik, Montage und vieles mehr.

Weil dort viele Branchen und Gewerke arbeiten, herrschen in diesen industrienahen Dienstleistungsunternehmen „multigewerkschaftliche Strukturen“, wie Timmer es nennt, es sind also gleich mehrere Gewerkschaften aktiv. Was Abgrenzungsprobleme mit sich bringt. Durch die Outsourcing-Welle und neue Formen vernetzter Wertschöpfung verschwimmen traditionelle Unternehmens- und Branchengrenzen. Wo zuvor ein einheitliches Tarifwerk angewendet wurde, gelten nun unterschiedliche (und nicht selten niedrigere) Standards, wie auch der Wirtschaftswissenschaftler Markus Helfen betont (siehe Mitbestimmung 7+8/2011). Diese Fragmentierung schwächt die Tarifpolitik, tariffreie Zonen breiten sich aus – selbst in Großkonzernen.

EXPANSION IM AUSLAND_ Unter den Industriedienstleistern positioniert sich Bilfinger Berger in Deutschland als die Nummer eins. Der Teilkonzern Industrial Services setzte im vergangenen Jahr mit rund 28 000 Beschäftigten knapp drei Milliarden Euro um, davon mehr als 70 Prozent in europäischen Nachbarländern und den USA, und wies einen Gewinn vor Zinsen und Steuern (EBIT) von 134 Millionen Euro aus. Vor allem im Ausland soll expandiert werden. Zur Angebotspalette gehören der Rohrleitungsbau, der Maschinen- und Apparateservice, die Anlagenmontage sowie zahlreiche weitere Leistungen vor allem für Raffinerien, die chemische Industrie oder auch die Branchen Stahl und Aluminium. Unter den Kunden finden sich große Konzerne wie BASF oder der norwegische Energieriese Statoil, für den BIS unter anderem Ölplattformen in der Nordsee wartet. „Der komplette Service aus einer Hand mit qualifiziertem eigenem Personal ist der Schlüssel unseres Erfolgs“, heißt es im Geschäftsbericht.

Die Anfänge der Industriesparte BIS gehen auf das Jahr 2002 zurück. Damals erwarb Bilfinger Berger die Firma Rheinhold & Mahla, einen Spezialisten für Industrie-Isolierung. Vom Einstieg ins Dienstleistungsgeschäft versprach sich der damalige Konzernchef Herbert Bodner eine stabilere Gewinnspanne. Gleichzeitig sollte die Abhängigkeit vom Bau verringert werden. Der bindet viel Kapital und zeichnet sich durch stark schwankende Aufträge und einen entsprechend zyklischen Geldzufluss aus. In den folgenden Jahren wurde BIS auch durch Zukäufe kontinuierlich ausgebaut. Den bislang letzten größeren Coup landete das Management vor zwei Jahren: Im Herbst 2009 übernahm Bilfinger Berger die österreichische Firma MCN, die mit mehr als 6500 Beschäftigten Kraftwerke und Industrieanlagen plant, baut und wartet.

Längst sind Bilfinger Industrial Services der umsatzstärkste der fünf Teilkonzerne von Bilfinger Berger. Auch die in der internen Rangliste folgenden Sparten sind Dienstleister: Building and Facility Services kümmert sich um die Bewirtschaftung von Gebäuden und kam mit mehr als 15 000 Beschäftigten im vergangenen Jahr auf einen Umsatz von 2,3 Milliarden Euro. Power Services betreut mit einer Belegschaft von gut 7000 Leuten Kraftwerksanlagen und erlöste gut eine Milliarde Euro.

Dagegen hat die traditionelle Sparte Bau – Construction – mit zuletzt rund 6700 Beschäftigten nach dem Verkauf der australischen Tochtergesellschaft Valemus und der restlichen US-Aktivitäten weiter an Boden verloren und trägt mittlerweile weniger als ein Fünftel zum Umsatz bei. „Wir werden kein Bauunternehmen mit Dienstleistungskompetenz sein, sondern ein Dienstleistungsunternehmen, das sich die Kompetenzen beim Bau bewahrt hat“, sagte der seit März amtierende Vorstandschef Roland Koch gegenüber der „Frankfurter Rundschau“.

