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Magazin Mitbestimmung

: Die Tester vom TÜV erobern die Welt

Ausgabe 11/2011

INTERNATIONALISIERUNG Der TÜV Rheinland hat sich weltweit als Hightech-Dienstleister etabliert. Gewerkschaftlich ist der Global Player eher unterversorgt: ver.di will mehr Arbeitnehmer in die Tarifbindung bekommen, der Betriebsratsvorsitzende mehr Mitarbeiter aus dem Ausland beteiligen. Von Mathias Peer

Mathias Peer ist Wirtschaftsjournalist in Köln.

An Jörg Eylerts Arbeitsplatz scheint die Sonne das ganze Jahr. Der Leiter des Solarprüflabors des TÜV Rheinland betreibt in Köln den größten Sonnensimulator der Welt: Zwölf Halogen-Metalldampflampen erzeugen mit jeweils 4000 Watt künstliches Sonnenlicht – und lassen den Raum erstrahlen wie an einem wolkenfreien Sommertag. „Gut gegen Winterdepressionen“, merkt Eylert, gelernter Elektrotechniker, bei einem Rundgang durch die Räumlichkeiten trocken an. Seit 2007 testet er für den TÜV Solarmodule auf Langlebigkeit, elektrische Sicherheit und Leistungsstabilität – unter extremsten Temperaturen in der Klimakammer oder bei angenehmen 25 Grad unter dem künstlichen Sonnenlicht. Die Kölner Wettersimulatoren stehen dabei immer seltener still: Als Eylert vor vier Jahren beim TÜV Rheinland anfing, waren es noch 1300 Solarmodule, die pro Jahr durch die Labore geschleust wurden – heute sind es es bereits 4000 Stück.

Nicht nur in der Solarbranche sind die Tests der Rheinländer gefragt. Egal, ob es um die Überwachung von Sicherheitsstandards in Kraftwerken, die Kontrolle von Weichmachern in Kinderspielzeug oder die Zertifizierung von IT-Systemen geht – das Qualitätssiegel des altehrwürdigen TÜV gewinnt im Ausland an Bedeutung. Während das Unternehmen hierzulande vor allem für die TÜV-Plakette am Pkw bekannt ist, hat sich der Konzern international als renommierter Hightech-Dienstleister etabliert. An rund 500 Standorten in über 60 Ländern sind die Rheinländer mittlerweile aktiv. Ableger seines Solarprüflabors hat der TÜV Rheinland in den vergangenen Jahren in allen großen Produzentenländern aufgebaut – in Japan, China, den USA und Taiwan. 2010 kam ein weiteres in Indien dazu. „Damit sind wir näher bei unseren Kunden und helfen dabei, dass die Produkte schneller auf den Markt kommen“, sagt Eylert.

ENORMES WACHSTUM_ Für das Unternehmen zahlt sich die Internationalisierungsstrategie aus. Trotz Wirtschaftskrisen stieg der Umsatz seit 2006 um 44 Prozent – er betrug 1,3 Milliarden Euro im Jahr 2010. Fast die Hälfte der Einnahmen erzielt das Unternehmen mittlerweile fernab der Heimat. Allein in den vergangenen fünf Jahren kamen 4000 neue Mitarbeiter hinzu. Von den insgesamt 14 400 Beschäftigten arbeitet bereits mehr als jeder Zweite in einer ausländischen Niederlassung. Gewerkschaften und Betriebsräte stellt der rasante Wandel vor erhebliche Herausforderungen. Wie entsteht Zusammengehörigkeitsgefühl, wenn die Mitarbeiter auf der ganzen Welt verstreut sind? Wie lassen sich tarifliche Mindeststandards etablieren? Und wie kann man Mitbestimmung organisieren, wenn große Teile der Beschäftigten den Kölner Hauptsitz, an dem Entscheidungen für das gesamte Unternehmen getroffen werden, noch nie gesehen haben? Fragen, die für den Vorsitzenden des Konzernbetriebsrats, Reiner Schon, ganz oben stehen auf der Agenda. „Die enorme Geschwindigkeit des Wachstums stellt uns vor echte Schwierigkeiten“, sagt der 50-jährige Diplomingenieur, der Mitglied der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di ist.

