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Magazin Mitbestimmung

Italien: Die Tricks des Signore Renzi

Ausgabe 12/2015

Während die italienische Regierung unter Matteo Renzi den Aufschwung herbeiredet, steigen prekäre Beschäftigung und die Armut im Süden. Von Michaela Namuth

„Vor dem Wort Italien steht endlich wieder ein dickes Plus“, twitterte Ministerpräsident Matteo Renzi im Oktober nach der Verabschiedung des Haushaltsgesetzes 2016. Dieses besteht zum großen Teil aus Steuersenkungen: für Hausbesitzer – und für Unternehmen, die Arbeitskräfte mit den neu geschaffenen Dreijahresverträgen einstellen. Diese Maßnahmen schaffen ein „positives Klima“, erklärt der Regierungschef. Um die Stimmung noch zu steigern, zitiert er die neuesten Daten des Instituts für Statistik (ISTAT). Danach ist das Bruttoinlandsprodukt im ersten Semester um 0,5 Prozent gestiegen, die Arbeitslosigkeit von 12,7 auf 11,9 Prozent gesunken. Renzi ist wie sein Vorgänger Berlusconi ein großartiger Kommunikator. Er setzt aber nicht nur auf die traditionellen Medien, sondern erreicht auch die sozialen Netzwerke im Internet. Dort regt sich allerdings auch Widerstand. „In welchem Land lebt Renzi? Die Realität ist eine andere“, schreibt ein Blogger auf der Website www.sbilanciamoci.org, wo alternative Wirtschaftsmodelle diskutiert werden.

Diese Realität sieht, ausgedrückt in Zahlen, so aus: Das Bruttoinlandsprodukt ist in Italien im ersten Semester 2015 zwar um 0,5 Prozent gestiegen, in der Eurozone aber um 1,8 Prozent. Seit 2007 hat Italien – immerhin die zweitgrößte Industrienation Europas – rund 25 Prozent seiner Industrieproduktion eingebüßt. Die Jugendarbeitslosigkeit liegt noch immer bei über 40 Prozent. Tito Boeri, Chef der Sozialversicherungsanstalt INPS und Kritiker des neuen Haushaltsgesetzes, hat eine Studie seines Instituts vorgestellt, nach der die Kluft zwischen dem industrialisierten Norden und dem strukturschwachen Süden in den letzten Jahren wieder gestiegen ist. Im Süden, wo die Mafia einen Großteil der Wirtschaft kontrolliert, leben 40 Prozent der Bevölkerung unter der Armutsgrenze, im Norden sind es 13 Prozent. Boeri kritisiert auch die unentschiedene Rentenpolitik der Regierung, die immer mehr „soziale Asymmetrie“ schaffe. Vier von zehn italienischen Rentnern erhalten weniger als 1000 Euro. „Für die Euphorie der Regierung gibt es wirtschaftlich und sozial gesehen keinen realen Grund“, so der Ökonom und Arbeitsmarktexperte Aldo Carra. Er nennt Renzi einen „Neopopulisten“.

Auch in der Arbeitswelt herrscht keine gute Stimmung. Nach OECD-Daten ist die Zahl der prekär Beschäftigten unter 29 Jahren im Jahr 2014 auf 56 Prozent gestiegen. Abhilfe schaffen soll der sogenannte Jobs Act, ein Gesetzespaket, das den Kündigungsschutz schleift und Unternehmen subventioniert, die Beschäftigte mit einem Dreijahresvertrag einstellen, der „steigende Schutzgarantien“ verspricht. „Es ist eine Farce, dass die Regierung diese Verträge ‚unbefristet‘ nennt, denn der Arbeitgeber kann jederzeit kündigen und muss dafür nur eine geringe Geldstrafe bezahlen“, kritisiert Maurizio Landini, Vorsitzender der Metallgewerkschaft FIOM. Wie prekär viele Arbeitsverhältnisse in Italien sind, beweist auch das Phänomen der Sklavenarbeit auf den Tomaten- und Weinfeldern, das sogenannte „caporalato“, das diesen Sommer mehrere Todesopfer gefordert hat.

Regierungschef Renzi ist ein Anhänger des amerikanischen Modells der Industriebeziehungen, bei dem die Löhne weitgehend auf Firmenebene ausgehandelt werden. Aus seiner Bewunderung für den Fiat-Chrysler-Manager Sergio Marchionne, der aus dem italienischen Tarifvertragssystem ausgestiegen ist, macht er keinen Hehl. Auch nicht aus der Tatsache, dass er an dem Dialog mit den Gewerkschaften, die zur Lösung der Strukturprobleme industriepolitische Maßnahmen fordern, nicht interessiert ist. Diese Situation beunruhigt einen anderen ehemaligen Ministerpräsidenten: Romano Prodi kritisiert die Regierung, weil sie keine Strukturen und Forschungsfonds schaffe, um vor allem mittelständische Unternehmen im globalen Wettbewerb zu unterstützen. „Die italienische Industriepolitik wird heute in China ausgehandelt“, sagte er unlängst bei einer Veranstaltung der Banca d‘Italia. Sprich: Die gegenwärtige Regierung hat zum Thema Industriepolitik weder Vorschläge noch Ideen. Und die italienischen Betriebe wandern weiterhin Richtung China ab.

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