AUSBAU DES SERVICE-GESCHÄFTES_ Der ehemalige hessische Ministerpräsident, der von Bilfinger Berger gerne als „ingenieurgetriebenem Dienstleistungskonzern“ spricht, lässt keinen Zweifel daran, dass der Ausbau des Service-Geschäfts weiterhin Priorität genießt. Immerhin hat Bilfinger Berger nach dem Valemus-Verkauf derzeit rund eine Milliarde Euro in der Kasse, mit denen Firmenübernahmen finanziert werden können. Zuvor will der neue Vorstandschef jedoch noch „einiges umbauen“ in der internen Organisation. Soweit bisher bekannt, sollen die Teilkonzerne zwar eigenständig bleiben, aber enger miteinander vernetzt werden – im Sinne einer zwischen den Tochtergesellschaften abgestimmten Kundenansprache. Um die Zusammenarbeit und den Austausch von Daten innerhalb des Konzerns zu erleichtern, soll ein zweistelliger Millionenbetrag in ein einheitliches IT-System investiert werden. Kein Zufall: Kundenorientierung und IT sind die wesentlichen Innovationstreiber einer Wertschöpfung im Wandel (siehe Beitrag Seite 32).

Auch die Gewerkschaften sehen sich bei Bilfinger Berger vor die Aufgabe gestellt, untereinander die Vernetzung voranzutreiben. „Wir müssen eine gemeinsame Linie hinkriegen“, fordert Ingo Klötzer von der IG BAU. Sein IG-BAU-Kollege Andreas Harnack spricht sich ebenfalls für eine enge Zusammenarbeit zwischen den Gewerkschaften aus, um die Interessenvertretung insgesamt zu stärken und „weiße Flecken“ zu erschließen. Das ist in einem Konglomerat, das sich aus vielen Firmen höchst unterschiedlicher organisatorischer Herkunft zusammensetzt, leichter gesagt als getan. Die Problematik lässt sich beispielhaft an den Verhältnissen bei BIS ablesen: Dort gibt es einen Flächentarif der IG BAU, einen Haustarif mit der IG Metall, und die Beschäftigten des ehemaligen Chemie-Konzerns Hoechst, die Bilfinger Berger an den Frankfurter Standorten übernommen hat, werden nach IG-BCE-Standard bezahlt, berichtet IG-Metaller Timmer. Der Teilkonzern Building and Facility Management kennt ihm zufolge „so gut wie keinen Tarif“, während bei Power Services Regelungen mit der IG Metall bestehen. Darüber hinaus ist Bilfinger Berger mit einer konzerneigenen Leihfirma unterwegs und nutzten Industriedienstleister ausgiebig das Instrument der Werkverträge.

Diesem „Flickenteppich“ (Timmer) eine Struktur zu geben, gleicht einer Kärrnerarbeit. Der Vorschlag, bei der BIS einen Sockeltarif für alle Beschäftigten einzuführen, wurde wegen der Unterschiede bei Löhnen, Zuschlägen und Urlaubsgeld schnell „auf Eis gelegt“, berichtet IG-BAUler Harnack. Ob sich derartige Pläne wieder auf­tauen lassen? Die Vertreter von IG BAU und IG Metall demonstrieren – trotz unterschiedlicher Einschätzung ihrer Vertretungsmächtigkeit im Konzern – ihren guten Willen zur Zusammenarbeit. „Ihre Probleme sollen sie hinter verschlossenen Türen lösen“, rät IG-BCE-Mitglied Stefan Brückner, Vorsitzender des SE-Betriebsrats und stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats von Bilfinger Berger, seinen Kollegen aus den anderen Gewerkschaften. „Ich möchte keine Fraktionierung.“

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