Die Probleme fangen schon in der Heimat an: Weil die Holding des TÜV Rheinland auch hierzulande etliche Tochtergesellschaften unter einem Dach vereint, herrscht in Tariffragen ein komplexer Flickenteppich. „Ein großer Teil der Beschäftigten ist nach wie vor tariflos. Das führt dazu, dass es bei der Vergütung oft jahrelang keine Entwicklung nach oben gibt“, sagt Angelika Hecker, die den Landesbezirk NRW von ver.di im Aufsichtsrat des TÜV Rheinland vertritt. „Wir sehen es als zentrale Aufgabe der kommenden Jahre, hier weiße Flecken zu erschließen und Tarifbindungen für mehr Arbeitnehmer zu erreichen.“

Das Vorhaben ist alles andere als einfach: Traditionell verfügen die Gewerkschaften über nur wenig Einfluss im Unternehmen, was vor allem an der geringen Mitgliederstärke liegt. „Das Unternehmen verfügt über eine überdurchschnittlich hohe Quote an hochqualifizierten Akademikern. Diese muss ver.di noch überzeugen, dass sie Gewerkschaften brauchen, um ihre Interessen zu vertreten“, sagt Wolfgang Uellenberg-van Dawen, Bereichsleiter für Politik und Planung im ver.di-Bundesvorstand und ebenfalls Mitglied im Aufsichtsrat des TÜV Rheinland. Diese Meinung teilt auch seine Kollegin Hecker: „Es gibt viele Themen im Unternehmen, die man nicht als Einzelkämpfer angehen kann. Es darf beispielsweise nicht sein, dass der Konzern künftig nur noch in Arbeitsplätze im Ausland investiert. Wir müssen auch in Deutschland stark bleiben. Dafür kämpfen wir, und dafür braucht es starke Gewerkschaften.“

Auch Betriebsratschef Reiner Schon sieht das Konfliktpotenzial am Horizont. Er will verhindern, dass Mitarbeiter im Ausland künftig gegen inländische Kollegen ausgespielt werden und umgekehrt. Ähnliches hat er schon einmal erlebt: Damals verliefen die Fronten zwischen Alt und Jung. Arbeitnehmer, die vor der Gründung der Aktiengesellschaft TÜV Rheinland Holding im Jahr 1992 dem Unternehmen beitraten, verfügten quasi über Beamtenstatus – samt hoher Vergütung und großzügiger Altersvorsorge. Das konnte und wollte sich das Unternehmen für neue Mitarbeiter, die später dazukamen, nicht mehr leisten. Es entstand eine Zweiklassengesellschaft, innerbetriebliche Spannungen waren programmiert.

Neben dem Versuch, einheitliche Regelungen für die Altervorsorge zu finden, sorgte Betriebsrat Schon für gegenseitiges Verständnis zwischen den Generationen. Ihm ging es darum, die Geschichte des Unternehmens zu erklären, und darzustellen, weshalb bestimmte Brüche unvermeidbar waren. Mit Erfolg: Konflikte der Beschäftigten untereinander und im Verhältnis mit dem Eigentümer des Unternehmens, einem nicht gewinnorientierten Verein, seien mittlerweile ausgestanden. Durch die Expansionswelle im Ausland sieht Schon neuen Gesprächsbedarf. Er will die Kollegen, die über die ganze Welt verstreut für den TÜV Rheinland arbeiten, stärker integrieren und auch emotional an den Konzern binden. „Ich glaube fest, dass wir nur dann weiterhin erfolgreich sein können, wenn es uns gelingt, auch die neuen Mitarbeiter für die spezielle Kultur und die Tradition des Unternehmens zu begeistern.“

Kommendes Jahr wird der TÜV sein 140-jähriges Jubiläum feiern. Den Anstoß zur Gründung gab die aufkommende Arbeiterbewegung im 19. Jahrhundert, die Sicherheitsstandards einforderte, um lebensbedrohende Arbeitsbedingungen in den industriellen Fabriken zu beenden. Eines des größten Probleme waren explodierende Dampfkessel, die allein in Großbritannien bis 1870 über 5000 Menschen das Leben kosteten. Als sich die Technik der Dampfmaschine – samt ihren Risiken – auch in Deutschland durchsetzte, gerieten die Fabrikbetreiber zunehmend unter Druck. Die Folge: 1872 schlossen sich im heutigen Wuppertal mehrere von ihnen zum ersten Dampfkessel-Überwachungsverein, kurz DÜV, zusammen, um Sicherheitsstandards zu etablieren.

Die Idee verbreitete sich. Aus den Dampfkessel-Überwachern wurden technische Überwacher. Ihre Vereine wuchsen zu umsatzstarken Großunternehmen heran. Nach mehreren Fusionen sind die TÜV-Gesellschaften heute überwiegend in drei großen Holdings organisiert, dem TÜV Süd, TÜV Nord und dem TÜV Rheinland, die nach dem Wegfall regionaler Monopole mittlerweile in Konkurrenz zueinander stehen.

MEHR INTERNATIONALE MITSPRACHE_ Die Rheinländer bekommen Chancen und Risiken der Globalisierung aufgrund ihrer besonders starken internationalen Ausrichtung am meisten zu spüren. Um zu verhindern, dass die Belegschaft im immer schneller expandierenden Unternehmen auseinanderdriftet, plant Konzernbetriebsratschef Schon eine kleine Revolution: Er will ausländischen Mitarbeitern mehr Mitspracherechte im Unternehmen einräumen – und Arbeitnehmervertretern großer Tochterunternehmen einen Platz im Aufsichtsrat der Konzernholding verschaffen. „Wir wachsen im Ausland deutlich schneller als im Inland“, sagt Schon, der auch stellvertretender Vorsitzender des Aufsichtsrats ist. Bald werde die Situation eintreten, dass die deutschen Arbeitnehmervertreter nur noch 30 oder 40 Prozent der Belegschaft repräsentierten. „Das bedeutet: Die Mehrheit der Beschäftigten kann an wichtigen Entscheidungen gar nicht teilnehmen. Das ist keine gute Situation.“

Dafür müsste jedoch die Unternehmensform der Holding von einer deutschen AG in eine europäische SE umgewandelt werden. „Diesen Plan verfolgen wir seit zwei Jahren“, sagt Schon – auch wenn in der Konzernzentrale im Kölner Süden die Pläne des Betriebsrats ausweichend kommentiert werden. Eine Umwandlung der Gesellschaftsform sei derzeit kein Thema, heißt es, auch wenn die Notwendigkeit gesehen wird, die Belegschaft im Ausland stärker in die Unternehmensentwicklung einzubinden, etwa durch eine Feedback-Kultur. „Unser Unternehmen lebt von dem Wissen seiner Mitarbeiter“, sagt Unternehmenssprecher Jörg Meyer zu Altenschildesche. „Für uns ist es deshalb extrem wichtig, die Beschäftigten langfristig zu binden. Das funktioniert nur, wenn wir sie durch Mitsprache bei wichtigen Entscheidungen motivieren können.“

„Wir pflegen einen Umgang, der Kritikvermögen stärkt und von allen Beteiligten die Bereitschaft zum konstruktiven Konflikt erwartet“, heißt es im aktuellen Geschäftsbericht. Betriebsratschef Schon ist allerdings nicht davon überzeugt, dass man dem hohen Anspruch im Alltag bereits gerecht wird. „Von diesem hehren Ziel sind wir noch weit entfernt“, sagt er. „Bis dahin ist noch einiges zu tun.“

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